Mut mach...

#1
Von Tiggy Am 19.01.2001

Hallo alle zusammen!
Es ist viel schwerer hier die richtigen Worte zu finden, als ich es gedacht habe... Das ist mein ungefähr fünfter Versuch, und ich hoffe, dieses Mal klappt es.
Ich würde Euch gerne schreiben, dass das Leben ohne Kotzen und Hungern viel schöner ist, aber das stimmt so nicht.
Nach über 10 Jahren anorektischer Bulimie und 4 Jahren Therapie habe ich beschlossen, damit aufzuhören, weil ich mir gedacht habe "Das kann es nicht sein...", und das Essen neu gelernt. Am Anfang war es superschwer, den Entschluss durchzuziehen, aber ich bereue es nicht mehr (nach 1.5 Jahren symptomfrei sein).
Es ist zwar nichts schöner geworden, aber eben alles anders.
Wenn man nicht den ganzen Tag über Essen nachdenkt und darüber, wie man es wieder rauskriegt, kann man sich halt auch mal mit anderen Sachen beschäftigen (die nicht so schädlich sind)...
Ich bin erst 23, und möchte noch soviel sehen und machen, und ich hoffe, dass Ihr auch bald an diesen Punkt kommt.
Rauskommen könnt Ihr auf jeden Fall.
Auf jeden schicke ich Euch ein ganzes Paket Kraft, damit es ein bisserl leichter wird...
Bye,
Tiggy

#2
Von Anja Am 25.01.2001

Hallo Tiggy
Mich würde echt mal interessieren was Du für eine Therapie gemacht hast und wie Dein Körper darauf reagiert hat. Ich mache jetzt seit einem Jahr eine analythische Therapie. Ich bin erst am Anfang aber auf dem Weg der Besserung. Allerdings erbreche ich noch regelmäßig, was aber normal ist und sich erst nach zwei Jahren Therapie geben kann.
Ich würde gerne wissen ob sich mein Körper wieder regenerieren kann. Zieht sich der Magen wieder auf normale Größe zusammen, hört das Sodbrennen wider auf, werden die Zähne wieder fester, bilden sich die Hamsterbacken zurück....
Was mich auch interesiert ist, ob man viel Gewicht zunimmt wenn man wieder anfängt zu essen und ob sich der Stoffwechsel wieder regeneriert.

Vielleicht hast Du ja Lust mir zu schreiben.

#3
Von Tiggy Am 26.01.2001

Hey Anja!
Klar hab Lust Dir zu schreiben, kein Thema...
Aber ich muss wohl noch vorausschicken, dass ich Bulimie habe seit ich 6 bin und die anorektischen Züge später dazu kamen, wenn ich zu schwach zum Kotzen war. Es hat bei mir also nicht den Dick oder Dünn sein Hintergrund, sondern ich hab nur früh entdeckt, dass meine Gefühle "weggehen", wenn ich mir den Finger in den Hals stecke.
Ich habe lange selbst nicht gemerkt was los ist, bin aber 97 mit weniger als *kg in einer Klinik gelandet, da musste ich wohl oder übel aufwachen, gelle?
Danach war mein Körper soweit erholt, dass ich wieder kotzen konnte, und ich hab mein Pensum ziemlich krass erhöht. Zeitgleich habe ich mit einer Psychotherapie angefangen, aber wie gesagt, mein Doc hat alles querbeet gemacht. Durch meine Erfahrungen in der ersten Klinik vertraue ich heute keinem Arzt mehr, habe mich lange nur krankschreiben lassen von ihm oder ab und an mal Denkanstösse geholt- hab also eigentlich alles alleine gemacht, er hat mir nur ab und zu was erklärt.
Die Erfahrung es fast nicht zu schaffen, hat mir den Anstoss gegeben zu kämpfen, hier bestimme immer noch ich wann ich sterbe, und nicht die Es! Also habe ich angefangen, meine Attacken zu beobachten, richtig Buch geführt, wann, wie, warum, etc., und als ich genug wusste, bin ich nochmal für etwas über 10 Wochen in eine Klinik, weil ich weg musste von hier, um aufzuhören...
Mein Wille ist glücklicherweise stark genug, so konnte ich es durchziehen... Wie Du siehst, ging bei mir auch nicht alles ruckzuck ;o)
Zum Körperlichen befragst Du wohl lieber nochmal einen Arzt, so genau habe ich damit nicht beschäftigt. Aus dem ganz einfachen Grund, weil ich sonst niemals aufgehört hätte mit dem Kotzen, wenn ich geahnt hätte, was auf mich zukommt.
Die Zähne bleiben wohl so, wie sie sind; mir mussten bisher 5 Zähne gezogen werden, und die meisten anderen sind eben auch ziemlich angegriffen.
Nach gut 1,5 Jahren "normal" essen, pendelt mein Körper sich jetzt beim Setpoint ein- übrigens ein tolles Gefühl, das aushalten vorher hat sich gelohnt! Ich habe allerdings erstmal auch zugenommen, danach wieder krass abgenommen, usw. Es dauert eben, bis der Körper sich einpendelt (vor allem die Verdauung, ist heute noch nicht annähernd so, wie sie sein soll). Es kommt aber auch darauf an, wie lange Du gestört gegessen hast.
Dafür war ich aber nicht mehr lange verquollen...
Naja, Sodbrennen habe ich heute noch, Nasenbluten auch, aber damit kann ich leben!

