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... auf der suche nach 40+
Verfasst: Di Dez 02, 2003 11:55
von zoemarya
... bin seit ein paar Tagen öfter mal hier im Forum und hoffe, hier Frauen zu treffen, die 40 oder älter sind und sich (noch) mit der Bulimie oder "Resten" davon herumschlagen. Oder die eine andere ES haben - es gibt ja so viel zwischen Magersucht, Bulimie und Adipositas, so viele Schattierungen.
Warum sprechen die 40+lerinnen nicht darüber?
Nun, vielleicht finden sie sich IRGENDWANN hier ein.
Beste Grüße
Zoemarya

Verfasst: Di Dez 02, 2003 19:06
von Susanne P.
Hi,
ich bin 45 und habe mich unter einem anderen topic schon mal "gemeldet"...
Ich hatte 24 Jahre Bulimie und lebe seit 1999 "clean". Weiß nicht, was du unter "Resten" verstehst, ich habe natürlich ein paar körperliche Schäden davongetragen. Ich schlage mich allerdings nicht damit herum, sondern habe es akzeptiert, weil ich mein Leben - so, wie es heute ist - genieße und froh bin, dass es mir trotz allem so gut geht.
Ich bin außerdem trockene Alkoholikerin. Also sozusagen ein Sucht-Profi aus eigenem Erleben.
Liebe Grüße,
Susanne
Verfasst: Mi Dez 03, 2003 16:35
von zoemarya
Hallo Susanne,
ja, natürlich erinnere ich mich, daß Du woanders schon mal geantwortet oder Dich gemeldet hattest. Finde ich aber nett daß Du mich hier nicht ganz allein stehen läßt.
Unter "Resten" ist - was mich betrifft - zu verstehen, daß ich mich immer noch ab und zu überfresse und dann alles wieder auskotze. Kommt nicht besonders of vor, aber öfter als einmal im Monat. Fühle mich dann aber megabesch***. Heute zum Beispiel. Oh Gott. Alles ging schief. Hatte mir MEIN Mittagessen *** mit *** vorbereitet, mußte dann aber aus "geselligkeitsgründen" mit ins Pausenrestaurant - so was kann ich einfach nicht... Diese Unflexibilität was das Essen betrifft - das ist auch so ein "Rest". Immer muß ich ganz genau PLANEN, was ich wann esse. geht im Prinzip ganz gut, aber manchmal eben nicht. Spontaneität? *imwörterbuchnachschlag*
Übrigens bin ich ebenso suchterfahren wie Du
Liebe Grüße
Zoe
Verfasst: Mi Dez 03, 2003 18:21
von Susanne P.
Hallo Zoe,
so wie du es beschreibst ist es mir auch mal gegangen - mit dem Essen planen und so, und keinerlei Flexibilität. Heute bin ich darüber hinweg, aber es war auch ein weiter Weg, ich "übe" ja schon ein paar Jahre.
Mich würde noch interessieren, welche Art von Kontakt du dir so vorstellst - da du ja die 40+ suchst. Möchtest du einen Austausch hier im Forum oder hast du dir etwas anderes vorgestellt, persönlicher per e-mail zum Beispiel....????
Liebe Grüße,
Susanne
Verfasst: Mi Dez 03, 2003 19:11
von zoemarya
Hallo Susanne,
tja, gut, dann will ich auch mal noch ein paar Jahre üben - aber so wie es jetzt ist, ist es ja schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Ich finde es klasse, daß Du alles hinter Dich gebracht hast, ohne dabei verbittert geworden zu sein sondern eher, wie es scheint, dankbar dafür bist, daß Du mit "heiler Haut" davon gekommen bist.
