Sozialverhalten

#1
Hallo,

ich bin neugierig, wie es bei anderen Essgestörten oder ehemaligen Essgestörten so mit dem Sozialverhalten aussieht.

Bei mir selbst sieht es so aus, dass ich mich in den Phasen, wo ich wirklich stark bulimisch war extrem isoliert habe. D.h. ich war am liebsten zu Hause und habe den ganzen Tag gefressen und gekotzt. Heute betrachte ich mich eigentlich als gesundet (bis auf die Rückfälle, von denen ich auch schon berichtet habe), aber ich merke, dass ich nach wie vor nicht zu den geselligsten Menschen gehöre. Sicher habe ich ein paar Freunde, mit denen ich gerne was unternehme, aber manchmal kostet es mich regelrecht Überwindung, das Haus zu verlassen. Zum Glück oder Unglück erfordert das meine Arbeit auch nicht immer von mir.

Wenn ich dann auch noch FAs oder gar Rückfälle habe (wie in letzter Zeit), dann sinkt die Motivation, was mit anderen zu machen auf null. Es liegt nicht daran, dass ich dann die Leute nicht mag, vielmehr daran, dass ich einfach so erschöpft bin und mich mit mir selbst so unwohl fühle, dass ich keine Lust habe rauszugehen und so zu tun, als ob es mir gut geht.
Wobei ich meistens die Erfahrung gemacht habe, dass es mir tatsächlich besser geht, wenn ich mich unter Leute begebe. Das lenkt mich von mir selbst und meinen manchmal total unproduktiven, selbstzerstörerischen und sich scheinbar bis in die Unendlichkeit wiederholenden Gedanken- und Gefühlsschleifen ab.
Der Mensch ist ja letztlich auch ein soziales Tier. Ich scheine das oft zu vergessen.
Ich frage mich, ob es mir deshalb manchmal so schlecht geht: weil ich mich einfach viel zu viel mit mir selbst befasse.

Würde mich interessieren, wie das bei euch so ist.

Lg

Re: Sozialverhalten

#2
Hey Freya!

Interessant, was du da beschreibst. Mir geht das teilweise auch so, und weiß ich auch nicht, ob ich das wirklich ändern kann oder überhaupt will.
freya1 hat geschrieben:Sicher habe ich ein paar Freunde, mit denen ich gerne was unternehme, aber manchmal kostet es mich regelrecht Überwindung, das Haus zu verlassen.
Der Satz hätte auch von mir sein können, ich unternehme auch sehr gern etwas, habe auch Freunde, mit denen ich gern (und auch sehr gern) etwas mache, aber manchmal habe ich im ersten Moment trotzdem einfach keine Lust, weil mir zu viele Menschen auch ganz gern mal *zuviel* werden und das, obwohl ich eigentlich ein sehr geselliger Mensch bin, ich wahnsinnig gern mit allen rede, auch gute und ernsthafte Gespräche führe, es wenig Leute gibt, mit denen ich nicht kann. Trotzdem, wenn ich abends nach Hause komme und wahrscheinlich schon den ganzen Tag mit den unterschiedlichsten Menschen kommuniziert habe (das bringen mein Studium und mein Job auch einfach so mit sich - da muss man reden.), dann habe ich oftmals keine Lust mehr mich noch mal zu verabreden, noch mal in die Stadt zu fahren und etc... Ist mir dann einfach zuviel.

Ich denke allerdings, dass es hier wichtig ist, dass man einen "Mittelweg" findet, es hilft, wenn man lernt sich und seine eigenen Kapazitäten und Fähigkeiten einzuschätzen und sich dann danach verhalten kann. Zu diesem Prozess gehört es auch, sich zu erkennen, seine eigenen Bedürfnisse zu sehen und ernst zu nehmen. Ich mache das eigentlich immer so, dass ich mir etwas vor nehme, ich mich verabrede, aber in einem Rahmen, der für mich gut ist und damit bin ich doch ziemlich zufrieden. Klar, wenn ich dann sehe, dass viele Menschen es einfach schaffen, nach der Arbeit/Studium/Schule noch jeden Abend etwas zu machen und dann noch ganz viele Menschen um sich herum brauchen, dann frage ich mich auch manchmal, was an mir so verkehrt ist. Aber ich bin gar nicht verkehrt, denn jeder hat auch andere Bedürfnisse.
freya1 hat geschrieben:Wobei ich meistens die Erfahrung gemacht habe, dass es mir tatsächlich besser geht, wenn ich mich unter Leute begebe. Das lenkt mich von mir selbst und meinen manchmal total unproduktiven, selbstzerstörerischen und sich scheinbar bis in die Unendlichkeit wiederholenden Gedanken- und Gefühlsschleifen ab.
Der Mensch ist ja letztlich auch ein soziales Tier. Ich scheine das oft zu vergessen.
Ich frage mich, ob es mir deshalb manchmal so schlecht geht: weil ich mich einfach viel zu viel mit mir selbst befasse.
Das ist eine interessante Frage, ich kann gut verstehen, dass das bei dir so ist. Drehst du dich im Kreis? Hast du dann schneller negative Gedanken? Und lenkst du dich mit Gesellschaft ab, oder hilft sie dir auch dabei dein Selbstbild zu ändern?
Mir geht das nicht so, ich kann mittlerweile auch gut allein sein, ohne solche Gedankenschleifen zu drehen, ich genieße dann auch mal das Alleinsein. Aber wie gesagt, gehe da gern den Mittelweg.

