Alles Scheiße... | 5 Antworten

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Von Anke am 06.11.2001

Hallo Ihr alle zusammen,
melde mich jetzt erst das zweite Mal hier zu Wort und muß mir jetzt einfach durch das Schreiben mal Luft machen. Ich habe zwar einige gute Freunde, die auch wissen, daß ich Bulimie habe, aber mit einem Freßanfall und den Gefühlen können sie dann halt doch nicht so viel anfangen. Außerdem kann niemand diese Empfindungen nachvollziehen, der nicht selbst durch diese Hölle gegangen ist.
Ich bin auf der Arbeit, muß noch bis 17:00 h durchhalten und weiß nicht, wie ich den heutigen Tag und überhaupt mein restliches Leben überstehen soll.
Früher hatte ich die Freßanfälle nur zu Hause oder abends. Jetzt passiert es immer öfter auch tagsüber und die Nahrungsmengen werden immer größer. Bin innerhalb der Firma in ein neues Gebäude gezogen und habe jetzt ein Büro für mich alleine. Die Gefahr für Freßanfälle ist also noch größer geworden. Außerdem habe ich meine ganzen lieben Kollegen, bei denen ich mich auch mal ausheulen konnte und die mich auch mal in den Arm genommen haben (wir sind eine wirklich tolle Truppe und auch privat öfter zusammen), zurücklassen müssen.
Habe heute 3 Brötchen mit Nutella, 1 Croissant, 100 gr. Haribo, 300 gr. Lebkuchen, 1 Käsebaguette, 1 Mohnschnecke und 10 Kekse gegessen. Ich hasse mich dafür. Wo soll das noch hinführen??? Habe mir Sonntag neue Klamotten gekauft, die mir in den nächsten Tagen wahrscheinlich bald nicht mehr passen werden. Dieses bescheuerte Schwarz-Weiß-Denken. Dieses bescheuerte Jetzt-Ist-Sowieso-Alles-Egal-Denken. Ich fühle mich so eklig und fett. Wo ist meine Disziplin geblieben? Früher konnte ich nach Freßanfällen fasten oder bin laufen gegangen. Die letzte Zeit habe ich die Energie nicht mehr dazu und das Fressen überwiegt.
Ich weiß ja, daß es eine Lüge ist, wenn ich sage, daß ich glücklich bin, wenn ich knochig bin. Aber wenn ich jetzt dazu auch noch wieder fett werde und täglich einfach nur noch zugedröhnt bin, bin ich noch unglücklicher. Die erste Hose hängt schon im Schrank und passt nicht mehr.
Ich bin 27 Jahre und seit 10 Jahren eßgestört. Habe alles durch, was man sich vorstellen kann und Gewichtsschwankungen bis *kg innerhalb kürzester Zeit erlebt.
Mein ganzes Leben dreht sich ums Essen, Nicht-Essen, Fasten, Sport, Figur...blablabla. Ihr wißt es selbst nur allzu gut.
Ich bin innerlich sowas von unruhig, kann überhaupt nicht mehr abschalten und mein Körper beginnt sich zu rächen.
Mir wurde vor 6 Wochen die Gallenblase entfernt, da ich Gallensteine hatte. Ich habe Haarausfall, Schlafstörungen, eine Magen-Schleimhautentzündung, eine kaputte Schilddrüse und zu geringe Eisenwerte. Oh je...Der Harrausfall macht mir besonders zu schaffen...Meine Haare sind einige der wenigen Dinge, die ich an mir mag.
WARUM macht man trotzdem mit der Scheiße weiter? Selbst 5 Tage nach der Operation hatte ich einen so fürchterlichen Freßanfall, daß ich gedacht habe, ich sterbe.
Im Moment geht es mir echt beschissen. Ich sehe keine Sonne.
Habe eine Therapie begonnen und diese Woche geht mein Antrag für einen stationären Klinikaufenthalt an meinen Rentenversicherer heraus.
Ich muß raus. Raus aus meiner Wohnung, raus aus meinem Alltag, weg von meinem Job und rein in einen geregelten Tagesablauf, in eine Zwanssituation.
Drückt mir die Daumen, daß mein Antrag nicht abgelehnt wird.
Ich glaube, daß es im Moment alles sehr wirr ist, was ich hier schreibe, aber es muß raus.
Das Leben könnte doch so schön sein. Habe vor 1 Jahr eine 5-Jahres-Beziehung zu Ende gebracht (besser gesagt wurde ich verlassen) und hatte danach eine 3-Monats-Beziehung. Dieser Beziehung trauere ich noch ein wenig hinterher. Aber egal, das wird schon. Im Moment bin ich sowieso nicht in der Lage eine Beziehung zu führen.
Aber ein komisches Gefühl ist es halt doch, wenn man nach so langer Zeit wieder ganz alleine ist, wo mein Leben doch so geregelt war, und ich immer einen Partner hatte.
Aber auch als Single könnte ich das Leben genießen. Ich habe Freunde, ich könnte Party machen, in die Disco gehen, Freunde besuchen, die weiter weg wohnen, in den Urlaub fahren, mich um mein Patenkind kümmern, verrückte Dinge machen, mit meiner Freundin Video-Nächte machen und einfach nur Spaß haben. Es geht. Aber warum ist da diese Scheiß-Sucht, die mich am Leben hindert.
LEBEN!!! Was ist das überhaupt? Ich weiß es im Moment nicht mehr. Was ich führe, ist aif jeden Fall kein Leben.
Und wenn ich nicht diese Scheiß-Angst hätte, dann würde ich mich schon längst ausklinken aus diesem DAHINVEGETIEREN!!!
So, jetzt höre ich erstmal auf.
Ich wünsche Euch allen viel Kraft für den Rest des heutigen Tages und für morgen.
Irgendwie bekommen wir das schon wieder hin, oder? Eigentlich sind wir starke Persönlichkeiten und wären nicht mehr zu bremsen, wenn wir unsere Energie, die wir für unsere Sucht vergeuden, in andere Dinge stecken würden.
Man muß es einfach jeden Tag aufs neue versuchen. Aber das ist halt sauschwer, wenn man keine Perspektive mehr sieht.
Es grüßt Euch von Herzen,
Anke