Wenn Du mich schon so direkt fragst: eigentlich suche ich Kontakt aller Art, am liebsten letztendlich (auch) den persönlichen im RL. Würde einfach gern Frauen kennenlernen, die ein Stück meines "Schicksals" teilen und deren Erfahrungen ich vielleicht ein wenig besser verstehen kann als jemand, der nie diese Sch*** (und andere Katastrophen)durchgemacht hat. Ich suche nicht jemanden zum Jammern - keineswegs. Eher jemanden, der die positiven Seiten des Leben (wieder)entdeckt hat. Oder bereit ist, diese für sich zu finden.
Ich selbst stehe in der Phase der Bewältigung, die, wie Du vielleicht weißt, von Rückfällen nicht frei, aber doch von einem ganz anderen Lebensgefühl geprägt ist als die Akutphase.
Etwas "ältere" suche ich deshalb, weil es mir schwerfällt, mich mit den Problemen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu identifizieren und adäquat damit umzugehen. Ehrlich gesagt langweilen mich auch die diese Lebensphase bestimmenden Themen: Schule, Ausbildung, Eltern, Freund etc. Mich langweilt auch jede Art der Fixierung auf die ES: das Leben besteht aus so vielen anderen Facetten, und KEIN Mensch besteht nur aus seiner ES.
So viel für heute. Danke für Deine Nachfrage.
Liebe Grüße und schönen Abend,
Zoe

Verfasst: Do Dez 04, 2003 22:42
von Susanne P.
Hallo Zoe,
ich werde das Wochenende über verreisen und will dir schnell noch ein paar Zeilen schreiben.
Das Leben besteht natürlich aus vielen Facetten, nicht nur aus der ES. Ich kann von mir aber auch sagen, dass die ES einmal mein Leben und meinen Tagesablauf bestimmt hat!
Gut, das ist eine Weile her. Ich war auch sehr jung, als das alles anfing, ging noch zur Schule und hatte zuhause so viele Probleme und niemanden, der etwas davon hören wollte. In meiner Therapie habe ich begriffen, dass die Auslöser für meine Süchte dort - nämlich in der Kindheit - zu finden sind, und dort musste ich ansetzen, um mein Leben verändern zu können, alte Mechanismen zu verlernen usw. Insofern bin ich auch immer noch in gewisser Weise ein Kind - und das ist jeder im übrigen, egal, wie alt er ist. Es steckt nicht nur das Kind im Manne, auch in jeder Frau.
Ganz sicher gibt es in meinem Leben heute ganz andere Schwerpunkte als die einer z.B. 17-jährigen. Und ganz ganz sicher ist, dass ich das Leben positiv sehe und bejahe, dass ich die Chance hatte, ein neues Leben anzufangen - ohne ES und Alkohol - und dafür ehrlich dankbar bin, weil es nicht selbstverständlich ist. Ich finde das Leben spannend und die freigewordene Energie kann man für so viele tolle Dinge nutzen!
Ich würde mich freuen, hier wieder etwas von dir zu lesen. Drücke dir die Daumen für jeden Tag, den du evtl. doch noch wieder kämpfen musst - das alles braucht echt seine Zeit. Bei mir gab es auch immer wieder vereinzelte FA-Rückfälle, die wurden dann immer seltener, je weiter ich mit meiner Therapie kam und je stärker ich innerlich wurde. Irgendwann war dann alles weg, kein Bedürfnis mehr, keine Rückfälle mehr, ein Tag nach dem anderen und das sind inzwischen rund 4 3/4 Jahre.
Alles braucht seine Zeit.
Ich wünsche dir alles Gute und ein schönes Wochenende!
Liebe Grüße,
Susanne
Verfasst: Sa Dez 06, 2003 17:31
von zoemarya
Hallo Susanne,
das ist aber nett von Dir, daß Du mir noch etwas schreibst! Ich hoffe, Du hattest ein schönes, erholsames Reise-WE!
Ja, auch bei mir war es so, daß die ES den Tages- und Wochenablauf diktiert hat, das allerdings ist in den vergangenen 10 Jahren immer weniger geworden - in den ersten 10 Jahren hingegen (etwa bis zu meinem 30. Lebensjahr), eigentlich während meines ganzen Studiums, war das anders, schrecklich. Ich frage mich, wie ich überhaupt mein Studium geschafft habe - wie gesagt, Alkohol war auch im Spiel; und das nicht zu knapp.
