Hilfe zum Verständnis der Bulimie
Verfasst: Fr Jan 16, 2015 16:28
Hallo liebes Forum,
ich heiße Schattenwolf, bin 27 Jahre alt und studiere Biologie/Chemie auf Lehramt. Ich habe selbst keine Bulimie, möchte mich jedoch umfassend darüber informieren.
Zunächst möchte ich meinen tiefen Respekt vor euch zum Ausdruck bringen und euch Mut zusprechen. Ich finde es gut, dass ihr euch in einem Selbsthilfeforum gegenseitig Kraft spendet und euch bei eurer Genesung unterstützt. Ich wünsche jedem von euch, diese Krankheit erfolgreich zu überwinden. Ich wünsche euch, dass ihr eines Tages wieder in den Spiegel schauen könnt und dort einen wunderschönen, normalgewichtigen (beides geht durchaus zusammen) Menschen erblicken werdet. Dass ihr stolz auf euch seid, es geschafft zu haben. Das wünsche ich jedem von euch von ganzem Herzen.
~~~ So, jetzt geht's los ~~~
Warum habe ich mich hier angemeldet? Ich habe vor einigen Wochen eine wunderhübsche, intelligente junge Frau an meiner Uni kennengelernt (22 Jahre alt), die 4 Jahre bulimisch gewesen ist. Sie zeigt Interesse an mir, und wenn alles klappt, ist sie vielleicht bald meine Freundin. Es ehrt mich, dass sie mir von ihrer Bulimie erzählt hat, und ich betrachte das als einen großen Vertrauensbeweis. Diese Ehre möchte ich gerne annehmen, indem ich mehr darüber lernen will. Ich möchte gerne verstehen, was genau es bedeutet, bulimisch zu sein, damit ich einfühlsamer auf sie eingehen kann.
Laut ihrer eigenen Aussage ist sie heute nicht mehr bulimisch. Das glaube ich ihr auch. Allerdings besteht - nach allem, was ich mir angelesen habe - prinzipiell stets die Gefahr eines Rückfalls, insbesondere in stressigen, emotional überfordernden Situationen. Sie studiert einen sehr anstrengenden Studiengang (Chemie, mit Promotion als Ziel), in welchem Stress an der Tagesordnung steht. In den letzten Jahren hat sie zwar kontinuerlich an sich gearbeitet, und fühlt sich inzwischen deutlich glücklicher und selbstbewusster; ihr Selbstbild ist aber dennoch "wertlos" (lt. eigener Aussage). Wie es hinter ihrer wohlkontrollierten äußeren Fassade aussieht, vermag ich nur schwer zu beurteilen. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass hier ein gewisses Rückfallpotential bestehen könnte.
Da Bulimiker anscheinend Meister der Tarnung und des Versteckens sind, möchte ich mich auf diesen Fall vorbereiten. Ich möchte gerne Insiderwissen ansammeln, das es mir ermöglicht, einen eventuellen Rückfall eines Tages erfolgreich zu erkennen, und in genau der richtigen Weise darauf zu reagieren.
In den vergangenen Wochen habe ich mich intensiv mit der Bulimie beschäftigt, habe mich über ihre Gesichter und Facetten informiert. Die grundlegenden Informationen habe ich mir aus verschiedenen Quellen (z.B. BZgA) angelesen. Ich weiß nun, wie Bulimie theoretisch, auf dem Papier, abläuft - habe aber keine Ahnung davon, wie sie in Realität ist. Ich bin mir darüber im Klaren, dass Bulimie verschiedenste Auslöser haben kann. Welche Auslöser das im Fall meiner Kandidatin gewesen sind, kann ich nicht genau sagen. Ich weiß, dass sie "viel Mist" erlebt hat (Zitat), dass offensichtlich Alkoholismus in ihrer Familie vorliegt oder vorgelegen hat, und dass sie sehr wahrscheinlich in der Schule gemobbt wurde. Sie ist außerdem sehr perfektionistisch beim Erreichen ihrer Ziele. Das alles mag in Kombination dazu geführt haben, dass sie damals bulimisch geworden ist. Ich kann euch leider nichts Genaueres dazu sagen, da ich das Thema in meinen Gesprächen mit ihr gezielt vermeide, um keine unnötigen Schamgefühle bei ihr hervorzurufen.
