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Beziehung zum Vater im Zusammenhang mit Bulimie?

Verfasst: So Dez 12, 2010 3:09
von Nightmare
Hallo ihr,

dieses Thema beschäftigt mich schon seit einiger Zeit und da ich beim Suchen nichts Vergleichbares gefunden habe, möchte ich nun mit euch darüber diskutieren, in wiefern ihr insbesondere eure Beziehung zu eurem Vater als mögliches Schlüsselproblem im Zusammenhang mit der Bulimie seht.

Ich lege dann auch gleich mit meinem persönlichen Bericht los :) :
Unser Verhältnis zueinander ist äußerst ambivalent. Schon seit frühster Kindheit wurde mir immer gesagt, wie ähnlich mein Vater und ich uns doch seien (insbesondere von meiner Mutter, die uns nicht selten als "extrem schwierige Charaktere" beschrieb. Es ist in der Tat so, dass wir in Sachen Interessen und Humor einiges gemeinsam haben, weswegen ich immer das Kind war, dem er sich wohl "verbundener" fühlte als meinem Bruder (hier nahm diese Rolle dann meine Mutter ein).
Sprich, wir haben nicht selten eine Art "Verbund" gebildet, trotzdem standen wir uns nie wirklich emotional nahe, wenn es um Gefühle ging.
Er ist ein sehr verschlossener Mann, ich war es früher auch, habe mich dann teilweise geöffnet, hätte oft sogar das Bedürfnis gehabt, mit meinen Eltern über Probleme zu reden, doch hier hat sich besonders mein Vater abweisend und kühl gezeigt.
Unglaublich oft hat er mich mit Zurückweisung und tiefster Kränkung unglaublich verletzt, sich niemals entschuldigt oder mir das Gefühl vermittelt, dass er mich wirklich mag. :!:
Ein Erlebnis, das sich in meinen Kopf gebrannt hat, war als ich ihn als Kind gefragt habe, ob er mich mag (ernsthaft) und seine Antwort lautete "Wenn du nicht so komisch bist." Daraufhin habe ich ihn gebeten, ehrlich zu antworten, was er mir bis heute schuldig bleibt. :cry:

Er ist überhaupt nicht dazu in der Lage, Gefühle zuzulassen, seit jeher habe ich mich für Gefühle jeglicher Art geschämt und versucht, sie zu verheimlichen.
Auch in Sachen Verliebtheit habe ich niemals mit meinen Eltern gesprochen, auch wenn es mich sehr beschäftig hat, und zwar nicht aus Verklemmtheit, sondern weil ich immer Angst hatte, dass mein Vater das gleich ins Lächerliche ziehen würde, wie er es immer tut, wenn man etwas "Unangenehmes" mit ihm besprechen will, dann macht er sofort dicht und tut alles mit "Man muss die Zähne zusammenbeißen, darf sich nicht hängen lassen" ab.

Während ich noch zur Schule ging, konnte ich dank guter Noten der Anerkennung seitens meines Vater sicher sein, doch jetzt, da ich mein Studium abgebrochen habe und "nur noch sinnlos rumhänge" (wie er es formuliert), bin ich nicht mehr die Vorzeigetochter, ich habe das Gefühl, dass er uns eigentlich nie als seine Kinder angesehen hat, sondern nur als etwas, das man entweder beherrschen oder bestenfalls vorzeigen kann.

Wir streiten uns täglich, er macht mir nur noch Vorwürfe und interessiert sich scheinbar überhaupt nicht für meine Probleme, dafür, dass es mir schlecht geht und ich Unterstützung brauche.

Sein Motto: "Wer sich bewegt, joggen geht, der hat keine Depressionen" - bevor ich regelmäßig FAs hatte, bin ich ihm zuliebe mitgegangen, ich habe früher für ihn ein Instrument gelernt, gehe noch heute mit zu Konzerten, nur um ihm einen Gefallen zu tun.
So war es auch beim Laufen. Anstelle meiner Mutter gehe ich mit, ich fühle mich allzu oft als eine Art "Ersatzfrau".
Mein Vater legt größten Wert auf eine schlanke Figur, weswegen ich mich zunehmend unter Druck gesetzt habe, abzunehmen, was mir gelungen war, dann kamen die FAs und somit war der Weg in die Bulimie geebnet.