Gut, daß Du die Ursachen lokalisieren konntest, sie in der Kindheit gefunden hast. Ich kann mir schon vorstellen, daß alles seine Ursachen IRGENDWIE in der Kindheit hat, aber ich bin, was mich betrifft, an diesem Punkte nie wirklich weitergekommen, in keiner Therapie. Heute habe ich es aufgegeben, überhaupt nach Ursachen zu suchen, ist mir zu viel und zu diffus - alles auf einmal. Die gängigen Faktoren (m*ssbr**ch, Gewalt, zu wenig Zuwendung, Verwahrlosung etc.) treffen bei mir auch zur Gänze nicht zu. Ich hatte eine behütete Kindheit, in den meisten Punkten eigentlich schön. Wahrscheinlich, so sehe ich das heute, war eben genau das Behütet-sein (Kontrolle!!!) die Ursache - anders kann ich´s mir nicht erklären.
Nein, es ist überhaupt nicht selbstverständlich, daß wir heute ohne Alkohol und ohne die ES leben (ich ja nur bedingt, aber immerhin). Dankbarkeit ist, vielleicht ähnlich wie bei Dir, in mir das bestimmende Gefühl. Danbarkeit dafür, daß ich noch lebe - und das gar nicht mal schlecht. So schlimm die ES auch war/ist, letztendlich hat sie mir die Augen geöffnet für das Leben, das ich jetzt bewundere, es ist mein größter Schatz.
So, und irgendwann war dann alles weg bei Dir - war das nicht ein merkwürdiges Gefühl? Hast Du nicht manchmal, wenn Du x Tage am Stück "normal" gelebt hast, die Panik bekommen? Vor dem Dick-werden? Oder so ganz diffuse Ängste? Die gibt es nämlich bei mir...
Warum bist Du eigentlich noch hier, wenn Du jetzt alles ausgestanden hast? Idealismus? Um anderen Mut zuzusprechen? Oder beschäftigt Dich das Thema noch? Ich meine, ich bin froh, DASS Du hier bist, bitte versteh´ mich nicht falsch - aber mich interessiert Dein heutiges Verhältnis zu der ES. Und überhaupt.
Bis dann,
liebe Grüße,
Marya

Verfasst: Mo Dez 08, 2003 6:25
von Susanne P.
Hallo Marya,
guten Morgen! Danke, ich hatte ein tolles Wochenende.
Ich hatte viele Ängste, mein Leben lang, und natürlich auch, nachdem ich meine ES aufgegeben hatte. Wobei: die ES habe ich ja nicht einfach irgendwo "abgestellt", erstens war es ein langer Prozess und zweitens bleibt sie immer ein Teil von mir.
Angst vor dem Dickwerden, natürlich. Schließlich bin ich magersüchtig im Kopf und hatte immer ein völlig falsches Bild von meinem Körper. Habe ja auch in der ersten Zeit *kg zugenommen, und das war schwer. Aber wie durch ein Wunder bin ich nie auf die Idee gekommen, deshalb mit dem K* wieder anzufangen. Ich konnte es irgendwie schaffen, mir selbst die Erlaubnis zu geben, mehr zu wiegen. Und habe von meinem Umfeld immer wieder die Unterstützung bekommen, die ich dringend brauchte. Wenn mein Mann oder meine Therapeutin mir sagten, ich sähe gut aus, dann habe ich das geglaubt. Denn ich selbst war ja nicht in der Lage, es so zu sehen.
Die Ursachen für die Bulimie oder eine andere Suchterkrankung können vielfältig sein, ich bin z.B. auch nie m*ssb**ch* worden. Ich habe chronische reaktive Depressionen, in der Kinkheit angelegt, und meine Süchte sind sozusagen die Symptome.
