So viel schon geschafft - und trotzdem kann ich nicht essen

#1
Hallo Zusammen!

Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen, aber es wird schwierig.. Danke deshalb schon mal jetzt denjenigen, die sich die Zeit nehmen, meinen Text zu lesen.

Also, wo soll ich nur anfangen? Hm, mal eine kurze Zusammenfassung des letzten Jahres (ungefähr, eigentlich sind es 11 Monate..) : Letzten Dezember hatte ich meine letzte schlimme Phase. Ich reduzierte das Essen auf ein absolutes Minimum, nahm mir vor, es jetzt endlich zu schaffen, „perfekt“ zu sein (was soll das schon heißen??). Wenn ich zurückblicke, war ich zu dieser Zeit wohl sehr gespalten: Ich wollte perfekt sein. Ich wollte so dünn sein, wie es nur möglich war. Gleichzeitig hatte ich mir aber sehr wohl eine Grenze gesteckt, ein Gewicht, das ich nicht unterschreiten durfte und wenn doch, versprach ich mir, mich einweisen zu lassen.
Zugleich wollte ich, wie schon gesagt, unbedingt dünn sein. Sehr dünn. Also weniger wiegen als meine Untergrenze. Wohl ziemlich paradox, aber jeder hat nun mal zwei Seiten.
Jedenfalls schwor ich mir, wenn ich es diesmal wieder nicht schaffen würde, „perfekt“ zu werden, würde ich es lassen. Für immer. Ich würde mich nie wieder absichtlich übergeben, würde nie wieder in Hungerstreik treten.
Und ich schaffte es natürlich nicht. Und ich hielt mein Versprechen. Seit 15. Dezember 2014 ist es mir tatsächlich gelungen, mich nicht mehr zu hungern oder erbrechen zu zwingen.
Eigentlich toll, ich bin auch sehr stolz auf mich.
Im Juni 2015 konnte ich endlich den Entschluss fassen, zuzunehmen. Ich war seit dem Beginn meiner Essstörung (2008) nie zufrieden mit meiner Figur gewesen, eigentlich logisch. Ich wollte immer dünner sein, obwohl ich all die Jahre leicht untergewichtig war. Nun änderte sich das: Es gab zwei Sachen, die ich wollte und zwischen denen ich mich entscheiden konnte: Dünner sein oder weiblicher. Und ich entschied mich, zuzunehmen.
Dieses Monat ist es mir endlich gelungen, ein Gewicht zu erreichen, das ich seit 2011 nicht mehr hatte. Es war zwar nur **kg Unterschied (wie traurig), aber es war für mich trotzdem ein riesiger Erfolg, endlich **kg zugenommen zu haben.
Klingt ja alles eigentlich sehr gut, und wie gesagt, ich bin schon stolz. Aber ich muss leider dazusagen, dass es mir seit Dezember trotzdem nie gut gegangen ist mit dem Essen, auch wenn ich nicht mehr gehungert habe und mich auch nicht mehr absichtlich übergeben habe.
Das Problem ist ein anderes, und was genau, ist mir erst in den letzten Tagen bewusst geworden.
Ich zwinge mich jetzt zu nichts mehr – heißt, auch nicht, zu essen.
Das ist mir nicht möglich.
Und es ist jeden Tag ein Kampf. Ein Kampf, wegen dem es mir zur Zeit überhaupt nicht gut geht. Denn ich KANN NICHT essen. Ich stelle euch jetzt mal einen Vergleich auf, damit ihr ungefähr wisst, wie es sich für mich anfühlt.
Ich bin jemand, der gerne laufen geht. Ich liebe es. Doch ich kann mich einfach nicht dazu überwinden. Es dauert ewig, bis ich es schaffe, meine Laufschuhe anzuziehen. Es ist ein Kampf, der sich über den ganzen Tag zieht. Und dann dauert es oft noch Stunden, bis ich dann endlich meine Wohnung verlasse und loslaufe.
Es geht aber leider nicht um laufen, leider. Laufen steht für essen und die Laufschuhe sind in Wirklichkeit das Einkaufen gehen und Kochen.

Es fühlt sich so furchtbar an. Total hilflos. Ich bin im Moment wirklich so ziemlich verzweifelt. Denn ich möchte ja essen! Und ich schaffe es jeden Tag, aber immer erst irgendwann nachts und auch das braucht seinen Kampf. Und natürlich nehme ich ab, was mir auch überhaupt nicht passt.
Momentan ist es ganz besonders schlimm, da ich bald eine wichtige Prüfung habe und Druck macht es immer noch schlimmer.
Ich weiß wirklich nicht weiter. Gibt es vielleicht jemanden unter euch, dem es ähnlich geht? Habt ihr irgendeine Idee, was ich machen könnte?
Bin zurzeit am Überlegen, einen therapeutischen Klinikaufenthalt zu machen. Aber da ist wieder das, dass man mir ja nicht mal eine Essstörung mehr diagnostizieren könnte. Ich bin nur leicht untergewichtig, ich übergebe mich nicht, ich finde mich nicht zu dick und möchte nicht abnehmen.
Und außerdem hatte ich schon immer meine Probleme, an dem Thema therapeutisch zu arbeiten. In der Therapie hab ich nie von mir aus darüber gesprochen, es höchstens mal angeschnitten. Irgendwo tief in mir drinnen scheint noch verankert zu sein, dass das allein meins ist. Ich möchte es ändern, aber eigentlich ganz alleine, denn das Essen ist irgendwie das einzige, das ganz allein mir gehört. Wie gestört eigentlich, wo es mich doch so fertig macht.

