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MS-verherrlichende Seiten: Krankheit als Kult

Verfasst: Fr Sep 06, 2002 18:59
von asyl
hallo,

nachdem auch in diesem forum eine art diskussion um die so genannten MS-verherrlichende seiten im internet, die essstörungen zum lebensstil erheben und damit ihre gefährlichkeit leugnen, begonnen hat, möchte ich diese gerne weiterspinnen und eure meinungen dazu hören.


soviel ich weiß, läuft die debatte um die p***-seiten im netz zumindest in den usa ja schon seit geraumer zeit und da gibt es auch schon zahlreiche verbote, die den öffentlich zugänglichen krankheits-kult untersagen sollen. derartige seiten scheinen aber (vielleicht gerade deshalb?) auf viele eine besondere faszination auszuüben, und es war wohl nur eine frage der zeit, bis sie sich auch im deutschsprachigen raum verbreiten.

ich halte mich für mittlerweile so gefestigt, dass mir derartiges material nichts mehr "anhaben" kann, weiß aber nicht, wie ich noch vor zwei jahren darauf reagiert hätte. im internet ist es halt schwierig, so etwas zu verbieten, weil eigentlich jeder veröffentlichen kann, was er will und es eine zeit dauert, bis die sachen überhaupt entdeckt und dann untersagt werden können. außerdem funktionieren die seiten wie die hydra, der man den kopf abschlägt, damit ihr augenblicklich zwei neue nachwachsen. und oft kommen sie ja zunächst recht harmlos daher, und der teufel liegt dann erst im detail. auch das dürfte ein konsequentes verbieten schwierig machen. ich denke mir oft auch bei foren wie diesem hier (das eigentlich darauf ausgerichtet ist, die leute von den essstörungen wegzukriegen), dass hier ein gewisser kult um die krankheit betrieben wird, wenn auch nicht so offensiv und vordergründig. aber gibt es nicht auch hier den effekt, dass man sich irgendwie "zugehörig" fühlt, weil man sich unter lauter anderen menschen mit essstörungen "sicher" und "verstanden" weiß? und sobald viele menschen - und hier sind viele unterwegs - eine gemeinsamheit haben, die sie immer wieder auf diese seite zugreifen lässt, entsteht meiner meinung nach eine "community" - wenn auch eine virtuelle. ich glaube sehr wohl, dass auch positiv gemeinte beiträge andere "triggern" können, sei es nur, weil sie vergleichbarkeit zulassen. kennt ihr das gefühl, gar nicht richtig krank zu sein, weil es anderen offensichtlich ja viel schlechter geht? allein dieser gedanke birgt ja schon eine gewisse gefahr, wenn man bedenkt, dass bei der essstörung das kranksein ja auch gewisse "vorteile" hat, wenn auch unbewusst. und sei es nur der, sich nicht mit seinen eigentlichen problemen auseinandersetzen zu müssen.

nichts desto trotz halte ich die MS-verherrlichenden seiten aber für gefährlich, weil leute, die mitten in der krankheit stecken, dem voll auf den leim gehen und das allein ist eine große unverantwortlichkeit seitens der betreiber/innen solcher seiten. weil sie ja ganz genau wissen, dass eigentlich jede/r dort surfen kann.

wie also damit umgehen? verbieten scheint zwecklos, weil einfach nicht durchführbar. die totale zensur bringt im internet wahrscheinlich auch nicht viel, weil dann auch sicher viele "gute" seiten draufgehen würden, da meines wissens meistens die verwendung bestimmter begriffe auf den seiten dafür ausschlag gibt, ob inhalte verboten werden oder nicht.

es ist wohl einfach ein abbild der realität, dass es menschen gibt, die so sehr in ihrer krankheit und sucht gefangen sind, dass sie diese zum zwecke des selbstschutzes als etwas vermeintlich positives und vor allem als selbst gewählt präsentieren. damit machen sie sich unangreifbar und ersparen sich das eingeständnis, dass sie sehr krank sind. anorexie ist aber nicht mode und bulimie ist nicht pop, sondern beides sind symptome ernsthafter psychischer probleme. leidtun sollten einem also all jene, die sich selbst so wenig mögen, dass sie sich das einreden.

ich bin gegen zensur und dafür, dass jeder seine gedanken frei äußern darf. allerdings endet die persönliche freiheit für mich auch dort, wo sie die anderer einschränkt, und das ist bei den inhalten dieser seiten wohl eindeutig der fall.