Und warum ich noch hier bin:
Erstens habe ich dieses Forum gesucht. Weil ich mein Leben lang immer Gleichgesinnte gesucht habe.
Zweitens weil ich, als ich selbst jung war, mir sehnlichst jemanden gewünscht habe, mit dem ich mich hätte austauschen können. Und da gab es niemanden, natürlich auch kein Internet. Ein Forum wie dieses empfinde ich wie eine Selbsthilfegruppe - diejenigen, die schon etwas weiter sind sollten die unterstützen, die noch sehr leiden. Wenn es mir gelingt, hier dem einen oder anderen durch meine eigenen Erfahrungen (die schmerzhaft waren und mich um vieles im Leben gebracht haben) ein kleines bisschen Mut und Hoffnung machen zu können, dann war das alles doch am Ende für etwas gut.
Außerdem: Wenn ich lese, wie schlecht es anderen so geht dann ist es für mich ein zusätzliche Hilfe und Stütze, dann bin ich doppelt froh und dankbar, das hinter mir lassen zu können. Insofern helfen die anderen hier in gewisser Weise auch mir.
Für heute alles Liebe und einen guten Wochenanfang,
Susanne
Verfasst: Di Dez 09, 2003 21:23
von zoemarya
Hallo liebe Susanne,
in wie weit bleibt die ES immer eine Teil von Dir? Das würde mich jetzt aber mal interessieren. Gut, auch von mir wird sie mutmaßlich immer Teil bleiben, aber wie sieht das bei Dir genau aus? Du schreibst, daß Du magersüchtig im Kopf BIST - nicht WARST. Kontrollierst Du also auch heute noch Kalorien? Dein Gewicht? Ist es Dir heute noch wichtig, schlank zu sein?
Natürlich, als wir jünger waren und mit dem ganzen Mist angfangen haben, gab es statt Austausch nur das berühmt-berüchtigte Schweigen. Scham. Verstecken. Ich habe mich Mitte der 80er Jahre nicht mal getraut, eine Beratungsstelle auch nur anzurufen - nicht mal anonym. Dieses Schweigen war das Schlimmste. Deshalb finde ich es auch gut, daß es diese Foren gibt: das (anonyme) Formulieren kommt einem Eingeständnis auch SICH SELBST gegenüber gleich - meines Erachtens der allererste Schritt, überhaupt irgendwas zu tun. Als ich anfing, gegen die Sucht zu kämpfen, hatte sie sich längst verselbständigt, automatisiert.
Hast Du über das Internet Gleichgesinnte gefunden? Hat Dir der Austausch bei der Genesung geholfen? Um was genau glaubst Du, hat Dich Deine ES oder haben Dich Deine anderen Schwierigkeiten gebracht? Gibt es wirklich Konkretes, was Du heute vermißt oder ist es einfach eine ganze Menge Lebensfreude, die Du über Jahre hinweg "draufgezahlt" hast?
Empfindest Du die suchtbefrachteten oder von der Sucht dominierten Jahre als "verlorene Zeit"? Oder kannst Du gar Deinen Erfahrungen auch Positives abgwinnen?
Oh, so viel Fragen - mußt Du natürlich nicht antworten. Aber viellecht hast Du ja auch Fragen. Obwohl Du ja das Schimmste hinter Dir hast...
Liebe Grüße und bis bald,
Marya

Verfasst: Mi Dez 10, 2003 7:49
von Susanne P.
Hallo Marya,
magersüchtig im Kopf bedeutet für mich, dass es natürlich immer noch sehr wichtig für mich ist, schlank zu sein. Dass ich ein falsches Bild von meinem Körper habe. Wenn ich mich dick finde, finde andere mich gerade richtig. Ich versuche, beim Essen eine gewisse Disziplin einzuhalten. Ich habe Angst, wenn ich zuviel auf einmal esse, dass die alten Mechanismen dadurch wieder ausgelöst werden könnten. Ist also eine Vorsichtsmaßnahme.
