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Die Veränderung nach dem „Outen“

Verfasst: So Jan 04, 2004 15:28
von herbststimmung
Also ich beschäftige mich in letzter Zeit sehr damit, wie sich meine Welt ändern würde, wenn ich mich vor ein paar Personen outen würde. Und weil dieser Wunsch eigentlich immer dringender bei mir wird, hab ich mir mal so durch den Kopf gehen lassen, warum ich das eigentlich machen würde.

„Was ist der Sinn des Outens?“

Zuerst einmal hab ich mir gedacht, dass ich diesen Menschen einfach sagen will wie es mir geht, einfach damit sie ES wissen. Nun ist das laut aller Kommunikationsregeln aber so, dass „Wissen“ immer eine „Veränderung“ nach sich zieht. .. aber das ist ja genau das was ich nicht will und was ich bei der einen Freundin, der ich es schon gesagt habe, immer wieder erlebe. So Gedanken, dass sie mich jetzt beobachtet wenn ich etwas esse, dass sie jetzt womöglich meint, dass ich es geschafft habe, dass sie mit mir behutsamer umgeht und so was. GENAU DAS WILL ICH NICHT.

Ich will ja keine Sonderbehandlung, kein mit Samthandschuhen angegriffen werden, keine zur Peinlichkeit potenzierte Rücksichtnahme. = > das ist nicht der Grund warum ich mich outen will.

Also hab ich nachgedacht, bin in mich gegangen *g*, und vielleicht habe ich eine Alternativ-Theorie gefunden:

Ich oute mich nicht weil ich die Krankheit habe,
sondern ich habe die Krankheit weil ich mich OUTEN will.


Könnte das nicht auch sein. Könnte es DAS nicht sein. Ich hab immer versucht nicht mainstream zu sein. Nicht den gleichen Trott, den gleichen Schrott als edel und Bestes zu verkaufen.

Wäre dieses „outen“ nicht genau der plakative Stempel den ich mir auf mein Hirn stempeln würde, der quasi ausdrückt, dass ich anders bin. Und ist nicht diese Krankheit die für mich deswegen geeignetste, weil ich mich klar und deutlich dafür entscheide krank zu sein.

Denn wer geht schon im psychischen Affekt 1 Stunde einkaufen, schlingt 1 Stunde alles in sich rein und übergibt nach 2 Stunden alles wieder der Kanalisation *g*. Das ist kein affektiertes Verhalten meiner Ansicht, sondern wohl geplantes. Es mag der Entschluss solche Tage zu erlebe von Gefühlen hochgradig abhängig sein, aber sicher nicht die Umsetzung.

Ist nicht das Outen gleichzusetzen mit einem Statement:

Ich weiß, dass ich krank bin, aber wenn IHR gesund seid, euer Leben, euer Verhalten, eure Art, dann bin ich lieber krank....

Und weil es für mich in der Welt nichts Peinlicheres gibt, als offensichtlich zu zeigen das man anders ist (denn was gibt es Systemischeres als auf seine Individualität mit aller Kraft hinzuweisen) ziehe ich den Schluss daraus, mich nicht zu outen.

Und wenn Dich das da jetzt alles ein wenig berührt hat, und wenn Du vielleicht schon ein wenig mehr Erfahrungen mit dem outen hast, dann wäre es nett hier dran zu posten. Mich würde vor allem interessieren, wie ihr mit der Schuld umgeht, dass die Person es weiß und damit leben „muss“.

Denn eines ist klar: Einen Gefallen tut man diesem lieben Menschen nicht, indem man ihn einweiht. Sich zu outen find ich demnach fast ein wenig selbstsüchtig. Denn was gibt es schlimmeres etwas zu tun, von dem ich weiß, dass es dem anderen nachher schlecht geht, nur damit es mir besser geht.

Ok, hab gerade mit dieser Freundin geredet, morgen treffen wir uns, und dann ist es soweit. Ich freu mich.

Eure herbststimmung

P.S.: um nicht ganz egoistisch zu sein: Die Freundin der ich es sage ist eine gute Freundin von jener Person der ich es schon gesagt habe. In Gesprächen mit ihr hab ich einfach gemerkt, dass sie auch mit wem reden muss und deswegen oute ich mich eigentlich ja nur, um der anderen Person zu helfen.

