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Was hindert mich daran?

Verfasst: Sa Sep 13, 2008 23:40
von Djinn
Hallo,

was ist eigentlich so schwer daran, die ES endgültig sein zu lassen? Ich kotze selten, ich hungere nicht mehr, ich überesse mich zwar regelmäßig, aber im Großen und Ganzen ist die ES nicht mehr sehr ausgeprägt. Aber sie ist trotzdem da. Warum kann ich mich von diesem Rest nicht trennen? Ich finde diese nicht Fisch nicht Fleisch Situation irgendwie extrem lästig, obwohl sie mich nicht sehr beeinflusst. Aber vielleicht gerade deshalb. Zu wenig um noch mal stationär zu gehen (also noch mal Vollgas Therapie zu machen, um sie völlig loszuwerden), zu viel um zu sagen, ich bin eh gesund bzw. es zu ignorieren.

Was gibt mir dieser letzte Rest der ES? Was hindert mich daran, auch diese letzten kleinen Symptome endlich sein zu lassen? Der Gedanke jeden Tag völlig normal zu essen, stresst mich, aber eigentlich esse ich schon fast völlig normal. Was ist so schlimm daran, normal und gesund zu sein? Warum ist der Gedanke so bedrohlich!? Zur Info: es hat nichts mit fehlender Ablenkung zu tun, meine Tage sind ziemlich ausgefüllt...

Ich hoffe, ihr versteht was ich meine. Würde mich interessieren, wie es euch damit geht.

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: So Sep 14, 2008 8:48
von Colourful
Hey meine liebe Djinn!

Verstehe, was du meinst. Mir ging es auch eine ganze Zeit mal so, nur, dass ich es geflissentlich ignoriert habe. Für mich war es damals so, dass ich die ES in Ruhe gelassen habe, sie mich aber irgendwie auch, ohne, dass sie verschwunden ist. EIne Situation mit der ich wunderbar leben konnte und auch kann. Nur habe ich nicht merken wollen, wie ich Schritt für Schritt in die ES zurückgegangen bin, sie wieder eine größere Rolle in meinem Leben spielte und ich das genauso ignoriert habe, wie die ruhende ES. Das ist eventuell die Gefahr, die in dieser Situation liegt. (muss jeder selbst für sich wissen, wie hoch die Gefahr ist, bei mir ist sie ziemlich hoch)

Ansonsten finde ich das auch nicht weiter schlimm, was du da schreibst. Gelegentlich überessen tun sich auch nicht-essgestörte Normalgewichtige... Nur, dass dich das normale Essen stresst, dass würde ich als nicht so angenehm empfinden. Eher ziemlich einschränkend...

Alles Liebe, Colourful

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: So Sep 14, 2008 14:06
von blackwhitethinker
Hey du...

meiner meinung anch hat es was mit dem Alltag zutun..man lebt solang mit der ES. Die ES übernimmt ein so großen teil in einem leben, dass sie einfach dazu gehört...sowas in der art wie..."ich bin doch die mit der ES!"
Mit der Zeit verliert man ja seine Identität, weil die ES überhand nimmt...deshalb glaube ich auch dass es so schwer ist solche dinge komplett loszulassen...die Frage wer bin ich dann noch?
das sind meine Gedanken wenn ich an ein totales leben ohne die Sucht denke...ich will sie loswerden, hab aber auch schreckliche angst...

hoffentlich konnt ich dir en bisschen weiterhelfen

lg

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: So Sep 14, 2008 15:42
von Djinn
hallo ihr beiden,

danke für eure Antworten.

