An Gudrun Doerflinger | 1 Antwort

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Von Seleme am 26.02.2002

Liebe Gudrun,

Dein bericht hat mir unglaublich viel Mut und kraft gegeben. ich wünsche mir, daß Du mir evtl. Tipps geben kannst. Ich bin 30 Jahre alt, habe seit 15 Jahren Bulimie (1 Therapie schon nach 2 jahren, aber wie Du schreibst, ich habe der Therapeutin nicht vertraut; ebenso Auszeit: hatte ca. 4 Jahre eine tolle Beziehung, mit dem ich zusamenlebte, in dieser Zeit war die Bulimie auch weg). Habe nun wieder seit ca. 3 Jahren eine beziehung, die nichts davon weiß. Instinktiv weiß ich aber, er würde mich verlassen, wenn er es denn wüßte, was rätst Du mir?

Liebe Grüße Seleme

bisherige Antworten:


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Betreff: Re: An Gudrun Doerflinger
Von Gudrun Doerflinger am 27.02.2002


Liebe Seleme!
Warum glaubst du, dass er dich verlassen würde, wenn er es wüßte? Was sagst du ihm noch alles nicht, aus Angst davor, verlassen zu werden?
Ich kann nur für mich reden aber ich hatte auch mal eine Beziehung, in der es viele unausgesprochene Dinge (Geheimnisse?) gab und ich könnte mir das nie mehr vorstellen.
Ich finde, in einer Beziehung sollte man sich so frei wie möglich fühlen können und "alles" sagen dürfen, sonst kann es auf Dauer nicht gut gehen.
Bei besonders schwierigen Themen ist es sicher nicht schlecht, vorher mit einer guten Freundin zu sprechen aber gesagt muss es irgendwann werden. Ob du allerdings auf Dauer eine tiefe, innige Beziehung haben willst oder aus Angst vor Verletzungen lieber mehr an der Oberfläche bleibst, mußt du mit deiner Seele ausmachen.
Immer wenn ich etwas verheimliche oder Probleme in mich reinfresse und unterdrücke, merke ich sofort, dass ich bewußt und langsam essen muß, denn es wäre so einfach wieder in die geliebte Bulimie zu flüchten.
Mir fällt auf, dass fast alle hier ihre Krankheit verfluchen und hassen, dabei ist sie doch im Grunde der letzte Rettungsanker, der einem in dem Moment noch bleibt, um nicht endgültig durchzudrehen. Erst seit ich aufgehört habe, mich und meine Krankheit zu hassen, habe ich gelernt, damit umzugehen. Immer und immer wieder habe ich mich gefragt, was mir diese Krankheit eigentlich sagen will. Es gab eine Zeit, da dachte ich, ich würde zu Staub zerfallen, wenn mir die Zuflucht zum Essen auch noch genommen würde. Aber ich habe gelernt und lerne noch immer, mit meinen Ängsten umzugehen. Ich habe mich für einen Weg entschieden, der letztendlich zu mir selbst führt. Es ist der schwerste, den man sich aussuchen kann, denn es ist so leicht "vorbei" zu gehen aber es ist der einzige, der sich wirklich lohnt. Wenn du spezielle Fragen hast, was ich so alles gemacht habe, um Krisen zu überbrücken, werde ich gerne versuchen, sie zu beantworten.
Von Herzen alles Liebe
Gudrun