Re: Ich möchte mich vorstellen

#16
ohman,

ich hatte noch soviel geschrieben gestern vormittag und dann war alles weg. mist. dabei fand ich meine geistigen ergüsse recht lesenswert, hahaha.

was mich persönlich einfach brennend interessiert (und ich glaube, ich werde NIE eine antwort darauf bekommen und ich erwarte hier auch keine): warum eine essstörung? warum bulimie?! ich habe fast allem auf den grund gehen können. habe analysiert, reflektiert, verarbeitet, verziehen und versucht mit dem wissen meine gegenwart und zukunft positiv zu lenken. aber eines weiß ich nicht: warum hat sich bei mir alles in einem gestörten verhältnis zum essen herauskristallisiert? warum habe ich nicht ein anderes druckablassventil gefunden?

jedesmal, wenn ich einen schönen abend hatte, wenn schön gegessen wurde, gelacht wurde, es rundum gelungen war und ich den abend als ganzes genossen habe, konnte ich auch das essen geniessen. das wünsche ich mir viel häufiger! mich würde eine beschreibung nicht triggern...aber ich weiß nicht, wie es bei anderen aussieht...von daher: wohl besser nicht.

an sich beruhigt es mich schon, zu wissen, daß es aussenstehende gibt, die verständnis haben. meine erfahrung bis jetzt: bloß nicht erzählen, am ende gilt man nur als "psycho", die, die gestört ist, labil und deswegen nicht ernstzunehmen ist.

so, my two cents ;)

liebe grüße

Re: Ich möchte mich vorstellen

#17
Liebe Hanne,

es wurde herausgefunden, dass wir Essen als druckabbauendes Ventil gewählt haben, weil wir dies bereits in der Kindheit so gelernt haben.
Essen war Belohnung oder Trost.
Es kann auch sein, dass Du immer gestillt wurdest/die Flasche bekamst, wenn Du geschrien hast. Unabhängig davon, ob Du einfach nur i.d. Arm Deiner Eltern wolltest, Dich nach körperlicher Liebe gesehnt hast, ob Du einfach traurig warst oder etwas anderes mitteilen wolltest. Man wurde ohne körperlichen Hunger gefüttert und wendet diese Methode, sich zu beruhigen und die wahren Probleme nicht zu beachten (wie bspw. die damalige Sehnsucht nach Liebe), auch heute wieder an. Da man es von klein auf gewohnt ist, bietet es Geborgenheit, man flüchtet sich in ein altes, von aussen auferlegtes 'Verhalten', welches Sicherheit bietet.
Damals warst Du unfähig Deine eigentlichen Bedürfnisse zu kommunizieren, da Dir schlicht und einfach die Sprache fehlte und heute machst Du Dich selbst unfähig sie zu kommunizieren, da man sich verbietet sie wahrzunehmen, die Bedürfnisse also einfach überspringt und als Patentlösung die Flasche benutzt.

Vielleicht ist so ein kleines Baby auch ganz verwirrt, dass die Eltern nicht wahrnehmen, was es wirklich braucht? Woher soll das Baby wissen, dass die Eltern es nicht verstehen.. Die Theorie geht dann natürlich ein bisschen sehr weit und Belege habe ich auch keine, aber vielleicht hat das kleine Wesen damals schon gelernt, dass die Bedürfnisse nicht wahrgenommen werden sollen, man sie besser einfach wegfüttert? Vielleicht hat es sich ungeliebt gefühlt und unverstanden und wertlos und hat diese damaligen Denkschemata beibehalten?


Wieso wir dann das ganze Essen wieder loswerden ist dann wieder eine andere Geschichte - war aber ja auch nicht Deine Frage..

Alles Liebe.
Der Zustand, in dem ich alles an Essen da habe, ohne auch nur den geringsten Essdruck zu verspüren, ist mein normaler Zustand. Mein Körper sagt mir, was, wann und wie viel er will. Immer, wenn ich Essdruck verspüre ist etwas nicht in Ordnung.