Hoffe, ich konnte dir ein bisschen weiterhelfen.

Alles Liebe, deine Colour
Zuletzt geändert von Colourful am Di Apr 27, 2010 17:10, insgesamt 1-mal geändert.
If defeat is for quitters, then the victory remains in the try.

Re: Sozialverhalten

#3
hey freya :)
ich kenn das auch aus meinen schlimmsten bulimie-zeiten,dass ich mich am liebsten den ganzen tag in meinem zimmer verkriechen will um ausschließlich zu f und zu k.ich denke ich wollte so alles mögliche um mich herum vergessen und meine gefühle wegfre* bzw kot*.
aber ich merke ich werde um so unternehmungslustiger,desto weniger ich mich mit meiner ernährung beschäftige bzw desto weniger ich fres* und erbreche.aber auch wenn ich mich in meiner haut nicht wohl fühlr,dh bei mir des ich beispielsweise zu viel gegegessen habe,schlechte laune bekomm,auf mich selbst wütend werde und dann ebenfalls nicht raus geh.
also im großen und ganzen isolier ich mich,sobald ich mich in meiner eigenen haut nicht wohl fühle..
lg

Re: Sozialverhalten

#4
hallo,
ja dazu kann ich nur sagen, das ist eine sache der Übung. Ich versuche zb nicht immer gleich mit rückzug zu reagieren, wenn ich denke, die anderen sind blöd, die verstehen mich nicht. ich war schon immer einzelgängerisch. Dumm von mir, ich weiß, denn jeder Mensch hat ähnliche probleme,wie ich Sie auch habe. Nur reagiere ich extremer auf diese Probleme oder Situationen. Schaukele oder grübele ich meine Empfindungen nicht hoch,und genau das passiert, wenn ich mich zuviel mit mir selbst beschäftige, dann merke ich dass vieles nicht so wild ist, wie es aussieht.
wenn ich mir selber gegenüber nicht so kritisch bin, dann fällt mir das mensch sein auch einfache und somit auf andere zuzugehen und den kontakt zu halten.
Die Sehnsucht bedeutet, dass wir das was wir wollen schon zu einem kleinen Teil in uns haben.

Re: Sozialverhalten

#5
das kenn ich auch nur zu gut!

habe mir jahrelang eingeredet dass ich halt einfach ein einzelgänger bin und mich meist allein zu hause verkrochen, am liebsten im bett und verabredungen oft im letzten moment abgesagt...
bei mir liegts dann auch immer daran dass ich mich viel zu unwohl fühle, nicht schön und mir einrede dass andere mich nicht mögen...
aber in zeiten in denen ich viel unter menschen bin, viel rausgehe usw geht es mir einfach viel besser! es ist schöner nicht alleine zu sein und spaß zu haben.. es lenkt ab von den problemen und ich denke weniger über meinen körper und essen nach..
ich hatte nach weihnachten bis vor kurzem so eine miese phase in der ich mich zu haus hinter meinen büchern verkrochen hab.. dieses semester geb ich mir richtig mühe viel raus und unter menschen zu kommen und es hilft mir enorm!
jeden tag ständig unter menschen sein wäre mir auch zu viel. aber so kann ich es genießen rauszukommen und danach wieder allein für mich zu sein..
überwindung kostet es für mich trotzdem immer noch.. aber das kommt bestimmt mit der zeit von allein dass es sich wieder normal anfühlt!

Re: Sozialverhalten

#6
ich red mir zwar nicht ein, dass andere mich nicht moegen (hoechstens mal bei bestimmten leuten, dass sie mich nicht verstehen und wir nichts gemeinsam haben, was dann aber auf gegenseitigkeit beruht und ok ist), aber sonst kann ich mich da nur anschliessen. seh das sehr aehnlich wie ihr!
mich nehmen die leute (hab ich mir sagen lassen) als sehr sozial und umgaenglich an, wenn auch still und zurueckhaltend (angenehm). das ist weil ich erstens so gut schauspielern kann, auch, wenn ich mich gar nicht danach fuehle und zweitens muss das ein teil von mir sein, den ich halt zeige, wenn ich nicht alleine zuhause depressiv bin.
freya1 hat geschrieben: Ich frage mich, ob es mir deshalb manchmal so schlecht geht: weil ich mich einfach viel zu viel mit mir selbst befasse.
genau das hab ich mir auch gedacht!! deshalb hab ich wieder einen job angefangen, bei dem ich immer mit leuten zu tun haben wuerde!! war erstmal tierisch anstrengend und ich bin noch nicht sicher, ob's funktioniert. ich dachte mir einfach, dass das alleine sein auch nciht gut fuer mich ist. eigentlich haelt mich tatsaechlich jede aktivitaet von der selbstzerstoerung ab. nur kann man ja nicht permanent was machen...
Enemies
They stick to my head
They run with my feet
I'm doomed to be bad

