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BITTE Lesen - Weiblicher Narzissmus

Verfasst: Mi Feb 09, 2005 9:20
von Speranza
Ich habe mir erlaubt, für den Beitrag von LAUGHING TEARDROP einen neuen Thread aufzumachen, da ich der Meinung bin, dass er zu wichtig ist um unter "Grandios oder Minderwertig" zu stehen, trotz der Tatsache, dass er dort ebenso gut dazu passt.
Seine Wichtigkeit basiert für mich darauf, dass er ein Anstoß sein sollte sich darüber Gedanken zu machen, über das "Warum-Wieso-Weshalb" und durch seine Klarheit und Verständlichkeit.
Einzig und allein mit der Bezeichnung "Narzissmus" gehe ich nicht ganz konform, da Narzissmus an sich mit absoluter Selbstverliebtheit und Selbstbewunderung zu tun hat, und diese Eigenschaft bei uns, spreche jetzt aus eigenen Erfahrungen, die ich in meinem Umfeld und hier im Forum gesammelt habe, nicht wirklich zum tragen kommt.

spera



WEIBLICHER NARZISSMUS

In der therapeutischen Arbeit mit Bulimikerinnen erkennt man daher, daß das eigentliche Problem nicht das Essen/Erbrechen oder Hungern ist, sondern daß die Frauen andere Probleme haben, die hinter dem Eßsymptom verborgen sind. Sie drücken in ihrer Eßstörung etwas aus, das sie nicht in Worte fassen können. Es ist eine symbolische Sprache, die wir entschlüsseln müssen.
In dem Konzept des "weiblichen Narzißmus" habe ich versucht, die innere psychische Situation und Erlebniswelt dieser Frauen zu erfassen und besser zu verstehen.
Ich verstehe darunter eine spezielle Form der narzißtischen Persönlichkeit, die sich in ihrer Ausprägung von einer männlichen Form unterscheidet, jedoch ihren Ursprung in derselben Grundstörung hat, nämlich einem instabilen, kaum entwickelten wahren Selbsterleben, das durch ein ,falsches Selbst' ersetzt wird. Das Selbstwertgefühl narzißtischer Menschen ist nicht stabil, sondern unterliegt starken Schwankungen zwischen dem Pol der Grandiosität ("Ich bin die Tollste") und dem der Depressivität ("Ich bin nichts wert, dick, häßlich").
Während nun der "männliche Narzißt" vorrangig die Grandiosität lebt, um sein geschwächtes Selbst zu stärken, ist die weibliche Form in der Minderwertigkeit verwurzelt. Das Grundgefühl von Bulimikerinnen ist Wertlosigkeit, Hilflosigkeit und Depression. Ihre Selbstachtung erreichen sie dann hauptsächlich über äußere Merkmale wie ein niedriges Gewicht, gutes Aussehen, Leistung, Perfektionismus und Überanpassung an ihre Umgebung.
Die Grandiosität zeigt sich in dem Wunsch nach ständiger Bewunderung und dem Gefühl, ohne diese nicht leben zu können. Die Bewunderung glaubt die Betroffene aber nicht für ihre Person zu erhalten, weil sie so ist wie sie ist, sondern für ihre Schönheit, schlanke Figur, Leistungsfähigkeit, Intelligenz oder andere Fähigkeiten. Und nur diese Eigenschaften schätzt sie selbst an sich. Droht nun der Verlust der Bewunderung oder tritt dieser ein z.B. bei Trennung vom Freund oder bei Kritik, dann kann es zum Zusammenbruch des Selbstwertgefühls kommen, begleitet von einer depressiven Reaktion mit Minderwertigkeitsgefühlen. Doch sogar geringere Anlässe können das Selbstwertgefühl von Bulimikerinnen stören. So kann beispielsweise die Ablehnung einer gemeinsamen Unternehmung Anlaß zu tiefer Kränkung sein, oder ein gutes, aber nicht brillantes Ergebnis in der Arbeit zu einem beißenden Gefühl des Versagens führen. Viele meiner Patientinnen glauben, daß ein Nein auf ihre Wünsche ein Nein gegen ihre Person bedeutet, oder daß sie es nicht mehr wert seien, geliebt bzw. geachtet zu werden, wenn sie einmal nicht großartig waren. Ein halbes **kg Gewichtszunahme kann ebenso zu einem tiefen Gefühl der Minderwertigkeit führen, da die Betroffene sich dadurch weniger attraktiv und das heißt weniger liebenswert fühlt. Da der narzißtische Mensch Bewunderung und Liebe fälschlicherweise gleichsetzt (A. Miller), fühlt er sich abgelehnt, wenn er nicht bewundert wird. Die Suche nach Bewunderung muß jedoch unbefriedigend bleiben, weil Bewunderung und Liebe eben nicht identisch sind. So bleibt sie eine Ersatzbefriedigung für den eigentlichen Wunsch nach Achtung, Annahme und Liebe.
Die Frauen leiden unter einer Entfremdung von sich selbst, die sich einerseits in einem mangelnden Selbstwertgefühl ausdrückt, andererseits dazu führt, daß die Frauen nach außen hin eine andere Seite von sich zeigen, als sie innerlich erleben. Bulimikerinnen treten meist selbstbewußt auf, fühlen sich jedoch innerlich klein und unsicher. Sie sind in der Regel attraktiv, legen viel Wert auf ihr Äußeres, haben oft eine gute Figur, aber sie lehnen sich von Grund auf ab, finden sich häßlich, dick, unattraktiv und vor allem nicht liebenswert. Sie sehnen sich nach Liebe und Nähe, rennen aber davon, wenn sie wirklich jemand mag. Sie machen sich immer wieder einsam, obwohl sie gerade unter dem Gefühl, allein zu sein, sehr leiden. Ihr ganzes Fühlen, Denken und Verhalten ist stark von Gegensätzen geprägt und von dem Gefühl, nicht zu wissen, wer sie wirklich sind.
