Meine Geschichte mit der Bulimie..

#1
Hallo zusammen..

Nun, ich war lange nicht mehr online.
Zuerst möchte ich kurz die letzten Jahre zusammenfassen:

Seit ich 16 Jahre alt bin, habe (hatte) ich Bulimie.
Ich war früher immer normalgewichtig.
Als ich 15 Jahre alt, starb meine "erste große Liebe" bei einem Verkehrsunfall.
Ich war nicht am Unfall selbst beteiligt, kam aber zeitgleich mit den Notärzten zum Unfallort und sah ihn dort noch liegen.

(Hier möcht ich kurz einfügen, dass meine Kindheit geprägt war von gegenseitiger Missachtung meiner Eltern, viel Streit, Schreien,.. jedoch haben sie, glaub ich, immer versucht, mich da so gut es ging rauszuhalten - vor allem meine Mutter - was aber halt nicht immer gelang. Ich war auch viel bei meinen Omas, und ich denke, man hat sich immer bemüht, mich "zufriedenzustellen", vor allem an materiellen Dingen hat es mir nie gefehlt. Jedoch im Nachhinein glaub ich, zu erkennen, dass es wohl an Liebe bzw. Zuneigung dafür umso gefehlt hat. Dies soll kein Vorwurf sein, vielleicht konnten sie es auch einfach nicht. Nicht jeder Mensch kann Andere in den Arm nehmen, oder jemandem einfach sagen, wie lieb man ihn hat. Ich denke aber, das hätte ich mir so oft gewünscht - und tue ich auch heute noch.)

Jedenfalls hab ich in Fabian (nennen wir ihn einfach mal so), etwas gefunden, was ich so sehr gebraucht habe.
Was genau das mit unseren jungen 15 bzw 16 Jahren war, weiß ich selbst nicht genau.
Aber er hat mir so wahnsinnig gut getan, ich hab mich so geborgen in seiner Nähe gefühlt.
Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich damals mal am Fenster stand, wissend, dass er gleich mit dem Fahrrad um die Ecke kommen würde - und plötzlich Tränen in den Augen hatte. Der Gedanke, so jemanden in meinem Leben zu haben, hat mich so überwältigt, dass ich Freudentränen geweint habe. Was auch immer da in mir vorging.

Ja, nun war er jedenfalls tot, und ich wollte es auch sein.
Ich sah keinen Sinn mehr, weiterzumachen und konnte mir auch nicht vorstellen,
wie das ohne ihn noch funktionieren sollte.
Ich hab damals also versucht, mich mit Tabletten umzubringen,
wurde aber noch rechtzeitig gefunden und bin dann auf der Intensivstation aufgewacht, von wo aus sie mich in die Kinder- und Jugendpsychatrie gebracht haben.
Dort war ich allerdings nicht lange, und über diese Zeit möchte ich hier jetzt auch nicht genauer schreiben.

Wieder zuhause hab ich angefangen, zu fressen.
Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, aber es muss wohl so gewesen sein,
denn irgendwann hatte ich mein Körpergewicht fast verdoppelt (Zahlen sind hier ja nicht erlaubt), und ich war fett.
Nicht dick, fett.
Lange Zeit hat mich das gar nicht gestört, Hinweise und Anmerkungen von Familie und Freunden habe ich ignoriert
- es spielte einfach keine Rolle.
Bis mein Vater mir eines Tages im Auto einen Satz zuwarf, der mich noch heute erschauern lässt:

"Was glaubst du eigentlich, was wäre, wenn der Fabian wieder lebendig werden könnte?
Ich kanns dir sagen:
Wenn der aus seinem Grab steigen könnte, und dich sehen würde, dann würde er sich umdrehen und sagen
"Nein danke, aber du bist mir zu fett geworden!"


Ja, das waren wohl DIE Worte, die mich aufwachen ließen.
Damals war ich mittlerweile 16, und ab diesem Zeitpunkt sollte sich so einiges ändern.
Ich hab angefangen, Sport zu machen und nur noch gegessen, wenn ich es vor Hunger nicht mehr ausgehalten hab.
Da ich aber einfach zu gern gegessen hab, entschied ich mich dafür, einfach normal weiterzuessen, und danach einfach wieder auszukotzen. Das muss ja schließlich genauso gut funktionieren.
Hat es auch.

"Nur, bis ich wieder normal aussehe!"


