Ich glaube angefangen hat alles damit, dass ich eben anders bin und immer schon anders war. Meine Interessen waren schon als Kind anders als die Interessen anderer Kinder, ich habe mich bei vielem, was anderen Spaß gemacht hat, gelangweilt, habe andere Ziele verfolgt und andere Dinge gemocht. Ich war sehr selbstständig, habe mich früh von anderen, auch von meinen Eltern abgekapselt, alles allein gemacht und nie Unterstützung verlangt. Dazu muss ich sagen, dass ich schon immer recht intelligent war, intelligenter und auch weiter als viele andere Kinder in meinem Alter.
Dazu habe ich 2 kleine Brüder die sehr kurz nach mit geboren wurden und längst nicht so selbstständig waren, wie ich. Im Gegenteil, sie waren und sind eher schwierig und machen wenig allen. Mein einer Bruder ist sozusagen ein "Problemkind", verhaltensauffällig und wird die Hauptschule höchstens mit Mühe und Not, wenn überhaut, abschließen. Meine Eltern sind mit ihm früher zu vielen Therapeuten und Ärzten gelaufen, nunja. Ich war ja selbstständig, habe immer gute Leistungen gebracht, alles gewissenhaft erledigt und und und...
Leider habe ich wohl ein enorm geringes Selbstwertgefühl schon damals gehabt. Ich habe ja schon als Kind gespürt, dass ich anders bin, dass ich lieber Lesen wollte, wenn meine Brüder fensahen usw. Meine Familie ist aber ein klassischer Arbeiterhaushalt, die haben mit Büchern nichts zu tun, genau wie das Viertel in dem ich gelebt habe, nicht gerade das Beste war. Und wie soll ein Kind anders darauf reagieren, so vollkommen anders als alle anderen zu sein, als mit dem Gedanken "ich bin komisch. ich bin nichts wert."?

Erst auf dem Gymnasium, in der Pubertät, habe ich wieder ein bisschen zu mir gefunden und schließlich auch ein paar Menschen gefunden, die ein wenig so waren wie ich, nämlich anders. Habe mich dann diversen Subkulturen

angeschlossen, angefangen zu trinken, feiern usw. Leider war mein Selbstwertgefühl da schon ziemlich tief in meinen Minderwertigkeitsgedanken verankert. Ich hatte den Glauben entwickelt, nur etwas Wert zu sein, wenn ich Leistung bringe, die Beste bin, perfekt bin.
Ich wollte meine Eltern nicht mit Geldfragen belasten, also arbeitete ich, um mir überhaupt Dinge leisten zu können, bemühte mich um die Schule, um meine Freunde, versuchte alles richtig zu machen. Und um überhaupt noch etwas für mich zu tun, um zu entspannen, ein Glücksgefühl zu entwickeln, aß ich. Ich aß und aß, bis ich leichtes Übergewicht bekam. Als zur gleichen Zeit meine erste Beziehung (nicht wegen dem Gewicht) kaputt ging, brach ich vollkommen zusammen: Ich konnte nicht mehr, habe mein Zimmer zerlegt, ging nicht mehr zur Schule, bekam einen Nervenzusammenbruch, Verletzte mich Selbst und versuchte mir mit Tabletten das Leben zu nehmen, bis meine Eltern mich zum Psychiater verfrachteten.
Nunja, ich hab mich selbst "gefangen", in dem ich aufgehört habe zu essen. Erst habe ich bis ins Untergewicht abgenommen, dann kam die Bulimie. Das war mit 16. Die ES half mir, mit meinem Leben klar zu kommen, Leistung zu bringen, allen etwas vorzuspielen und zu "funktionieren".
Los werde ich sie nun mit der langsamen Aufwertung meines Selbstwerts. Ich möchte so gern zu dem kleinen Mädchen, das sich damals so abscheulich fand, hingehen und ihm sagen, wie klug und schön es eigentlich ist, denn das ist es. Und dass es stolz auf sich sein sollte. Dass es einmal sein Leben im Griff haben wird, und einen Freund haben wird, den es liebt, dass es attraktiv wird und es tatsächlich an eine Uni und in eine tolle WG schaffen wird. Und dass es mit all seinen Interessen längst nicht allein ist.
Es tut mir so leid, dass ich mich so selbst gehasst habe.