Ihre Selbstzweifel und Selbstunsicherheit versuchen sie hinter einer selbstbewußten Fassade zu verbergen. Durch Attraktivität, Schlanksein, Leistung, Perfektionismus und etwas Besonderes-sein sollen die Minderwertigkeitsgefühle ausgeglichen werden. Sie vermeiden mit aller Kraft, sich anderen so zu zeigen wie sie sind und verstecken sich hinter einer perfekten Maske.
Dieser innere Konflikt zwischen dem Gefühl der Minderwertigkeit und der äußeren Fassade ist das Wesen der narzißtischen Selbstwertstörung: erlebt wird es von den Frauen als Polarität zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und Gefühlen von Grandiosität also der selbstbewußten, perfekten Fassade.
Die Minderwertigkeit hat immer etwas mit Selbstabwertung zu tun. Eine Frau wird sich nicht minderwertig fühlen, wenn sie sich nicht schlecht macht: wenn sie zu sich sagt: "wie bin ich doch häßlich", "ich bin ja so dumm" oder "ich hab doch hier auf der Welt gar nichts verloren, wenn ich nichts besonders bin". Und diese Botschaften prägen sich in der Seele ein in Form eines Gefühls der Minderwertigkeit.
In der feministischen Literatur über Eßstörungen wird immer wieder daraufhingewiesen, daß die Abwertung von Frauen auch Ausdruck der Abwertung von Frauen in unserer Gesellschaf und Kultur ist. Frausein und Weiblichkeit werden abgewertet zu Gunsten sogenannter männlicher Qualitäten wie Leistung, Machtstreben und Rationalität.
Und genau das tun auch diese Frauen. Sie werten ihren weibichen Körper ab, streben maskuline Formen an und versuchen das gängige Schlankheitsideal unserer heutigen Gesellschaft zu erreichen. Sie leben Frausein entweder gar nicht oder ein verzerrtes Bild davon, das oft durch die Ablehnung einer Frauenrolle geprägt ist, die sie durch ihre Mutter vermittelt bekamen. Frausein wird dabei mit Qualitäten von abhängig sein müssen verbunden, mit dienen, sich für jemanden aufopfern, nicht sie selber sein dürfen. Einstellungen, die sie von ihren Müttern übernommen haben, die ihnen eine z.T. aufopfernde Frau vorgelebt haben, die selber unzufrieden mit sich war, die aber keine Möglichkeit hatte, dieser Situation zu entrinnen. Viele lehnen das Modell, das ihnen ihre Mutter vorgelebt hat, das aber zugleich gesellschaftlich geprägt ist, ab. Sie haben aber kein anderes Modell und lehnen daher Frausein ab.
Die andere Seite, die Seite der Grandiosität, setzt Idealisierung und Aufwertung voraus und hängt mit einem Ideal zusammen, das die Frauen anstreben. Die Frau stellt einen bestimmten Anspruch an sich und ist mit sich nur dann zufrieden, wenn sie ihn erfüllt. Nimmt sie beispielsweise zwei **kg ab, dann kommt sie diesem Ideal nahe und dann findet sie sich ganz toll. Vorher fand sie sich entsetzlich dick, zwei **kg leichter findet sie sich auf einmal ganz schlank und beide Einschätzungen stehen nicht im Verhältnis zueinander. Sie war vorher nicht so schrecklich dick, wie sie sich empfand und sie ist jetzt nicht so toll dünn, wie sie sich empfindet. Sie sah vorher ebenso gut aus wie jetzt, aber ihr inneres Gefühl ist vollkommen verschieden.
Ein anderes Beispiel ist der sportliche Leistungsdrang: Bulimikerinnen treiben sich zu Hochleistungen an, joggen immer länger als die anderen, machen Gymnastik, gehen danach noch ins Fitness-Studio und essen dabei nicht ausreichend. So euphorisiert finden sie sich toll, unerreichbar und besonders. Schaffen sie ihr Pensum jedoch zum Teil nicht, dann beschimpfen sie sich, fühlen sich unwohl, plump und faul.
Das Ideal, das sie haben, ist jedoch in der Regel so hoch, daß es unerreichbar ist z.B. das Ideal der Fehlerlosigkeit oder des Perfektseins. Kein Mensch kann perfekt sein, kein Mensch kann fehlerlos sein. In diesem unerreichbaren Ideal liegt daher schon immer das ständige Gefühl, versagt zu haben und nicht gut genug zu sein.
Das Minderwertigkeitsgefühl und das Gefühl von Grandiosität sind zwei Seiten einer Medaille: ob die Frau nun Größenphantasien hat oder sich minderwertig vorkommt, beides ist Ausdruck eines gestörten Selbstwertgefühls. Da das Eingeständnis, minderwertig zu sein, jedoch außerordentlich unangenehm ist, rettet die Größenphantasie über das schlechte Gefühl hinweg.
Das Eß-Brech-Symptom tritt jeweils beim Wechsel von einem Zustand in den anderen auf: In der Grandiosität dient es als Schutz vor Enttäuschung, Kränkung und Spannungen und zum Erhalt des Idealbildes: Schlanksein und Problemlosigkeit. Lieber ißt sie die Probleme und unangenehmen Gefühle "weg", als sie zu spüren, mit der Gefahr, sich wieder minderwertig zu fühlen. Sie erbricht, um die äußere Fassade zu erhalten. Beim Wechsel in die Minderwertigkeit ist das Symptom eine Form der Selbstabwertung und Bestätigung ihrer Minderwertigkeit. Darüberhinaus dient es als Selbstbestrafung für ihre Wertlosigkeit, aber auch für ihre Gier, Haltlosigkeit und alle lebendigen Gefühle, die sie sich verbietet wie Sexualität, Lust und Genuß.

