#10
von aymone
Ich würde Dich einleitend gerne auf zwei Dinge hinweisen: weiblichen Narzissmus (das "weiblich" davor ist ganz wichtig, sonst informierst Du Dich falsch!) und soziale Angst.
Narzissmus ist das Streben nach einem Ideal-Selbst. Irgendwann im Leben hat man erfahren, dass man, wie man ist, ungenügend ist. Meist in der frühen Kindheit, wenn soziale Ablehnung Existenzangst ausöst, weil man noch klein und hilflos ist. In Folge strebt die Betroffene danach ein Ideal-Selbst zu erreichen, einen vermeintlich perfekten Zustand von sich selbst, der aber nur dazu dienen soll, die eigenen Ängste zu kompensieren. Bei Dir scheint dir Vorstellung zu herrschen, Du könntest Fehler wieder gut machen, indem Du eine gute Hausfrau bist. Das Problem ist: Die Kompensation Deines Fehlers steht vermutlich in keinem Bezug zu Deiner Tat - ist also insofern ungenügend und würde Dir im Zweifelsfall nichts einbringen: kein Verzeihen, keine Wiedergutmachung, nichts. Es geht dabei darum, Deine Ängste mit Deinem Idealselbst zu überwinden. Du machst damit aber faktisch nichts besser, es ist keine Problemlösung und zu der später noch mehr.
In Phasen, in denen man dieses Ideal-Selbst anstrebt oder erreich erlebt man ein enormes Hochgefühl. Wird man diesem Ideal nicht gerecht, stürzt man in schwerste, unverhältnismäßige Minderwertigkeitsgefühle und Selbsthass ab und versucht, zu kompensieren, siehe oben.
Das Problem ist gar nicht Deine Reaktion, für die Du nun eine Lösung haben möchtest. Das Problem sind die Annahmen, die dich in diesen Teufelskreis treiben! Du scheinst Deine Fehler überzubewerten, sie lösen irrationale, vielleicht sehr alte soziale Verlustängste in Dir aus, das musst Du Dir klarmachen.
Und das, was Du dann tust, um Deine Fehler wieder gutzumachen, zielt nicht auf die Fehler ab, sondern darauf, Deine eigenen Ängste zu beruhigen.
Das ist das, was von Außenstehenden, die das nicht verstehen, oft den Vorwurf provoziert, man nähme sich selbst zu ernst, man sei neurotisch, man erpresse damit, sich selbst Leid zuzufügen. Das ist Unsinn. Diese Zustände sind ganz schrecklich für einen selbst und man meint ganz aufrichtig, dass man jetzt so wertlos ist und sich so quälen muss. Man sieht selbst nicht, dass es nichts bringt. Aber das ist ein erster Schritt, das Problem zu lösen. Ein erster Schritt wäre, dass Du Dich selbst in diesen Situationen nicht mehr so ernst nimmst. Du kennst diesen Zustand doch - wenn er einsetzt, mach Dir klar, dass Du gerade abrutschst. Dass kann sehr lange dauern, aber anders geht es nicht. Der zweite Schritt wäre, dass Du geeignete Wiedergutmachung leistest. Eine SMS mit Entschuldigung ist sicherlich richtig, aber Unterwürfigkeit provoziert bei einem entsprechend Ehemann Ausnutzung dieses Zustandes. Wenn Dein Mann so nicht reagiert - und scheinbar tut er das nicht, weil er "verzeiht" - wäre es besser, Du schickst die SMS, damit Du Dich etwas besser fühlst und versprichst ihm für abends eine Wiedergutmachung. Ich meine das jetzt nicht zwingend s*x**ll*. Aber wenn Du z. B. gemein zu ihm warst, könntest Du abends ein paar Kerzen aufstellen, etwas leckeres Kochen und ihm dann in Ruhe erklären, wieso Du gemein warst oder welche Ängste Du danach hattest, dass das Entschuldigen dann auch noch mal wieder ein eigenes Drama wurde. Denn das musst Du Dir auch vor Augen halten: selbst wenn Du wirklich einen schlimmen Fehler gemacht hast, mit derartigem Entschuldigungsdrama danach gehst Du dem Menschen im Zweifelsfall noch mehr auf die Nerven, Du machst es zwischenmenschlich höchstens noch schlimmer. Eine offene Aussprache, was Du empfindest und welche Ängste Du hast, ist für den anderen viel besser. Was Du da machst, ist narzisstisch und auf Dich selbst gerichtet, wobei das von mir kein Vorwurf ist. Weil weiblicher Narzissmus pure Angst ist und kein bösartiger Egoismus. Aber Du erreichst so nichts, außer Dich selbst kaputt und krank zu machen und Deine menschlichen Beziehungen zu belasten.
