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Mein langer Weg zurück ins Leben

Verfasst: Mo Dez 22, 2008 18:13
von shestheone
Die Geschichte meiner Essstörung

Angefangen hat es mit ungefähr 12-13 Jahren... ich war normalgewichtig, aber nicht so schlank wie die "tollen Mädels" in der Schule. Also habe ich eine Diät gemacht. Bis zu meinem 15.Lebensjahr immer mal wieder eine Diät, aber nie große Gewichtsschwankungen.
Vor einem Jahr, als ich in alten Tagebüchern gelesen habe, habe ich sehr erschrocken festgestellt, dass ich mir auch schon mit 13 des öfteren den Finger in den Hals gesteckt habe. Das wusste ich gar nicht mehr.

Mit Anfang 16 habe ich dann angefangen, Unmengen zu essen. Das ging fast ein Jahr lang, bis ich *kg Übergewicht hatte. Ich hab täglich sooo viel gegessen, wahnsinn. Als mir keine Klamotten mehr gepasst haben, habe ich beschlossen, abzunehmen.

Das ging am Anfang noch ganz "normal. Weniger essen, gesünder, Sport. So hab ich 10, dann 20 und schließlich nach einem halben Jahr *kg verloren.

Aber ich konnte nicht mehr aufhören. Wollte und habe weiter abgenommen. Habe nichts Süßes mehr gegessen, kein Fett mehr... Ich war magersüchtig.
Ich hab immer weiter an Gewicht verloren, am Ende waren es insgesamt *kg und ich war untergewichtig. Das ging ungefähr 1 1/2 Jahre.

Das war eine Höllenzeit. Mir gings so schlecht, ich hatte keine Kraft mehr, war total abgemagert.

Dann hat sich mein Körper irgendwann geholt, was er brauchte. Ich bin in die Bulimie gerutscht, hatte Fressanfälle ohne Ende, hab in kurzer Zeit wieder sehr stark zugenommen, versucht, es mit Brechen zu kompensieren. Diese Zeit war die schlimmste in der ganzen ES, das ständige Fressen und Kotzen und Zunehmen, Horror.

In den folgenden 3 Jahren wechselten sich 2 Phasen ab: die erste, in der ich Fressanfälle hatte, täglich Unmengen gegessen habe und stark zugenommen habe. Und die zweite, in der ich dann wieder einige Wochen oder Monate à la Magersucht gegessen habe, um wieder Kilos zu verlieren. Ich hab ca. 3mal 15-*kg zu- und wieder abgenommen.

Es war grauenhaft. Komplimente fürs Abnehmen zu kriegen und dann nach 4 Monaten die Leute wieder zu treffen und wieder *kg mehr drauf zu haben. Und das nicht nur einmal.

Meinen ersten Schritt aus der Krankheit habe ich mit 18 gemacht. Das war die Zeit, in der ich von der Magersucht in die Bulimie gerutscht bin. Mir war klar, dass ich nicht mehr kann und krank bin. Das allererste, was ich damals auf dem "Weg der Erkenntnis" getan habe, war in einem Forum zum Thema Essstörungen zu lesen und Beiträge zu schreiben.

Anschließend bin ich zu einer Beratungsstelle gegangen. Von da an war ich ca. 1 1/2 Jahre lang einmal die Woche zu Gesprächen bei einer Pädagogin.
Außerdem bin ich für 2 Monate in eine psychosomatische Klinik gegangen, hatte dort Einzel- und Gruppentherapie und körperbezogene Therapien. Das hat sicherlich noch nicht ausgereicht, um gesund zu werden, aber es war ein wichtiger Schritt auf dem Weg.

Als ich wegen dem Studium umgezogen bin, waren die Gespräche mit der Pädagogin beendet. Und ich dachte, es wäre ok so. Aber in bin schnell wieder in eine Fressphase gekommen und war wieder ganz am Boden.

Deshalb hab ich mich nochmal auf die Suche nach einer Therapeutin gemacht und eine Verhaltenstherapie begonnen. Das war vor 2 Jahren.
Meine Therapeutin und ich haben viel gekämpft in dieser Zeit, ich war oft am Kippen, will ich überhaupt gesund werden?