Aber ich konnte nicht mehr aufhören.
Es gab seit diesem Tag vor 10 Jahren nur sehr wenige Tage, an denen ich mich selbst "In Ordnung" fand.
Es dauerte Jahre, bis ich mir eingestehen konnte, wie krank ich war.
Dass ich nicht mehr aufhören kann damit. Dass es längst meinen Alltag bestimmt.
Meine Familie und Freunde wissen seit langem Bescheid - ich mache kein Geheimnis mehr aus dieser Krankheit.
Essen war mittlerweile der wichtigste Bestandteil meines Tages. Es macht glücklich, es tröstet, und gleichzeit hasse ich es, und verabscheue es, weil es absolut die Kontrolle über mich hatte.
Gingen wir beispielsweise Essen, war das Hauptkriterium, nach dem das Restaurant ausgewählt wurde,
das, in welchem es sich am besten Kotzen ließ.
Wo sind die Klo's sauber? Wo hört mich niemand? Wo sind die wenigsten Menschen?

Ich wusste schon lange, wie krank das alles war.
Und ich wollte auch damit aufhören.
Phasenweise war es auch viel besser, aber die Bulimie kam immer wieder zurück.
Ganz schlimm war es dann in den letzten Monaten meiner letzten Beziehung.
Wir hatten uns längst verloren. Von UNS war längst so gut wie nichts mehr übrig.
Im Grunde wussten wir wohl beide schon lange, dass es keinen Sinn mehr machte -
die Beziehung glich zum Schluss mehr einem Schlachtfeld, als einem Zuhause.
Ich, die sich seiner Liebe immer zu sicher war,
und er, der vielleicht auch einfach keine Kraft mehr hatte für einen Menschen mit so einer Krankheit und diesen ganzen psychischen Problemen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass er mich mal sehr geliebt hat, und auch, dass er versucht hatte, mir das Leben leichter zu machen - aber ich glaube, es war einfach eine Nummer zu groß für ihn und irgendwann war ich nur noch eine Last, und nicht mehr die attraktive Frau, die man liebt. Ich mein, wer will schon jemanden, der so viele Probleme hat?
Trotzdem hielten wir noch lange aneinander fest, zogen gemeinsam in ein Haus, schmiedeten Zukunftspläne.
Wir versuchten, ein Kind zu bekommen, hatten Angst, aber freuten uns auch darauf.
Wir schmiedeten am einen Tag Hochzeitspläne, am nächsten Tag stritten wir, bis Fensterscheiben brachen und ich vor Schreien blau anlief und keine Luft mehr bekam. Es war irre, aber wir konnten nicht anders.

In den letzten Monaten war es dann ganz schlimm,
ich wusste, dass sich die Dinge geändert hatte, aber ich wusste nicht, was auf mich zukommen würde.
Er war anders geworden, und mir war klar, dass ich ihn verloren hatte.
er hat mich nicht mehr angesehen, er interessierte sich nicht mehr für mich.
Hab ich ihn darauf angesprochen, meinte er nur, ich bilde mir das ein.
Wohlwissend, dass ich Recht hatte, beließ ich es trozdem dabei und versuchte sogar weiterhin, schwanger zu werden.
Wahrscheinlich hoffte ich, ich könnte damit noch irgendetwas retten.
Oder wollte einfach nicht wahrhaben, dass es längst zu spät war.
Mein Leben verlief doch jetzt nach Plan, alles war doch geregelt, es MUSSTE doch so weitergehen.
Also machten wir einfach weiter so, und in dieser Zeit hing ich mehrmals täglich über der Kloschüssel.
Essen gab mir, was er mir nicht mehr geben konnte.
für kurze Zeit machte es mich glücklich, und im nächsten Moment zerstörte es mich,
jeder Gang zum Klo wurde zur Qual. Mein Körper war ausgelaugt, ich kotzte bereits des Öfteren Blut aus, mir fehlte jede Kraft.
Und trotzdem, ich konnte es nicht lassen.

"Ich seh's schon kommen - irgendwann kommst du nicht mehr runter (ich hatte oben mein eigenes "Kotz-Klo")
und dann find ich dich da oben neben der Kloschüssel liegen. Davor grauts mir jedesmal, wenn du die Treppen hochgehst
."

An diesen, seinen, Satz kann ich mich noch ganz genau erinnern. Denn er ließ mich wirklich erschaudern.
Und es tat mir so leid, es tat mir so leid, dass ich so schwach war.