Ständig fragt er mich (nichts wissend von meiner Erkrankung), ob ich denn auch gelaufen bin, er betont permanent, dass auch er selbst nur etwas mehr essen kann, wenn er auch genügend Sport gemacht hat usw...wann immer es etwas Kalorienhaltiges zum Essen gibt, erläutert er, wie ungesund das doch ist und dass wir alle noch fett werden (dabei sind wir alle rein objektiv gesehen schlank).

Und nun zu einer Sache, die ich als absolut wesentlich in Bezug auf die Bulimie sehe: die einzige Situation, in der ich mit meinem Vater heute noch etwas "gemeinsam" habe, in der wir etwas zusammen "unternehmen", ist die, wenn wir in einem Restaurant zusammen esse oder ich für uns koche.

Daher meine Überlegung: ist es möglich, dass ich mir mit jedem FA ein "Stück Papa" nehme, nach dem ich mich so sehr sehne und andererseits mit Fasten mich von diesem Mann, den ich gleichzeitig ablehne, distanzieren möchte? Ihm auch damit einen Gefallen zu tun versuche?


Wie immer konnte ich mich nicht kurz fassen, vielleicht hat es ja jemand bis hier hin gelesen und möchte etwas dazu sagen?
Würde mich sehr über eure Antworten freuen! :)

Liebe Grüße,
Nightmare :wink:

Re: Beziehung zum Vater im Zusammenhang mit Bulimie?

Verfasst: So Dez 12, 2010 12:13
von CoCoRiCo
Hallo Nightmare :wink:

Ich hoffe, es ist okay, wenn ich Dir etwas später ausführlich antworte - ich muss nämlich noch was tun.

Irgendwie hatte/habe ich auch so ein ähnliches Verhältnis zu meinem Vater wie Du zu Deinem.

lg :wink:

Re: Beziehung zum Vater im Zusammenhang mit Bulimie?

Verfasst: So Dez 12, 2010 12:56
von *Tine*
Hallo,
es klingt schon ein bißchen danach, dass die Sache mit deinem Vater zu tun haben könnte, aber ich denke, nicht nur! In eurer Familie gibt es ja nicht nur einen Vater, es gibt ja auch eine Mutter. Und dann noch natürlich dich selbst, als eigenes Persönlichkeitsgemisch. Ich würde jetzt nicht hergehen und ihm allein 'die Schuld' geben, sondern eher eurer Familienkonstellation. Das alles wirkt ja zusammen. Wo ist die Mutter/Ehefrau, die sagt: ich gehe mit dir ins Konzert? Z.Bsp.
Du bist, wenn du ein Studium abgebrochen hast, über 18, also erwachsen. Es klingt, als ob du noch sehr an deinen Eltern hängen würdest, dich noch gar nicht richtig abgenabelt hast. Kann das sein? Eigentlich müsstest du im Vordergrund stehen, und nicht dein Vater - er wird sich wahrscheinlich sowieso nicht mehr ändern können oder so. Du bist es, die handeln müsste. Therapie, abnabeln, bestimmte elterliche Eigenarten hinnehmen/akzeptieren und dein eigenes Leben leben und dich nicht davon beeindrucken lassen , usw.
Jedenfalls, wenn du denkst zu wissen, woher die Fa's kommen könnten, dann bist du ja schon recht weit, und kannst nun den nächsten Schritt gehen: handeln! Den Grund angehen. Wie? Siehe oben..Und nicht hoffen dass er sich ändert.
Tine

Re: Beziehung zum Vater im Zusammenhang mit Bulimie?

Verfasst: So Dez 12, 2010 15:56
von Nightmare
Coco, ich freue mich jederzeit über eine Rückmeldung, das eilt natürlich nicht! :wink:

Zu deinem Kommentar, Tine: ich möchte auch nicht sagen, dass es die Schuld meines Vaters ist oder dass überhaupt irgendjemand schuldig ist, das wäre natürlich unsinnig und ich würde es mir sehr leicht machen :roll:
Bin momentan auf der Suche nach einer neuen Therapeutin, da ich bei meiner alten leider nur belächelt wurde, wenn es ums Essen ging. :x
Es ist in der Tat so, dass ich mich nicht wirklich von zu Hause lösen kann, die Familienbande sind unglaublich eng, wenn auch gleichzeitig emotionale Distanz herrscht...wahrscheinlich wäre der wichtigste Schritt in die richtige Richtung der, auszuziehen, aber das ist schonmal gescheitert, weswegen ich noch weniger Selbstvertrauen habe :|
Danke für deine Meinung!

