Neue Arbeitsstelle und Essstörung

#1
Hallo, das ist mein erster Beitrag hier. Ich bin 28 und habe schon seit 10 Jahren Magersucht, seit 7 zusätzlich Bulimie. Mein BMI ist sehr niedrig, ich habe täglich mindestens zwei geplante Fressrituale, die ich brauche wie nichts anderes, so scheint es mir. Wenn ich die nicht ausleben kann, sinkt meine Stimmung in Minusgrade. Diese Anfälle sind Hauptbestandteil meines Lebens und würde ich vor die Entscheidung gestellt werden, würde ich wider besseren Wissens wahrscheinlich sagen, ich will, dass alles so weitergeht wie gehabt- lange nichts essen, dann Essritual, dann paar Stunden irgendne Aktivität, dann dann wieder fressen, dann schlafen.
Aber so ist es nicht, ich fange nächste Woche eine neue Arbeitsstelle an. Nach langem Studium und jetzt einem Jahr Arbeitslosigkeit meine erste richtige Vollzeitstelle. Und ich mache mir seit 1,5 Monaten den größten Stress, wie das werden soll, wie ich das schaffen soll, wie ich das mit dem Essen machen soll, ...
Heute war wieder so ein Tag, da hab ich schon morgens gemerkt, mein Fressritual gestern war wihl zu kurz, sodass ich nachts schon Hunger hatte. Und es kam, wie es kommen musste, bin schon morgens zum Supermarkt gewandert... zum einen bereu ich es im nachhinein immer, zum andern ist jeder Essanfall der größte Flash, Flow, Kick, Hormonausschüttung overload. Ohne den ich mir den Alltag, und dann auch noch mit Arbeit und Herausforderungen, überhaupt nicht mal vorstellen kann.
Bitte, hat jemand vielleicht irgendeine Idee, wie ich das alles ab nächster Woche hinbekommen kann ohne durchzudurchzudrehen oder nach einer Woche das Handtuch zu schmeißen oder gefeuert zu werden?
Ich lese hier schon seit Jahren immer mal wieder und würde mich jetzt sehr über Antworten freuen.
Schon mal danke und noch einen guten Tag an euch alle!

Re: Neue Arbeitsstelle und Essstörung

#6
in meinen ohren klingst du nicht arbeitsfähig.
was soll man dir da also ermutigendes sagen?
wir können dir hier jetzt nicht dazu raten, wie du am besten das kotzen in deinen alltag integrieren kannst, oder?
klar brauchst "du" deine anfälle, wenn du so dürr bist und nix isst. dein körper braucht das.
aber das ist ja nichts, was du nicht ändern könntest.
finde es ja schon grenzwertig, dass du mit einem sehr niedrigen bmi überhaupt einen Job bekommst..

wie lange warst du stationär und ambulant in Therapie und wäre es noch mal ne option?
was würdest du jemanden raten, der das, was du beschreibst, schildert und dich um rat fragt?


weißt du, du klingst nicht so, als würdest du es bspw als Chance sehen, was zu ändern.
zb nur noch 1x am tag dein ritual ausleben und sonst mal versuchen, deinem körper n bisschen Regeneration zu gönnen etc.
da könnten wir dir sicher einige tipps geben...

Re: Neue Arbeitsstelle und Essstörung

#7
Danke! Ich brauche nicht Honig ums Mäulchen geschmiert kriegen, etwas Konfrontation ist okay.
Ich wollte meinen Beitrag vielleicht auch nicht zu lang werden lassen, sondern versuchte lieber kurz und prägbant. Wenn das zur Folge hatte, dass es so rüberkam, als würde ich nicht versuchen wollen etwas zu ändern, war das nicht in meinem Sinne. Doch, genau das wäre mein ganz großer Wunsch, nur noch 1x täglich abends. Auf keinen Fall wollte ich hier Tipps, wie ich das Kotzen in den Arbeitsalltag integrieren kann, oh nein! Ich weiß, dass ich die einzige bin, die was ändern kann. Dennoch gebe ich zu, dass ich noch ziemlich tief drinstecke und es mir oft so vorkommt, als werde ich von der ES beherrscht. Ich möchte wirklich vesuchen, das umzukehren oder wenigstens etwas die Kontrolle wiederzuerlangen. Ich weiß, dass ich am Tag essen muss und ich suche nach Wegen das zu schaffen. Z.B. sich selbst essen mitzunehmen oder dort Mittag zu essen. Habe mir auch schon Fresubin geholt, um davon zwischendurch immer mal einen Schluck nehmen zu können.
Als letztes hatte ich eine sehr gute Therapeutin. Ich möchte auf jeden Fall versuchen in der neuen Stadt wieder eine zu finden.

Re: Neue Arbeitsstelle und Essstörung

#8
wie ist das, weiß der neue Arbeitgeber von der ES (abgesehen vom sichtbaren, ich meine offiziell) und wo wirst du arbeiten?

denkst du, du kannst dort "ungeplant" und "irgendwas" essen oder wäre mitnehmen leichter?
nimm dir vielleicht am anfang was mit - und für zwischendurch nüsse? Schokoriegel? was eben gut geht. schmeckt besser als fresubin ;)
und wird von den anderen auch nicht unbedingt als "magersuchtsdrink" erkannt. ;)
oder milchshakes, kann man ja auch selbstmachen.

ich denke schon, dass du die arbeit nutzen solltest und auch kannst, um ein stück kontrolle zurückzuerlangen.
der rahmen ist nun einfach ein anderer, neuer. und wer weiß, wie sehr es dich im Endeffekt unterstützen kann?
aber pass auf, dass du es nicht für die ES nutzt, d.h. noch weniger essen etc.

wie lange warst du denn stationär? und wieso war deine Therapeutin sehr gut, wenns dir jetzt so schlecht geht?
meine ich wertfrei, würde mich interessieren.