Selbstbetrug ist der 1.Schritt

Verfasst: So Jan 04, 2004 16:35
von kendra_pad
Hallo Herbststimmung,
Du hast mich mit Deinem Topic sehr berührt. Auch ich schwimme nur ungern im Mainstream, habe immer schon etwas gebraucht, um mich von meinem Umfeld abzugrenzen. Das schlimmste für mich waren immer vorgefertigte Lebenswege. Zwar habe ich diese objektiv gesehen eingeschlagen, denn ich bin inzwischen verheiratet und habe drei Kinder, aber ich habe immer Schwerpunkte gesetzt, die halt im "normalbürgerlichen Leben" nicht vorkommen. Immer wenn ich das Gefühl hatte, doch zu sehr hineinzugleiten, wurde meine ES ausgeprägter, bis es mir dann so schlecht ging, dass ich wieder den Mut gefunden hatte etwas zu ändern. Heute geht es mir bezüglich meiner Es gut. Ich habe gelernt rechtzeitiger etwas zu tun, da ich inzwischen akzeptiert habe, dass ich immer wieder Veränderungen brauche und nicht mehr versuche dieses zu unterdrücken oder gar negativ zu sehen.
Ich habe meine ES nie jemanden geoutet, bis vor etwa 8 Jahren, als ich es meiner damaligen Therapeutin erzählte. Das war damals für mich eine ungeheuere Erleichterung, ich kann es noch heute nachempfinden. Mein Umfeld weiss nichts davon. Ich habe zu sehr Sorge, dass ich Menschen um mich herum damit zu sehr belaste, versuche Verantwortung für mich selbst auf andere zu übertragen, nicht mehr für voll genommen zu werden. Es mag auch sein, dass ich meine "garantierte" Andersartigkeit nicht aufgeben möchte. Aber auch wenn die ES nur noch eine sehr kleine Rolle in meinem Leben spielt, so ist doch meine Art des Denken und mein gewonnenes Einfühlungsvermögen in andere Menschen immer noch genug Abgrenzung gegenüber anderen.
Viele liebe Grüße Kendra

Verfasst: So Jan 04, 2004 23:19
von bienemaja40
Hallo Herbststimmung,

zum einen: Outen
Also ich habe mich eigentlich schon vor Jahren geoutet und damals meiner Umgebung, Familie, erklärt, dass ich eigentlich süchtig nach Süssigkeiten bin. Irgendwie wurde das aber nie richtig ernst genommen. Selbst als ich äußerte Bulemikerin zu sein. Das änderte sich erst, als ich (und es war für mich der schwerste Schritt überhaupt) es meiner Hausärztin gegenüber ansprach und sagte, dass ich Therapie machen will. Da waren plötzlich alle geschockt, wohl weil sie sahen, wie ernst es mir wirklich war. Aber ich habe nie das Gefühl gehabt, deshalb beobachtet zu werden oder anders behandelt zu werden. Nur wenn ich zu sehr an Gewicht zulege, spricht mich mein Mann immer wieder darauf an.

zur Essstörung selbst:
Ich glaube nicht, dass es so ist, wie Du schreibst. Denn ich bin ein Mensch, der möglichst wenig auffallen will, möglichst immer im Strom mitschwimmen. Und trotzdem bin ich sehr von der Meinung anderer abhängig, fühle mich nur gut, wenn ich positive Rückmeldungen von meinen Mitmenschen erhalte.
Und die Essstörung ist nicht geplant. Sie macht sich bei mir nämlich dadurch bemerkbar zuerst, dass sich die Gedanken nur ums Essen drehen und ich habe es schon erlebt, dass ich mir vorgenommen habe, von der Arbeit aus direkt nach Hause zu fahren. Das war geplant und nicht das, wass dann kam. Und wie sah dann die Wirklichkeit aus, ich habe beim REWE oder Bäcker gehalten und dort FRESS-Waren eingekauft, die dann zuhause auf dem üblichen Weg vernichtet wurden. Oder wenn es nicht so abläuft/ablief, dann muss zuhause der Kühlschrankinhalt dran glauben, egal was da drin ist. Und dann willst Du mir sagen, das sei geplantes Verhalten.
Natürlich gibt es auch geplante Fressanfälle, aber auch denen gehen die Gedanken ums Fressen voraus. Nur dann besorge ich ganz gezielt Sachen, die mir auch einigermaßen schmecken, die in das Essschema passen, welches ich brauche (süß, zartschmelzend, cremig)

Viele Grüße
Sabine

Verfasst: Mo Jan 05, 2004 18:28
von SnowLeopard
... bei mir sind auch manche FA geplant, aber sicherlich nicht alle.

Wie Sabine schon sagt: manchmal ist es egal was man isst! Hauptsache etwas zu essen und hauptsache viel. So etwas kann nicht geplant sein!

Ist es für euch eigentlich schlimmer einen geplanten oder einen "spontanen" FA zu haben oder macht es keinen Unterschied?

Lg
SnowLeopard

Verfasst: Di Jan 06, 2004 13:39
von Susanne P.
Hallo Ihr Lieben,

ich habe es erlebt, dass alles in mir danach verlangt hat, es in die Welt hinauszuschreien, dass ich krank bin. Damit ich endlich von meinen Schuldgefühlen loskomme, damit die Menschen endlich verstehen, dass ich doch nur eines möchte: Ein ganz kleines bisschen Zuwendung und Verständnis, das Gefühl, angenommen zu sein. Vor allem von meiner Mutter.

Ich habe nie geschrien, und als ich meiner Mutter irgendwann von meiner ES erzählt habe, hat sie mit absoluter Verständnislosigkeit reagiert und gesagt, so etwas tut man aber nicht.

