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Ehemalig trotz Untergewicht?

Verfasst: Di Okt 30, 2012 15:33
von Rosine
Hey!
Ich möchte die Bulimie endlich hinter mir lassen und bin auf dem Weg zur Besserung. Das heißt ich möchte nicht mehr abnehmen und fühle mich mit meinem Gewicht und meinem Körper eigentlich recht wohl.
Ich kotze nicht mehr, aber ich esse sehr "kontrolliert" und bekomme 1-2x die Woche Essanfälle.
Ich bin im Moment etwas im UG, aber nichts Extremes, laut Arzt ist das normal für Mädchen in meinem Alter. Allerdings meint die Ärztin von der Therapie, dass ich etwa *kg mehr haben sollte und auch meine Mutter meint ich könnte mehr vertragen, versucht mir dauernd Bananen-Shakes, Kuchen usw anzudrehen... aber sonst beschwert sich niemand dass ich zu dünn bin, im Gegenteil, ich bekomme sogar Komplimente deswegen...
Meine Frage ist deshalb, gibt es hier Ehemalige mit UG? ist es möglich gesund zu werden trotz UG? oder MUSS ich zunehmen??

Re: Ehemalig trotz Untergewicht?

Verfasst: Di Okt 30, 2012 16:12
von joliana
hallo Rosine. erst mal herzlichen glückwunsch, dass du einige symptome der essstörung hinter dir gelassen hast - dein körper dankt es dir bestimmt, dass du nicht mehr erbrichst. und damit bin ich schon bei deinem eigentlichen problem: du hast einige symptome abgelegt, wie das erbrechen. aber du isst sehr kontrolliert und hast weiterhin essanfälle. mal ganz dumm gefragt, glaubst du denn, dass man das als gesunder mensch so macht? meiner meinung nach kann man sich leider nicht als ehemalig bezeichnen, wenn man immer noch solche symptome zeigt.

außerdem - du bist untergewichtig und bist zufrieden mit deinem gewicht und deinem körper. überleg mal... wäre das auch so, wenn du normalgewichtig wärst? wenn du jetzt ein *kg zunehmen würdest, wie würdest du dich dann fühlen? sei ehrlich zu dir. denn es ist leicht, ein gewicht zu "akzeptieren", das vielleicht selbst mit der essstörung zusammenhängt.

Re: Ehemalig trotz Untergewicht?

Verfasst: Di Okt 30, 2012 18:08
von Rosine
hmm also vielleicht habe ich mich da falsch ausgedrückt... Mir ist klar dass ich vom Ehemalig sein noch weit entfernt bin, ich habe mich nur gefragt, ob es möglich ist trotz Untergewicht gesund zu werden. Diese Frage hast Du mir allerdings glaube ich eh beantwortet, da für Dich das Festhalten am Untergewicht auch ein Symptom der Bulimie ist. Leider muss ich zugeben, dass ich mit ein *kg mehr nicht zurechtkommen würde... Mein Problem ist, dass sobald ich zunehme sodass ** fühle ich mich extrem unwohl... ich komme damit einfach nicht klar :(

Re: Ehemalig trotz Untergewicht?

Verfasst: Di Okt 30, 2012 19:10
von flieder
Hallo Rosine,

Ich war auch vor einigen Jahren im leichten UG, hatte wie du alle paar Tage meine Essanfälle, akezeptierte jedoch mein Gewicht und kam ansonsten "zurecht." Einerseits ist das gut und andererseits nicht. Denn erstmal ist es auf jeden Fall ein Fortschritt nicht mehr zu erbrechen oder weiter abnehmen zu wollen und wenn das Gewicht nicht lebensbedrohlich niedrig ist, sehe ich da auch keine Gefahr. Andererseits ist es wiederum nicht gut, denn die Tatsache, dass du noch Essanfälle hast und dich nur mit UG akzeptieren kannst, weist ja darauf hin, dass es Probleme (im Verborgenen) gibt, die durch diese Symptome kompensiert werden. Die Frage ist wie sinnvoll es ist wenn du nun etwas an deinem Verhalten änderst ohne die Gründe für das Verhalten aufzudecken und aufzulösen ... zumal du dich ja momentan soweit ich es verstehe ganz wohlfühlst. Es könnte geschehen (so war es bei mir), dass du durch die alleinige Einsicht, dass dein Verhalten krank ist (aber immer noch nicht weißt warum du dich krank verhalten willst) dein Verhalten änderst und dich dann sehr unwohl fühlst... weil die Gründe ja eben nicht geklärt sind und dann offen oder verschlüsselst in Form von starken Selbstabwertungen, Ängsten oder ähnlichem darliegen. Vollkommen überfordert und wie hilflos deiner Selbst ausgeliefert wäre es dann gut möglich, dass du zurück in die Bulimie fällst, zunimmst und dich furchtbar fühlst. Das wäre nicht wünschenswert. Die Ess-Störung ist immer auch eine Überlebensstrategie. Außerdem wären deine Probleme im Verborgenen die Gleichen wie zuvor (außer dass dir dann stärker bewusst wäre, dass es welche gibt..) und du hättest ein neues Problem hinzubekommen: dass du dich nicht mehr wohlfühlst, vielleicht sogar dich selbst sehr ablehnst und vermutlich recht hilflos fühlst. (*siehe unten) Die andere Gefahr jedoch, wenn du nichts an deinem Verhalten änderst und das Wohlfühlgefühl als ungefährlich und angenehm hinnimmst und nicht an den "Problemen im Verborgenen" arbeitest, besteht darin, dass deine jetzigen Symptome irgendwann nicht mehr ausreichen. Damit meine ich, dass du durch deine Ess-Störung ganz aktiv kompensierst, verdrängst, "wegläufst" und nicht wirklich du selbst bist bzw nur eine Facette deiner Selbst. Dein ganzes Selbst und alle Gefühle in dir, wollen jedoch gelebt werden und werden sich melden. Jetzt schaffst du es noch dich und deine Gefühle durch das kontrollierte Essen, die sporadischen Essanfälle und das Festhalten an einem zu niedrigen Gewicht und die Anerkennung dafür zu unterdrücken. Aber der Druck wird größer werden und es wäre sehr schade, wenn du dann in eine Magersucht oder wie im erstgeschilderten Fall zurück in die Bulimie fallen würdest. Ich habe auch nicht den idealen Weg nun zur Hand und was ich beschrieben habe ist natürlich nur ein mögliches Szenario, aber ich würde dir trotzdem gerne einen Rat geben:
Freu dich über deinen Fortschritt dich anzunehmen und nicht mehr zu erbrechen! Genieße es dich wohlzufühlen und Freude am Leben zu haben. Aber mach dir bewusst, dass es noch Probleme gibt und noch ein Weg vor dir liegt, den du langsam aber sicher bewältigen kannst : ) Quasi der goldene Mittelweg von beiden beschriebenen "Gefahren" : nicht zu viel Verhaltensänderung und Einsicht auf einmal, aber auch nicht Steckenbleiben im Sumpf der Ess-Störung.