Ich weiß als konkrete Krankheitsangaben nur Folgendes:
Ich kenne den Druck, den die Gesellschaft auf das eigene Schönheitsbild ausübt, aus eigener Erfahrung. Ich kann von Natur aus sehr viel essen, und nehme kaum zu. Was ihr vielleicht beneidenswert findet, ist für mich ein Fluch. Ich war schon immer dünn, wodurch man als Mann weder von Männern, noch von Frauen ernst genommen wird. Männer schubsen einen herum, weil sie wissen dass man schwach ist, und Frauen betrachten einen nicht als möglichen Sexualpartner, weil ihnen die sozial konditionierte Männlichkeit fehlt (Muskeln, Körperbau und Gewicht). Daher habe ich mich inzwischen im Fitnesscenter angemeldet und betreibe Muskelaufbau - auf natürliche Weise - durch hartes Training und gesunde Ernährung. Ich kenne das euphorische Gefühl, wenn sich der Zeiger auf der Waage immer mehr in Richtung des persönlichen Wunschgewichts verschiebt, und sich das Spiegelbild immer mehr der eigenen Traumvorstellung annähert. Ich kenne die begünstigend wirkenden Kommentare und Sprüche von Kollegen, die einem Komplimente dazu machen, dass man zugenommen habe, und wie gut das doch nun aussehen würde. Ich schätze, ich habe eine Vorstellung davon, welche sozialen und psychologischen Faktoren da am Werk sind.
Ich habe nur das Glück gehabt, dass diese Ausgangsbedingungen (gesellschaftlicher Druck, damals persönliches Minderwertigkeitsgefühl, perfektionistisch-zielstrebige Ader, Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht und Körperbild) bei mir persönlich nicht zu einer Magersucht oder Bulimie geführt haben, sondern - weil mein Wunschziel ein muskulöser Körper mit Normalgewicht ist - glücklicherweise nur zu einem gesunden Lebensstil. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass der psychologische Mechanismus dahinter bestechend ähnlich ist. Ich hoffe, ich konnte euch damit zeigen, dass ich zumindest ein grundlegendes Einfühlungsvermögen in dieser Hinsicht habe - nicht nur für meine Kommilitonin an der Uni, sondern genauso für jeden von euch.
Meine demnächst-vielleicht-Freundin trägt heute noch sichtbare Spuren der Bulimie an ihren Zähnen, aber das ist mir egal. Ich möchte darüber hinwegsehen und, wenn alles klappt, eine dauerhafte Beziehung mit ihr eingehen. Vielleicht sogar eines Tages eine Zukunft zusammen mit ihr aufbauen, wer weiß. Doch damit das funktioniert, möchte ich sie wie gesagt verstehen lernen - und das bedeutet, die Bulimie verstehen zu lernen, die vier Jahre lang ein Teil von ihr gewesen ist. Möglicherweise sogar ein Stück weit immer ein Teil von ihr sein wird.
Mein Ziel ist es, sie aufzubauen. Als Mensch, in ihrem inneren Selbstwertgefühl, und in ihrem Körpergefühl. Mir fehlt dazu aber der gezielte Einblick in die Bulimie - sozusagen die Brille, durch die der Bulimiker seine Welt betrachtet. Je umfassender mein Verständnis dieser Brille wird, desto empathischer kann ich reagieren.
Ich möchte verstehen, wie ein Mensch in den bulemischen Teufelskreis gerät. Ich möchte im Detail begreifen, was man fühlt, wenn man einen FA hat. Ich möchte lernen, welche Lebenssituationen positiv auf das Befinden wirken, und welche die Krankheit verschlechtern. Ich will wissen, was im Kopf einer Bulimikerin vorgeht, wenn sie Kalorien zählt oder an Essen denkt. Wie es sich anfühlt, Essen zu horten. Wie sich der Kontrollverlust anfühlt, während man immer mehr Essen in sich hineinschaufelt. Wie sich der Punkt anfühlt, an dem man das Essen wieder erbrechen will. Wie man überhaupt auf die Idee kommt, einen FA zu "planen". Was eine Bulimikerin denkt, wenn sie sich im Spiegel sieht. Was sie denkt, wenn sie sich gerade über der Toilette befindet. Was einer Bulimikerin durch den Kopf geht, wenn sie andere Menschen genüsslich essen sieht. Wie es sich anfühlt, dieses Doppelleben zu führen und dieses zweite Ich ständig vor allen Leuten geheim zu halten. Welche Tricks sie dazu anwendet, nicht entdeckt zu werden. Unter welchen Umständen überhaupt andere Menschen emotional an sich selbst herangelassen werden. Welche Spätfolgen eine Bulimie v.a. psychisch hinterlässt. Welche Art von Schamgefühl sich einstellt, und wann genau. Wie eine Bulimikerin reagiert, wenn sie erwischt wird. Wie sie reagiert, wenn sie damit konfrontiert wird. Ich habe da so viele Fragen, so viele Dinge, die ich verstehen lernen will.
