Beruf und Bulimie - Erfolg und Versagen so nah beisammen

#1
Hallo Ihr Lieben,

nun habe ich endlich den Schritt gewagt und mich hier angemeldet - ich habe doch lange gezögert, doch es scheint mir ein wichtiger und richtiger Schritt.
Es ist so schwer mit (s)einem Umfeld über ein Thema zu sprechen, was niemand nachvollziehen kann, der nicht selbst betroffen ist. Daher fühle ich mich hier gut aufgehoben und hoffe auf Erfahrungsaustausch mit ebenfalls Betroffenen.

Ich bin seit nunmehr fast 10 Jahren schwer bulimisch (und davor eher anorektisch), und dennoch sehr erfolgreich im Berufsleben verankert. Ich hatte nicht einen Krankheitstag in diesen 10 Jahren, auch nicht wegen Grippe, Erkältung oder ähnlichem, ich ackere wie verrückt, mache Überstunden, werde von den Kollegen geschätzt und akzeptiert, die Arbeit macht mir wahnsinnig viel Spaß, ich gehe jeden Tag sehr gerne hin, gehe darin auf und habe mich auch fachlich etabliert.
Und dennoch: sobald ich abends alleine bin und nach Hause komme (sofern mein Freund nicht da ist), gibt es für mich nur ein Ziel und einen Wunsch: Essen, Essen, Essen (und das danachfolgende und unausweichliche "erleichtern".)

Es ist, als gäbe es 2 Persönlichkeiten in mir: das erfolgreiche, lustige, kommunikative und stets zuverlässige und fleissige Berufs-Ich und das kleine, schüchterne, traurige, innerlich-einsame, unsichere, kranke und sich nichts-zutrauende Private-Ich :cry:

Ich kann es oft selbst nicht glauben, aber es sind wie zwei Welten, die nicht zueinander finden. Ich schaffe es nicht, das Berufs-ich ins Pivate zu übertragen und dort genauso erfolgreich zu werden.
Ich löse tagsüber die schwierigsten Situationen und abends und am Wochenende scheitere ich an der scheinbar so einfachen Aufgabe: einfach normal zu essen.

Kennt das jemand von Euch auch? Oder eine vergleichbare Situation?

Liebe Grüße und vielen Dank für dieses tolle Forum, ich finde ihr Moderatoren macht das hier wirklich toll und es ist eine schöne Möglichkeit sich hier auszutauschen und Gleichgesinnte kennenzulernen, weiter so !!!

Hungrygirl
I'm not a girl - not yet a woman !!!

Re: Beruf und Bulimie - Erfolg und Versagen so nah beisammen

#2
Hallo Hungrygirl,

tut mir Leid, dass Du bisher noch keine Antworten bekommen hast. Ich selbst habe mir, eit Du diesen Beitrag geschrieben hast, Gedanken über Deine Fragen gemacht:

1) Wie kann es sein, dass ich ein Berufs-Ich habe, ads perfekt ist, und ein privates ich, das klein ist und versagt?
Und: 2)wie kann man das private ich dem Berufs-ich angeleichen?

Ich bewundere es zuerst mal, dass Du in Deinem Beruf so etabliert bist, und jedes Problem gelöst kriegst. Bei mir sieht das ganz anders aus. Der berufliche Aspekt meines Lebens ist völlig im Eimer. Und der private funktioniert gerade so eben halbwegs.... Aber nur, weil Freunde einem Dinge verzeihen, die auf der Arbeit nicht durchgehen. Zuverlässig bin ich überhaupt nicht, stressresistent auch nicht, teamfähig auch nicht, da zu eigensinnig. Und Selbstbewusstsein kann ich nicht mal für eine halbe Stunde vortäuschen.

Ich würde sagen, dass es ziemlich utopisch sein wird, dass Dein privates Ich irgendwann auch zum Überflieger mutiert. Denn dann wärst Du so sehr der perfekte Mensch, dass es das gar nicht geben kann. Denn irgendwo hat jeder seine Leiche im Keller. Und seine Probleme.

Realistischer schätze ich eher das Ziel ein, dass Du im Berufsleben Dich etwas zurück nimmst, und mehr auf Deine Bedürfnisse achtest. Und dann im Privatleben nicht alles, was Du im Arbeitsalltag schlucken musstest, mit Kotzen kompensierst. Da Du bestimmt kein Interesse hast, an Deinem beruflichen Karriereast Abstriche zu machen, oder das (vermeintlich) auch gar nicht kannst, vermute ich mal nicht, dass die These Dich zufrieden stellt.

Da ich ansonsten Dich gar nicht kenne, nicht weißt, was Du für einen Beruf hast, und welche Problemlösekompetenzen, kann ich leider darüber hinaus gehend kaum Theorien aufstellen, warum Dir diese nicht auch abends helfen wenn die Arbeit rum ist. Ich weiß ja auch nicht genau, inwiefern das Essen bei Dir scheitert. Hungerst Du? Planst Du FA'S? Überfallen sie Dich? Meidest Du tagsüber bestimmte Lebensmittel? Was ist genau der Punkt, an dem es umkippt? Fängst Du auf der Heimfahrt schon mit Essen an? Was könnte sich hinter dem Wunsch "Essen, essen, essen" verbergen? Gibt es irgendeinen Konflikt in Deinem Leben, den Du nicht lösen kannst und mit Essen kompensierst/verdrängst?