Aber: ich zähle keine Kalorien, esse, worauf ich Lust habe, auch Kuchen oder Eis oder so. Ich verbiete mir nichts mehr und habe beim Essen immer das Gefühl, ich bin es wert, ich darf es mir gönnen, ich darf genießen, Lebensfreude haben.
Dass ich heute überhaupt Lebensfreude empfinden kann, ist für mich das größte Geschenk! Das gilt natürlich auch für alle anderen Lebensbereiche, nicht nur für das Essen. Und ich bereue nichts, ich denke, die Jahre sind nicht verschenkt, denn sie haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Und ich gefalle mir sehr gut, so wie ich bin. Ich habe einen wunderbaren Mann, den ich vor vielen Jahren in einer Alk.-Selbsthilfegruppe kennengelernt habe. Ohne die Sucht wären wir uns also nie begegnet! Ich habe ein ausgefülltes Leben, habe Freunde, die mich gerade deshalb schätzen, weil ich nicht oberflächlich bin und zuhören kann und ein tieferes Verständnis entwickelt habe für das Leben und das Menschsein. Eigentlich in erster Linie, um mich selbst besser zu verstehen. Aber dann habe ich gemerkt, dass sich mein Bild von den Menschen um mich herum dadurch auch verändert hat. Und ich komme heute im Leben und mit den Mitmenschen viel besser zurecht.
Meine ES und meine Alkoholabhängigkeit haben mich um meine Jugend gebracht - aber am Ende habe ich auch soviel bekommen, dass ich nicht grolle, sondern mir immer sage, ich lebe heute und ich lebe gern, und um verschüttete Milch zu weinen, hat noch niemanden weitergebracht.
Zu diesem Thema könnte ich dir noch vieles sagen, aber nur persönlich, denn hier im Forum will ich auf keinen Fall Gefahr laufen, von denen Falsch verstanden zu werden, die heute jung sind und noch mitten drin stecken!
Und zuletzt: Ich habe schon deshalb im Internet Gleichgesinnte gefunden, weil jeder, der wie ich süchtig ist und sich dazu bekennt einer ist. Für meine Genesung waren allerdings hauptsächlich meine Psychotherapie und mein eigener Wille ausschlaggebend.
Liebe Grüße für heute,
Susanne
Verfasst: Mi Dez 10, 2003 8:29
von kendra_pad
Hallo Susanne und Marya,
Euren Gedankenaustausch habe ich mit viel Interesse gelesen und mich als über 40-Jährige in vielen Punkten wiedergefunden

. Wenn es Euch heute so gut geht, liegt das daran, dass Eure Lebensumstände sich verbessert haben oder aber dass Ihr Eure Einstellung und Sicht der Dinge positiv ändern konntet? Ich habe viel darüber gelesen, dass ES Persönlichkeitsstörungen sind, deshalb dauert es auch so lange, von ihnen los zu kommen, denn ohne eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit geht es wohl nicht. Vor 10-15 Jahren konnte ich mit dem Begriff Persönlichkeitsstörung für mich noch nichts anfangen. Erst heute, nachdem ich mich weiter entwickelt habe und über viele Dinge anders denke als früher und auch anders damit umgehe, kann ich meine ES als Persönlichkeitsstörung verstehen. Habt Ihr ähnliche Erfahrungen gemacht?
Viele liebe Grüße Kendra
Verfasst: Mi Dez 10, 2003 22:12
von Susanne P.
Hallo Kendra,
ich stimme dir vollkommen zu, was die Persönlichkeitsstörung betrifft. In meinem Fall war es nötig, falsche Glaubens- und Denkmuster zu verlernen, mit denen ich aufgewachsen bin. Diese betrafen mich selbst. Ich hatte leider nicht das Glück, in meiner Kindheit die Zuwendung und Bestätigung zu bekommen, die für das Gedeihen eines Menschen zwingend notwendig sind. Daraus entstanden die Minderwertigkeitsgefühle und die Depressionen.