bisherige Antworten:


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Betreff: Re: Alles Scheiße...
Von Marc Peugeot am 06.11.2001


Ich verstehe nicht, warum Du Dich so selbst bemitleidest. Findest Du das nicht peinlich? Mehr disziplien bitte!!!

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Betreff: Re: Alles Scheiße...
Von Julia am 06.11.2001


Hallo Anke!

Kann Dich gut verstehen, weil es mir sehr ähnlich ergeht. Auch ich habe seit 10 Jahren Bulimie, bin berufstätig (habe ein eigenes Büro) und studiere nebenbei noch.
Ich glaube ich kann mir gut vorstellen, wie es Dir in der Arbeit geht. Bei mir beginnt das ganze Dilema immer nachmittags, d.h. besser gesagt nach dem Mittagessen. Ich esse Mittags immer einen kleinen Beilagensalat und ein Weckerl. Danach verliere ich dann immer die Beherrschung und könnte nur noch alles in mich reinfressen. Ich kann es dann kaum noch erwarten bis endlich Dienstschluß ist, und ich nach Hause komme. Ich weiß nicht, aber in der Arbeit kann ich nicht brechen. Hätte Angst, daß mich jemand hören könnte. Darum verschiebe ich das immer auf zu Hause.

Bzgl. der körperlichen Symptome geht es mir ebenfalls ähnlich.
Habe auch sehr starken Haarausfall, was mich furchtbar fertig macht. Alle anderen Nebenerscheinungen belasten mich nicht so sehr, aber dieser verdammte Haarausfall...
War diesbzgl. schon bei allen möglichen Ärzten, aber bis jetzt konnte mir leider noch niemand helfen. Mache zur Zeit eine Spritzenkur mit Vitamin B12. Lt. meiner Hautärztin sollte das den Haarausfall stoppen. Ich weiß nicht ob ein Zusammenhang zw. dem Haarausfall und dem Ausbleiben meiner Periode (seit nunmehr 4 Jahren) besteht. Glaube aber, daß vermutlich mehrere Faktoren eine Rolle spielen (Hormone, ERnährungsmangel usw.) Habe mich ernstlich schon mit dem Gedanken gespielt, meine langen Haare abzuschneiden. Ich weiß nicht, aber ich glaube bei mir sieht man schon, daß die Haare immer dünner werden. Was machst Du eigentlich dagegen, weißt Du irgendein "Wundermittel".

Ich verstehe eigentlich gar nicht, wie ich nur so blöd sein kann. Im Grunde wollen wir alle gut aussehen, und richten uns mit dieser Sucht selbst zugrunde. Gerade meiner Haare zu liebe sollte ich es doch schaffen mich wenigstens einigermaßen normal zu ernähren. Was nützt es uns wenn wir super schlank sind, und dafür unsere mehr oder weniger noch vorhandene Haapracht dafür einbüßen?
Aber es geht ja eigentlich gar nicht mehr ums Schlanksein. Es ist vielmehr diese Leere die ich versuche mit dem Essen auszufüllen. Dieser enorme Druck, der rausgekotzt werden muß. Das Schlanksein, war zu Beginn der Krankheit ein zentrales Thema, aber daß Gewicht ist nun nicht mehr mein Problem. Natürlich fühle ich mich oft auch furchtbar fett, aber mein logischer Hausverstand sagt mir, daß ich bei meinem derzeitigen Gewicht unmöglich dick sein kann.
Muß jetzt Schluß machen, hoffe Du kränkst Dich nicht zu sehr über das vorige Mail von diesem Marc. Es gibt eben leider noch immer sehr viele Menschen, die das alles nicht verstehen können.