So dass ich - sollte jemals ein Rückfall kommen - für sie da sein kann, und mich genau richtig verhalte. {da ist übrigens wieder mein Perfektionismus xD}
Rückblickend sehe ich einige Dinge in einem anderen Licht. Als sie im Kino eine kleine Packung Popcorn mit Cola zero bestellt hat, und von dem Popcorn nur 1/5 der Packung gegessen hat. Als sie in der Mensa glänzende Augen bekommen hat, während ich (unüberlegterweise...) davon erzählt habe, mein Gewichtsziel im Fitnessstudio für das Jahr 2014 erfolgreich erreicht zu haben. Als sie mit halbvollem Mensatablett meinte, ich würde sie nicht stören, ihr Essen sei eh schon kalt.
Vielleicht sind das kleine, unbedeutende Dinge, die ich gerade überinterpretiere. Das weiß ich nicht. Es können aber auch Warnsignale sein.
Ich bitte euch daher um eure Hilfe. Niemand weiß besser, wie sich Bulimie anfühlt, als ihr. Ich kann tausende Bücher lesen und werde es dennoch nie wirklich verstehen. Deshalb würde ich mich freuen, wenn hier ein Thema entsteht, dass mir Einblicke in die Bulimie ermöglicht und mich letztendlich dazu in die Lage versetzt, eine erfolgreiche Beziehung mit einer Frau zu führen, die jahrelang bulimisch gewesen ist.
Aktuell weiß ich nämlich nicht einmal, ob ich das Thema Essen überhaupt ansprechen darf.
Vielen Dank für's Lesen, und ich freue mich auf eure Beiträge!
ich heiße Schattenwolf, bin 27 Jahre alt und studiere Biologie/Chemie auf Lehramt. Ich habe selbst keine Bulimie, möchte mich jedoch umfassend darüber informieren.
Zunächst möchte ich meinen tiefen Respekt vor euch zum Ausdruck bringen und euch Mut zusprechen. Ich finde es gut, dass ihr euch in einem Selbsthilfeforum gegenseitig Kraft spendet und euch bei eurer Genesung unterstützt. Ich wünsche jedem von euch, diese Krankheit erfolgreich zu überwinden. Ich wünsche euch, dass ihr eines Tages wieder in den Spiegel schauen könnt und dort einen wunderschönen, normalgewichtigen (beides geht durchaus zusammen) Menschen erblicken werdet. Dass ihr stolz auf euch seid, es geschafft zu haben. Das wünsche ich jedem von euch von ganzem Herzen.
~~~ So, jetzt geht's los ~~~
Warum habe ich mich hier angemeldet? Ich habe vor einigen Wochen eine wunderhübsche, intelligente junge Frau an meiner Uni kennengelernt (22 Jahre alt), die 4 Jahre bulimisch gewesen ist. Sie zeigt Interesse an mir, und wenn alles klappt, ist sie vielleicht bald meine Freundin. Es ehrt mich, dass sie mir von ihrer Bulimie erzählt hat, und ich betrachte das als einen großen Vertrauensbeweis. Diese Ehre möchte ich gerne annehmen, indem ich mehr darüber lernen will. Ich möchte gerne verstehen, was genau es bedeutet, bulimisch zu sein, damit ich einfühlsamer auf sie eingehen kann.
Laut ihrer eigenen Aussage ist sie heute nicht mehr bulimisch. Das glaube ich ihr auch. Allerdings besteht - nach allem, was ich mir angelesen habe - prinzipiell stets die Gefahr eines Rückfalls, insbesondere in stressigen, emotional überfordernden Situationen. Sie studiert einen sehr anstrengenden Studiengang (Chemie, mit Promotion als Ziel), in welchem Stress an der Tagesordnung steht. In den letzten Jahren hat sie zwar kontinuerlich an sich gearbeitet, und fühlt sich inzwischen deutlich glücklicher und selbstbewusster; ihr Selbstbild ist aber dennoch "wertlos" (lt. eigener Aussage). Wie es hinter ihrer wohlkontrollierten äußeren Fassade aussieht, vermag ich nur schwer zu beurteilen. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass hier ein gewisses Rückfallpotential bestehen könnte.