dass es diese seiten gibt, ist aber nun mal eine tatsache. und vielleicht gelingt es der einen oder dem anderen ja, diese seiten - wenn sie schon da sind - wenigstens irgendwie "positiv" zu nutzen. nämlich insofern, dass man die selbstlüge dahinter erkennt und auch bei sich selber zu suchen beginnt. denn es ist wohl ein signal, wenn einen derartige inhalte so faszinieren, weil der "gesunde" reflex ja eigentlich sofort ablehnung sein müsste.

wie gesagt, ich wäre auch dafür, solche seiten zu verbieten, aber das beispiel amerika zeigt, dass das einfach kaum möglich ist. also sollte man das beste draus machen und den armen gestalten, die sich da so effektiv selbst belügen, zumindest nicht den gefallen tun, ihrem kranken wahn auf den leim zu gehen; sondern sich bewusst davon abgrenzen und sich dafür zu entscheiden, sich nicht zu tode kotzen oder hungern zu wollen...

...und ntürlich massenhaft hass-postings in die foren der MS-verherrlichenden seiten schreiben ;-)

schreibt mal, was ihr dazu denkt. ich bin wie gesagt weitgehend "clean", und kann und will mich vor allem nicht mehr in die alten zeiten mit ihrer kranken logik zurückversetzen.

viele grüße an alle, die bis hier durchgehalten haben ;-)
asyl

Verfasst: So Jan 05, 2003 17:10
von Felicity
hallo asyl,
ich vermute, mein beitrag wird sich hier nicht so lange halten, trotzdem möchte ich gern meine ehrliche meinung zu MS-verherrlichung sagen.
Ich bin, im gegensatz zu dir, keineswegs symptomfrei, weshalb ich die existenz von MS-verherrlichenden seiten auch sehr gut nachvollziehen kann.

Ich habe seit sechseinhalb jahren bulimie, zwischendurch hatte ich allerdings eine zeit lang magersucht. Wie es sich anfühlt, eine normale beziehung zum essen zu haben, weiß ich nicht mehr, deshalb kann ich mir auch nicht im geringsten vorstellen, ob es sich für mich lohnt, die symptome der essstörung aufzugeben und "normal" zu werden. ich habe eine wahnsinnige angst vor normalität und langeweile. (genau das ist wahrscheinlich mein problem).
Außerdem habe ich bisher nicht die erfahrung gemacht, einem therapeuten wirklich ehrlich sagen zu können, was in meinem kopf vorgeht, OHNE dass er/sie mir dabei das gefühl gibt, ein hoffnungsloser fall zu sein. Warum sollte ich kämpfen, wenn mich alle anderen schon aufgegeben haben? Nur für mich? Das bin ich mir selbst einfach nicht wert.
Den Anstoß, gezielt nach solchen seiten im internet zu suchen, war tatsächlich die warnung einer organisation gegen essstörungen im internet. *)
Und tatsächlich, zum ersten mal seit langer zeit konnte ich so etwas wie harmonie und geborgenheit spüren. Was ich dort fand, war genau das, was ich dachte, aber in gegenwart anderer menschen nie aussprechen konnte, ohne für verrückt erklärt zu werden. Ich muss sagen, dass eine Vorform wahrscheinlich in jeder therapeutischen Einrichtung für essstörungen zu finden ist. wenn man sich z.B. gegenseitig nach dem niedrigsten/derzeitigen Gewicht fragt, zusammen "essanfälle schiebt" oder sich gegenseitig tipps gibt, wie man besser kotzen kann. Das sind nur die dinge, von denen ich sicher sein kann, dass es sie gibt. In therapeutischen einrichtungen und auf MS-verherrlichenden seiten.

Seit 5 Monaten habe ich jetzt über eine MS-verherrlichenden webseite kontakt zu anderen menschen, die wie ich keinen ausweg aus ihrer essstörung sehen. Und so markaber es klingt, es hat mich davor bewahrt, mir das leben zu nehmen. Ich weiß sehr wohl, dass magersucht und bulimie krankheiten sind, an denen man sterben kann. Ich "kenne"nicht wenige im internet, die kontinuierlich abnehmen, regelmäßig ihr gewicht mitteilen, vielleicht sogar bilder von sich schicken und eine menge lob dafür bekommen. Irgendwann hört man dann nichts mehr von ihnen. So etwas "live" mitzuerleben und nichts dagegen tun zu können, ist schrecklich. Ich habe einfach akzeptiert, dass es so ist. Einige Essgestörte entscheiden sich dafür, sich zu tode zu hungern/kotzen.