Verfasst: Mi Mär 23, 2005 21:32
von aequivalenz
Danke!

Den Artikel finde ich sehr interessant, besonders, da meien Bezugstherapeutin in der Klinik (bin seit 2 Wochen wieder "draußen") Narzissmus ansprach.

Narzissmus, Perfektionismus, Kontrolle, Emotionsparalyse.

Danke nochmal, sehr interessant.

Verfasst: Mi Mär 23, 2005 21:50
von hunbee
Liebe Speranza,
ich danke Dir für diesen informativen Beitrag und muss gestehen, dass ich mich zum Teil erschreckt habe, wie viel sich davon auch in meinem Kopf abspielt. Es sind fast 100%. Ich habe noch einen harten und sehr langen Weg vor mir. Dabei habe ich gedacht, dass ich schon weit gekommen bin:(

Verfasst: Fr Mär 25, 2005 10:28
von dinow25
hi speranza!

der beitrag ist echt ein hammer!!! hab mich da drinnen total wiedererkannt. meine ganzen denkweisen.....den werd ich mir gleich mal ausdrucken..

Verfasst: Fr Mär 25, 2005 11:39
von Got2b
japp das is die volle wahrheit..
so denke ich, so lebe ich, so fühle ich..
warum, weiß ich nicht, warum denken wir so, wie kommt man auf solche kranken Gedanken?

Verfasst: Fr Mär 25, 2005 11:44
von Pretender
es ist mir egal, waurm wir so denken!
wichtig ist mir nur, dass ich es ablege!
hab schon angefangen, einen teil anders zu sehen...zb weiß ich, dass auch ich fehler machen kann und darf....
wir müssen versuchen, diese dummen, FALSCHEN gedanken abzulegen...immerhin wissen wir doch, dass es falsch ist, oder???