Da Bulimiker anscheinend Meister der Tarnung und des Versteckens sind, möchte ich mich auf diesen Fall vorbereiten. Ich möchte gerne Insiderwissen ansammeln, das es mir ermöglicht, einen eventuellen Rückfall eines Tages erfolgreich zu erkennen, und in genau der richtigen Weise darauf zu reagieren.
In den vergangenen Wochen habe ich mich intensiv mit der Bulimie beschäftigt, habe mich über ihre Gesichter und Facetten informiert. Die grundlegenden Informationen habe ich mir aus verschiedenen Quellen (z.B. BZgA) angelesen. Ich weiß nun, wie Bulimie theoretisch, auf dem Papier, abläuft - habe aber keine Ahnung davon, wie sie in Realität ist. Ich bin mir darüber im Klaren, dass Bulimie verschiedenste Auslöser haben kann. Welche Auslöser das im Fall meiner Kandidatin gewesen sind, kann ich nicht genau sagen. Ich weiß, dass sie "viel Mist" erlebt hat (Zitat), dass offensichtlich Alkoholismus in ihrer Familie vorliegt oder vorgelegen hat, und dass sie sehr wahrscheinlich in der Schule gemobbt wurde. Sie ist außerdem sehr perfektionistisch beim Erreichen ihrer Ziele. Das alles mag in Kombination dazu geführt haben, dass sie damals bulimisch geworden ist. Ich kann euch leider nichts Genaueres dazu sagen, da ich das Thema in meinen Gesprächen mit ihr gezielt vermeide, um keine unnötigen Schamgefühle bei ihr hervorzurufen.
Ich weiß als konkrete Krankheitsangaben nur Folgendes:
- Sie war 4 Jahre lang bulimisch.
- Sie gehörte definitiv zum Purging-Typ.
- Es ist extrem wahrscheinlich, dass sie zu dem Zeitpunkt bei ihren Eltern gewohnt hat.
- Der Auslöser der Bulimie.
- Die Häufigkeit der FAs.
- Ob ihre FAs geplant oder unkontrolliert waren.
- Welche Lebensmittel sie zu sich genommen hat.
- Wo sie diese Lebensmittel, falls überhaupt, gehortet hat.
- Ob ihre Eltern, Familienmitglieder und ggf. Freunde davon gewusst haben.
- Ob sie sich in Therapie begeben hat, oder ob sie die Erkrankung aus eigener Kraft besiegt hat.
Ich kenne den Druck, den die Gesellschaft auf das eigene Schönheitsbild ausübt, aus eigener Erfahrung. Ich kann von Natur aus sehr viel essen, und nehme kaum zu. Was ihr vielleicht beneidenswert findet, ist für mich ein Fluch. Ich war schon immer dünn, wodurch man als Mann weder von Männern, noch von Frauen ernst genommen wird. Männer schubsen einen herum, weil sie wissen dass man schwach ist, und Frauen betrachten einen nicht als möglichen Sexualpartner, weil ihnen die sozial konditionierte Männlichkeit fehlt (Muskeln, Körperbau und Gewicht). Daher habe ich mich inzwischen im Fitnesscenter angemeldet und betreibe Muskelaufbau - auf natürliche Weise - durch hartes Training und gesunde Ernährung. Ich kenne das euphorische Gefühl, wenn sich der Zeiger auf der Waage immer mehr in Richtung des persönlichen Wunschgewichts verschiebt, und sich das Spiegelbild immer mehr der eigenen Traumvorstellung annähert. Ich kenne die begünstigend wirkenden Kommentare und Sprüche von Kollegen, die einem Komplimente dazu machen, dass man zugenommen habe, und wie gut das doch nun aussehen würde. Ich schätze, ich habe eine Vorstellung davon, welche sozialen und psychologischen Faktoren da am Werk sind.
Ich habe nur das Glück gehabt, dass diese Ausgangsbedingungen (gesellschaftlicher Druck, damals persönliches Minderwertigkeitsgefühl, perfektionistisch-zielstrebige Ader, Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht und Körperbild) bei mir persönlich nicht zu einer Magersucht oder Bulimie geführt haben, sondern - weil mein Wunschziel ein muskulöser Körper mit Normalgewicht ist - glücklicherweise nur zu einem gesunden Lebensstil. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass der psychologische Mechanismus dahinter bestechend ähnlich ist. Ich hoffe, ich konnte euch damit zeigen, dass ich zumindest ein grundlegendes Einfühlungsvermögen in dieser Hinsicht habe - nicht nur für meine Kommilitonin an der Uni, sondern genauso für jeden von euch.