Re: Sozialverhalten

#7
ich habe mich gestern mal wieder selbst uebertroffen!!
zwischen meinem (wahren!?) depressiven und oeffentlichen ich liegen wirklich welten!!! :shock:

ich hatte dieses wochenende einen absoluten tiefpunkt. umso schwerer fiel es mir mich zu ueberwinden auf diese geburtstagsfeier zu gehen. ich wollte ueberhaupt nicht. war ueberhaupt lange nicht unter leuten. nun fand ich das aber so nett vom geburtstagskind, da wir uns auch gar nicht so gut kennen und ueberhaupt ist sie so ne liebe... fuehlte mich verpflichtet. bin also hin, wollte nur kurz gratulieren und wieder abhauen. naja, geht ja immer schlecht und wenn man erstmal da ist... ich blieb also 2 stunden (und bin schon als erste abgehauen). und ich blieb nicht nur, nein, ich hab mich mit vielen unterhalten, viel gelaechelt. ICH habe leute regelrecht unterhalten und war einfach super sozial und reizend!
ich behaupte jetzt einfach mal, dass ich so rueber kam.

es war gar nicht als haette ich mich zusammengerissen (obwohl es natuerlich wahnsinnig anstengend war), ich konnte gar nicht andes!! ich kann unter leuten nur so sein! es ist fast so, dass ich umso erfolgreicher, gluecklicher und sozialer bin/scheine, je schlechter es mir geht.
ich schaem mich jetzt fast. ich bin so ueberheblich und falsch.
so zerrissen irgendwie.
leute fuehlen sich so wohl auf parties... mir wurde es dann zuviel, der rauch, der laerm, die leute, die mich nicht interessierten, das grelle licht war mir sogar unertraeglich. diese vielen eindruecke!
na dann hab ich mich natuerlich ganz lieb und nett verabschiedet. wie's sich gehoert. die noetigen floskeln...
wahnsinn. :shock:
Enemies
They stick to my head
They run with my feet
I'm doomed to be bad

Re: Sozialverhalten

#8
Hey MJ!

Ich finde das gar nicht falsch und überheblich, das bist eben auch du. Und es ist doch auch gut, dass du diese Erfahrung gemacht hast, oder?
Ich denke auch, dass wir akzeptieren sollten, dass wir eben auch viele verschiedene Seiten/Facetten haben, die sich vielleicht auf den ersten Blick ausschließen, aber letztlich doch zusammengehören.

Und ja, ich kann dich gut verstehen, ich bin eigentlich immer so, wie du es beschreibst, aber mir werden so Parties mit viel zu vielen Leuten auch schnell zu viel.

Mach es dir bitte nicht noch zusätzlich schwer!

Alles Liebe, deine Colour
If defeat is for quitters, then the victory remains in the try.

Re: Sozialverhalten

#9
Ich kenne das auch sehr gut, und würde sogar sagen, dass das derzeit mein größtes Problem ist. Ich isoliere mich teilweise sehr stark, komm oft den ganzen Tag nicht aus dem Bett und fühle mich so einsam und alleine...
Aber ich habe jetzt angefangen mich einigen Menschen, die mir jetzt nicht soo nahe sind wie mein Freund oder meine Mutter, zu öffnen. Denn die sehe ich wegen der Entfernung nicht so oft, daher brauche ich hier einfach jemanden der weiß was los ist, wieso ich mich in letzter Zeit so zurückgezogen habe etc.
Ich weiß noch nicht, wieviel mir das bringen wird, aber es ist ein Anfang...

Was du da beschreibst mary jane kenne ich auch sehr gut, WENN ich denn mal auf eine Party oder so gehe bin ich auch so offen und gut gelaunt, dass es mich selbst überrascht. Aber im Grunde ist es aber nur eine Fassade, ich denke wenn die Leute wüssten dass ich Bulimie habe würde ich mich anders verhalten können. Manchmal wünsche ich mir ich könnte es allen einfach sagen, dass mir mal jemand Mitgefühl zeigt und nicht alle denken "Die hat sowieso keine Probleme". Und dabei hab ich nen mega Knacks im Gemüt...
Oder vielleicht würde auch nur eine einzige Freundin reichen, aber irgendwie schaffe ich es nicht hier jemanden zu finden den ich als eine wirklich gute Freundin bezeichnen kann - und all jene guten Freundinnen, die ich damals in der Schule hatte, sind jetzt in anderen Städten und ich seh sie sehr selten.
Es gibt Tage, wo man so traurig ist, dass man sich noch trauriger machen möchte. Gustave Flaubert

Wahrscheinlich kann man vom Nichtwollen seelisch nicht leben; eine Sache nicht tun wollen, das ist auf Dauer kein Lebensinhalt. Thomas Mann