Die Verhaltenstherapie war mein Schlüssel zum Glück, genau das richtige für mich. Ob es für andere auch genau passend ist, muss jeder selbst herausfinden, für mich war es das beste, was mir passieren konnte.
Ich habe Essenspläne geschrieben, war bei einer Ernährungsberatung, habe mit meiner Therapeutin Gefühle und Gedanken bzgl Essen bearbeitet und auch viele Geschehnisse aus der Vergangenheit aufgearbeitet.
Doch das Wichtigste waren vermutlich die "Hausaufgaben". Ich habe in ganz kleinen Schritten, Dinge, vor denen ich Angst hatte, geschafft. Anfangs z.b. einmal die Woche ein Gebäckstück vom Bäcker essen. Das war vielleicht ein Kampf, weil ich mich so geweigert habe. Aber nach einigen Wochen wurde es normal und ok.
Ich hatte immer Angst, Tops zu tragen und nackte Haut zu zeigen. Also sollte ich mir einmal ein wunderschönes Top kaufen und damit in einen Club gehen. Ich hatte sooo Angst! Und was war? Ich bin da rein, hatte zuerst Angst, es dauerte ne Weile und dann gings mir gut!! Und ich war hinterher soooo glücklich!
Ich hatte vorher riesige Angst, bin manchmal gekippt und habe es nicht beim ersten Mal geschafft. Die Situation an sich, z.b. das Schwimmen gehen, war dann auch erstmal sehr schwer, ich musste die unangenehmen Gefühle und Ängste aushalten. Aber hinterher - das war Glück pur. Ich war so glücklich wie noch nie!

Ich verdanke dieser Therapie mein Leben. Damit meine ich nicht, dass ich ohne Therapie nicht mehr am Leben wäre, sondern eher, dass ich mit der Therapie wieder ins Leben zurückgekommen bin, wieder unter Leute gehe, Lebensfreude spüre, lebe, so wie ich es mir wünsche.

2008 war MEIN Jahr. Ich habe in diesem Jahr so viele Dinge gemacht, von denen ich jahrelang nur träumen konnte, die ich sooo gerne einmal getan hätte… aber es ging nicht.
2008 ist sooo viel passiert:
Ich
- habe vor einigen Monaten meinen zweiten 1. Geburtstag gefeiert: 1 Jahr ohne Rückfall :-X)
- habe das erste Mal in 7 Jahren seit mittlerweile 10 Monaten mein Gewicht gehalten!!
- habe das erste Mal seit meiner Kindheit Tops und und Kleider getragen, vorher habe ich mich geschämt, heute liiiiiiiiiiiiiiebe ich es!!
- war das erste Mal seit sage und schreibe 10 Jahren wieder beim Schwimmen. Ich kanns heut noch manchmal nicht glauben, dass ich das geschafft habe, vor 2 Jahren hab ich noch gesagt, ich werde nie wieder schwimmen gehen können... und siehe da: es ist soo toll!
- war das erste Mal in einem Sommerurlaub am Strand! 2 Wochen in der Sonne, davon habe ich so lange geträumt.
- genieße und lebe das Leben wie alle in meinem Alter, gehe tanzen, lerne Männer kennen und hab Spaß :D
- habe das erste Mal seit 10 Jahren ohne schlechtes Gewissen Pizza, Pommes, Chips, Eis,.... gegessen

Vor 2 Jahren, da war das alles, noch sooooo unvorstellbar. Ich habe von vielen Dingen geträumt, seit ich 12 oder 13 war. Wollte so vieles erleben, meine Jugend ausleben, glücklich sein. Ich konnte das alles nicht. Die ES hat es mir nicht möglich gemacht. Wie gerne wäre ich mal wieder schwimmen gegangen, wie sehr hab ich mich nach einem Freund gesehnt... ging alles nicht.
Und einer der wichtigsten Punkte ist vor allem, dass ich endlich - ENDLICH meinen Körper so annehmen kann, wie er ist. Vor einem Jahr noch habe ich zu meiner Therapeutin gesagt, wie soll das jemals möglich sein?? Ich hätte es nicht zu träumen gewagt, dass ich in einem wunderschönen Minikleid in einem Club auf der Tanzfläche rumhopse :mrgreen: Aber siehe da, es geht!!!!
Ich schwöre es, ich hätte jedem, der mir vor 2 Jahren gesagt hätte "2008 wirst du deinen Körper mögen", den Vogel gezeigt. Ich hab es nie für möglich gehalten. Aber es ist wahr geworden.