Von der webseite, die ich regelmäßig besuche, kann ich sagen, dass neue mitglieder grundsätzlich gefragt werden, ob sie eine essstörung haben. ist dies nicht der fall, werden sie gebeten, die seite zu verlassen. es wird auch niemand daran gehindert, in therapie zu gehen im gegenteil.
Für mich persönlich bedeutet die entscheidung für magersucht, die essstörung und auch die dazugehörigen gedanken als einen teil von mir zu akzeptieren. Dadurch habe ich andere normen, was meinen alltag, das essen und mein körpergefühl betrifft. für außenstehende wird das wahrscheinlich nie nachvollziehbar sein. Man erwartet von mir, dass ich irgendwann wieder normal esse und meinen körper akzeptiere. ABER ICH KANN NICHT. Und ich möchte nicht mein ganzes leben in der psychiatrie verbringen, weil ich nicht das essverhalten an den tag lege, das man von mir erwartet.
Ich wünsche mir einfach nur, als MENSCH toleriert zu werden, egal, wieviel ich esse und ob ich es danach wieder auskotze. Unsere Gesellschaft akzeptiert ja schließlich auch, dass in den Medien, die ja nun mal der unterhaltung und orientierung dienen, 90% der frauen eindeutiges untergewicht haben.


*) Schlimm ist natürlich, dass JEDER zugang zu diesen seiten hat. Warnungen, die seite nicht zu betreten, wenn man keine essstörung hat, wirken natürlich verstärkend. für jemanden, der ein *kg abnehmen oder sogar eine essstörung entwickeln will, ist der leichte zugang zu p*** seiten die eintrittskarte in die hölle. Meiner Meinung sollte man MS-verherrlichende seiten nicht verbieten, sondern lediglich für jugendliche unter 18 unzugänglich machen.


Asyl, ich hoffe wirklich von ganzem herzen, dass du nie wieder in den teufelskreis bulimie hineingerätst. Alles gute,
Felicity

Verfasst: So Jan 05, 2003 17:59
von kyss
Hallo Ihr,
ich weiss, dass ich nicht wirklich mitreden kann, weil ich nicht an einer ES leide, aber nachdem ich die Beiträge zu MS-verherrlichenden Seitne hier im Forum gelesen habe wollte ich mal schauen, was das so ist(hatte keine Vorstellung). Ich fand diese Seiten quasi buchstäblich zum Kotzen und super ekelig. Bevor ihr mir alle an die Kehle geht, ich meine nicht die Krankheit, sondern die Einstellung der Leute dazu. Auch bin ich auf einer Pornosite gelandet, die MS-verherrlichendes Material vertreibt und das war dann der Gipfel. Die Motivation einer Kranken, sich diese Seiten anzusehen kann ich verstehen, wenn auch nicht nachvollziehen, aber das sich gesunde Menschen an diesen armen, mit einem Bein im Sarg stehenden Wesen aufgeilen macht mich dermassen wütend, dass ich gar keine Worte finde.
Ich dachte bis jetzt, dass nichts so pervers wäre, wie Kinderpornografie...aber dies hier kommt verdammt nah dran.
Um es nochmal zu betonen, ich greife hier keinen an der an einer Essstörung(mit 3s nach der neuen Rechtschreibung, oder) leidet, sondern jene Widerlinge, die 'gesund' sind, aber sich beim Anblick des Elends anderer einen runterholen.
Ich kann nur nach Gefühl sprechen, aber ich denke, dass die Leute, die hier in's Forum posten, egal ob sie magersüchtig oder bulimisch sind schon einen Riesenschritt getan haben im Gegensatz zu denen, die sich auch noch geil vorkommen, wenn sie sich als Skelett ablichten lassen...
Denn, wenn ich das richtig verstanden habe, löst beständiger Gewichtsverlust doch auch nicht die probleme, die zur Krankheit geführt haben... oder? Oder ist der Weg das Ziel, quasi die Selbskasteiung, die macht, dass man sich besser fühlt?

Sorry, dass es so ein Roman geworden ist, aber diese Sites haben mich ziemlich aufgewühlt...

Liebe Grüsse
Kyss