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immer nur ich!! | 5 Antworten

Verfasst: Di Jun 18, 2002 18:05
von mac
Von MaryMe am 27.04.2002

hallo ihr alle,

vielleicht geht es euch ja genauso. habe heute einen tag mit drei fa´s hinter mir und bin völlig fertig und todmüde. aber das schlimmste ist, dass ich so ein furchtbar schlechtes gewissen meiner mutter gegenüber habe. sie macht sich solche sorgen um mich, tut wirklich alles, was sie kann und was mache ich? ich belüge sie bzgl. meiner bulimie, kaum ist sie aus dem haus, hänge ich über´m klo. meistens merkt sie es nicht, aber hin und wieder doch. sie ist so lieb und ich enttäusche sie ständig. anfang des jahres hat sie sich von meinem vater getrennt und statt ihr eine stütze zu sein, die ich mit 19 jahren sein sollte, mache ich nur noch mehr kummer. sie kauft teure diät-joghurts, immer wieder exotisches obst und ausgefallene salate, die ein vermögen kosten, weil sie glaubt - und lange war es auch so - dass ich das bei mir behalte. aber egal was ich esse, ist es nur anfang einer fa. ich fühl mich so schuldig ihr gegenüber.

mary

bisherige Antworten:


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Betreff: Re: schlechtes gewissen macht hungrig!
Von Asyl am 27.04.2002


hallo mary,

vielleicht ohne es zu wissen, hast du in deinem beitrag so viele wichtige und entscheidende dinge hineingeschrieben, dass es fast schon klingt wie aus einer beschreibung einer "klassischen bulimiekarriere". es ist sicher nicht bei allen bulimikerinnen der fall, aber ich glaube, dass es bei extrem vielen eine (wenn auch unbewusste) rolle spielt: das schlechte gewissen gegenüber der eigenen mutter (den eltern). dieses ständige schuldgefühl, ihr nur kummer und sorgen zu bereiten, ihr eigentlich nur eine last zu sein, obwohl man sie ja eigentlich unterstützen und ihr helfen sollte, wo sie es doch so schwer hat. dieses permanente schlechte gewissen, weil du ja eigentlich für ihr lebensglück verantwortlich bist, kennst du das? wenn ja, solltest du dich davon schleunigst befreien und dich emotional von deiner mutter lösen, weil du sonst nicht mehr so schnell aus dieser krankheit rauskommen wirst, fürchte ich. es klingt vielleicht unlogisch und hart, aber indem dir deine mutter so helfen will, sich derartige sorgen macht und dich ihr leid spüren lässt (auch sie macht das sicher nicht bewusst), wird genau das gegenteil von hilfe bewiken.

ich kenne weder dich noch deine konkreten familiären umstände, aber ich kenne meine situation, und ich entdecke sooo viele parallelen zu meinen gedanken während meiner akuten zeit, dass es fast schon absurd ist.

1.) du bist nicht für das glück deiner mutter verantwortlich - als erwachsene frau hat sie dafür selbst zu sorgen!

2.) du stehst in keiner weise in ihrer schuld - ja, sie hat dich zur welt gebracht und sorgt für dich - aber ersteres war ihre entscheidung und nicht deine und letzteres ist ihre pflicht als mutter: es gibt schließlich einen generationsvertag* und eine sorgepflicht**

3.) Wenn sie mit ihrer scheidung nicht zurecht kommt, ist das auch nicht dein problem: natürlich ist es gut und wichtig, sie zu unterstützen, mach dich aber nicht für ihr (un)glück verantwortlich. sie ist eine erwachsene frau!

ich will dich nicht erschrecken mit meinem geschreibe hier, aber mich regt dieses thema einfach auf, weil es mir genauso ergangen ist, wie dir jetzt. es ist wichtig, dass du dich emotional von ihr löst und erkennst, dass sie dir durch ihr verhalten nur schuldgefühle macht, die dich immer weiter hineinreiten.

ich will hier auch keineswegs pauschalisierend den müttern die verantwortung für die töchterliche bulimie zuschieben, gottlob! mir ist schon klar, dass keine mutter dieser welt will, dass sie durch ihr verhalten das leid der tochter verstärkt, denn auch mütter sind ja oft nur opfer ihrer eigenen erziehung und zwänge oder ängste oder was auch immer.

drittens weiß ich auch, dass aufgrund der tatsache, dass in unserer gesellschaft die mütter nun mal großteils die kindeserziehung übernehmen müssen, sie auch diejenigen sind, die die fehler machen können. der herr papa war ja nie da ;-)

ich rate dir wirklich, in eine therapeutische beratung zu gehen und über deine gefühle und gedanken zu sprechen! man muss sich wirklich nicht mit der bulimie abfinden! man kann aber von ihr und durch sie viel lernen, da bin ich mir ganz sicher!

viel glück!
Asyl

*Generationsvertrag:
moralische und rechtliche Verpflichtung der jeweils im Berufsleben stehenden Generation, Leistungen zugunsten der Heranwachsenden zu erbringen, die den Betroffenen den Lebensunterhalt beziehungsweise eine ihren Fähigkeiten entsprechende Ausbildung garantieren.

**Sorgepflicht:
Die Inhaber der "elterlichen Sorge" sind verpflichtet, auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten des Kindes Rücksicht zu nehmen und auf das Mittel der Entwürdigung und Gewalt zur Durchsetzung ihrer Erziehungsziele zu verzichten.


