Hihi, ich gehöre auch zu denjenigen, die zuerst "
Wer wärt ihr ..." gelesen hat.
Ehrlich gesagt beschäftigt mich dieses Thema schon ziemlich lange. Wenn ich nach einem FA völlig ausgelaugt mit Sodbrennen, Übelkeit und Selbsthass im Bett liege, ist es einfach zu denken: "Ohne Bulimie wär alles viel besser. Ich hab doch alles, mein Leben könnte so schön sein ..."
Die Realität sieht - zumindest in meinem Fall - anders aus. Das weiß ich erstens aus der Zeit, als ich noch gesund war, aber auch bei längeren Bulimie-Pausen wie in/nach der Klinik oder gerade aktuell drängt sich immer wieder in mein Bewusstsein, dass ich die meiste Zeit einfach kein besonders glücklicher Mensch bin. Man mag es eine latente Depression oder Dysthymie nennen, vielleicht auch einfach nur eine verstärkte Nachdenklichkeit, verbunden mit dem Gefühl, dass die Welt und das Leben nicht genug ist. Es fehlt etwas. Ich selbst bin fehlbar, unzureichend. Mein Leben ist doch bestimmt nur ein Provisorium, irgendwann wird es bestimmt irgendwie besser ... oder nicht? In manchen Stunden bin ich unbeschwert und ausgelassen. Doch binnen Sekunden stürzt meine Laune in den Keller (manchmal mit einem kleinen Auslöser, manchmal ohne). Alles erscheint sinnlos, leer, trostlos. Unabhängig von äußeren Umständen. Ja, ich hab ein super Abi an 'ner Eliteschule, ein Studium, einen tollen Job, einen wundervollen Freund, eine schöne Wohnung, im Grunde nicht viel zu meckern. Aber traurig bin ich trotzdem, keine Ahnung warum. Mein Spiegelbild kotzt mich an. Ich bin ängstlich, unsicher und will mich ständig mit irgendwas "zudröhnen".
Vor meiner Bulimie hab ich stundenlang mit Freunden irgendwo in der Nacht rumgesessen und philosophiert oder im stillen Kämmerlein Gedichte mit Versmaß und Metrum geschrieben, tagsüber ging es mir dagegen oft mies. Ich hasste die Schule, hasste meinen Alltag, hasste meine Unselbstständigkeit und war ständig müde und ausgelaugt. Danach, als ich im Ausland war, gab es zwar auch viele enthusiastische Hochphasen, aber die Stimmung krachte trotzdem immer wieder in den Keller.
Ich hatte meine ganze Jugend lang übelste Schlafstörungen, wurde schnell zur Kettenraucherin, hab mich so oft wie möglich mit Alkohol zugeknallt und dumme Sachen gemacht, mir die Arme und Beine aufgeschnitten, innerhalb weniger Monate mit einer zweistelligen Zahl von Männern geschlafen, mich in irgendwelche Hobbys furchtbar reingesteigert, weiche und härtere Drogen konsumiert, war mit elf Jahren das erste Mal in Therapie. Immer fühlte ich mich unter Druck und unter Spannung, wie ein Puzzlestein, der in seine Lücke nicht richtig reinpasst.
Jetzt bin ich "erwachsen" und angepasst, aber ehrlich gesagt fühl ich mich genau so beschissen wie mit 12. Nur dass ich das die letzten vier Jahre zeitweise verdrängen konnte - dafür hatte ich ja die Essstörung. Und das war auch ein wunderbarer Sündenbock. Ich konnte mir super einreden, dass ohne die ES alles besser wäre ...