Seite 1 von 1

Endlich durchgerungen, mich hier anzumelden :)

Verfasst: Do Sep 21, 2006 19:55
von dagunia
Eigentlich kenne ich dieses Forum schon länger, aber eine Anmeldung wäre für mich einem Eingeständnis, dass ich eine Essstörung habe, gleichgekommen. Aber nach dem x-wievielten "ab morgen hör ich damit auf" und den zig "Jetzt hab ichs geschafft"-Erlebnissen, die doch wieder nur im Rückfall endeten, hab ich mich endlich dazu durchgerungen, hier zu posten.

Wo fang ich am besten an?

Erstmal danke für diese Gelegenheit, dass ich drüber reden kann. Für mich steht fest, dass ich es meiner Familie nicht sagen kann - wüssten sie Bescheid, würde es meinen Weg heraus nur noch schwieriger machen. Auch wenn sie es vielleicht nur gut meinen würden - ich glaube nicht, dass sie sich vorstellen können, was ich bei einem Kontrollverlust beim Essen wirklich erlebe, dass das keine Willenssache ist. Es fällt mir ja selbst schwer, damit klar zu kommen, dass mein Kopf da irgendwie gegen mich arbeitet. Ich weiß doch, dass das nicht gut für mich ist, warum tue ich es also?? :(

Meine Mum ist extrem vernunftbetont, eine Perfektionistin, die von einem Tag auf den anderen das Rauchen und ihre Kaffeesucht aufgegeben hat - alles, was ich von ihr erwarten könnte, wäre wohl ein: "Komm, reiß dich zusammen, du schaffst das, hör jetzt auf zu essen, du hast doch schon genug..." Es ihnen allen zu erklären, wäre eine Kraftanstrengung, zu der ich mich nicht fähig fühle. Zudem steht es für mich außer Frage, in meiner Familie wieder diejenige zu sein, die nicht belastbar ist, die beschützt werden muss, die im Alltagsleben einfach unfähig ist. Es hat lange gedauert, bis ich endlich meinen Wunsch nach Selbständigkeit geltend machen konnte. Es hört sich vielleicht blöd an, aber das aufzugeben hieße für mich, keine eigenständige Person mehr zu sein, keine Identität mehr zu haben...


Ich bewältige Probleme ohnehin lieber alleine; Freiheit bedeutet für mich, die eigene Intimsphäre als einen Bereich zu bewahren, in den keiner Einsicht hat. (Auweh, wenn ich mir so durchlese, was ich bis jetzt so geschrieben habe, muss ich wirklich sagen, ich bin reichlich kompliziert *g*)

Nur noch ein paar Worte zu meiner Situation: Ich habe wohl seit knapp einem Jahr Bulimie, und ich kann mich noch gut an das erste Mal erinnern, als ich gek**** habe. Daran gewohnt, immer die bestmögliche Leistung zu erbringen, und ohnehin nicht zufrieden damit, wenn das Ergebnis nicht tiptop war, bin ich sofort nach der Matura ein paar Monate ins Ausland, einfach irgendeine Arbeit suchen. Und da hat mich die Realität eingeholt: Von allen Seiten kam nur ein "Für diese Welt bist du ungeeignet, pass dich an und gib deine Ideale auf - so kommst du nie durch". Naja, ich muss mir das wohl eingestehen - ich kann mit Niederlagen einfach nicht umgehen! Das Erbrechen nach dem Essen war für mich eine Art Selbstbetrug, um mir zu zeigen, dass ich sehr wohl mich und meinen Körper kontrollieren kann, dass ich alleine über mich bestimme (war anscheinend immer schon so eine fixe Idee von mir :D ).

Inzwischen sind die FA's dazugekommen. Um mein Essverhalten wieder in den Griff zu bekommen, habe ich versucht, meine Ernährung umzustellen. Die Vollwertkost tut mir gut, doch sobald ich auch nur daran denke, mir ein Stück Schokolade oder so zu gönnen, klinkt es aus, und voilà - FA und die Folgen... :roll:

Naja, ich hab Ursachenforschung bei mir selbst betrieben und eine Vorstellung davon, warum ich bei der Bulimie gelandet bin, aber ich will euch jetzt hier nicht damit zumüllen :wink: .

Danke an die, die es beim Lesen bis hierher geschafft haben, ist ja ganz schön lang geworden, sollte mich eigentlich nur vorstellen... :oops:

Ein dankbares Hallo an euch alle! :)
Eure dagunia :D

Verfasst: Do Sep 21, 2006 20:14
von jen
herzlich willkommen in diesem forum, dagunia!

schön, dass du dich getraut hast, dich anzumelden und somit auch einen wichtigen schritt gemacht hast, nämlich einzusehen, dass dein verhalten nicht normal ist und du hilfe brauchst.

du wirst schnell merken, dass hier alle total lieb sind und du immer schreiben kannst, was dir grad auf dem herzen liegt. kurz: nimm dir die hilfe, die du brauchst.

du beginnst sofort, zu sagen, dass du deiner familie nichts davon mitteilen kannst. man merkt, wie wichtig dir das ist und wie sehr dich das auch belastet. eben keinen zum reden zu haben. immer alles verschweigen zu müssen.

hier wird dich auch keiner dazu zwingen, es ihnen zu sagen und auch nicht überreden wollen, letztendlcih bist DU es, die entscheidet, was du hier mitnimmst und was du lieber hier lässt. aber ich kann dir gleich sagen, dass du sicherlich oft den rat hören wirst, dass es leichter wäre, mit ihnen zu reden.

wie du auch schon schreibst, liegen ja schon viele familiäre strukturen als perfekte basis für deine krankheit vor. perfektionismus ist so gut wie immer ein zeichen, oft auch auslöser der bulimie - auch wenn es die mutter oder der vater hat und es so indirekt und oft auch ungewollt auf die tochter überträgt. ich kann mir vorstellen, dass deine eltern auch hohe ansprüche an dich haben.