@colourful: stimmt, ich ignoriere es auch meistens. wenn ich im Funktionieren des Alltags drin bin, denke ich, dass ich völlig gesund bin = kein Problem habe. Stimmt ja auch, ich bin viel gesünder als früher, die ES beeinflusst nicht mehr jede Stunde und Minute meines Daseins. Aber sie ist da und auch bei mir ist die Gefahr gegeben, dass sie sich wieder breiter macht, wenn es mir nicht gut geht. Dann werde ich auch daran erinnert, dass sie eben nach wie vor da ist und niemals völlig weg war, wie es sich manchmal aber anfühlt.

ich schreibe das alles auch nicht, um zu dramatisieren oder von euch zu hören, dass es schlimmer ist als ich denke. Es ist nicht schlimm. Ich würde nur gerne irgendwann völlig ohne leben. Und frage mich, was mich daran hindert oder ob das zuviel verlangt ist, oder ob ich diesen Schritt auch noch irgendwann gehen werde und Geduld haben muss. Und würde gerne wissen, ob Ehemalige auch diese langen Phasen hatten, in denen die ES sie in Ruhe gelassen hat und umgekehrt, wie du so schön sagtest.
Das Essen an sich stresst mich gar nicht so, eher der Gedanke an die völlige Suchtfreiheit und Normalität - obwohl das ja relativ ist.
@blackwhitetinker: Wie du sagst, die ES hat mich sehr lange begleitet. Die letzten 13 Jahre meines Lebens! Das ist nicht wenig, sondern fast die Hälfte dieser Zeit. Wahrscheinlich ist es wie ein Abschied von etwas an das man sehr gewöhnt ist. Das ist nie angenehm. Und ja, ich erlebe es auch nach wie vor, dass ich mich darüber identifiziere. Es ist zwar schon viel besser geworden, aber in gewisser Weise krank zu sein, das ist schon ein Teil von mir. Stimmt ja auch! Aber genau deshalb ist es wahrscheinlich nicht leicht und vorallem nicht schnell möglich sich davon völlig zu trennen. Ist es aber nicht ein wenig schwarz / weiß gedacht, dass ich nur weil ich nicht mehr erbreche, gleich total normal sein muss? Es ist doch so, dass man erst als geheilt gilt, wenn man einen langen Zeitraum ohne Symptome lebt, oder? Vielleicht ist das ein Gedanke, der mir den Weg erleichtert...

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: So Sep 14, 2008 19:53
von Anastasija
Hi
Ich denke das man erst dann gesund ist wen man erforscht wo für braucht man ES und diese Grunde bewusst macht und weiter entwickelt.
Das Essen alleine hin zu kriegen ist erste Schritt, danach kommen noch viele, noch schwierigere schritte.
Das ist meine Erfahrung, und ich bin erst am Anfang, dabei denke ich auch dass man das ganze Leben braucht um dieses weg zu Schafen.

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: So Sep 14, 2008 21:52
von Colourful
ich schreibe das alles auch nicht, um zu dramatisieren oder von euch zu hören, dass es schlimmer ist als ich denke. Es ist nicht schlimm. Ich würde nur gerne irgendwann völlig ohne leben. Und frage mich, was mich daran hindert oder ob das zuviel verlangt ist, oder ob ich diesen Schritt auch noch irgendwann gehen werde und Geduld haben muss.
Ich weiß nicht, ob dieses völlig ohne leben wirklich möglich ist. Ich hoffe ja. Ich weiß es nicht. Irgendwann möchte ich das auch, aber ich habe das Gefühl, dass es mit der Zeit auch leichter wird, viele Dinge wieder normaler werden. Früher habe ich mich zum Beispiel immer sehr an meine Mahlzeiten gehalten (mache ich immer noch gern), aber ich kann mir jetzt auch mal zwischendurch einfach so etwas kaufen und essen. Das wäre früher undenkbar gewesen. :roll: Und ich hoffe, dass es so weiter geht. Für mich angemessene Schritte.
Aber ich bin auch nur ein paar Wochen clean, weit weg davon wirklich *ehemalig* zu sein.

Und nein, wenn du dir bewusst bleibst, dass du diese Neigung hast und es auch wieder schlimmer werden kann, dann hast du schon viel getan...

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: Mo Sep 15, 2008 13:49
von Djinn
@anastasija: ich denke, da hast du ganz recht. Einerseits muss man wissen, warum man die ES braucht. Und andererseits ist das normal essen lernen nur ein Schritt von vielem auf dem Weg zur Heilung. Ich habe bei allen beiden schon viel gelernt. Und doch habe ich das Gefühl, dass ich seit längerer Zeit rein essenstechnisch auf der Stelle trete. und das verstehe ich nicht.