Re: Ich möchte mich vorstellen

#18
guten morgen facilite,

doch, auch das gehörte zu meiner frage. warum das erberchen? und auch von freiwillig?! natürlich war bei mir mit 13, als ich damit anfing, der wunsch, dünner zu sein, mein in dem moment einziger beweggrund. ich bin die jüngste, war immer das kleine, süße, gesunde pummelchen mit den apfelbäckchen, leicht tolpatschig und aber wohl ganz goldig, mit den hellblonden haaren. als kind genoss ich die rolle, mit beginnender pupertät fand ich es nur noch furchtbar. ich wollte also dünner werden, ich wusste, daß es diese "methode" gibt, den finger in den hals und gut ist, und ich wandte sie an. ich erinnere mich noch ganz genau an das erste mal. ein wunder, daß ich vor lauter ekel nicht gleich wieder aufgehört habe...ich habe dann auch später (aber viel viel später mit mitte 20) auch gespürt, wie sehr mir allein der physische vorgang des erbrechens beim druckabbau hilft, v.a. in situationen, denen ich mich nicht gewachsen fühlte. aber war das dann als teenie auch schon so? und ich habe es nicht merken und spüren können? macht es überhaupt sinn, sich darüber gedanken zu machen? sollte man nicht lieber den blick ins hier und jetzt werfen?

die theorie, die du schilderst, klingt recht einleuchtend (schätzungsweise ist es immer ein schmaler grat zwischen wahrheit und abgedrehtheit, wenn es um die psychologie in babyalter geht). aber: würde ich mich dann nicht auch sonst dran erinnern? daß essen als tröster oder ersatz für sonstwas eingesetzt wurde, ob jetzt von mir selbst oder von meinen eltern? ich kann mich NICHT an situationen VOR der bulimie erinnern, in denen ich aus trost, aus angst, aus kummer, aus freude oder so gegessen hätte.

muss ich mich damit abfinden, daß ich mit der pubertät diesen wunsch dünn zu sein entwickelte und dann daraus eine bulimie und es ansonsten vielleicht auch etwas anderes hätte passieren können (irgendeine persönlichkeitsstörung whatever)? und dann bleibt auch noch die frage (was ich auch nie ganz verstanden habe): warum die figur? warum steht oder fällt ein tag mit der anzeige der waage? warum diese körperschemastörungen? das habe ich zum glück schon lange hinter mir gelassen. dann war es jahrelang so, daß ich einfach gerne das niedrige gewicht halten wollte, um wenigstens dadurch (so dachte ich dummes ding) herausstechen zu können, wo ich doch sonst über nichts verfüge. jetzt ist es so, daß ich davon ganz frei bin...und ich würde fast anfangen zu beten, wenn ich denn dran glauben würde, daß DAS nie wieder kommt. denn das ist die hölle (so, wie ich sie mir, die ich nicht glaube, vorstelle ;) )

puh, viel geschrieben am frühen morgen,

liebe grüße

hanne

Re: Ich möchte mich vorstellen

#19
Naja, da könntest Du Dir nun überlegen, wieso Du denn das kleine Pummelchen warst. Kindern fällt es normal sehr leicht auf ihr Hunger- und Sättigungsgefühl zu achten. Wieso hast also darüber hinaus gegessen?

Auf mich hat das Erbrechen auch einen sehr beruhigenden Effekt.
Es erlaubt desweiteren den Serotoninspiegel durch zu viel Essen drastisch zu erhöhen und mich selbst durch einen zu vollen Magen zu verletzen - ohne hinterher Angst haben zu müssen dick zu werden bzw. die Schmerzen lange ertragen zu müssen (wobei ich durch die Bulimie zugenommen habe, nur eben nicht in dem Ausmass, das es angenommen hätte, hätte ich mich nicht übergeben.)
Das Erbrechen macht alles rückgängig, 'reinigt'.
Für mich und mein Leben steht es symbolisch für Abgrenzung. Das Essen ist alles, was mir aufgebrummt wird, im wirklichen Leben schaffte ich es bis dato oft nicht mich abzugrenzen, indem ich das Essen, das ja zu viel ist, denn ich bin schon satt, wieder loswerde, grenze ich mich somit symbolisch ab.