Eure Majorie
Zuletzt geändert von Caruso am Mi Nov 11, 2015 22:15, insgesamt 1-mal geändert.
Nichts besonderes los, nur die ewigen alltäglichen Leiden

Re: So viel schon geschafft - und trotzdem kann ich nicht es

#3
Liebe Majorie,

ich weiß genau, was du meinst. Dieses Gefühl, dass da wie eine Schranke in einem ist, man kann es einfach nicht tun. Und dabei schaut man sich auch noch zu, wie man es sich verbietet. Das kenne ich von meiner Magersuchtzeit, ist allerdings schon viele Jahre her. Es war immer, wenn ich wieder zunehmen wollte, aber nicht konnte.
Jetzt in der Bulimie erlebe ich es genau umgekehrt. Ich will mich nicht vollstopfe, tue es aber trotzdem und schaue mir richtig dabei zu.
Ich denke, beides ist eine Verweigerung, zu leben. Ein fröhlicher Mensch isst ganz automatisch, wenn er hungrig ist und denkt nach dem Essen wieder an Dinge, die ihm Spaß machen.
Zu mir hat gestern jemand gesagt: "Wann willst du endlich anfangen zu leben? Du lebst doch gar nicht, sondern du überstehst mit dem ESsen deinen Tag." Und bei dir ist es vielleicht das Nichtessen.
Wir müssen beide versuchen, das Essen oder Nichtessen loszulassen, denn bei deinem bedrücken einen die ständigen Gedanken und Verbote/Gebote im Kopf enorm. Sie bedrücken das Gemüt, das ständige schlechte Gewissen, diese große Last. Ich glaube, es funktioniert am besten, wenn man sich dem zuwendet, was einem richtig Freude macht, darauf fokusiert, was das Schöne am Leben ist. Glaub mir, ich hab mich bisher nur auf die Essstörung konzentriert, 18 Jahre lang. Ich kann dir nur sagen, es wird nicht besser, die Essstörung verschiebt sich nur und so wie du erzählst, bist du noch nicht gesund, es kann schnell wieder kippen.
Ich möchte mich auf meine Hobbies konzentrieren, z.B. nähe ich zur Zeit total gerne, bastel, ich mache im Grunde gerne Sport oder gehe spazieren. Die Essstörung macht mir das alles kaputt, weil ich dann keine Kraft oder Zeit dafür habe, weil meine Hände ständig beschäftigt sind.

Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig weiterhelfen. Im Grunde brauche ich selbst die größte Hilfe.
Ich finde es ganz toll von dir, was du schon erreicht hast. Aber ich wünsche dir, dass die Freude zurückkehrt, denn das ist meiner Meinung nach das wichtigste.

Re: So viel schon geschafft - und trotzdem kann ich nicht es

#4
Liebe Engel,

danke für deine Antwort :) es ist schön zu sehen, dass ich nicht so alleine bin, wie ich mich fühle.
Natürlich nicht schön, dass es dir so ähnlich (nur in eine andere Richtung) geht!
Du hast recht, es ist im Grunde wirklich eine Lebensverweigerung. Und das ist vermutlich einer der Gründe, warum es so
weh tut - denn ich möchte ja leben! Unbedingt! Mit allem, was dazugehört!
Und ich hab schon soviele meiner alten Muster losgelassen, aber das bleibt. Ich halte daran fest, obwohl ich es eigentlich nicht will. Und das verstehe ich nicht! Ich verstehe absolut nicht, was es mir noch gibt. Warum ich es noch "brauche".
Aber anscheinend tu ich das, sonst würde ich es schaffen, in der Therapie daran zu arbeiten, darüber zu sprechen.
Tief in mir drinnen ist anscheinend immer noch das Gefühl da, dass das ganz meins ist. Niemanden was angeht. Nur mir gehört. Und verlange ich es auch von mir, es alleine schaffen zu müssen. Entweder schaffen oder ewig daran festhalten.
Ich hab gestern meiner besten Freundin davon erzählt (geschrieben), dass es mich momentan wieder so sehr belastet (mein Essverhalten belastet mich eigentlich immer sehr, aber momentan ist einfach noch mehr im Mittelpunkt..). Sie hat gemeint, dass sie glaubt, dass ich das nicht mehr brauche. Dass es einfach noch deshalb da ist, weil es sich schon so tief in mir verankert hat, ein wesentlicher Teil von mir ist, nach all den Jahren.. Ich denke das auch. Denn ein so lang ausgeübtes Verhalten geht glaube ich nicht einfach so weg, auch wenn plötzlich alles stimmt. Leider. Was sie noch gesagt hat, und das hat mich schon irgendwie "aufgeweckt", da ich dass sehr gerne vergesse - ich bin die einzige, die darunter leidet. Für mich selbst ist es schlimm. Und es hat keine Auswirkung auf irgendwas, bloß auf mich selbst. Mir selbst tue ich damit schlechtes.
Alles in allem heißt das wohl, dass ich hart an mir arbeiten werde müssen.
In welcher Weise, habe ich noch nicht so ganz beschlossen. Aber am effektivsten wäre wohl eine stationäre Therapie.. Es ist schwierig, mich dafür zu entscheiden. Schließlich habe ich ja auch einen Alltag, Prüfungen, die ich machen muss, damit ich endlich zur Matura antreten kann.. Also das wann ist ein großes Fragezeichen.
Aber ich möchte unbedingt etwas ändern, das habe ich beschlossen! Denn wenn ich daran denke, dass das vielleicht ewig so weitergehen könnte.. Das halte ich nicht aus.

Ich wünsch uns beiden viel Kraft! Majorie
Nichts besonderes los, nur die ewigen alltäglichen Leiden