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Betreff: Re: immer nur ich!!
Von Gabi am 28.04.2002


@Asyl:

Bravo!!!!!!!!!!!!!!!!
super Beitrag- bei mi ists genauso wie dus beschrieben hast, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen!


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Betreff: Re: immer nur ich!!
Von berry am 29.04.2002


hallo!

ich bin echt froh, diesen beitrag gelesen zu haben! bei mir ist die situation genau so . . . bin vor drei jahren (mit 16) ausgezogen, kurz nachdem ich erfahren hatte, dass meine mama unheilbar an krebs erkrankt ist, kurz nach ihrer scheidung, weil sie das so wollte . . .und da gings mit der bulimie erst so richtig krass los und eigentlich hab ich nie so ganz begriffen wieso . . . ich werde auch oft wortwörtlich für ihr unglück verantwortlich gemacht, weil sie sagt, ich würde sie im stich lassen. das verletzt mich jedesmal aufs neue . . .vor einigen tagen habe ich ihr meine meinung gesagt, habe ihr gesagt, dass ich sie und meine geschwister zwar auch sehr vermisse, aber einfach nur selten die zeit aufbringen kann, ans andere ende von wien zu fahren, um sie zu besuchen. seither haben wir nicht mehr miteinander gesprochen und auch zu meinem vater habe ich kaum noch kontakt. wenn ich über meine familie nachdenke, muss ich weinen, desswegen höre ich jetzt besser auf zu erzählen.

auf jeden fall danke für deinen eintrag, asyl! du hast mich ein schrittchen weiter gebracht . . .

alles liebe!!
berry


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Betreff: Re: immer nur ich!!
Von Helga am 29.04.2002


Immer nur ich - du bist nicht alleine. Ich kenne das Gefühl sehr gut. Fühle mich auch immer verantwortlich, dass meine Mutter glücklich und zufrieden ist, das sie unter Leute kommt und einfach eiwenig Spaß hat. Ist das den so falsch, frage ich euch?? Jeder will doch nur das Beste für seine Elter und im Besonderen für meine Mutter.

Meine Mutter hat uns (meinen Bruder und mich) sehr fürsorglich aufwachsen lassen. Ihn eigentlich noch mehr als mich. Kurz bevor mein dritter Bruder (jetzt 33 Jahre) zu Welt kam, starb nämlich mein zweiter Bruder mit 3 1/2 Jahren an Lungenentzündung. Für sie der totale Horror und mein Vater ist in die Welt hinaus. Hat sie daheim gelassen mit den Kindern und hat sein Leben gelebt. Nicht das ihr jetzt meint, er hat uns verlassen, aber irgendwie war es auch so eine Art von verlassen.

Ich glaube meine Mutter hat den Tod meines Bruders nie überwunden (wie soll man auch so etwas Schreckliches überwinden können). Sie war immer in Angst um uns und hat uns eigentlich von Kind her an schon eingeigelt.

Als ich älter wurde, habe ich einfach alles dafür getan, dass sie aus dem Haus gekommen ist und ihr auch keine Sorgen gemacht. Ein perfektes Kind halt - leider hat mich der Perfektionismus rasch eingeholt und mich in eine Krankheit getrieben, mit der ich jetzt nicht mehr aufhören kann. Obwohl ich jeden Tag versuche nicht an die Sucht und das Essen zu denken, gelingt es mir fast nie. Drei Fressanfälle pro Tag sind schon zur Sitte geworden - wenn nicht mehr. Sehne mich wirklich nach den Jahren zurück, wo ich den Kühlschrank anders aufgemacht habe als jetzt. Mit Freude und Freunden gegessen und gelacht habe und nicht gleich gedacht, oh jetzt werde ich wieder fetter. Vielleich schaffe ich es eines Tages doch dieser Sucht zu entkommen und mein Leben nach 10 Jahren Bulimie wieder in meine eigenen Hände zu nehmen.

Helga


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Betreff: Re: immer nur ich!!
Von Asyl am 29.04.2002


hallo helga,

nein, es ist absolut nicht falsch, sich um seine mutter zu kümmern und ihr zu helfen und beizustehen. aber nur soweit es einen selbst nicht belastet, denn wenn dich diese belastung buchstäblich krank macht, bist du ihr keine hilfe mehr.
du betonst so sehr, dass sich deine mutter so toll um euch kinder gekümmert hat. das ist gut so, aber es ist auch normal und eigentlich keine besondere leistung von ihrer seite, sondern eine verantwortung, die eigentlich jede mutter ihren kindern gegenüber übernehmen MUSS. tut sie es nicht, fällt das unter vernachlässigung. du solltest ihre obsorge zwar würdigen und dich drüber freuen, sie aber nicht jetzt, als erwachsene frau, als schuldigkeit ihr gegenüber verstehen. denn das ist es nicht! es war (und ist) ihre mütterliche pflicht, sich um dich zu kümmern und nicht eine "extraleistung", für die du jetzt bezahlen musst. vor allem nicht in form der krankmachenden schuldgefühle ihr gegenüber, denn davon hat keine von euch beiden was.
erst wenn du sich emotional von ihr gelöst hast, kannst du ihr wirklich eine hilfe sein, glaube ich.

denk mal drüber nach und...natürlich wirst du das schaffen!

viele grüße,
Asyl