@colourful: das stimmt, ich muss mir auch immer die kleinen Schritte bewusst machen. Denn die gibt es. Ich bin nur leider nicht sehr geduldig und fühle mich wie gesagt oft so, als ob ich auf der Stelle trete. Denn manchen hier gelingt es ja tatsächlich von einem Mal aufs andere völlig mit dem Kotzen aufzuhören. Mir nicht.

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: Mo Sep 15, 2008 18:43
von aire
Ich würde sagen, der WEg aus der ES ist wie bei einer mathematsichen Kurve, deren Namen ich vergessen habe. Am Anfang fällt sie steil ab (aalso, du machst vergleichweise große Fortschritte längerfristig betrachtet und Rückschritte gerade etwas ignoriert) und irgendwann fällt die Kurve immer sachter ab, die Schritte werden kleiner und die Kurve nähert sich bis ins Unendlcieh der Nullimie, kommt da aber nie an. So ist das auch bei der ES. Ganz raus kommst du nie mehr, eine gewisse Sensibilität bleibt da, die Achtseamkeit wohl immer notwendig macht, aber langsam aber sicher kommst du raus aus der ES. Schritt für Schritt...

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: Mo Sep 15, 2008 21:24
von désemparé
wow, aire der Vergleich ist echt spitzenmäßig - ich liebe doch so schöne Metaphern :) im Notfall auch wenn sie mit Mathe zu tun haben!
Du sprichst glaube ich von einer Hyperbel oder? Ich habe mich doch wieder a bissl in die höhere Mathematik eingearbeitet :)
Fachabi ich komme :)
Ich persönlich habe mich auch schon lange damit abgefunden, dass ich nie "bei null ankommen" werde... Ist halt so, ist jetzt teil meines Lebens. Zwar hoffe ich, dass ich irgendwann so gut wie symptomfrei bin, aber im Hinterkopf ist es doch irgendwie immer...
Grüßlis désemparé

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: Di Sep 16, 2008 19:10
von Djinn
mich tröstet, dass es scheinbar normal ist, dass die Entwicklung immer langsamer und "unspektakulärer" voranschreitet - so wie du das beschrieben hast, aire. Dass ihr es aber nicht für wahrscheinlich haltet, dass man gänzlich von der ES loskommt, finde ich schon irgendwie traurig und enttäuschend. Aber vielleicht ist es auch besser, sich nicht das ganz große Ziel vor Augen zu halten, um sich Enttäuschungen zu ersparen...


Aber wieso denkt ihr, dass man immer wieder darauf zurückgreifen wird? Warum ist die ES so hartnäckig?

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: Di Sep 16, 2008 19:28
von aire
Also, ich finde es z.B. sehr, sehr schwer, gleichmäßig normal zu essen. Ich esse immer noch eher in Extremen... .roll: Sehr viel, recht wenig, oder zu sonderbaren Zeiten, wie z.B. nachts. Es ist fast so, als müsste ich mich wenigstens ein bißchen quälen. und dass das schwer abzuschalten ist, liegt erst mal daran, dass essen in meinem Leben schon so lange eine große Rolle gespielt hat. und man nie ganz davon weg kommen kann, essen muss man ja irgendwie. Und man kann die Zeit ja nicht zurückdrehen...

lg

aire

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: Di Sep 16, 2008 19:43
von BuckFush
Ich glaube manchmal das Schwere von der ES loszulassen ist die Angst vor der Einsamkeit.
Bei mir zumindestens.
Ich habe immer Angst, dass ich alles verliere, alle Leute die mir wichtig sind, etc.,
und vielleicht will ich genau deswegen das, was mir niemand wegnehmen kann so krampfhaft behalten..
Hast du auch solche Verlustängste?
Hast du mal darüber nachgedacht?
lg buck

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: Di Sep 16, 2008 19:52
von aire
... dabei ist es ja eher anders herum... die Freunde verlierst du eher noch wegen der Bulimie... weil du dich einigelst. Entweder zum fressen/kotzen. Oder weil du dich fett und minderwertig fühlst...

