Re: keine kleinen Schritte???

#17
@napoleana: das stimmt nicht ganz, dass ein Akoholiker stets von jetzt auf gleich mit seinem Stoff aufhören muss. Mein letzter Therapeut (junger Kerl mit vielen Akoholikern als Patienten) orientierte sich an einem für mich vollkommen neuem (und zunächst mal schwer irritierendem!) Konzept: Statt dem Alkoholiker sofort seine Flasche wegzunehmen, ließ er sie in bestimmten Fällen gemäßigt!! weitertrinken. Er erzählte mir (anonym natürlich) von mehreren jahrzehntelangen chronifizierten Alkoholikern, die nach diesem Konzept "kontrolliert weitertrinken" jetzt ihr Leben in für sie komfortabler Weise wieder meistern können, ihrer Arbeit nachgehen, die Wohnung in Schuss halten, Beziehung(en) und Hobbys pflegen... auf mich wirkte diese Vorstellung zunächst ausgesprochen schräg, doch mein Thera meinte: "Da ist einer, der sein ganzes Leben in der Dortmunder Nordstadt gewohnt hat und sein ganzes Sozialleben dort verwurzelt hat. Glauben Sie, dem ist geholfen, wenn ich ihm sage: Sie dürfen nie wieder mit Ihren Kumpels n Bier trinken? Dem ist weit mehr geholfen, wenn ich ihm sage: Nehmen Sie sich Tage, an denen Sie sich mit Ihren Kumpels ganz gezielt auf ein Bier in der Stammkneipe verabreden. Tragen Sie sich diese Termine verbindlich in Ihren Kalender ein." Dass das tatsächlich funktionieren kann, war mir neu, aber ich kenne selbst im Bekanntenkreis einen so strikt kontrollierten Trinker, der nach dieser Methode erfolgreich sein Leben meistert (guter Job, Frau, Kinder) und für sich klipp und klar sagt: Alkohol gehört zu meinem Leben dazu. Die möglichen körperlichen Folgen nimmt er dafür ebenso klipp und klar in Kauf. Was ich damit sagen will: Ich möchte hier auf gar keinen Fall Suchtverhalten verharmlosen oder sogar verherrlichen!, mir hat das Konzept übertragen auf meine FAs aber wirklich weitergeholfen - "kontrolliert" "geplant" fressen (nur noch spätabends), eine bestimmte Summe Geld nicht überschreiten (auch das lässt sich üben), all das sind kleine Schritte, die dir aber das Gefühl der Selbstkontrolle wiedergeben und gleichzeitig mit Erleichterung den Druck wegnehmen "Puh - ich MUSS nicht jetzt auf gleich vollständig aufhören. Ich DARF - wenn ich WILL." Der zweite Schritt ist zu hinterfragen: Will ich jetzt wirklich...? Vielfach war die Antwort schon "nein, eigentlich nicht", woraufhin der FA meist viel gemäßigter ausfiel. Ich verhandel auch immer öfter mit "meiner Dauerbegleiterin", erst gestern hab ich sie im inneren Dialog gefragt: "Na Mia, willst du nicht mal heute deinen freien Tag nehmen?" Sie nahm ihn, erst nach Mitternacht meldete sie sich (sehr moderat) zurück.
- sie hat mich schließlich auch so lange unverrüttelbar treu begleitet und mir manches Mal üble Gefühle vom Hals gehalten, da kann ich aus ihrer Sicht verstehen, wenn sie jetzt sauer sagt: Nö, so einfach abschieben lass ich mich jetzt nicht von dir! :wink:
Kein Verharmlosungsbeitrag, aber eine Verteidigung der kleinen Schritte. @coca: dein Therapeut verhält sich nach meiner Ansicht pauschalisierend-ignorant und verantwortungslos. Meiner hätte dich über den grünen Klee gelobt :mrgreen: :mrgreen: :mrgreen:
Gut genug.

Re: keine kleinen Schritte???

