Ich sage euch "Hallo" - der Bulimie "Auf Nimmerwiedersehen"

#1
Hallo ihr Lieben,

ich möchte mich nun vorstellen und meine Geschichte erzählen, nachdem ich die letzten Tage viel im Forum gelesen habe. Ich bin seit etwas über einem Jahr bulimisch (gewesen!!!).

Dass ich eine ES hab, wollte ich lange nicht wahrhaben. Ich hatte aus gesundheitlichen Gründen quasi unabsichtlich begonnen abzunehmen (war vorher schon im NG, dann unteres NG, nun leichtes UG), nach heftigen privaten Veränderungen und beruflichem Stillstand begann mein Verhalten dann immer weiter zu entgleiten. Ich konzentrierte mich übermäßig auf Nährwerte, was ich esse, wie viel ich wovon esse und es stellten sich Süßigkeiten-Fressattacken ein. Nebenbei kamen phasen exessiven Sports dazu, die enden aber häufig rasch wieder...Zeitmangel sei Dank ;) Die unfassbar dumme Idee, den Süßkram nach Fressattacken wieder zu erbrechen hatte ich irgendwann vor etwas über einem Jahr...es war der Anfang vom endgültigen Abstieg. Manchmal war ein paar Tage Ruhe, häufig aber erbrach ich mein Essen mehrmals täglich. Nicht nur nach FA, sondern auch einfach ganz normale Mengen meines täglichen Essens. Schon recht früh bekam ich heftige Auswirkungen zu spüren - mir riss während des K* ein kleines Blutgefäß im Auge und resultierte in einer recht deutlichen Einblutung in den Glaskörper....das machte Angst aber führte nur zu einer kurzen K-Pause von etwa 2 oder 3 Wochen, in denen ich mich ES-gemäß extrem restriktiv ernährte, um ja nicht wieder zuzunehmen... Dann kamen die FA wieder (natürlich...) und ich begann wieder zu erbrechen. Seitdem aber nie mehr mit Kopf lange unten aus Angst vor höherem Druck beim K* und somit erneuten Einblutungen. Wie dumm kann man selbst eigentlich sein...?!

Aber es reicht jetzt einfach. Ich will nicht länger Sklave von diesem Mist sein, ich werde nicht länger Sklave sein, ich bin kein Sklave mehr! Heute ist Tag 4 ohne K*, ich esse wenn ich hungrig bin, ja, es ist viel Obst und Gemüse dabei, aber ich esse auch mein Hauptgericht, langsam und bewusst, um zu spüren wenn ich satt bin. Ich zwinge mich dann aufzuhören wenn ich das Sättigungsgefühl verspüre und verbiete mir aus reiner Gier weiter zu essen. Denn tatsächlich weiß ich genau wann ich satt bin. Nur war ich schon immer ein Schlinger und konnte den Hals "nie voll bekommen", habe eigentlich immer über die Sättigung hinaus gegessen.

Es fällt sehr schwer nicht genau so weiterzumachen. Aber ich weiß, dass das Bedürfnis alles wieder zu erbrechen (selbst wenn es gesund war - ich habe durchaus auch größere Mengen Obst und Gemüse in der Vergangenheit wieder erbrochen) wächst je "voller" ich mich fühle. Normale Mengen Essen und alles ist gut. Normale Mengen Süßkram - auch dann ist alles gut. Bei Brot und süßen Aufstrichen muss ich derzeit noch vorsichtig sein, auch halte ich mich mit stark kh-haltigen Lebensmitteln bei Hauptgerichten weiterhin zurück, da sonst mein Kopf anfängt mir die kcal zu überschlagen und schon geht es wieder abwärts. Aber Fleisch, leckere Beilagen auf Gemüsebasis, Saucen und natürlich normale Mengen Süßigkeiten über den Tag verteilt, sowie Milchprodukte, sind kein Problem und dies bildet nun die Basis meines Essens der nächsten Zeit. So lange, bis die Gewohnheit des Erbrechens der Vergangenheit angehört, denn Gewohnheit ist meiner Meinung nach unser größter Feind. Man ist während des Essens und K* beschäftigt, man vergisst für einen Moment durch die Ablenkung. Unfassbar wie viel Lebenszeit ich der Bulimie geschenkt habe, wie viele Dinge ich nicht getan habe, weil ich lieber mit Essen und K* meine Zeit vergeudet habe. Es reicht. Endgültig.