Damit komme ich zur eigentlichen Problemlösung: Es hilft nichts, sich zu zwingen, mal fünf gerade sein zu lassen. Als Essgestörte lebst Du wahrscheinlich mit Deinen eigenen Wahrheiten wie "Ich verderbe allen den Abend", "andere können alles besser als ich" "Ich mache immer alles falsch". Und Du verhälst Dich danach. Am Beispiel sozialer Angst wird das sehrdeutlich. Ein sozial ängstlicher Mensch wird an einem Tisch mit anderen nichts sagen, weil er denkt, er würde ihnen automatisch zu Last fallen. Die anderen sehen aber nur das abwesende Gesicht und denken, der will nichts mit uns zu tun haben. Also reden sie nicht mit ihm. Der sozial ängstliche Mensch aber fühlt sich bestätigt: sie mögen mich nicht. Hätte er geredet, mitgelacht, riskiert, sich zu blamieren, hätten die anderen reagiert. Und andere labern viel Scheiße! Andere sehen nur von Außen so erfolgreich und toll aus, weil man nicht mit ihnen über ihre persönlichen Ängste redet. Meine Erfahrung ist, dass fast jeder gleiche Ängste hat. Mir sagen viele, ich würde vor anderen super sprechen und vortragen können. In mir zittern dabei die Knie so, dass ich meine, ich falle um. Die anderen sehen das nicht und fühlen sich deprimiert, weil sie meinen, ich wäre so toll. Ich fühle mich mies, weil ich weiß, wie es in mir aussieht und denke, ich täusche alle und habe die Anerkennung nicht verdient.
Essgestörte leben mit lauter solchen verdrehten Wahrnehmungen, die alle darauf hinauslaufen, ihre Glaubenssätze zu bestätigen. Die Glaubenssätze dienen dazu, Ängste zu befriedigen, helfen aber nicht weiter. Schuldgefühle ändern nichts an einer Tat und bewirken auch nicht, dass man es das nächste mal besser macht. Im Gegenteil, ein verunsicherter, ganz in der eigenen Angst gefangener Mensch kann immer weniger zutreffend reagieren.
Es geht darum, dass Du die Wahrnehmung Deiner selbst auf die Reihe kriegst. Woher kommen Deine Glaubenssätze, welche Auswirkungen haben sie vor allem auf Dein Verhalten? Redest Du vielleicht aus Deiner inneren Schranke heraus gar nicht mit anderen und ist das vielleicht eher der Grund für Ablehnung oder Isolation als Dein ich?
Wie gehst Du mit Menschen um, die etwas Dummes oder Peinliches sagen? Meistens vergisst man das doch wieder oder es bleibt erinnert und dann ist es trotzdem egal. Das gilt für Dich auch. Nur Du selbst findest das unverzeihlich, weil es Deinem Ideal widerspricht.
Es kann auch sein, dass Du bestimmte Menschen und bestimmtes Verhalten tatsächlich so sehr hasst, wie Dich selbst. Für Narzisstinnen ist es typisch, dass sie alles hassen, was ihrem Idealselbst wiederspricht. Vermutlich hasst Du dann "egoistische", Ansprüche stellende, fordernde, "schlechte" Ehefrauen (als Beispiel, ich kenne Dich nicht). Weil Du Dein Idealbild ständig bestätigen musst.
So viel erst mal, ich könnte dazu stundenlang schreiben. Aber Narzissmuss und soziale angst sind zentrale Aspekte von Essstörungen, leider wird das in Therapien zu sehr vernachlässigt.
Wenn Du mehr wissen willst lese einmal Bärbel Wardetzki, Weiblicher Narzissmus (hebt sehr auf die Rolle der Mutter ab, finde ich zu einseitig, es können einem auch andere Menschen die Schäden zufügen).
Kur und gut: Dein Fehler ist nur ein Fehler, weil er Deine Sicht davon, wie schlecht Du bist, bestätigt und Deinem angestrebten Ideal widerspricht. Was Du als Schuld und Wiedergutmachung empfindest, stellt aber nur Dein eigenes "Wohlbefinden" in diesem Ideal wieder her. Beziehungsweise, es soll das Wiederherstellen. War Dein Verhalten vielleicht schon kein Fehler (oder wurde als Fehler aus Deiner kruden Weltsicht geboren?), so ist Deine Wiedergutmachung für Außenstehende vollkommen unverständlich, macht alles vielleicht noch schwerer.
Der Weg raus ist, Dich mit anderen Menschen gleich zu stellen, Deine Gefühle zu erfahren, zu erleben und anzunehmen und insofern in Deiner Selbstwahrnehmung wie Deinen sozialen Kontakten reale Verhältnismäßigkeit wiederherzustellen und nicht mehr nur in Deinen Ängsten und deren Beruhigung zu handeln.
Du hast dieses Verhalten irgendwann erlernt, weil Deine eigentliche Lebenssituation zu schlimm war. Aber das verselbstständigt sich und irgendwann muss man immer "verrückter" werden, um diese Kompensation aufrecht zu erhalten. Der einzige Weg raus, ist, genau das zu tun, wovor Du Angst hast: ich mache Fehler, ich könnte abgelehnt werden, ich könnte zu laut sein, zu grelle Kleidung tragen, zu sehr auffallen, dummes sagen, jemanden beleidigen, was weiß ich, was es bei Dir ist. Und Du musst verstehen, warum Du genau davor Angst hast. Wer hat Dir das eingeredet? Wie bewertest Du andere in der Hinsicht, wie bewerten andere das?
Zuletzt geändert von
aymone am Mi Mär 11, 2009 12:00, insgesamt 1-mal geändert.
Man ist nicht negativ anders als andere, man nimmt sich nur so wahr, weil es einem eingeredet wurde. Daher verhält man sich anders und erfährt dafür Ablehnung, nicht für die eigene Person.