Meine demnächst-vielleicht-Freundin trägt heute noch sichtbare Spuren der Bulimie an ihren Zähnen, aber das ist mir egal. Ich möchte darüber hinwegsehen und, wenn alles klappt, eine dauerhafte Beziehung mit ihr eingehen. Vielleicht sogar eines Tages eine Zukunft zusammen mit ihr aufbauen, wer weiß. Doch damit das funktioniert, möchte ich sie wie gesagt verstehen lernen - und das bedeutet, die Bulimie verstehen zu lernen, die vier Jahre lang ein Teil von ihr gewesen ist. Möglicherweise sogar ein Stück weit immer ein Teil von ihr sein wird.
Mein Ziel ist es, sie aufzubauen. Als Mensch, in ihrem inneren Selbstwertgefühl, und in ihrem Körpergefühl. Mir fehlt dazu aber der gezielte Einblick in die Bulimie - sozusagen die Brille, durch die der Bulimiker seine Welt betrachtet. Je umfassender mein Verständnis dieser Brille wird, desto empathischer kann ich reagieren.
Ich möchte verstehen, wie ein Mensch in den bulemischen Teufelskreis gerät. Ich möchte im Detail begreifen, was man fühlt, wenn man einen FA hat. Ich möchte lernen, welche Lebenssituationen positiv auf das Befinden wirken, und welche die Krankheit verschlechtern. Ich will wissen, was im Kopf einer Bulimikerin vorgeht, wenn sie Kalorien zählt oder an Essen denkt. Wie es sich anfühlt, Essen zu horten. Wie sich der Kontrollverlust anfühlt, während man immer mehr Essen in sich hineinschaufelt. Wie sich der Punkt anfühlt, an dem man das Essen wieder erbrechen will. Wie man überhaupt auf die Idee kommt, einen FA zu "planen". Was eine Bulimikerin denkt, wenn sie sich im Spiegel sieht. Was sie denkt, wenn sie sich gerade über der Toilette befindet. Was einer Bulimikerin durch den Kopf geht, wenn sie andere Menschen genüsslich essen sieht. Wie es sich anfühlt, dieses Doppelleben zu führen und dieses zweite Ich ständig vor allen Leuten geheim zu halten. Welche Tricks sie dazu anwendet, nicht entdeckt zu werden. Unter welchen Umständen überhaupt andere Menschen emotional an sich selbst herangelassen werden. Welche Spätfolgen eine Bulimie v.a. psychisch hinterlässt. Welche Art von Schamgefühl sich einstellt, und wann genau. Wie eine Bulimikerin reagiert, wenn sie erwischt wird. Wie sie reagiert, wenn sie damit konfrontiert wird. Ich habe da so viele Fragen, so viele Dinge, die ich verstehen lernen will.
So dass ich - sollte jemals ein Rückfall kommen - für sie da sein kann, und mich genau richtig verhalte. {da ist übrigens wieder mein Perfektionismus xD}
Rückblickend sehe ich einige Dinge in einem anderen Licht. Als sie im Kino eine kleine Packung Popcorn mit Cola zero bestellt hat, und von dem Popcorn nur 1/5 der Packung gegessen hat. Als sie in der Mensa glänzende Augen bekommen hat, während ich (unüberlegterweise...) davon erzählt habe, mein Gewichtsziel im Fitnessstudio für das Jahr 2014 erfolgreich erreicht zu haben. Als sie mit halbvollem Mensatablett meinte, ich würde sie nicht stören, ihr Essen sei eh schon kalt.
Vielleicht sind das kleine, unbedeutende Dinge, die ich gerade überinterpretiere. Das weiß ich nicht. Es können aber auch Warnsignale sein.
Ich bitte euch daher um eure Hilfe. Niemand weiß besser, wie sich Bulimie anfühlt, als ihr. Ich kann tausende Bücher lesen und werde es dennoch nie wirklich verstehen. Deshalb würde ich mich freuen, wenn hier ein Thema entsteht, dass mir Einblicke in die Bulimie ermöglicht und mich letztendlich dazu in die Lage versetzt, eine erfolgreiche Beziehung mit einer Frau zu führen, die jahrelang bulimisch gewesen ist.
Aktuell weiß ich nämlich nicht einmal, ob ich das Thema Essen überhaupt ansprechen darf.
Vielen Dank für's Lesen, und ich freue mich auf eure Beiträge!