Wenn ich mir meine eigenen Suchterkrankungen mit Distanz ansehe, dann denke ich: Wie kann man sich nur derart selbst zertören? Und keinen anderen Sinn, kein anderes Ziel im Leben sehen? Nun, ich konnte, Selbstmord auf Raten weil mir das Leben zutiefst nicht lebenswert erschien.
Das hat sich grundlegend geändert, und dafür war ein Langzeittherapie nötig. Man lernt nicht von heute auf morgen neue Glaubens-, Denk- und Verhaltensmuster. Am schwierigstens war es auch, zu meinen Eltern die nötige innere Distanz zu gewinnen und sie trotzdem nicht abzulehnen. Sie taten es nicht aus böser Absicht...
Dadurch, dass ich meine Einstellung zu mir selbst ändern konnte, konnte ich auch meine Einstellung zu den anderen und zum Leben selbst ändern. Und mich letztendlich von meinen selbstzerstörerischen Verhaltensweisen befreien.
Ich finde es schön, dass du dich hier "eingeklinkt" hast!
Liebe Grüße,
Susanne
Verfasst: Do Dez 11, 2003 16:35
von kendra_pad
Hallo Susanne,
Du schreibst, dass Du die Ursachen für Deine ES und Depressionen in Deiner Kindheit gefunden hast. Ist es für Dich sehr wichtig gewesen, dass Du dies als Ursache erkannt hast oder würdest Du im Nachhinein eher meinen, es ist wichtiger, die Vergangenheit "ruhen" zu lassen und nach vorn zu schauen? Bei mir sind Ursachen auch in meiner Kindheit begründet, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich damit alles erklären kann. Ich kann an der Vergangenheit nichts mehr ändern, also schaue ich lieber in die Zukunft. Ich habe auch das Gefühl, dass wenn ich nach Ursachen suche, damit gleichzeitig auch Schuldige suche und damit geneigt bin, die Verantwortung für mich selbst von mir zu schieben.
Auch bei mir ist die Beziehung zu meinen Eltern ein Problemkreis, den ich bisher nicht lösen konnte und dort eigentlich auch keine Perspektiven sehe. Meine Mutter ist an Depressionen erkrankt, als ich 15 Jahre alt war. Auch die Jahre davor waren schon von der Krankheit geprägt, nur dass ich es als Kind nicht wahrgenommen habe. Ich habe damals die Schuld bei mir gesucht und mich für meine Mutter verantwortlich gefühlt, konnte ihr aber nicht helfen. Meine Situation hat sich erst gebessert, als ich mit 24 Jahren von zuhause ausgezogen bin. Erst jetzt konnte ich damit beginnen, auch an meiner ES zu arbeiten, mit der Freiheit, einfach meine Essverghalten ausprobieren zu können. Diesen Druck, den ich damals zuhause gespürt habe, empfinde ich noch heute, wenn wir meine Eltern besuchen. Zu meinem Vater habe ich inzwischen ein gutes Verhältnis, das Verhältnis zu meiner Mutter ist geprägt von Rücksichtsnahme und der Angst, etwas falsch zu machen. Sie ist inzwischen an Parkinson erkrankt, eigentlich geht es ihr aufgrund der Medikamente den Umständen entsprechend gut, aber sie beklagt sich sehr viel über ihre Situation und macht mich ständig auf Dinge aufmerksam, die sie nicht mehr schafft. Ich gehe dann auf Distanz, weil ich es sonst nicht ertragen könnte. Das einzige, was ich versuche, ist ihre Gedanken auf Positives zu lenken, aber es nützt kaum etwas. Nach solch einem Nachmittag bin ich in der Regel total geschafft, nicht selten kommt meine ES in den folgenden Tagen wieder zum Vorschein.
Ich habe in meinem Leben viele gute Erfahrungen damit gemacht, , wenn ich versucht habe etwas zu ändern, wenn mich etwas stört oder ich unzufrieden bin. In diesem Fall jedoch verspüre ich eine absolute Ohnmacht, die mich innerlich auch noch sehr ärgert

Wie gestaltest Du Dein Verhältnis zu Deinen Eltern?