mit niederlagen kommst du nicht klar, meinst du. warum? kennst du den grund? ist es, weil du angst hast, in den augen deiner eltern als versagerin da zu stehen? es ist völlig normal, dass du so bist, wie du bist, dass dir das schwer fällt, wenn du so erzogen wurdest.

doch nicht die erziehung allein formt einen menschen. du kannst jetzt aufstehen und anfangen, etwas für dich zu tun. du kannst versuchen, niederlagen zu akzeptieren. man kann das lernen. jederzeit. dafür ist es nie zu spät.

es ist wichtig, dass du lernst, dir auch schwächen zuzugestehen.

und behalte deine ideale, wenn sie dir so wichtig sind - und es jetzt nicht um die eigenen ansprüche an dich selbst geht. nichts sollte dir deinw eltbild zerreissen, wenn du fest daran glaubst. ideale sind wichtig, um ziele setzen zu können. und ziele sind wichtig, um weiterzugehen.

magst du noch ein bisschen genauer erzählen, wie es dazu gekommen ist? kennst du die genauen gründe? und wie siehst eigentlich im moment aus? hast du arbeit/studienplatz gefunden?

lg und bis bald,

jen

Verfasst: Do Sep 21, 2006 21:16
von dagunia
Hi Jen,
danke für die rasche Antwort!! :)

Es ist tatsächlich ein erleichterndes Gefühl, sich helfen zu lassen. Es ist mir immer schon schwer gefallen, bei Problemen um Hilfe zu bitten, die mich selbst betreffen und die mir wirklich nahe gehen.

Meine Familie habe ich nie um Hilfe gebeten. Ich habe mich selbst darauf trainiert, den Erwartungen meiner Umgebung gerecht zu werden - Eltern, Lehrer, Verwandte. Es hat mich viel Mühe gekostet, mich nicht mehr nur durch meine Leistung zu definieren. Als die Schule zu Ende war und das wegfiel, stand ich erst mal da und hatte nichts mehr, am allerwenigsten Ahnung, wer ich bin und was ich überhaupt hier mache. :shock:

Mein Denken ist aber leider immer noch von Leistung bestimmt, in jeder Hinsicht und Lebenslage. Ob das jetzt mit der Figur zu tun hat oder mit Noten, mit den Zielen, die und wie hoch ich sie mir ansetze... Das Ganze ging früher schon mal in Richtung Neurose: Wie genau lese ich ein Buch, wirke ich aufgeschlossen genug, bin ich nett genug... Glücklicherweise hab ich diesen Komplexhaufen nach und nach abgebaut. Trotzdem ist es mir einfach noch nicht gelungen, dieses Leistungsdenken zu ersetzen. Ich bin, was ich leiste. Das scheint mal ein Grundproblem bei mir zu sein.

Ich glaube, dass es gar nicht mehr so sehr darum geht, in ihren Augen als Versagerin dazustehen - eher in meinen. Warum meine Ansprüche an mich selber so hoch sind, kann ich nicht sagen, vielleicht wirklich nur, weil ich keinen anderen Weg kenne, mich selbst sozusagen zu "spüren".

Zumindest bin ich schon so weit, dass ich selbst die Verantwortung dafür übernehme, wer und was ich bin, du hast vollkommen Recht - ich kann aus mir machen, was ich will, mich sozusagen umerziehen!

Danke, dass du noch nachfragst, wies dazu gekommen ist. Ich hätt nicht gedacht, dass es so gut tut, es mal auszusprechen.
Es ist mir eigentlich nicht schwer gefallen, da war kein Ekel, den ich überwinden musste. Als Kind hatte ich knapp zwei Jahre oder so eine Magen-Darm-Erkrankung und konnte teilweise das Essen nicht bei mir behalten. Außerdem musste ich mich jeden Morgen übergeben, sodass das schon zur Gewohnheit geworden ist.

Die Jahre danach sind relativ "normal" verlaufen. Allerdings hab ich mir unbewusst angewöhnt, mich nur durch die Augen der anderen zu sehen, wie bin ich, wie wirke ich, was ist normal und was nicht? Schwächen waren ohnehin tabu - über Probleme wird bei uns in der family nicht geredet. Manchmal hab ich versucht, damit anzufangen und vorsichtig drauf hinzuweisen, dass ich mich nicht immer nur danach beurteilen will, wie gut ich was mache. Leider ist das bei meiner Mum immer als Vorwurf angekommen, und ich hab ein ärgerliches "Wir setzen dich doch gar nicht unter Druck!" zurückgekriegt. Was ja auch stimmt. Da hab ichs irgendwann aufgegeben.

Irgendwann hab ich mich dann in einer verzwickten Situation wieder gefunden: Ich habe mich selbst nicht mehr ertragen. Das eine Ich will immer mehr und nur das Beste von mir, das andere Ich hasst das eine dafür und sagt trotzig, ich will jetzt aber nimmer.

Im Moment weiß ich nur, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Ich will raus aus der Sucht und die ganzen widersprüchlichen Gefühle meiner Familie und mir gegenüber klären. Ich weiß nur nicht genau, wie. Und vor allem weiß ich nicht, ob ich das allein schaffe.

Im Oktober fang ich mein Astronomiestudium in Wien an, zurzeit kann ich mich gedanklich aber noch nicht wirklich drauf einlassen...

Wie geht es eigentlich dir? Hast du auch dasselbe Problem? Und wenn ja, wie lange, und wie bist du dazu gekommen?

Danke nochmal fürs Zuhören und fürs Verständnis!! :D

liebe grüße und gute nacht