Ich denke nicht, dass es eine Rolle spielt, weshalb man nun eine Essstörung hat. Sie ist ja einfach nur ein Symptom des eigentlichen Problems. Statt sich also mit dem Symptom zu beschäftigen, sei es nun Fressen und Kotzen, Alkohol, SV - sollte man sich besser um die Ursache kümmern.

Alles Gute.
Zuletzt geändert von facilité am Mi Jun 12, 2013 17:36, insgesamt 1-mal geändert.
Der Zustand, in dem ich alles an Essen da habe, ohne auch nur den geringsten Essdruck zu verspüren, ist mein normaler Zustand. Mein Körper sagt mir, was, wann und wie viel er will. Immer, wenn ich Essdruck verspüre ist etwas nicht in Ordnung.

Re: Ich möchte mich vorstellen

#20
guten abend,

natürlich hast du recht!!! die ES ist nur das sympton! daran, die ursachen rauszufinden, habe ich lange gearbeitet und sie, so denke ich, alle gefunden. die frage nach dem warum bulimie ist die letzte für mich nicht klärbare. möglicherweise ist es total unwichtig. vielleicht liegt es auch nur an meinem beruf. ein sehr guter freund meinte mal zu mir "hör auf mich zu analysieren, als sei ich eine archäologsiche ausgrabung". wer weiß, vielleicht haben wissenschaftler in 50 jahren die antwort darauf gefunden ;)

ich hatte auch oft das gefühl, mit dem viel, viel essen dieses innere loch in mir stopfen zu können. natürlich nur für einen augenblick. aber das kam eben erst später. ich hätte am liebsten wieder diese unbeschwertheit im umgang mit essen, wie ich es vor der bulimie hatte (so jedenfalls meine erinnerung). ich hoffe, das ist kein wunschtraum!

inwiefern erhöht viel essen den serotoninspiegel? sorry, ich bin in der hinsicht ein richtig unbeschriebenes blatt - habe mich mit den aspekten der krankheit noch nie wirklich beschäftigt. ich weiß nur, daß serotoninmangel zu, lax gesagt, schlechter stimmung führen kann.

liebe grüße

hanne

Re: Ich möchte mich vorstellen

#21
Liebe Hanne,

durch die vielen KH, die man bei einem FA aufnimmt, hebt der Körper bereits, wenn das Essen im Mund ist, den Insulinspiegel drastisch an (da er einen hohen Blutzuckerspiegel erwartet und dieser muss natürlich reguliert werden). Dadurch kann L-Tryptophan, eine Aminosäure, also ein Eiweissbestandteil, die Blut-Hirn-Schranke passieren. Dieses L-Tryptophan ist die Vorstufe des Serotonins. Erst, wenn L-Tryptophan die BlutHirnSchranke passiert hat, kann daraus Serotonin gebildet werden und dafür braucht es einen hohen Insulinspiegel.

Vorausgesetzt, es ist genügend L-Tryptophan vorhanden, erhöht ein FA somit den Serotoninspiegel drastisch.

(Dass das Essen wieder ausgekotzt wird, hat keine Auswirkungen, denn der Insulinspiegel bleibt oben.)

Nachzulesen im Buch: Zucker und Bulimie - Inke Jochims

Alles Liebe!
Zuletzt geändert von facilité am Mi Jun 12, 2013 21:31, insgesamt 1-mal geändert.
Der Zustand, in dem ich alles an Essen da habe, ohne auch nur den geringsten Essdruck zu verspüren, ist mein normaler Zustand. Mein Körper sagt mir, was, wann und wie viel er will. Immer, wenn ich Essdruck verspüre ist etwas nicht in Ordnung.

Re: Ich möchte mich vorstellen

#22
ahoi,

dann mal auf die schnelle eine (möglicherweise dämliche?!) laienfrage: wenn der serotoninspiegel eine, sagen wir, gesunde höhe hätte, könnte man FAs drastisch minimieren? momentan habe ich keine probleme mit FAs, ich habe schlicht einfach keine, aber wenn es wiederkäme, wäre doch die frage, wie man den serotoninspiegel nicht auf andere weise in die höhe bekäme? (puh, soviel konjunktiv ;) )

wie gesagt, ich bin absolute laiin!