Ich wünsche uns jedenfalls, daß wir eines Tages die Kraft finden werden, die uns hilft diesem Teufelskreis zu entkommen.

Wünsche Dir alles Liebe und viel Kraft

Julia


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Betreff: Re: Alles Scheiße...
Von Nela am 07.11.2001


Hallo Anke!

Ich habe deinen Beitrag gelesen, du redest mir da sozusagen aus der Seele, ich werde 27Jahre alt bin Bulimikerin seit fast vier Jahren hatte auch mal dichtere Haare, lang , naja jetzt hab ich sie kürzer und bleiche sie wenigstens fällt es nicht so auf! Das was du da schreibst, es geht mir auch zur Zeit ganz genau so wie dir und ich bin zienmlich in Stimmungsschwankungen durch das ganze! Ich konzentiere mich sehr auf meine Arbeit mache viele Überstd. und Vertretungen wenn jemand krank ist oder im Urlaub, ich bin im Nachtdienstseit ca. seit einem Jahr, das hilft etwas und ich habe mehrere ganz liebe Kollegen um mich herum das ist ein Vorteil aber dennoch gehe ich auch mal heim und dann.... Ich hasse mich selber schon für das und mein Körper rebelliert auch schon langsam ich weis fast vier Jahre sind nicht so lange wie zehn trotzdem hat es meinen Körper schon sehr hergenommen durch die Magersucht am Anfang! Ich bin von einem ins andere gestolppert und habe seit dem immer wieder Rückfälle mal eine Zeit lang gehts mir besser und dann könnte ich am liebsten zerplatzen! Bei mir hat es begonnen mit rapieder abnahme ich hatte auch innerhalb kürzester Zeit auf *kg abgeommen und seit drei Jahren Schwanke ich, im Sommer hatte ich *kg dann mal mehr mal wieder weniger, ich hatte bevor das alles begonnen hat auf schon Eßstörungen und es war mir schon vorprogramiert so zu enden wenn ich jetzt machmal darüber nachdenke! Es hat sehr lange niemand gewusst, jetzt kann ich wenigsten darüber reden und es gibt Zeiten da geht es mir besser und dann wieder schlecht (so wie im Moment)ich fühle mich so richtig hässlich und könnte mir am liebsten selber in Gesicht schlagen für das, das ich so denke oder was ich da eigendlich tu, es hilft wenn man weis das man nicht alleine damit ist und es andere gibt die einen verstehen obwohl es viele nicht verstehen die mit essen normal umgehen können und diesen Phsychischen druck auch nicht haben! Manchmal bekomme ich so derartiges Herzrasen wenn ich zu viel gegessen habe das ich nach Luft schnappen muss naja und dann... ich mache demnächst auch wieder eine Therapie aber wie du schon geschrieben hast ist das so das man raus muss weg von dem ganzen, einfach mal alles fallen lassen und Luft holen einfach raus! Aber was ich damit sagen möchte ist, du darfst niemals aufgeben! Und nimm das was dieser Marc hier schreibt einfach nicht ernst er hat anscheinend keine Ahnung, ich habe ihm auch schon geschrieben das er nivoulos ist!

Ich wünsche dir (auch dir Julia) viel viel Glück und schreib wenn du willst .....
Lg. Nela


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Betreff: Re: Alles Scheiße...
Von Anke am 07.11.2001