Nein, ich würde mich noch nicht als gesund bezeichnen und ja, ich weiß, dass Rückfälle kommen (können), aber ich hab in diesem Jahr so große Schritte gemacht, fühle mich stark und weiß, dass ich es fast schon geschafft habe.
Ich bin - und das hätte ich mich vor einigen Jahren nie sagen trauen - STOLZ auf mich. Verdammt stolz. Ich hab so viel Mut gebraucht in diesem Jahr, so viel Kraft. Und ich habs geschafft. :)

Mein Leben war 10 Jahre lang - von 12 bis 22 Jahre - kaputt. Ich hab nicht gelebt, ich hab nur mit und für die ES gelebt.

Ursachen?
Das ist schwierig, die genau zu benennen.
Einsamkeit war eine Ursache... mir fiel es schwer, Kontakte zu knüpfen, ich dachte immer, keiner mag mich und will was mit mir machen.
Meine Eltern hatten, als ich klein war, eine schwere Zeit, deshalb habe ich versucht, ihnennicht zur Last zu fallen, hab Probleme in mich reingefressen, mit niemandem gesprochen.
Ich hatte kein Selbstbewusstsein, fühlte mich hässlich, nicht dazugehörig.

Heute bin ich 23 und kann das allerallererste Mal in meinem Leben sagen, dass ich glücklich bin.
Natürlich gibts immer wieder Problemchen, Ärger etc. Aber der gehört zum LEBEN dazu. Und ich ertappe mich oft dabei, wie ich mich über etwas ärgere oder traurig bin und dann merke, hey, dieses Problem gehört zum Leben, d.h. du LEBST!
Ich hatte dieses Jahr meinen ersten schlimmen Liebeskummer. Der war Hölle, aber auch der gehört zum Leben. UNd das ist schööööön, weil ich jetzt wirklich lebe!! Ich hab noch vor 2-3 Jahren imme rgesagt, wenn ich irgendwann mal Liebeskummer habe, weil mich ein Kerl verlassen hat oder sowas, DANN lebe ich und kann mich glücklich schätzen.


Wenn ich das alles, was ich gerade geschrieben habe, nochmal durchlese, dann kommen mir die Tränen. Es tut richtig weh zu lesen, was ich mir angetan habe.
Aber da ich weiß, dass die ES auch ihren Zweck hatte, dass ich sie in dieser Zeit einfach als Halt gebraucht habe, kann ich besser damit umgehen.
Und bin heute umso glücklicher, dass ich wieder lebe :)

Re: Mein langer Weg zurück ins Leben

Verfasst: Mo Dez 22, 2008 18:21
von *Larissa*
Hallo shestheone

Ja, allerdings, es ist traurig das so zu lesen... Für mich gerade irgendwie speziell traurig, das hängt mit deiner BMI Angabe zusammen... -da sehe ich wiedermal wie schlimm das alles bei mir war :shock: :roll: oh schreck... glücklicherweise kennt meinen tiefsten BMI niemand (ausser eine Person in diesem Forum).

