Tschüss Schön Klinik - Abschiedsrede

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Hallo ihr! Es ist soweit, nach 24 Wochen werde ich am 6.11 aus der schön klinik entlassen. Ich möchte gerne meine Abschiedsrede mit euch teilen, vielleicht inspiriert sie den ein oder anderen oder ermutigt, den Schritt in die Klinik selbst zu wagen!


Wow. Wo fange ich an. Wie finde ich die richtigen Worte, bilde die Sätze so, dass sie zwischen all den Gefühlen in mir für andere noch einen Sinn ergeben? Hinter mir liegt eine unfassbar schwere, anstrengende und wichtige Zeit. Sie hat mir dabei geholfen, eine wichtige Entscheidung zu treffen, an der ich so lange gezweifelt habe...Ich will leben.
Als ich vor 25 Wochen hier herkam, war mein Leben alles andere als lebenswert. Und es war auch nicht mein Plan, dieses Leben noch weiterzuführen, genauso wenig wie es mein Plan war, die Essstörung ganz loszulassen. Ich dachte, ich gönne mir nochmal ein wenig Pause vor mir selbst und meiner Selbstzerstörung, natürlich ohne ein Gramm zuzunehmen oder mit dem kotzen aufzuhören. Meine Idee war, nicht weiterzuleben - sondern mit dem Sterben noch ein wenig zu warten.

In den vielen Visiten jeden Freitag hörte ich den Verabschiedungen von Patienten zu, die davon erzählten, wie sie den Kampf mit der Essstörung aufgenommen haben, sich Stück für Stück, Richtmenge für Richtmenge das Leben zurück erkämpften,die raus wollten aus dem dunklen Verlies der Essstörung.Der Kampf sei hart und vielleicht nie ganz zuende. Sie erzählten von ihren Rückschhlägen und Ängsten und wie sie hier gelernt haben, wieder aufzustehen. Manche erzählten, wie gut es sich anfühlt, endlich wieder das Lieblingsessen ihrer Kindheit essen zu können, ohne Angst vor den Konsequenzen zu haben, denn jene Konsequenzen existieren nur im Gesetzesbuch der Essstörung und gegen diese falschen Vorschriften wird endlich erfolgreich rebelliert.. und wie gut es tut, einen Menschen in den Arm nehmen zu können und zu denken " Nie wieder wird mir irgendeine Zahl wichtiger sein, als unsere Freundschaft"

Und ich ? Ich saß da. Hörte zu. War irgendwo zwischen " das kann doch nicht die Realität sein" und " Ich gönn es ja jedem, aber ich selber werd da niemals hinkommen,ich bin da anders..."

Ja, ich bin anders. Wir alle sind anders. Aber genau das macht es uns allen möglich, auf unsere Art und Weiße zu heilen. Uns zu finden, so wie wir wirklich sind. Ich stelle fest, dass es Realität sein kann, es ist kein Traum, ich sitze hier und bin da, wo ich niemals geglaubt habe, sein zu können.
Ich will nicht sagen, dass die Essstörung einfach so aus meinem Leben verschwunden ist. Nein, das wäre schlichtweg gelogen. Sie ist immernoch da. Lauert mir immer wieder auf und weiß genau, an Tagen an denen es mir weniger gut geht besteht die Chance, dass sie mich wieder um ihre dürren Finger wickelt. Sie ist ein bisschen wie ein Ex-Freund, der einfach nicht verstehen will, dass Schluss ist. Und so läuft sie mir hinterher, flüstert mir an schweren Tagen sanft ins Ohr dass nichts besser funktioniert hat als unser Teamwork über der Toilette, sich nichts besser anfühlt als einen schmerzverzehrten Körper der vollgestopft ist mit Nahrunsmitteln und wir gemeinsam das attraktivste Päärchen im Universum sind und jeder uns beneidet, weil wir so schön dünn sind und uns fühlen wie die Eisprinzessin, im eigenen, ewigen Winter.