Ihr alle hier und eure Beiträge haben mich die letzten Tage immer wieder sehr motiviert, sie nehmen das Gefühl der Scham und Schande ein wenig von mir, da ich mich endlich nicht mehr allein damit fühle. Ich habe niemandem von der B erzählt und werde es wohl auch nicht. Manche Dinge kann ich kaum mir selbst eingestehen und diese dunkle Phase meines Lebens gehört dazu.

Danke dass es euch gibt. Danke, dass ich hier lesen und schreiben darf. Ich werde selbst von mir nicht als bulimiekrank sprechen, ich habe beschlossen mich diesem Verhalten nicht länger zu unterwerfen und betrachte mich somit als "geheilt". :) So wie man Menschen mit Abnehmziel empfiehlt sich selbst zu visualisieren wie sie schlank aussehen, so sehe ich mich nun als gesund. Es gilt einfach nur nicht rückfällig zu werden. :) Ich habe viele Jahre geraucht. Alan Carrs Buch hat mir damals die Augen für dieses Suchtverhalten geöffnet, und ich habe danach nie wieder eine Zigarette geraucht. Mit dem K* soll es auch so sein und wird so sein. Ich lasse es einfach.

Was gewinne ich durch die Bulimie? Was gibt sie mir?
- die Möglichkeit zu essen was und wann ich will in jeder Menge die rein geht
-> eine gewisse Kontrolle über mein Gewicht ohne auf meine Nahrung oder Aktivität achten zu müssen

Was ich dadurch verliere mich von der Bulimie zu lösen?
- Angst
- Angst
- Angst
- Angst vor der Krankheit
- Angst vor ihren Folgen... von denen ich einige schon zu spüren bekommen habe und manches nicht mehr komplett reversibel ist
- Angst die fesselt und lähmt und Vergeudung MEINER Lebenszeit
- Angst "entdeckt" zu werden
- Schmerzen, Schmerzen beim Über-Essen, beim K*
- Isolation, Einsamkeit... ich schotte mich ab wenn ich esse und k*, ich kapsele mich emotional von meinen Mitmenschen ab, verkrieche mich in meinem Elend das ich tagtäglich vorangetrieben habe
- Scham und Ekel vor mir und meinem Verhalten
.......

Oh die Liste ist lang. Und die Liste dessen was ich durch die Freiheit gewinne (angefangen von Freiheit!!) wäre noch viel viel länger. Ich gewinne alles und verliere nichts!
Nun werde ich gleich rausgehen und das heute endlich mal wieder recht schöne Wetter genießen. Vor einigen Tagen hätte ich mich jetzt mit Essen hingesetzt, es hineingeschaufelt und wieder erbrochen. Über Stunden. Der Tag wäre vergangen und ich hätte mich nach kurzer Zeit erledigt und traurig gefühlt, hätte die verschwendete Zeit betrauert und erneut dem Himmel gedankt, von schlimmen Folgen des Erbrechens dieses Mal wieder hoffentlich verschont geblieben zu sein.

Ich danke dem Himmel jetzt für Sonne. :)

Auf in den Tag, auf ins Leben!

Ich drücke euch alle, lasst uns stark sein!!!!!
Zuletzt geändert von freisein am Fr Jan 30, 2015 0:26, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Ich sage euch "Hallo" - der Bulimie "Auf Nimmerwiederseh

#2
Hey,

Es ist so schön, so einen motivierten Beitrag zu lesen! :) Deine Motivation ist super und ich wünsche dir ganz viel Erfolg! Es lohnt sich fürs Leben zu kämpfen; wie du weißt, zerstört eine Esstörung einfach zu viel, die lohnt sich nicht.
So ein Beitrag motiviert mich selber auch gleich, weiter dran zu bleiben, die ES loszuwerden.
Darf ich fragen, wie's läuft?