Bei mir ist es so, dass ich anfange, mich vollzustopfen, wenn es irgendeine Situation in meinem Leben gibt, mit der ich nicht klar komme. Aber an der ich nichts ändern kann. Es gibt Momente, da kann ich Situationen ändern, indem ich mit Leuten rede. Aber manche Sachen bewegen sich jenseits von meinem Einfluss, und ich komme aber trotzdem nicht damit klar. Und dann fresse ich. Würde Dir das bekannt vor kommen? Was geht in Deinem Kopf vor, kurz bevor Du anfängst zu essen?

LG

Sophie
Zuletzt geändert von Sophie11 am Mi Mai 01, 2013 12:58, insgesamt 1-mal geändert.
So spricht der Herr: "[...] Nein, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich erkenne, daß nämlich ich, der Herr, es bin, der auf Erden Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft!" (Jeremias 9,22-23)

Re: Beruf und Bulimie - Erfolg und Versagen so nah beisammen

#3
Hungrygirl, dein Beitrag hätte von mir sein können...

Ich bin 28 Jahre und hab seit ca. 14-15 Jahren Bulimie ... arbeite in meiner jetzigen Firma seit 10 Jahren,habe einen einzigen Krankentag und das war wegen einem Weißheitszahn und Urlaub lasse ich mir so gut wie fast immer auszahlen (brauch ja Geld für die FA`s :roll: )

Wie gesagt finde ich mich in deinem Beitrag 100-ig wieder. Ich arbeite gern, ich mach Überstunden ohne Ende, ohne sie wie andere Kollegen zu zählen ,ich werde von den Kollegen geschäzt...sicherlich hat einen großen Anteil daran auch mein großer Perfektionismus.ich arbeite auch wirklich gründlich, dizipliniert und gewissenhaft und achte sehr darauf keine Fehler zu machen :!:
Nach der Arbeit geht es einkaufen und am Abend und in der Nacht habe ich dann unzählige FA´s...Ein Stück weit hat mir die Arbeit eben auch geholfen zumindest tagsüber das essen einigermaßen im Griff zu haben, die Pausen helfen einem ja zu geregelten Arbeitszeiten (Klar, ich esse natürlich nur gesundes Zeug, trink viel Tee, usw. aber bis zum Feierabend habe ich immerhin keine FA´s - was mir früher, als ich ins Berufsleben einstieg sehr geholfen hat )
Und mittlerweile konnte ich das auch auf die Wochenenden übertragen, allerdings ist es abends und nachts dafür umso heftiger...und ich muss zugeben, dass mich der Gedanke an meine abendlichen FA´s auch über Wasser hält und den Tag bringt.Oftmals denke ich morgens auf den Weg zur Arbeit schon daran, was ich abends esse... Ansonsten habe ich eignetlich keinerlei sozialen Kontakte mehr, am Wochenende liege ich faul und kraftlos rum und kriege nichts auf die Reihe. Wie du schon geschrieben hast, es ist dermaßen erstaunlich was man auf Arbeit alles so schafft und macht und zu Hause kriegt man es nicht mal auf die Reihe was von A nach B zu stellen :x

Mit meinem Freund bin ich seit 8 Jahren zusammen, er ist aber abends immer arbeiten und wenn dann nur sonntags aller 14 Tage mal abends zu hause ... was das ganze natürlich für mich enorm verinfacht :(

Nun ja, großartige Ratschläge und Hilfestellungen kann ich dir leider nicht geben...ich hab ja meistens nicht mal die Kraft umd hier großartig zu schreiben :cry:
Aber du siehst, es gibt Leute, die ein ähnliches Schicksal haben und ähnlich Leben...

Du bist 30?
Wie geht es dir eigentich finanziell und wie denkst du über Kinder?
Hast du schon mal ernsthaft darüber nachgedacht dir hilfe zu holfen, gegen die Bulimie anzukämpfen, was an deinem Leben zu ändern?