#18
Also es ist schonmal gut zu wissen, dass es scheinbar schon möglich ist, die Essstörung abrupt zu beenden.
Ich hab nur seit dem ich 13 bin noch nie meine Gefühle einfach so aushalten können. In den Zeiten, wo ich Essstörungsfrei war, hatte ich immer einen Freund an meiner Seite. Wenn da niemand war, hat sich die Krankheit jedesmal unbemerkt wieder eingeschlichen.
Okee, zwischendrin hatte ich mal ne Zeit, in der ich die Gefühle allein ausgehalten hab, aber da wär ich um ein Haar aus dem Fenster gesprungen und solche Scherze.
Ich hab schon Angst davor, das so durchzuziehen. Irgendwie könnt ich mir zwar vorstellen, dass ich es in Angriff nehme, von heute auf morgen halbwegs normal zu essen. Aber ich hab einfach keine Ahnung, wie ich das mit den dämlichen Gefühlen dann mache. Irgendwie wöllte ich vorher erst eine Möglichkeit haben, die erträglicher zu machen. Aber meine bisherigen Methoden zum Gefühlsausgleich waren eher ungesund...
Ich weiß einfach noch nich genau, wie ich es anstellen soll.
Der wahre Freund weist uns auf unsere Fehler hin. Der falsche weist die anderen darauf hin.

Re: keine kleinen Schritte???

#19
Hey Liebe,

naja meine Anischten kennste ja. Lass dich von deinem Thera nicht fertig machen. Ich bin stolz auf deine Fortschritte. Alles was du drin lässt ist ein Fortschritt.

Ich denke, dass desto mehr man versucht dagegen anzugehen, desto mehr rutscht man rein (habe ja selber die Erfahrung machen dürfen). Bei den meisten ehemaligen lese ich immer, "och, ich hatte einfach keine Lust mehr aufs kotzen und habs gelassen!". Dazu gehört ein starker Wille. Also ich hab ihn noch nicht, aber ich beschäftige mich nicht mehr den ganzen Tag mit FA. Und es macht wirklich wieder Spaß..... Natürlich hoffe ich so, dass die B. in den Hintergrund rückt und irgendwann weg ist.

Von mir selber weißte ja, dass ich auch immer versucht habe es "ausschleichen" zu lassen. Ich habe wie Milena auch Tage gesetzt. Diese gefeiert, als wenn es keinen morgen mehr gibt. Sofort hab ich auch probiert, morgens ging, abends nicht und da ich die FA "nur" abends habe.... :wink:

Außerdem möchte ich hier noch mal zu dem Vergleich zu anderen Suchtmitteln kommen. Die braucht man nicht um zu überleben.... Essen schon, also sind wir immer gezwungen uns mit dem Thema zu beschäftigen. Außerdem achtet mal drauf, wie viele Menschen von Essen reden (egal ob sie von der B. wissen oder nicht). Redet jeder Mensch den über Alk, Drogen, Fluppen oder sonstiges????? Du wirst immer mit Essen konfrontiert, was die Sache nicht grade leichter macht.

Ich habe für mich gemerkt, ich bin noch nicht soweit. Ich möchte nicht jeden Tag kämpfen, aber verloren habe deswegen noch lange nicht, weil ich LEBE. Ich glaube, auch wenn ich nicht mehr so aktiv an die FA heran gehe, lebe ich sehr viel mehr und habe Spaß als andere hier, die sich nur mit "ihrem Kampf" beschäftigen......
Cherish your life

Re: keine kleinen Schritte???

#20
also meine therapeutin wendet bei mir auch die methode der kleinen schritte an, aber ich weiß nicht, ob sie das bei jedem Bulimiker so macht :? ich habe sowieso das gefühl das sie mich in allem sehr sanft anpackt, also wie schon gepostet - ich denke, das ist individuell und jeder muss seinen persönlichen weg finden...
Kinder dürfen nur leise weinen, damit sie keiner hört. Damit niemand merkt, dass sie gerade sterben. Kinder sterben leise und allein.

Re: keine kleinen Schritte???

#21
Hallo liebe coca,

ich glaube auch das die kleinen schritte sehr wichtig sind.
Sei stolz auf dich ! und lass dich bitte nicht so verunsichern.
finde dein eignes Tempo und geh deinen Weg.
du hast doch geschrieben das du ein gutes Gefühl hattest und motiviert warst.
ich denk das ist das wichtigste, das DU bereit bist was zuverändern.

auf jedenfall viel kraft und Mut weiter zumachen.

kannst du dir eigentlich vorstellen, näher über diese starke gefühle zu schreiben.
du schreibst ja, das du sie ganz schlecht allein aushalten magst.
mir hilft z.B. tagebuch schreiben, und da schreib ich einfach wie es kommt.
einfach alles raus und das tut mir gut.

Lass den kopf nicht hängen :wink:
und alles gute für dich
ganz liebe grüße betti