Re: Beziehung zum Vater im Zusammenhang mit Bulimie?

Verfasst: So Dez 12, 2010 16:53
von Effi
Hallo Nightmare

Wow .. ich habe so ziemlich die gleichen Gefühle/Gedanken gegenüber meinem Vater.
Ich gehe noch zur Schule und kann mir seine Anerkennung auch durch gute Noten sichern. War früher auch das totaaale Papakind. Und wir haben immer zusammengehalten - aber wie du sagst, auf der emotionalen Ebene ist da wenig passiert. Ich habe eine Person, mit der ich sehr offen über meine Gefühle und die ES sprechen kann und sie kann das als objektive Person,denke ich, sehr gut beurteilen.Und sie meinte von Anfang an, das sie das Gefühl hat, das mir mein Papa richtig fehlt.Mein Vater, ist genauso wie deiner, Gefühlsmäßig nicht der große Redner und richtig anvertraut habe ich ihm auch nie etwas. Nur einmal, als das mit der ES angefangen hat, da meinte ich das mir das Angst macht, das ich nicht mehr normal Essen kann - seine Reaktion darauf "Mach dir kein Kopp, du bist nicht der Typ für eine Essstörung" - & seitdem bin ich felsenfest davon überzeugt, dass ich so etwas nie wieder ansprechen werde.

Ich glaube schon, dass wir mit FA's & Fasten eine Menge Emotionen verarbeiten, die mit unseren Vätern zusammenhängen. Aber ich denke, das Problem allein reicht nicht, um eine Bulimie zu entwickeln. Ich denke, das sind viele Puzzleteile, die sich da zusammensetzen!

Lieben Gruß =)

Re: Beziehung zum Vater im Zusammenhang mit Bulimie?

Verfasst: So Dez 12, 2010 17:51
von Nightmare
Hallo Effi,

schön, dass du so offen von dir erzählst :) , wenn auch nicht aus dem denkbar schönsten Grund :?
Ich kann mir genau vorstellen, dass mein Vater auch so reagieren würde wie deiner, weswegen ich nicht darüber rede. Umso mutiger von dir, dass du dich getraut hast, aber natürlich war die Rückmeldung alles andere als erbaulich und wahrscheinlich wünschst du dir, du hättest nicht versucht, mit ihm darüber zu sprechen.
Bin ganz deiner Meinung, unser kompliziertes Verhältnis zu unseren Vätern ist natürlich nur eines von vielen Puzzleteilen, allerdings eines, das ich als absolut wesentlich empfinde. :|

Re: Beziehung zum Vater im Zusammenhang mit Bulimie?

Verfasst: Mo Dez 13, 2010 16:07
von Kittycat82
Hallo Nightmare!

Ich find's mal wieder total schockierend, wie ähnlich ich hier vielen in ihrer Leidensgeschichte bin.

Ein Großteil deiner Beschreibungen über deinen Vater könnten von mir und meiner Beziehung zu meinem Vater stammen. Da sind wirklich unheimlich viele Paralellen <schluck>

Mein Vater ist auch ein emotional total zurückgezogener, gehemmter Mensch und kann mit Gefühlen überhaupt nicht umgehen. Er konnte mir nie seine Liebe zeigen, ich zweifle bis zum heutigen Tag an seiner Liebe. Ich fühle mich eher als lästiges "Etwas"!

Wenn es um ernste Situationen geht, spielt er alles runter und macht unpassende, dumme Witze.

Als ich vor ein paar Monaten einen Nervenzusammenbruch hatte und heulend meinte: "Ich hab' schon seit zehn Jahren Bulimie, ich kann nicht mehr!", meinte er "Ja, das geht auch wieder weg!"

Wieso setzt man eigentlich -mit Absicht- Kinder in die Welt, wenn man keinerlei Fähigkeiten besitzt, sich wirklich um sie zu kümmern und alles, was sie angeht, nur mit absoluter Überforderung verbunden ist?

Also, ich versteh' dich und deine Gefühle, Nightmare, ich weiß, wie schlimm es sich anfühlen kann, aber wo da der Ausweg liegt, dass weiß ich auch nicht wirklich!

Lieben Gruß und Knuddler
Kitty