LG die SuNNi
Zuletzt geändert von SuNNi am Fr Mai 03, 2013 13:12, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Beruf und Bulimie - Erfolg und Versagen so nah beisammen

#4
Hallo SuNNi,

vielen Dank für Deine Antwort, ich hatte schon befürchtet mein Beitrag wäre zu abgehoben oder arrogant gewesen (so von wegen, ich bin absolute Kracher auf der Arbeit und alle finden mich toll, denn so sollte es nicht rüberkommen :oops: ). Ich wollte damit nur den krassen Unterschied herausstellen.
Ich habe so das Gefühl, so wie Du Deine Tage, Aktionen und Gefühle beschreibst, sind wir derzeit wirklich fast identisch im Handeln und denken.
Ich denke auch bereits nach dem Aufstehen an die FAs abends, in welche Geschäfte ich gehe, was ich wie zubereite und abends, wenn ich dann mit vollen Tüten heimkomme ist es manchmal wie in Trance: immer die gleichen Handbewegungen, alles passiert automatisch, ich weiß genau wo ich hingreifen muss um welche Schüsseln ö.ä. zu erreichen, wie ich welche Verpackungen am schnellsten und besten aufbekomme etc.....oft erschrecke ich mich im Nachhinein dann über mich selbst.
Und wie Anzahl der FAs abends kann ich auch meist nicht zählen, das geht dann halt so lange bis ich total erschöpft auf der Couch, meist bei laufendem Fernseher, einschlafe. Dann wache ich irgendwann nachts auf und bleibe auch auf der Couch, mache den Fernseher aus aber habe keine Lust und Kraft rüber ins Bett zu gehen :cry:

Mein Freund ist auch sehr viel unterwegs (jetzt im Mai ist er nur ca- 5-6 Tage da, sonst weit weg, auch am WE, davor graut mir schon wieder). Denn wir Du schreibst, tagsüber beklomme ich mich meist (aber auch nicht immer) gut abgelenkt, gehe auf Flohmärkte, shoppen oder mache was in der Wohnung), aber ab ca. 17 Uhr gehts dann meist los......und nur selten schaffe ich es zwischendurch mal Pausen zu machen um mich etwas zu erholen....

Dazu kommt noch, dass wenn er nicht da ist, ich mittlerweile auch VOR der Arbeit schon FAs habe, dann stehe ich gegen 5 Uhr auf und 1-2h muss ich dann erstmal Druck ablassen. Kennst Du das, wenn man schon mit Angst und Herzkllopfen vor dem neuen Tag aufwacht? Ich hasse dieses Gefühl, ich könnte dann nur noch heulen, fühle mich so unendlich machtlos, klein, erniedrigt und erbärmlich. Weil ich nicht stärker bin als der Druck......

Ich frage mich dann, wie kann es sein, dass ich tagsüber, im Büro vieles schaffe, aber sowas einfaches, wie normal zu essen, nicht auf die Reihe bekomme? Leider, und das ist ein Unterschied zwischen uns, habe ich auch auf der Arbeit FAs. Ich versuche es so gut es geht zu verheimlich, aber ich glaube die Kollegen sind nicht blöd. Ein Kollege meinte schonmal: "Wie kann es sein, dass Du immer so viel isst und trotzdem so dünn bist"? Meine weiblichen Kolleginnen haben sich dann nur vielsagend angeschaut.

Wie sieht es bei Dir aus, hast Du schonmal eine Therapie gemacht oder warst in einer Klinik? Ich habe große Angst vor einer Klinik, ich denke immer nur eins: die wollen dort alle dass Du isst und zunimmst - und im Moment will ich das nicht ! Ich habe mir meine eigene kleine Welt konstruiert und derzeit arrangiert alles soweit ganz "gut" - also sofern das halt machbar ist mit dieser verdammten Krankheit. Ich habe Angst, dass dort zu viel von mir erwartet wird, denn ich selbst erwarte immer sehr viel von mir. Auf der Arbeit aber auch privat, will immer alles perfekt machen, meinem Freund ghefallen, alles so machen wie er es möchte und in der Therapie haben wir auch schon herausgefunden, dass das falsch ist und ich mehr "ich" sein muss, und mich nicht immer nur nach anderen richten darf. Aber das fällt mir schwer...mir ist immer erstmal wichtiger dass alle anderen zufrieden sindm bevor ich an mich denke :cry:

Finanziell sah es zwischendurch mal etwas übel aus, obwohl ich nicht schlecht verdiene, aber das landet ALLES in Nahrungsmittel und den anderen Alltagsdingen. Urlaub etc. mache ich fast nie. Nun habe ich aber von meinem Opa etwas Geld geerbt und seitdem ist dieses Thema erstmal kein Problem mehr.

Kinder? Ja, Kinder.....heikles Thema. Im Moment schweigen mein Freund und ich dieses Thema tot. Ich habe ein Patenkind, 5 Jahre alt, welches ich über alles vergöttere und er ist auch das Einzige was mich derzeit wirkklich zum lächeln bringt und mir Kraft gibt. Wenn ich mit ihm zusammen bin, dann geht es mir gut, er ist so unbeschwert, nimmt mich wie ich bin und selbst er hat aber schon gefragt: "Warum isst Du immer so wenig"? Oder er bietet mir was von seinem Essen an, wenn er sieht dass ich 2 Weintrauben als Abendessen auf meinem Teller liegen habe - wirklich süß und dann könnte ich einfach nur losheulen vor Wut auf mich selbst.

Darf ich fragen was Du beruflich machst?

Liebe Grüße

Hungrygirl
I'm not a girl - not yet a woman !!!