Re: Neue Arbeitsstelle und Essstörung

#9
Hallo, zunächst wünsche ich dir viel Kraft bei deiner neuen Arbeitsstelle! Ich hatte jahrelang keine wirklichen Essenszeiten, Essen in Anwesenheit anderer - insbesondere "fremder" bekannter - war für mich unvorstellbar. Noch zu meinem Studium hatte ich eine 50-%-Arbeitsstelle, wo ich lernen musste, wie man am Mittag mit anderen isst. Das war eine grosse Herausforderung und die Essstörung wurde durch die sehr ärgerliche Arbeitsstelle schlimmer. Zwei Jahre danach habe ich ein Praktikum zunächst während 1 Monat Vollzeit gemacht, welches sehr toll war und wo ich nette Arbeitskollegen geniessen durfte. Während dem Semester musste ich das Pensum dann leider auf 40 % reduzieren. Zum Abschluss meines Studiums habe ich ein weiteres Praktikum gemacht und dazu einen Nebenjob gehabt, so dass ich eigentlich teils >100% gearbeitet hatte, und rundum mit Menschen war. Diese Tätigkeiten waren sehr erfüllend, und ich habe so sehr davon profitiert, mit diesen Menschen viel Zeit zu verbringen; seither habe ich 3 regelmässige Mahlzeiten am Tag und kann mit anderen Menschen zusammen essen (nicht immer). Jetzt, post-Studium, ist es noch täglich eine Herausforderung, teils weniger, teils mehr, und ich erbreche immer noch jeden Abend, aber wenigstens kann ich "leben". Ich habe auch seit fast 12 Jahren abwechselnd Bulimie und MS.

Was ich damit sagen möchte, ist, dass es bestimmt nicht leicht wird, doch dass es dir auch sehr helfen kann. Wenn du merkst, dass es zu viel ist, würde ich jedoch versuchen zu verhandeln, ob du das Pensum reduzieren kannst (wenn dir die Arbeitsstelle gefällt). Meine Stelle gibt es nur in 100%-Pensum, wobei ich der Meinung bin, dass ich diese Arbeitsfähigkeit nicht an den Tag bringen kann (erbreche immer noch täglich etc., aber ich möchte hier nicht auf mich im Detail eingehen). Ich wünsche dir viel Glück! Denk daran, dass du nicht die Essstörung bist, sondern dass du eine Essstörung hast, und dass es um dich gehen sollte, nicht um die Essstörung. Das klingt vielleicht blöd, aber für mich war es ein extremer Schritt, damals in der Magersucht, als ich mir bewusst wurde, dass ich auch ohne die Essstörung sein kann. Genauso bist du nicht von deiner Essstörung abhängig.

Liebe Grüsse
"We either make ourselves miserable or we make ourselves strong. The amount of work is the same" - Carlos Castaneda

Re: Neue Arbeitsstelle und Essstörung

#10
Wenn du wirklich etwas ändern und gegen die ES kämpfen möchtest, dann sehe die neue Arbeitsstelle doch als Chance. Als Chance, dass du Ablenkung hast und dich nicht den ganzen Tag der ES hingibst. Das setzt natürlich voraus, dass du während der Arbeitszeit auch eine Kleinigkeit zu dir nimmst. Bereite dir doch etwas vor oder nimm dir was mit, was für dich ok ist und klappen könnte. Ich habe nach einer langen schwereren Phase der Bulimie auch immer Angst vor den 8 - 9 Stunden Arbeit gehabt. Aber ich habe es eben auch als Chance gesehen. Bei mir ging z.B. immer ganz gut Quark mit Früchten. Quark hält lange satt, ich bin total der Obstfan und für mein Gewissen war es auch ok. Du musst dir klar werden, dass es keinen Sinn macht die komplette Arbeitszeit zu fasten. Dein Körper braucht die Energie für den Arbeitstag zu überstehen. Versuche positiv an die Sache ran zu gehen. Freue dich über die neue Stelle, die neuen Herausforderungen und die neuen Kollegen. In erster Linie würde ich mich nicht zu sehr verrückt machen :wink:

Re: Neue Arbeitsstelle und Essstörung

#11
Hi Mary,

ich kann dich sehr gut verstehen, war in genau derselben Situation wie du und bin vor Antritt meiner Arbeitsstelle in eine wirklich tiefe Krise gestürzt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie ich jemals Vollzeit sollte meistern können.
Für mich war es allerdings der Anfang der Besserung. Zuvor habe ich es maximal geschafft, nur einmal die Woche einen FA zu haben, es tendierte aber eher Richtung mehr. Sobald ich anfing zu arbeiten, wurde das weniger und jetzt werde ich nur noch in Krisensituationen rückfällig. Bin allerdings guter Dinge, dass ich meine ES sogar auf Dauer in den Griff bekommen könnte.

Die Besserung kam vor allem durch die Ablenkung und den Kontakt zu Menschen zustande, aber auch durch Anerkennung und den Spaß an der Stelle. Daher sehe ich persönlich deine neue Stelle als eine riesige Chance für dich, endlich diesen verdammten Kreislauf zu durchbrechen. Ich drück dir ganz fest die Daumen!

LG bright