Hallo Julia, hallo Nela,
danke für Eure Antworten. Ich habe mich heute morgen sehr darüber gefreut.
Diesen Typen (Marc?) kann ich leider nicht ernst nehmen und erspare mir jetzt mal jeden Kommentar über seine Worte. Über solche Bemerkungen muß ich mich nicht aufregen, da stehe ich drüber. Ist wahrscheinlich noch ein kleiner, unerwachsener Hosenscheißer, der das Leben erstmal kennenlenrnen muß.
Haarausfall kann unheimlich viele Ursachen haben und viele Ärzte belächeln dieses Thema. Es stimmt auch, daß man wirklich unterscheiden muß, ob es sich nur um einige mehrere ausgehende Haare in den Frühlings- und Herbstmonaten oder um "wirklichen" Haarausfall handelt.
Entscheidend ist, wieviele Haare morgens schon auf dem Kopfkissen liegen oder ausfallen.
Ursachen können Hormonstörungen, Mangelerscheinungen (z.B. geringer Eisenwert), Schilddrüsenunter- o. überfunktion, Operationen und, und, und sein.
Ich kenne auch kein Wundermittel. Ich nehme zur Zeit ein Haarwasser (pantostin), was mindestens 6 Monate täglich auf die Kopfhaut aufgetragen werden muß (gegen hormonell bedingten Haarazfall).
Na ja, ansonsten warte ich gerade auf die Ergebnisse meines Schilddrüsenuntersuchung und habe vom Arzt ein Eisenpräperat verschrieben bekommen.
Manchmal geht mir auch der Gedanke durch den Kopf, was es mir bringt wenn ich dünn bin, wenn meine langen Haare ausgehen. Obwohl ich im Moment sehr stark zunehme, was ich als noch schlimmer empfinde. Keine Haare mehr und wieder dick. Das ist ja eine ganz schreckliche Kombination!!!
Zum Laufen hatte ich immer ein bestimmtes Haargummi zum Zopfbinden verwendet. Dieses Gummi rutscht mir inzwischen runter. Das ist schon deprimierend.
Ich hatte heute morgen vor der Arbeit schon eine Therapiestunde.
Meine Therapeutin hat mir heute den Tip gegeben, Gedankenstops einzubauen. Ich darf ja essen, aber damit möchte ich mich jetzt nicht beschäftigen, ich habe gerade andere Dinge zu tun.
Das hört sich natürlich supereinfach an, aber ist auch schwer umzusetzen.
Ich muß halt hart an mir arbeiten.
Ich habe eine Eßstörung, was schlimm ist. Ich habe sehr zugenommen, was unangenehm ist. ABER: es ist keine Katastrophe. Eine Katastrophe wäre, wenn meine Familie bei einem Autounfall ums Leben kommen würde, oder ich ein kleines Kind totfahren würde, oder alle meine Freunde Pocken bekommen würden und sterben müßten.
Natürlich geht es uns dreckig und unser Leidensdruck ist enorm, aber es ist keine Katastrophe.
Im ersten Moment habe ich geschluckt und geheult wie ein Schloßhund, aber irgendwie hat meine Therapeutin ja auch recht.
Was denkt Ihr?
Mein Freßattacke hat sich natürlci gestern abend fortgesetzt. Ich habe mindestens 10.000 kcal zu mir genommen und fühle mich furchtbar. Ich kotze es nicht aus, sondern sehe zu, wie es lustig in meine Fettzellen wandert. Dabei kann man nach solchen Attacken richtig zuschauen.
Mein ganzer Körper tut nir heute morgen weh und auf die Arbeit kann ich mich gar nicht konzentrieren. Habe im Moment auch nicht übermäßig viel zu tun. Wäre besser, wenn es etwas mehr und anderes wäre.
Ok, dann wünsche ich Euch einen schönen, erfolgreichen Tag.
Laßt´ mal wieder was von Euch hören.
Liebe Grüße von Anke


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Betreff: Re: Alles Scheiße...
Von Sonja am 07.11.2001


Liebe Anke und die Anderen.
Es war interessant, Eure beiträge zu lesen.
ich machte mir langsam Sorgen um mich und habe mir gedacht, so, jetzt musst Du Dir mal selber helfen un guckst mal im Internet. ich leide ( noch) nicht krankhaft an Bulimie, jedoch so, dass es mir ein bisschen sorgen macht. Ich denke, das hängt von meinem derzeitigen Lebensstil ab, ich bin einfach unglücklich und habe keine ruhe im bauch. Ich denke, was ganz ganz doll hilft, ist, sich mit Anderen hinzusetzen und gaanz in Ruhe zu essen! Dabei sollte man sich vor Augen führen, dass es total schön ist, mit Anderen zusammenzusein. Die Nahrungsaufnahme rückt dabei ziemlich in den Hintergrund! Man muss sich bewusst machen, dass man bewacht werden muss, man bewacht sich selber, indem man sich bewachen lässt!?
Das mit der Disziplin von Marc, das sagt sich superleicht. Hätte ich auch gern, immer Kontrolle über meine Gefühle, immer zu wissen, was gut und wieviel gut ist, Beherrschung!!! Aber man lässt sich eben leicht gehen, wenn´s einem nicht gut geht- entweder: alles egal- Gefühl oder: ich brauch das jetzt einfach! Ich denke, es hilft nur eins: raus aus dem Alltag, sich wieder bewusst werden, der eigenen Gefühle, der eigenen, grundlegenden Bedürfnisse. Sich ein Haustier zulegen, das lebt die Natürlichkeit vor!!! Ein Baby...hüten, haben- back to the roots- Urlaub auf dem bauernhof!!!
Ich weiss, das Ausbrechen ist auch nicht leicht. Aber: sich normalisieren, eine Aufgabe suchen.
Alles Liebe! Haltet durch,
Eure Sonja