Ich bin suchtkrank geworden weil mir so vieles fehlte - Sucht kommt von suchen. Weil ich die innere Leere und den Schmerz nicht mehr ertragen habe. Weil ich kein anderes Mittel kannte, um damit fertigzuwerden. Weil es keine Hilfe gab, weil meine Hilferufe ungehört blieben, weil es niemanden interessierte, wie es mir ging, weil ich einsam war, weil ich immer funktionieren musste, und doch den Anforderungen meiner Mutter nie gerecht wurde. Weil ich als Kind nicht geliebt wurde.

@ herbststimmung: Sucht als Zeichen für etwas - sich outen, um das zu bekommen, was einem so fehlt, ist es das, was du meinst?
Ich habe es probiert, damals, es hat nicht funktionert.

Ich oute mich heute nur noch, wenn ich es für nötig halte. Natürlich wissen meine Familie und meine Freunde, was mit mir los ist. Aber in meinem Fall sind keine Rücksichten mehr nötig, weil ich clean lebe und heute niemand besondere Rücksicht nehmen muss. Ich selbst muss auf mich und mein Essverhalten aufpassen, das ist alles.

Als ich noch ganz tief drin steckte fand ich es schwerer, mich zu outen als heute, wo ich da raus bin. Und am meisten geholfen haben mir die Gespräche mit meiner Therapeutin, denn da konnte ich lernen, dass ich krank bin und keine Schuldgefühle haben muss.

Liebe Grüße,
Susanne

Verfasst: Di Jan 06, 2004 14:41
von kendra_pad
@Susanne,
Du schreibst, dass Du nur noch auf Dich selbst und Dein Essverhalten aufpassen musst. Was Dich selbst betrifft, kann ich es mir ganz gut vorstellen, was Du damit meinst. Wie passt Du auf Dein Essverhalten auf?
Viele liebe Grüße Kendra

Verfasst: Di Jan 06, 2004 22:26
von Susanne P.
Hallo Kendra,

ist eigentlich gar nicht so schwer:

Regelmäßige Mahlzeiten sind für mich wichtig. Ich kann keine großen Mengen auf einmal essen, darf andererseits aber auch nie ein zu großes
Hungergefühl aufkommen lassen.

Hunger bzw. ein zu voller Magen lassen leicht die alten Denk- und Verhaltensmuster wieder aufkommen. Also lieber gar nicht erst provozieren.

Es ist aber egal, was ich esse. Ich esse gern Gemüse und Salate, es darf aber auch etwas Kalorienreicheres sein. Wenn mir danach ist, nasche ich gern zwischendurch mal ein Stück Schokolade oder so. Alles ist erlaubt. Kalorien sind unwichtig.

Es ist übrigens ganz wichtig, sich nichts zu verbieten. Lebensmittel nicht mehr in verboten und erlaubt einzuteilen. Das war bei mir früher genauso, und die verbotenen Sachen dienten dann bei FAs. Wenn man sich nichts verbietet, wird der Heißhunger nie so stark, und es tut auch der Seele gut.

Liebe Grüße,
Susanne

Was ist so "schlimm" am "Outen"????

Verfasst: Do Jan 15, 2004 14:30
von Spotty
"Outen" ist wiedermal so ein richtiges Modewort!!! Jeder will sich jetzt "Outen" oder auch nicht!!!
Nein -ich will mich nicht "Outen"!!!
Ich möchte einfach nur den Menschen in meiner Umgebung, Menschen die mir wichtig sind nicht wieder irgendeine "heile" Welt vorspielen!!!
Denn das : Nein, ich habe kein Problem!!! hat mich ja auch mit in diese Situation gebracht!!!
Ich möchte einfach nur zu mir stehen können, so sein können wie ich bin!!!
Und ich habe die Erfahrung gemacht, daß Menschen die von meiner Essstörung wissen mich in keinster Weise bemitleiden oder mit Samthandschuhen anfasse.
Sie können nur besser auf mich als Person eingehen!! Denn zu einem Alkoholiker wird man auch kaum sagen: GEhn wir auf ein Bier nach der Arbeit???? Oder??
Also - warum gebe ich meinen Freunden nicht auch die Möglichkeit ??
Einem Menschen der Vegetarier ist werde ich bei einer Einladung zum Essen auch nicht ein SChnitzel hinstellen!!!
Ist es bei einem Vegetarier auch "Outen" ?? Wird der auch mit Samthandschuhen angefasst??
Ich denke mir, es gibt so viele Frauen, die sich mit ihrer Essstörung immer noch verstecken, genauso wie der geheime Gang auf´s Clo!!
NUR - ich will mich nicht mehr verstecken!!
Anstatt irgendwelche geheime Therapien zu machen - sollten wir einfach "lauter" werden. Andere aufrütteln!! Wie kann es sonst sein, dass schon 10 jährige unter diesem "Essensstress" leiden???
Ich "prahle" nicht mit meiner Sucht - aber ich verstecke sie auch nicht mehr!!!!! :wink: :wink: :wink: :wink: :wink: :wink: