Das erste Mal wirklich die ganze Wahrheit

#1
Hallo,

jetzt habe ich mich auch angemeldet und wollte zu erst Hallo sagen und kurz sagen wer ich bin...

Natürlich habe ich Bulimie. Ansonsten bin ich 25, studiere noch und lebe auch irgendwie noch (etwas was ich mir oft so denke) Ich war früher mal sehr zielstrebig (wie wahrscheinlich viele hier ;) ) und neugierig, hab mich für vieles interessiert. Essen war schon immer was ganz Tolles und hat mir auch immer sehr gut getan (dass ich es damals schon gebraucht hab ist mir erst viel später aufgefallen), aber das war mehr so eine Eigenschaft von mir, ich war quasi der Fresssack, Gewichtsprobleme hatte ich nicht und die Zahl auf der Waage war nur eine Zahl die man dem Arzt sagen musste oder wenn man einen Ausweis beantragt...
Habe keine einfache Kindheit gehabt und war sehr unglücklich in meiner Familie (Papa Alkoholproblem, Mama aggressiv, viel viel Streit, Schreien, Eskalationen, Beschimpfungen, viel Angst immer und viel viel Ohnmacht und keiner-versteht-mich und niemand-hat-mich-lieb), es hat jeder gelitten, meine Eltern haben sich gegenseitig weg getan und waren selbst beide traurig, einsam, vor allem mein Papa. Das hat mich immer total fertig gemacht. Meine jüngeren Geschwister wollte ich immer beschützen.

Heute bricht es mir immer noch das Herz zu sehen wie jeder leidet, was aus meinem Bruder geworden ist, er sieht so traurig aus und es geht ihm nicht gut und er redet nie... Bei meiner Schwester ist es besser, sie hat gute Freunde. Meine Eltern haben sich nicht scheiden lassen, der Streit ist glaube ich weniger geworden (wohne seit meinem ersten Klinikaufenthalt nicht mehr dort) aber mein Papa leidet so sehr unter dieser Einsamkeit und dass er nicht geliebt wird. Das tut so weh.

Ich habe jetzt seit ca 5 Jahren (wundere mich gerade selbst dass es nun schon so lange her ist seit dem die ersten Gedanken, abnehmen wäre doch gut, mal probieren) eine Essstörung, erst abnehmen, wieder zunehmen, abnehmen, es wurde immer wichtiger, da mein Leben nach der Schule so leer wurde... Dann hab ich stärker abgenommen, doch es war eine Qual, Tag für Tag, Essen verbieten, ich hab so verrückt Sport gemacht, mich total fertig gemacht oder das schlechte Gewissen. Es war so groß irgendwann.. Die Essanfälle kamen nach meinem ersten Klinikaufenthalt. Da hab ich versucht zu tricksen was das Zeug hielt, nichts von meiner ES wollte ich hergeben, außer dass ich Essen wollte, das wollte ich gerne verlieren... Der zweite Klinikaufenthalt folgte 3 Monate nach dem ersten. Da hatte ich auch dort Anfälle und egtl hat er nichts gebracht, nichts repariert was in mir irgendwann wohl kaputt gegangen ist. Es wurde schlimmer als ich wieder zu Hause war. Irgendwann wog ich mehr als je zuvor in meinem Leben und ich lernte zu erbrechen.

Klar, das war erstmal gut. Vor allem gegen das schlechte Gewissen. Das ist jetzt so 2 Jahre her. Und es ist so schlimm geworden. Die letzten Tage haben mich völlig ausgezehrt. Ich kaufe so viel, Geld was ich von meinen Eltern bekomme geht dafür drauf. Ich habe zig Ausreden. Ich habe 3-4 (hoffe die Zahl darf man schreiben) Anfälle am Tag und immer richtig viel, richtig schlimm.
Ich muss mich so verstecken, alle anlügen, sage einen Termin nach dem anderen ab und bin so down, traurig, antriebslos, dass ich nicht mehr in die Uni gehe. Und das Schlimmste ist, dass man es mir mittlerweile ansieht, dass da was gar nicht ok ist. Und die Vorstellung dass meine Mitbewohnerinnen längst alles wissen ist Das allerallerallerschlimmste.

Ich bin hier weil ich endlich einmal irgendwie, irgendwo die Wahrheit sagen will. Mehr als das was manche wissen von mir (habe eine Essstörung, habe Essanfälle, erbreche, es geht mir nicht gut) Weil niemand weiß wie es mir wirklich geht und was der Satz "Ich habe Bulimie." eigentlich bedeutet...

Das war jetzt sehr viel. Ich danke jedem der das hier gelesen hat und mich nicht verurteilt oder denkt "ja hör doch damit auf und tu dir was gutes du merkst doch dass du dich kaputt macht" oder "wie/warum man sowas machen kann werd ich nie verstehen"...

<3

Und jetzt hab ich große Angst zu bereuen dass ich sowas in das worldwideweb schicke aber diese Wahrheit erdrückt mich...

