Hey aire, finde ich ja krass, dass du dich noch an die Auseinandersetzung mit meier Betreuerin erinnern kannst!
Ja, also ich habe bis vor 2 Monaten in einer betreuten WG gewohnt und bin dann nach einem dreiviertel Jahr frühzeitig ausgezogen, weil sie mich ab einem gewissen Punkt nicht mehr weitergebracht hat.
Aus heutiger Sicht würde ich eine therapeutische WG auf jeden Fall empfehlen- allerdings nicht eine, die auf ESler spezialisiert ist. Vielleicht hat meine WG das so komisch gehandhabt, aber das Thema Essen war einfach viel zu groß. Es gab nachmittags und abends Pflichtmahlzeiten, die IMMER wahrgenommen werden mussten, also auch, wenn man beispielsweise mit einer Freundin verabredet war (oder eben gerade einen risigen FA hatte). In meinem Fall war es einfach so doof, weil ich eh Schwierigkeiten dabei hatte, mich zu verabreden und durch die Pflichttermine war ich ohnehin schon eingeschränkt. Abgesehen von den Pflichtmahlzeiten gab es dann noch einmal wöchentlich Ernährungsberatung, Entspannungsgruppe, Gruppenstunde, gemeinsmes Kochen und Therapie. Eine gemeisame Freizeitaktion einmal im Monat war auch vorgesehen.
Also bevor alles in einen langen unübersichtlichen Text ausartet, schreibe ich einfach mal stichpunktartig auf, was für mich Vor- und Nachteile der therapeutischen WG waren:
Pro:
- ich habe meine solzialen Ängste reduzieren können, dadurch, dass ich mich Menscen zusammengewohnt habe, die mich voll und ganz verstehen konnten und wir uns gegenseitig unterstützen konnten
- ich habe gelernt, Mahlzeiten einzunehmen, von denen ich die Kalorien nicht weiß, ohne danach einen FA zu haben--> und somit habe ich auch gelernt gekochte Gerichte ohne schlechtes Gewissen zu essen
- ich habe gelernt, einen FA mittendrin zu stoppen
- ich bin mit einigen Gefühlen konfrontiert worden, die ich von mir gar nicht kannte, weil ich aushalten musste, ohne FA klarzukommen--> ich habe mich besser kennengelernt und auch meine Schwierigkeiten
- ich hatte jederzeit einen Ansprechpartner, wenn es mir nicht gut ging
- ich konnte mit der Zeit immer mehr Lebensmittel zu Hause lagern (vor der WG konnte ich nichts mehr zu Hause haben, jedes Nahrungsmittel endete in einem FA)
--> und somit musste ich nicht mehr jeden Tag einkaufen gehen
- ich habe generell mehr angefangen, meine Gefühle wahrzunehmen, wie ich mit ihnen umgehen soll, habe ich allerdings nicht mehr gelernt, da ich eben so früh ausgezogen bin
Contra:
- das Thema Essen war einfach viel zu groß
- mein Hinweis: Ekundige dich vorher, welche ESler in der WG wohnen, denn in meinem Fall waren alle außer mir anorektisch und da ist es sehr sehr schwer sich abzugrenzen!
- es gab keine Möglichkeit Mahlzeiten oder Termine ausfallen zu lassen (es gab nur einen Joker im Monat- also quasi durftest du einmal im Monat eine Mahlzeit ausfallen lassen für Verabredungen). Und kurz bevor ich ausgezogen bin, gab es sogar am Wochenende Pflichtmahlzeiten, da fühlte man sich also komplett eingegrenzt!
- es ist schon schwer, sich immer wieder eine Ausrede einfallen zu lassen gegenüber Freunden, wenn es um die Termine geht und vor allem kann man die Freunde solange ja nicht zu sich in die WG holen, solange sie nichts von der ES wissen
Es sind zwar nicht so viele Contrapunkte, aber dass das Thema Essen so groß gewesen ist, ist bei mir ein sehr sehr wichtiger Grund gewesen, um auszuziehen! Und eine, die direkt aus der Klinik kam, meinte auch, dass es selbst in der Klinik nicht so ein großes Thema war. Also ich meine, als ESler verbringt man ja schon sehr viel Zeit mit dem Thema, aber dort hatte ich das Gefühl, dass es so gut wie nichts anderes mehr in meinem Kopf gab!
Also wie ich schon sagte, eine therapeutische WG würde ich dir schon empfehlen, aber auf jeden Fall nicht die, in der ich gewohnt habe. Ich wollte dir gerade schreiben, dass ich keine nehmen würde, die auf ESler spezialisiert ist, aber es kann auch gut sein, dass andere einfach ganz anders arbeiten als die, in der ich war. Vielleicht sind sie ja gut!