Alles Gute dir!

Re: Ich sage euch "Hallo" - der Bulimie "Auf Nimmerwiederseh

#3
Hallo Fledermaus,

erstmal lieben Dank für deine Antwort :) Besonders freue ich mich, dass ich dich mit Motivation anstecken konnte - wie läuft es bei dir?

Zur Frage wie es bei mir läuft.... ja... grundsätzlich vorweg: Ich bin weiterhin k*frei, erwische mich aber immer wieder bei dem Gedanken, einen FA planen zu wollen oder mir nach dem Essen zu wünschen, ich könnte jetzt alles wieder loswerden. Was aber hilft ist, dass mir das Erbrechen nicht sehr leicht fällt und ich darum fast immer ein "Hilfsmittel" genommen habe, eine bestimmte Gabel war dafür aufgrund der Form ihres Griffes besonders geeignet - die habe ich an dem Tag an dem der Entschluss fiel, fortan frei zu sein, entsorgt. Das war einerseits für mich symbolisch, hat aber eben auch den praktischen Nutzen, dass Erbrechen nun deutlich schwieriger ist. Finger und Co interessiert meinen Magen nämlich nicht.

Wobei mir das Lesen im Forum sehr geholfen hat: ich verbiete mir nach "zu viel" Essen nun nicht mehr die nächste Mahlzeit oder faste gar einen kompletten Tag lang. Einen Abend habe ich hier wirklich besonders arg zugeschlagen mit dickem Hauptgericht und sehr sehr viel Süßkram + Chips hinterher, ich habe mich gräßlich gefühlt, und hätte in der Vergangenheit definitiv eine oder mehr Mahlzeiten am nächsten Tag dafür ausfallen lassen. So habe ich mich in den Hintern getreten und bin stattdessen am nächsten Tag zum Sport gegangen - nachdem ich wie sonst auch gefrühstückt hatte. :)

Auch habe ich mich seit über einer Woche nicht mehr auf die Waage gestellt. Sonst führte der erste Gang am Morgen immer auf die Waage... durch das regelmäßige und auch reichliche Essen fühle ich mich dauernd sehr sehr voll und dadurch auch dicker. Ich denke, die Waage würde das auch tatsächlich bestätigen, allein durch mehr Essen im Verdauungstrakt. Also stelle ich mich da gar nicht erst drauf, ich will es wirklich nicht sehen, will mich nicht schlecht fühlen, nur weil da eine Zahl steht, die mich unglücklich machen würde. Ich gucke in den Spiegel und sehe, dass ich zu knochig bin, weiß in der Theorie auch, dass ein *kg mehr wirklich gut wären aber so weit bin ich noch nicht das auch zu wollen, bzw es akzeptieren zu können wenn es so ist, ohne, dass mein Selbstwertgefühl davon zu Boden geht.

Was gibt es sonst zu berichten vom Weg in die Freiheit... ich trinke sehr viel mehr als sonst, also Tee, Limonade, Wasser, Kaffee,... ich nutze meine Zeit sehr viel besser, gehe zum Sport wenn ich es zeitlich unterbringen kann, halte Verabredungen mit Freunden endlich ein, schaffe mein Tageswerk. Manchmal brauche ich dafür einen Schubs von mir selbst, vor allem wenn ich mich nach dem Frühstück beim Weiteressen erwische und genau weiß, wie leicht so eine Situation in einen FA entgleiten kann... so kommt es dann vor, dass ich laut im leeren Raum zu mir selbst sage "Es reicht mit Essen, Schluss, beweg jetzt deinen Hintern und mach XY".

So alles in allem würde ich sagen, dass es ganz gut läuft. Es geht vorwärts :) :) :) Ich lese bei Gelegenheit so oft es geht hier im Forum mit, da es mir wirklich hilft, von anderen zu wissen die auch so fühlen, die all das auch kennen. Nicht mehr allein sein damit...das bewegt in meinem Kopf wirklich etwas.