So, ich denke das reicht, oder? Ich hoffe, Du kannst damit was anfangen (schreibst es mir?)!
Bye, Tiggy

#4
Von Anja Am 28.01.2001

Hallo Tiggy
Mit 6 Jahren hast Du schon damit angefangen!? Meine Güte, was bringt ein 6 jähriges Kind dazu seine Gefühle so zu verleugnen? Bis Du ein m*ssbr**ch-Opfer? (Ich hoffe das war nicht zu direkt) Was hat an Deiner Umwelt schon so früh nicht gestimmt, das es Dich schon mit 6 Jahren so belastet hat, das Du es auf diese Weise los werden mußtest?
Ich bin von Beruf Erzieherin und habe schon oft miterlebt wie Kinder an dem Druck ihres Elternhauses zerbrechen. Aber von einer so frühen Bulimie habe ich nur von der Schule gehört.
Hast Du Dich damit denn beschäftigt? Weißt Du woher Deine Bulimie kam?
Wie Du ja weißt beschäftige ich mich durch meine Therapie sehr damit wo der Ursprung meiner Bulimie liegt. Ich brauche das um mich zu verstehen und um die Fehler wieder aus zugleichen, die in meiner Kindheit gemacht wurden. Versteh mich bitte nicht falsch, ich möchte niemanden die Schuld zu weisen. Nein,ich weiß das mein Vater selbst zu schwach war um mir Selbstsicherheit zu geben, er betäubt sich heute noch mit seinem Alkohol. Und ich weiß das meine Mutter nicht anders konnte als sich an mich zu hängen, aus Angst allein zu sein gehorsam erzwang und mich dadurch festhielt. Ich war Spielball meiner Eltern, zerissen in meiner Liebe zu Mutter und Vater. Es muß hart für sie sein das ich nicht mehr mitspiele.
Aber Fakt ist das ich beiden nicht das Leben retten kann, denn meines steht auf dem spiel. Ich kann immoment ihnen keine Liebe geben ich brauch sie für mich.
Meine Therapeutin übernimmt jetzt die Rolle meiner Eltern um meine Bedürfnisse wieder auszugleichen. Sie stopft mein Loch. Ich bin fest davon überzeugt das das mein Weg ist und ich es schaffe.
Aber in Deinen Briefen habe ich noch nichts von möglichen Ursachen gelesen. Wahrscheinlich hältst Du nichts davon und hast einen für Dich geeigneteren Weg gefunden, wie Dein Eßtagebuch. Ich kann mir leider noch nichts darunter vorstellen und weiß auch nicht ob man damit dagegen ankämpfen kann. Wie hast Du das gemacht? Was hast Du alles aufgeschrieben? Und was konnten die Therapeuten mit diesen Erkenntnissen anfangen? Meine Eßanfälle sind immer geplant, ist es auch dann nützlich ein Eßtagebuch zu führen?
Wäre nett wenn Du mir Deine Erfahrungen und Erkenntnisse schreiben könntest. Ich hoffe Dir geht das nicht so ins Private.

Ciao Anja