Was die Essstörung noch nicht weiß? Naja. Es gibt da jetz jemand anderen in meinem Leben, den ich gerne noch besser kennenlernen möchte... Es hat wirklich lange gedauert, bis wir uns irgendwie näher kommen konnten, den so vieles stand uns im Weg. Die Angst , wieder verletzt zu werden und das fehlende Vetrauen, sich wirklich auf jemandem Verlassen zu dürfen in dieser Welt machten es schier unmöglich, dass sich unsere Blicke auch nur einmal ehrlich streiften. Doch mit der Zeit kamen wir uns näher. Stellten viele Gemeinsamkeiten fest. Dass wir sehr Emotional sind, vorallem dass der Ärger manchmal mit uns durchgeht, aber auch Freude ist in dieser Welt wieder möglich. Dass wir beide Musikfanatiker sind die stundenlang am Steg liegen können und in den Nachthimmel starren, Lied für Lied.
Und nach einer langen Phase der Unsicherheit wagte ich endlich den Schritt. Ich stellte mich vor sie und fragte " Würdest du dir vorstellen könne, mir als Mensch in deinem Leben eine Chance zu geben?" Und zum ersten Mal seit langer,langer Zeit lächelte mich mein Spiegelbild an.

Die Essstöung hat mir immer erklärt, niemand kennt mich so gut wie sie. Endlich weiß ich, was das für eine Lüge ist. Die Essstörung wusste nie, wie sehr ich es liebe, mit Menschen zu reden, die ganze Nacht mit Kopf und Herz im Hier und Jetzt zu sein, wie gut mir ein Eis an einem Sommerabend am See schmeckt, wie frei sich mein Geist fühlt wenn ich eine Gitarre in den Händen halte und die Lieder singe, die mich schon so lange begleiten.Und für die Essstörung ist kein Platz zwischen mir und den tausenden von Menschen die mit mir gemeinsam auf dem nächsten Konzert das leben spüren und besingen.

Ich möchte mich beim Team der A7 bedanken,
Bei Frau ***** und Herrn ** - für die vielen Gruppen die sie geleitet haben.

Liebe Frau ****, vielen Dank für das Verordnen von Reizstrom, MediStream, Hustensaft und co !

Ein besonderer Dank geht auch an Frau ****danke, dass sie immer für mich da waren und mir die Angst vor einem ehrlichen Gespräch genommen haben, wenn ich mal wieder buchstäblich etwas "ausgefressen" habe. Ihnen habe ich zum ersten Mal erzählt dass es nach 5 Wochen Therapie wohl doch immernoch nicht so toll läuft und hatte furchtbare Angst, Ärger zu bekommen, was ich bekam was Verständnis und Wertschätzung - DANKE !

Danke an Frau *****, für die 3 Wochen die Ich bei Ihnen sein durfte, vorallem Danke für die viele Zeit die sie für mich aufgebracht haben und für ihre Großartige unterstützung als es darum ging, meine Schwester zu kontaktieren.


Jo, bleibt zum Schluss noch mein Bezugstherapeut **** Als Frau **** mir damals gesagt hat, dass sie die Station wechselt und sie jetzt mein Therapeut werden, hörte ich nur die Stimme meiner Essstörung fluchen " Oh shit, jetzt gehts mir an den Kragen" Ich muss zugeben, ich hatte ziemlich Angst vor Ihnen und in manchem meiner 25min Einzel war ich es die dachte - "oh shit, mir platzt gleich der Kragen!" oft kam ich frustriert oder wütend aus unseren Terminen, während sie sich darüber freuten wie mein Gewicht sich langsam, ganz langsam dem grünen Bereich näherte und ich mich immernoch fragte wo ich zwischen all meinen Accessoires noch Platz für diese komische Skillskette finden soll.