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: Mi Sep 17, 2008 20:36
von Anastasija
Wie weit einer kommt hat sehr viel damit zu tun in welche soziale Situation man steckt. Als ich alleine war, konnte ich nicht ein Tag ohne erbrechen aushalten. Jetzt wo ich ein man und zwei Kinder habe ist alles anders geworden.
Es war keine bedingungslose Liebe gegenüber Kinder , was mich bewegt hat , sondern das alte muster aus meine Eltern Familie, der sich wiederholt hat und für mich unerträglich geworden ist. Vor einer Woche dachte ich „Ich muss mein Man verlasen, Es drehet sich in meinem Leben alles in Kreis, Ich habe wieder das gleiche wie mit meinem Vater… am nächsten tag wurde mir klar, wen ich jetzt weg laufe werde ich nie Gesund.
Wir brauchen Konflikte und salische schmerzen um zu wiesen wo genau brauchen wir uns weiter zu entwickeln und auch abgrenzen.
Diese Gedanke hat mir eine neue Perspektive Geschäft und das ist das diese Krankheit mein leben bestimmt hat, Mir ist bewusst geworden das ich die jene bin die eigentlich Mut hat Familien Geschichte zu ändern und das meine Mutter und Großmutter noch nicht reif waren so ein Schritt zu machen.
Lg. Anastasija

Re: Was hindert mich daran?

Verfasst: Mo Sep 22, 2008 20:35
von Djinn
danke für eure Antworten. war von Mi bis heute weg, deshalb konnte ich nicht eher schreiben.

Ich habe auch Angst vor der Einsamkeit und vor Verlusten. Sehr sogar. Und ich glaube ganz sicher, dass das ein Grund ist für die ES (und andere Süchte und Probleme). Es stimmt, dass man durch die ES einsam(er) wird. Aber man kontrolliert dieses Einsamsein ja, man weiß, wieso man einsam ist - es ist ein nachvollziehbares und kontrollierbares Einsamsein. Eines, das man sich erklären kann und man quasi (denkt man anfangs) selbst wählt. Das ist ein Unterschied! Es tut zwar auch weh und macht unglücklich - aber zumindest kann man dann sagen: ich bin dick, hässlich und habe Bulimie - kein Wunder, dass ich einsam bin. Woher soll ich Freunde haben, wenn ich mich nur mit essen und kotzen beschäftige. Man setzt sich so außerdem nicht der Gefahr aus, verlassen oder abgelehnt zu werden!!! Schon mal darüber nachgedacht??? Wenn die Verlustangst groß ist und Einsamkeit sehr gefürchtet ist, ist es doch "besser", von sich aus die Einsamkeit zu wählen, als der Willkür anderer ausgesetzt zu sein.


Das mag aufs erste Lesen paradox klingen (so wie aire auch den Schluss gezogen hat, dass die Bulimie ja eigentlich das bewirkt wovor man am meisten Angst hat, was unlogisch erscheint). Aber eigentlich auch sehr einleuchtend. Für den Mensch ist Kontrolle wichtig. Umso wichtiger, je unsicherer er/sie ist. Also lehne ich mal von vornherein jeden Kontakt, jedes sich anvertrauen besser ab, dann kann ich gar nicht abgelehnt und verletzt werden. Und um die Einsamkeit nicht so zu spüren, fülle ich sie eben mit etwas. Ich denke, bei mir ist es so. Und das mag eine große Rolle spielen, warum ich solche Angst habe, die ES gänzlich aufzugeben. Ich muss mich dann zwangsläufig mit mir selbst beschäftigen. Und mit anderen Menschen, mit meinen Zielen, mit meinen Problemen, mit meinen Gefühlen, mit meinen Stärken und Schwächen.

Ich glaube, all dieses Beschäftigen mit mir und das Spüren meiner Gefühle und Bedürfnisse ist sehr anstrengend und verunsichernd für mich. Aber auch bereichernd. Heute mache ich damit auch (zum Glück!!!!) viele positive Erfahrungen, die sehr heilsam sind. Und das motiviert weiter zu machen.