* = Deshalb ist unter Essgestörten für viele auch die Magersucht die "Gute Ess-Störung", da sie Kontrolle und Selbstanerkennung schenkt und Bulimie die "Böse", da sie Kontrollverlust infolge von aufkeimenden (gefährlichen) Gefühlen und (verachtenswert menschlichen) Bedürfnissen bedeutet und dieser Kontrollverlust als Niederlage gesehen wird, für die man sich hassen muss.
Da man auf Dauer nur sehr schwer Gefühle und Bedürfnisse kontrollieren bzw verneinen kann, ist der Krankheitsverlauf von Magersucht zu Bulimie so typisch...
Mit der Unfähigkeit Gefühle und Bedürfnisse zu kontrollieren, meine ich nicht die Kraft und Fähigkeit sie aufzuschieben und zu regulieren - das ist ein Unterschied.

Re: Ehemalig trotz Untergewicht?

Verfasst: Di Okt 30, 2012 21:14
von joliana
ach so, dann habe ich dich tatsächlich falsch verstanden. aber du hast ja dann selbst gemerkt, dass es eigentlich um etwas anderes geht...

mir geht es ja auch so ähnlich wie dir. ich bin normalgewichtig und habe, seitdem ich das abnehmen aufgegeben habe, nur wenig zugenommen. deswegen habe ich vielleicht auch leicht reden damit, dass ich meinen körper so akzeptiert habe, wie er ist. ich erbreche nicht mehr oft und ich esse normale und gesunde mengen. aber ich esse zu oft aus langeweile oder um etwas zu verdrängen, und ich denke viel zu viel über essen nach, plane es genau usw. auch für mich wäre eine therapie wohl das beste... so wie bei dir auch - um die ursachen aufzuarbeiten, nicht nur ein paar symptome abzulegen. aber hier ist es scheinheilig von mir, dich dazu zu ermutigen, weil ich ja genausowenig lust auf eine therapie habe... ;)

deine angabe habe ich editiert, weil sie deinen körperbau andeutet und das könnte für andere forenmitglieder triggernd sein.

Re: Ehemalig trotz Untergewicht?

Verfasst: Do Nov 01, 2012 10:03
von flieder
@ joliana:

Ich denke letztlich ist es eine Gradwanderung (wie ich es auch versuche in meinem letzten Beitrag zu schildern). Durch eine Therapie bricht man immer auch Dinge auf und wenn die offenliegen, kann es langfristig besser aber eben auch erstmal deutlich schlechter werden. Wenn man sich mit dem Verhalten, das auf rein physischer Ebene (z.B. nicht mehr erbrechen sondern gelegentlich emotional essen) weder selbst- noch gesundheitsgefährdend ist, wohlfühlt, sollte man sich eine Therapie sehr gut überlegen.. und letztlich: Es gibt ja auch nicht den Gesunden und nahezu jeder Mensch wird wohl seine Kompensations- und Verdrängungsstrategien haben...
die Frage ist wie ich finde, ob man darunter leidet (und für den einen sind das selbstabwertende Gedanken, für den nächsten erst selbstverletzendes Verhalten) und ob man anderen damit schadet.
Im nächsten Jahr werde ich meine Therapie deshalb auch beenden in dem Wissen, dass ich nicht geheilt bin, sondern Werkzeuge an die Hand bekommen habe und ein lebenlang für mich sorgen muss, aber auch möchte und nun endlich KANN. : )

Re: Ehemalig trotz Untergewicht?

Verfasst: Do Nov 08, 2012 21:09
von Rosine
Danke für eure tollen, sehr ausführlichen antworten, hat mir viel zum nachdenken gegeben, ich kann oder möchte die bulimie wohl doch noch nicht wirklich loslassen... aber ich gebe den kampf nicht auf und werde an mir und meinen problemen arbeiten damit ich nicht nur die symptome loswerde, bis ich dazu bereit bin und die bulimie nicht mehr brauche.