Ich bin Ihnen heute unfassbar dankbar - für ihre Konsequnez und Ehrlichkeit, aber auch für ihr Verständnis und Mitgefühl. Und dafür, dass sie mir immer wieder ein beruhigendes Gefühl der Zuversicht zurück geben konnten, wenn ich das Gefühl hatte, die Hoffnungslosigkeit und Angst kommen mir wieder bedrohlich nahe. Ich habe in dieser Therapie so viel über mich gelernt und es sind Dinge für mich möglich geworden, an die ich so niemals geglaubt hätte. Auch wenn ich jetzt ja schon fast Profi bin - sollte ich mal wieder eine Verhaltensanalyse ausfüllen müssen lasse ich ihnen eine Kopie zukommen, die sie dann für mich korriegieren können.

An meine Mitpatienten : Danke. Ihr habt mir als Teil unserer Gemeinschaft auf dieser Station die möglichkeit gegeben, Ruhe zu finden. Auch wenn mein Gemüt oft alles andere als ruhig war - mal voller Wut oder Backstreetboys-zittierend habt ihr mich ertragen oder habt euch mitreissen lassen, ganz egal, ohne euch wäre diese Zeit für mich nicht die selbe gewesen !
Egal, wo ihr momentan auf eurer Reise steht : ob ihr schon glaubt, den höchsten Gipfel bezwungen zu haben, die Ambivalenz euch gerade zum Innehalten zwingt oder wie ich vor vielen Wochen noch am unwirklichen Anfang steht :
Auch, wenn es sich manchmal alles auswegslos und eklig anfühlt : Mit *kg mehr gebt ihr euch die Chance, euch selbst zu entdecken. Denn es ist nicht das Untergewicht, das euch definiert und egal wie niedrig die Zahl auf der Waage auch sein mag - eure Identität und euren Selbstwert sucht ihr dort vergebens.
Jedesmal, wenn ihr euch dazu entschließt, dem Drang eines Essanfalls nicht nachzugehen lenkt ihr euren Blick wieder auf den richtigen Weg in euer inneres Heim - denn in keiner Chipstüte findet ihr die Geborgenheit, in keiner Cornflakes Packung die Sicherheit nach der Ihr euch so,so sehr sehnt.
Eure Gefühle, von Angst über Ärger bis Freude gehören zu euch - nicht in eure Kloschüssel.

Eine Freundin hat mich gefragt, ob ich die Zeit bereue, die vielen Jahre, die ich nur der Essstörung gewidmet habe.
Und auch, wenn ich oft das Gefühl hatte, innerlich in Flammen zu stehen und mir nichts eher gewünscht habe, als nicht mehr zu sein lautet meine Antwort : Nein.
Nein. Ohne die Essstörung hätte ich diesen Ort nie entdeckt,die Menschen hier nicht getroffen und die Gespräche nicht geführt, die mich tiefes Mitgefühl und großes Glück haben spüren lassen.
Vorallem aber...ohne die Essstörung hätte ich niemals zu dem Menschen gefunden,der ich heute bin.
Niemand. Nichts und niemand da draußen, kann mir die Garantie dafür geben, dass ich nicht mehr in den alten Zustand zurückfalle, der sich jahrelang wie ein Sterben in Zeitlupe angefühlt hat.
Keine beste Freundin, keine Radiohead - Songzeile, kein **bezugstherapeut,**kein Spaziergang zum See.
Alles, was mir die Zuversicht und das Vertrauen geben kann, dieses eine Leben in dieser Welt zu meistern, ist in mir. Alles was ich gelernt, entdeckt, versanden habe, ist in mir.
Ich erlaube mir, dass mein Weg nicht der ist, den sich meine Eltern vor 25 Jahren für mich vorgesellt haben. Und dass ich mehr Zeit brauche.
Ich vertraue darauf, dass ich die Dinge meistern werde und achtsam bleibe, den die Schatten verschwinden nicht, egal wie viel Licht auf mich fällt.
Ich habe meine Arme ausgestreckt und hilfe angenommen. Das Leben hat sich in meine Hände gelegt. Nun liegt es an mir, nicht mehr loszulassen.
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