Verfasst: Sa Mär 26, 2005 1:09
von Speranza
Nichts anderes steht in dieser Zusammenfassung, das war auch ein Grund, warum ich sie in eigenen Thread gestellt habe.
Mir ist es nicht egal, warum ich so denke, bin bzw. war.
Was ich satt habe ist die ständige Selbstanalyse aber was ich nicht satt habe ist die Verfolgung der Auslöser. Nur so können wir, meiner Meinung nach, vorsorgen, dass wir nicht dieselben Fehler wie unsere Umwelt machen.
Das "Sich hineinzwängen lassen" in die vorgefertigten Schachteln und Boxen, das Aburteilen der menschlichen Charaktere zwischen "dick-mittel-dünn" - das Reduzieren auf Äußerlichkeiten und die Ignoranz gegenüber wesentlichen Dingen, die einen Menschen an sich nun mal ausmachen.
Wenn wir nicht nach dem Warum und Wieso fragen bzw. suchen, werden wir nicht besser sein als all die anderen Menschen, die "UNBEWUSST" dazu beigetragen haben, uns in diese Schiene zu treiben.
Es ist eine endlose Kettenreaktion, die von einem zum anderen hüpft.
Die Gesellschaft lebt etwas vor, was eigentlich nicht real und doch real ist.
Nur wir können daran etwas ändern.
Aufstehen, aufmerksam machen, sich nicht mehr verstecken!!!!

Aber zu sagen "Es ist mir egal, warum wir so denken.", ist für mich keine Lösung.

Mir ist es nicht egal.

spera

Verfasst: Sa Mär 26, 2005 10:52
von chrissi26
ich habe den beitrag auch sehr gut gefunden. hat mir aber auch angst gemacht, weil ich auch vieles so denke. hm, ich habe schon eine lange thera hinter mir und manchmal will ich an das gar nicht denken woher es kommt. will es verdrängen. glaube hier ist aber ein punkt wo man ansetzen muß um es zu verarbeiten. und da scheitere ich meistens. aber ich geb nicht auf. werds nochmals versuchen bzw sooft wie es halt notwendig ist um damit klar zu kommen.
liebe grüße chrissi

Verfasst: Sa Aug 12, 2006 10:57
von Speranza
mal kurz pushen, ist zwar alt aber noch immer aktuell (sry, meine meinung)

spera

Verfasst: Sa Aug 12, 2006 11:06
von nudel
Hallo finde ich klasse ich lese gerade das Buch dazu welches zwar schön älter ist aber dennoc shr gut auf mich zu trifft

absolut zutreffend

Verfasst: Sa Aug 12, 2006 17:27
von Aristid
tja... was soll man da noch sagen. dieser artikel trifft den nagel wirklich auf den kopf. es ist schon erschütternd, wie sehr diese zusammenfassung die psychische ist-situation wiederspiegelt.

aus welchem buch bzw. fachzeitschrift ist der???

bitte um info - würd's gern ganz lesen. ist bei mir auf starke resonanz getroffen.

lg

aristid

Verfasst: So Aug 13, 2006 13:14
von viennesse
danke, liebe spera, für diesen wunderbaren artikel!!

ich hatte beim lesen teilweise ein ganz unangenehmes gefühl, weil ich mir so ertappt und durchschaut vorkam. meine geheimen und für andere sicher unverständlichen denkweisen und handlungen wurden plötzlich logisch und nachvollziehbar erklärt. großartig!

nun der schwierige teil: ich weiß zwar, wie ich denke, aber ich weiß nicht, warum...!

nur wenn ich auch die auslöser finde, wird es mir möglich sein, dieses denken und verhalten nachhaltig zu ändern. auch in bezug auf obige diskussion möchte ich sagen, dass nur der versuch, das verhalten zu ändern, nicht reicht, um von diesen gedanken weg zu kommen. die ursachenforschung ist wichtig! denn nur dadurch können wir verstehen und dinge bewegen.

der artikel ist ein anstoß, um weiter daran zu arbeiten.


viennesse

Verfasst: So Aug 13, 2006 18:06
von mette
Genau das ist es. Nur: Was ist normal? Was ist ein normales Selbstwertgefühl wenn wir annehmen, dass "sich schlecht" fühlen ebenso zum Leben dazugehört? Wo ist die Grenze? Oder ist sie flexibel, unterschiedlich von Mensch zu Mensch und äußert sich im UMGANG mit diesen negativen Momenten? Wann ist Leistungsbestreben "gut"? Wieviel Ehrgeiz ist angemessen?

Ich würd mich freuen, wenn jemand den Namen der Autorin nennen könnte.. :)

Liebe Grüße, mette

Verfasst: So Aug 13, 2006 18:11
von Grey
Der Artikel ist super! Aber trifft nicht nur bei Frauen zu! :oops:

Re: BITTE Lesen - Weiblicher Narzissmus

Verfasst: Mo Aug 25, 2008 20:51
von aequivalenz
Bärbel Wardetzki, wenn ich den Inhalt recht wieder erkenne. Habe das Buch mittlerweile gelesen.
Und ich beschäftige mich nun seit geraumer Zeit mit dem Thema Narzissmus, sehr interessant dazu auch das Konzept der narzisstischen Kollusion in Beziehungen.