Dein Beitrag ist sehr berührend... man erkennt aber auch dass du bis heute sehr viel glernt hast -über dich und von dir!
Das ist toll und ich möchte dir deshalb gerne sagen: "fahr' weiter so... bleibe auf dem Weg wo du jetzt bist!"

herzliche Grüsse
Larissa

Re: Mein langer Weg zurück ins Leben

Verfasst: Mo Dez 22, 2008 18:49
von bumble-bee
@Larissa: Und was soll das jetzt? Willst du jetzt darauf aufmerksam machen, dass bei dir alles viel schlimmer war als bei andere? DAS genau ist der Grund, weshalb hier keine BMI-Angaben gemacht werden sollen, oder? WEil dieses kompetitive Verhalten, das du auch gerade mal wieder exemplarisch präsentiert hast, echt überflüssig ist. KEINEM der gesund werden möchte bringt sowas hier auch nur in irgendeiner Weise etwas.

@dieeine:
Ich freue mich sehr für dich und deine ganzen ERfolge! Ich gönne es dir von Herzen, es macht mich so glücklich zu lesen, wie viel besser das Leben nach der ES sein kann. Du hast soviel erreicht, solange dafür gearbeiten, Hausaufgaben gemacht, gezweifelt und dennoch durchgehalten.
2008 war dein erstes gutes Jahr. Ich wünsche dir sehr, dass darauf nun noch einige folgen werden :D !

Re: Mein langer Weg zurück ins Leben

Verfasst: Mo Dez 22, 2008 19:11
von shestheone
Danke für Eure lieben Worte :) Ich hoffe sehr, dass es so positiv weitergeht, dafür werd ich alles geben, was ich hab!

@bumble-bee
Ich wusste nicht, dass man keine BMI-Angaben posten sollte, ich werd meine mal löschen.

Re: Mein langer Weg zurück ins Leben

Verfasst: Mo Dez 22, 2008 19:18
von bumble-bee
Ja, lösch sie besser, denn sonst passiert genau das was mich bei Larissa gerade so gestört hatte ...
Mich motivieren deine Worte sehr. Ich selbst befinde mich gerade noch mittendrin. Ich hoffe ich schaffe es und kann eines Tages da sein wo du jetzt bist und um dich zu zitieren:
shestheone hat geschrieben:dafür werd ich alles geben, was ich hab!
im Kampf
Frohe Weihnachten :D !

Re: Mein langer Weg zurück ins Leben

Verfasst: Mo Dez 22, 2008 19:25
von shestheone
Liebe bumble-bee,

ich wünsch dir von ganzem Herzen (mit Tränchen in den Augen), dass du deinen Weg gehst und gesund wirst :)
Gerade weil ich weiß, wie hart der Kampf ist, um gesund zu werden, wünsche ich dir alle Kraft der Welt und ganz viel Mut,
um den harten Weg zu schaffen.

Alles, alles Liebe und glaub mir: es lohnt sich ;-)

Re: Mein langer Weg zurück ins Leben

Verfasst: Mo Dez 22, 2008 19:34
von Emilia
liebe bumble-bee,

es ist schön,das zu lesen :) es gibt einem wieder mut!!

Ich wünsche dir weiterhin alles Gute, mach weiter so!!!!

LG Emilia

Re: Mein langer Weg zurück ins Leben

Verfasst: Mo Dez 22, 2008 23:40
von kleinerStern
ja mut gibt es wirklich.. toll das es gerade als "weihnachtsgeschenk" kommt :)

wünsch dir weiterhin soviel kraft, soviel stärke, und so viel freude am leben
alles liebe kleiner stern

Re: Mein langer Weg zurück ins Leben

Verfasst: Di Dez 23, 2008 10:50
von shestheone
Danke ihr Lieben für die Rückmeldungen :) Freut mich sehr, wenn es ein bisschen Mut machen kann.

Ich wünsche Euch ein wunderschönes Weihnachten :-X)

Re: Mein langer Weg zurück ins Leben

Verfasst: Di Dez 23, 2008 10:56
von *Larissa*
bumble-bee hat geschrieben:@Larissa: Und was soll das jetzt?
Mensch....ich kann auch sagen und schreiben was ich will und immer ist irgendetwa falsch :roll:
Langsam aber sicher wähle ich wohl den Weg des schweigens....
Ich find' das nicht fair...und NEIN (zum teufel und x-ten Male) DAS war bestimmt nicht meine Absicht!!!!
Weilch' eine Unterstellung... -entschulgige.