Euch allen einen wunderschönen Sonntag!
Zuletzt geändert von freisein am Sa Feb 07, 2015 22:45, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Ich sage euch "Hallo" - der Bulimie "Auf Nimmerwiederseh

#4
Hallo Freisein,

ich finde es echt gut, dass Du nach relativ kurzer Essstörungszeit schon dich schon so entschieden hast, die Bulimie hinter Dir zu lassen und voran zu gehen. Egal, wie oft deine Gefühle dir "Friss und kotz doch" sagen. Ich weiß, über ein Jahr ist auch schon lange, aber es gibt ja so viele, die noch viel länger da rum eiern. Deswegen freue ich mich sehr, deinen Bericht zu lesen. Halte weiter den Kopf oben! Je länger du durchhältst, desto einfacher wird es werden!

Liebe Grüße

Sophie
So spricht der Herr: "[...] Nein, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich erkenne, daß nämlich ich, der Herr, es bin, der auf Erden Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft!" (Jeremias 9,22-23)

Re: Ich sage euch "Hallo" - der Bulimie "Auf Nimmerwiederseh

#5
Hey,

Bei mir gehts mit Hochs und Tiefs... ein paar Tage lang klappt es super und ich denke: 'Ja, weiter so; das kann klappen; weiter.' Und dann schwingt es leider doch immer wieder um. Ich suche immer wieder neue Motivation und im Allgemeinen bin ich zumindest auf einem weitaus besseren Weg als noch vor einem halben Jahr.
Und ich möchte dran bleiben. Jedes Mal, wenn es umschwingt, möchte ich wieder auf die richtige Seite kommen. Und am Besten natürlich, dass es gar nicht mehr umschwingt.

Wenn ich die FAs loswerden könnte, wäre das K***** auch erledigt. Bloß kriege ich dabei nicht immer rechtzeitig die Kurve und verfalle dem Drang zu leicht.

Das mit dem nach einer FA trotzdem nicht sehr fasten, hat mir auch geholfen, die FAs zu reduzieren.


Super, wie gut das bei dir klappt. Bleib dran!! :)

Lieber Gruß,
Fledermaus

Re: Ich sage euch "Hallo" - der Bulimie "Auf Nimmerwiederseh

#6
Hallo Sophie,

Vielen Dank für deine Antwort, ich halte den Kopf oben so gut es geht :) Ich esse und es bleibt weiterhin alles drin. Manchmal fühlt sich die Erinnerung an die noch gar so lange zurückliegenden Kotzepisoden an wie ein absurder Traum - ich kann mir kaum vorstellen, dass ich das getan haben soll. Gleichzeitig ertappe ich mich aber immer wieder bei dem Drang, eine Fressorgie starten zu wollen. Meist hilft es dann, wenn ich einen Apfel (oder auch mehrere), Gemüse oder einen gesüßten Joghurt esse. Hin und wieder trinke ich aber auch einen halben bis einen Liter zuckerfreie Brause um zu "überbrücken". Es geht, und es geht eigentlich echt ganz gut. Zu Sport bin ich in der letzten Woche nicht gekommen, zu viel zu tun, dafür habe ich reichlich gegessen. Die Waage, auf die ich mich heute getraut habe, sagt weiterhin das alte Gewicht. Das motiviert ebenfalls, auch wenn ich weiß, dass es trotzdem zu wenig Gewicht für meine Größe ist. Aber einen Schritt nach dem anderen. Erstmal will ich mit dem Essverhalten gefestigt sein, dann kommt das erneute Erlernen von Selbstakzeptanz incl. Gewichtszunahme. Hoffentlich, zumindest.

Hallo Fledermaus,

das klingt doch alles gut, ich würde Rückschläge als Zeichen einer Entwicklung betrachten, Steine auf dem richtigen Weg, die dich voranbringen. Verliere nur nie den Glauben an das, was du schaffen kannst. Denn schaffen können wir es!!! Freiheit ist das höchste Gut das wir neben der Gesundheit besitzen. Es lohnt sich, jeden Tag für beides zu kämpfen.

Liebe Grüße,
fs