Re: Das erste Mal wirklich die ganze Wahrheit

#2
Hi Empty,
du bist nicht allein, so wie es dir geht, geht es vielen. So wie du dich fühlst, fühlen sich viele.
Meine familären Hintergründe sind ähnlich. Was mir geholfen hat ist dieses Mitleid für meine Familie abzulegen. Geschafft habe ich das durch viele Gespräche mit Freunden, Exfreunden, Familie, Therapeutin, Familienaufstellerin.

Auch mir hat mein Vater immer sehr leid getan. Schlussendlich ist er allerdings ein erwachsener Mensch und nur er selbst kann etwas an seinen Lebensumständen ändern. Da kannst du dich noch so fertig machen, leider hilft das niemandem.

So wie ich das sehe, trägst du ganz schön viel mit dir herum. Gibt es jemanden mit dem du reden kannst? Nach meiner Erfahrung haben die Mitmenschen oft mehr Verständnis als man annimmt, solange sie sehen, dass du ehrlich bist, leidest und etwas ändern möchtest.

ICh schicke dir ganz viel Kraft und alles Liebe,

Re: Das erste Mal wirklich die ganze Wahrheit

#3
Hallo marleneken,
Das ist schön so was zu lesen dass ich nicht alleine bin und es dir auch so ähnlich ergangen ist. Finde Das einen großen Schritt dass du es geschafft hast dich von deinem Vater distanzieren zu können. Weis auch nicht, manchmal hab ich das Gefühl ich spüre das leid von den anderen und dann tut es mir so weh und ich schaffe dann nicht davon los zu lassen...

Also ich war lange mit meinem Freund zusammen er war immer mein vertrauter hat die Beziehung jetzt aber beendet und der liebeskummer ist ziemlich schmerzhaft. Ich versuche gerade mich wieder an eine Freundin anzunähern. Sie weisau h von der bulimie. Aber schon schwer das zu erzählen. Die ganze wirklich schlimmwn Dinge traue ich mich nicht zu sagen.

Wie geht es dir denn mit der Krankheit hast du es geschafft?
Ganz liebe grüße

Re: Das erste Mal wirklich die ganze Wahrheit

#4
Hi du und herzlich willkommen bei "uns" :)

"Ich bin hier weil ich endlich einmal irgendwie, irgendwo die Wahrheit sagen will. Mehr als das was manche wissen von mir (habe eine Essstörung, habe Essanfälle, erbreche, es geht mir nicht gut) Weil niemand weiß wie es mir wirklich geht und was der Satz "Ich habe Bulimie." eigentlich bedeutet..."

Oh ja .. das denke ich mir leider gaanz oft .. ich glaub das ganze Leid wirklich verstehen kann man nur wenn man selbst betroffen ist. Und gerade wenn man nicht im UG ist wird man da auch kaum wahrgenommen.

Wünsche dir eine gute Zeit!

Bis dann
... if you can dream it, you can do it ...

Re: Das erste Mal wirklich die ganze Wahrheit

#6
Hey liebe empty,

irgendwie ist man durch diese KRankheit auch anfälliger für all den Weltschmerz. Mitgefühl ist ja auch in Ordnung aber mitleiden solltest du nicht, da es dich und auch den Betreffenden nicht weiterbringt. Versuch dich eher darauf zu konzentrieren was dir Freude bereiten könnte. Am Anfang ist das wirklich schwierig etwas anderes als Essen zu finden. Aber man muss einfach dran bleiben und Sachen ausprobieren und irgendwann klappt es langsam auch.

Das mit Dem Exfreund und Liebeskummer tut mir sehr leid. Wenn die Liebe und große Vertrauensperson aufeinmal wegfallen ist das echt hart. Der Freundin annähern ist da eine super Idee. Ich finde es reicht vollkommen wenn du ihr sagst, dass es dir nicht gut geht, Details kannst du dir ja sparen. Über die Essstörung spezifisch würde ich mich mit anderen Betroffenen (Forum, Gruppe,...) oder in Therapie austauschen. Für Nichtbetroffene ist das einfach verdammt schwer nachzuvollziehen. Ist ja auch logisch, ich würde mir auch hart tun, wenn mir eine Freundin erzählt, dass sie Alkoholikerin ist oder sich selbst verletzt. Ich würde es nicht verurteilen und bis zu einem bestimmten Punkt sicher auch nachvollziehen können, aber wirklich verstehen und konstruktive Tipps geben wäre wohl zu viel verlangt.

Mit der Es gehts mir eigentlich schon länger ganz gut. Habe selten mal einen Rückfall und wenn das vorkommt, dann verurteile ich mich auch nicht dafür und versuche dann herauszufinden wieso es soweit gekommen ist, wie ich es das nächste Mal besser machen kann. Die Gefühle dabei haben sich auch total verändert, kein Selbsthass, keine Bestrafung, kein jetzt ists auch schon egal Denken mehr. Es war wirklich schwierig aber ich habe einfach irgendwann angefangen es anzugehen. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, dadurch habe ich nicht nur diese allesbestimmende ES fast los sondern bin meinem Ich und meinen Bedürfnissen einfach viel näher gekommen.

Wenn du Fragen hast, kannst du dich gerne bei mir melden, auch per PN.

VLg