Re: Ich möchte mich vorstellen

#24
Liebe Hanne,

genau das ist die Theorie der Autorin - dass man FA's aufgrund eines niedrigen Serotoninspiegels hat (ich glaube sie geht auch auf Dopamin ein?).
Sie fokussiert sich fast ausschliesslich auf die biochemische Seite der Essstörung und macht konkrete Vorschläge, wie es gelingt, den Serotoninspiegel auf Dauer zu stabilisieren. Der zentrale Punkt ist hierbei nach ihrer Sicht die Ernährung.

Ich finde den Gedanken gut, allerdings dürfen die psychischen Aspekte/Ursachen meiner Meinung nach auf keinen Fall zu kurz kommen!

Alles Liebe.
Der Zustand, in dem ich alles an Essen da habe, ohne auch nur den geringsten Essdruck zu verspüren, ist mein normaler Zustand. Mein Körper sagt mir, was, wann und wie viel er will. Immer, wenn ich Essdruck verspüre ist etwas nicht in Ordnung.

Re: Ich möchte mich vorstellen

#25
Die theorie mit dem Serotoninspiegel wird auch in vielen therapien *praktiziert* indem den Patienten antidepressiva zur unterstützung verschrieben wird da man eben vermutet sie haben ein zu niedrigen serotoninspiegel. Finde ich nicht gut...ist ja viel mehr dahinter....dann müsste man das ja schon von baby auf gehabt haben diesen sogenannte *botenstoff-mangel* im gehirn. Es gibt auch dfie theorie mit der schilddrüse und dem zu viel an testosteron bei bulimikerinen....usw.

Re: Ich möchte mich vorstellen

#26
Ja. Man ist sich bei der Bulimie allgemein nicht sicher über die exakten Ursachen. Die Anorexie ist in der Hinsicht viel besser erforscht, evtl. ist das Krankheitsbild auch 'einfacher' bzw. sind die Ursache/Denkmuster der Patienten sehr einheitlich.

Wieso gehst Du davon aus, dass der Serotoninspiegel bereits im Säuglingsalter niedrig gewesen sein muss? So weit ich es in Erinnerung habe, geht Fr. Jochims nicht davon aus. Ein Serotoninspiegel kann durch belastende Erlebnisse/Lebensphasen sehr schnell aus dem Gleichgewicht geraten.. Und solch schwierige Zeiten haben die meisten unter uns durchgemacht. In welcher Form auch immer.

Antidepressiva werden vor allem gegeben, da sehr viele Bulimie nutzende nebenbei depressiv sind. Und eine Depression ist ja auch u.a. auf einen niedrigen Serotoninspiegel zurückzuführen. Was nun vorher da war - Depression oder Bulimie - ist sicher von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Gute Nacht. (:
Der Zustand, in dem ich alles an Essen da habe, ohne auch nur den geringsten Essdruck zu verspüren, ist mein normaler Zustand. Mein Körper sagt mir, was, wann und wie viel er will. Immer, wenn ich Essdruck verspüre ist etwas nicht in Ordnung.

Re: Ich möchte mich vorstellen

#27
ahoi ihr,
Ich finde den Gedanken gut, allerdings dürfen die psychischen Aspekte/Ursachen meiner Meinung nach auf keinen Fall zu kurz kommen!
völlig d'accord!

aber vielleicht lohnt es sich für mich, mich mit diesen biochemischen faktoren einer ES auseinanderzusetzen. am ende finde ich dort die letzten antworten, die ich noch suche...

lionbabe, denk doch mal, was sich alleine während der pubertät an biologischen umbauarbeiten im hirn und auch sonst auf vielen ebenen ereignen. für mich klingt gerade das sehr plausibel. meine ES setzte mit beginnender pubertät ein..ich weiß, daß ich sozusagen (familiär) vorbelastet war, aber ich finde den gedanken auch nicht verkehrt, daß es noch mehr faktoren gibt, als "nur" die umstände. ich finde ihn auf jeden fall mutmachend..irgendwie...

nun egal, endspurt zum wochenende!!! :)