Wenige Zeit später fand ich dann heraus (ich hab seine SMS gelesen),
dass er mich bereits seit mehreren Monaten betrügt.
Ja, das war dann der Anfang vom Ende.
Ich kann mit Worten nicht beschreiben, was ich in diesem Moment gefühlt habe.
So bodenlos hab ich mich seit Fabians Unfall nicht mehr gefühlt.
Ich wusste nicht, was zu tun war - mein Leben, unser Leben, unsere Pläne, die Tiere, das Haus, einfach alles - das kanns doch nicht gewesen sein. Was ist mir der Hochzeit? Mit dem Baby? Mit unserem Zuhause?
Was soll ich denn mit mir alleine anfangen? Wovon soll ich leben?

Aber es war so, und es war nichts mehr zu retten.
Ich glaube, dass man schon sagen kann, dass ich noch nie im Leben so viel Angst verpürt habe.
Es fühlte sich wie eine Ohnmächtigkeit an. Ich konnte einfach nichts mehr tun.

Da zu meinen Eltern zu ziehen keine Option für mich war, wohne ich seitdem bei Oma (aus finanziellen Gründen, da ich mich momentan nochmal in meiner zweiten Ausbildung befinde, die ich trotz allem zuende bringen wollte).

Die ersten Wochen hatte ich keinen Hunger, keinen Apettit mehr, musste mich fast schon zum essen zwingen.
Und da kam dann der Punkt, an dem ich für mich entschied, dass ich wenigstens das in Ordnung bringen möchte.
Nicht mehr brechen!
Das war vor etwa 6 Monaten.
Ich habs durchgehalten, bis auf wenige Unterbrechungen (vielleicht 4 oder 5 Mal).

Habe seitdem nochmal an Gewicht verloren, achte aber auch sehr auf meine Ernährung und treibe viel Sport.
Zwischenzeitlich viel alles ganz leicht, ich fühlte mich sehr wohl in meinem Körper und war stolz, dass ich diese Fressanfälle unter Kontrolle hatte.

Im Moment komm ich leider wieder gar nicht klar. Friss zwar nicht, und renn hinterher aufs Klo,
aber jetzt ist es vielmehr die Angst vorm Essen und einer eventuellen Zunahme, bzw der Drang, mich fast täglich zum Sport zu zwingen. Ich mache gern Sport, aber halt nicht jeden Tag - wenn ich aber mal nichts zue, hab ich ein schlechtes Gewissen.

Nun ja, gesund bin ich also noch nicht, aber ich hoffe, dennoch auf dem richtigen Weg..
Zuletzt geändert von Bolti86 am Do Jan 10, 2013 18:19, insgesamt 2-mal geändert.

Re: Meine Geschichte mit der Bulimie..

#2
Hallo,bolti
ich fühle mich grade iwie ganz komisch nachdem ich deinen text gelesen habe...
vllt weil ich mich total in das gefühl reinversetzten kann was du empfunden hast als du rausgefunden hast dass er dich betrügt..dieses gefühl der ohmächtigkeit,wie du es beschreiben hast, trifft genau zu !
absoulut furchtbar , kann ich leider total nachvollziehen :cry:
bei mir ist es genauso, dass essen mich tröstet, es macht mich einfach glücklich,wenn ich weiß dass ich am nächsten tag was leckeres esse oder koche/ backe bekomme ich sofort gute laune...
wenn ich unter menschen bin denke ich wenig an essen, esse dann auch nie etwas aber sobald ich ein ganzen tag mich mit mir selbst beschäftigen muss ist essen immer die erste idee.

wie geht es dir denn jetzt im moment sonst so ? und wie lange ist es her dass die beziehung zu ende ging ?

achja ; du kannst wirklich stolz auf dich sein dass du grade in deiner schweren lage die bulimie sogut bekämpft hast !
Es gibt drei Arten von Männern:
Die Schönen, die Intelligenten und die Mehrheit.

Re: Meine Geschichte mit der Bulimie..

#3
die Trennung war im Juli. so Ende August, anfang September ging es mir dann besser,
auch körperlich.
dann hab ich angefangen, ins Fitnessstudio zu gehen.
Fast täglich...
Momentan gehts mir nicht so gut. Fühl mich nicht gut in meinem Körper,
bin ausgepowert, habe angst davor, zu esssen, weil ich denke, dann nehme ich wieder zu.

Schwierig momentan..