Viele liebe Grüße Kendra
Verfasst: Do Dez 11, 2003 17:10
von kendra_pad
Hallo Marya,
Wie Du befinde ich mich auch eher noch in der Bewältigungsphase der ES, es fehlt jedoch nur ein recht kleiner Schritt bis zu endgültigen Unabhängigket von der ES, wenn ich es mit meinem bisherigen Verlauf vergleiche. Ich schaffe es immer noch nicht, völlig ohne FA auszukommen, konnte also meine Krücken noch nicht einfach zurücklassen. Wenn vereinzelt FA noch auftreten, ist der Fall immer recht tief, das Selbstwertgefühl im Keller und der Ärger auf mich selbst groß, besonders weil ich inzwischen schon vorher bemerke, was falsch läuft und ich dann nicht in der Lage war, die Richtung zu ändern. Es kostet viel Kraft, mich dann wieder neu aufzubauen, mir diese "Schwäche" zu zugestehen und mich mit samt meiner ES anzunehmen. Wie hilfst Du Dir in dieser Phase?
Verursacher von meinen FA ist in der Regel eine zu hohe Erwartungshaltung an mich selbst, wobei ich eigentlich schon vorher weiss, dass diese Erwartungen, die ich an mich selbst stelle, nicht angemessen sind. Insofern passen die FA in dieses Bild, denn sie holen mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Kennst Du Deine Auslöser inzwischen auch genauer?
Viele liebe Grüße Kendra
Verfasst: Do Dez 11, 2003 18:41
von Susanne P.
Hallo Kendra,
nach den Ursachen zu suchen bedeutet für mich nicht, Schuldige zu suchen und nicht die Verantwortung übernehmen zu wollen!
Aus verschiedenen Gründen konnten und/oder wollten mein Eltern mir nicht die Zuwendung geben, die ich als Kind gebraucht hätte. Die Folge war das Gefühl von Wertlosigkeit, das schließlich zum selbstzerstörerischen Verhalten geführt hat. Bin mit dem Gefühl durchs Leben gegangen, alle anderen sind richtig, nur ich nicht.
Ich habe in der Therapie gelernt, dass meine Eltern unrecht hatten. Dass ich sehr wohl richtig und liebenswert bin, so wie ich bin. Auch in hatte immer viel zu hohe Erwartungen an mich selbst, vor allem, um endlich die Anerkennung und Liebe meiner Eltern zu bekommen, die ich so sehr gebraucht hätte. Das wurde zum Automatismus und übertrug sich auf alle Beziehungen. (Als ob man Liebe kaufen könnte....)
Heute bin ich einfach die, die ich bin. Und mein Mann und meine Freunde schätzen mich eben gerade deshalb. Meine Mutter hat mich im Laufe der Zeit auch irgendwie schätzen gelernt, obwohl ich nicht so geworden bin, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Ich bekomme von ihr heute mehr Zuwendung, als jemals zuvor in meinem Leben. Aber das war ein weiter Weg...
Zu meinem Vater habe ich keinen Kontakt. Er lebt in einer anderen Welt als ich, für ihn zählen nur Titel und Geld. Ich habe leider nichts von dem vorzuweisen. Bin aber sehr zufrieden mit dem Leben, das ich führe.
Die Verantwortung, Kendra, hat jeder wirklich selbst für sein Leben. Ich sitze ja nicht hier und sage, ich kann nun mal nicht anders, ich bin als Kind zu heiss gebadet worden. Wäre es so, würde ich wohl auch schon längst wieder k* oder trinken. Nein, ich habe die Verantwortung dafür, dass es mir gut geht, dass ich gesund bleibe, dass ich nicht mehr zulasse, dass jemand anders mich verletzt oder ich selbst. Und dafür sorge ich jeden Tag.
Liebe Grüße
Susanne