Therapie – Notwendige Bedingung, um gesund zu werden?

#1
Therapie – Notwendige Bedingung, um gesund zu werden?

Eine Frage, die ich persönlich sehr interessant finde, denn hier liest man ja die unterschiedlichsten Erfahrungen was Therapien und Therapiekonzepte angeht und in wie weit, diese Interventionen dann wirklich dazu beitragen, dass man letztlich gesund wird.

Für mich bedeutet gesund werden mehr, als nur symptomfrei zu sein, für mich heißt gesund werden, dass man funktionierende, hilfreiche und vor allem nicht schädigende Bewältigungsstile erlernt, man die Dinge anders zu verarbeiten weiß und in der Lage, ist sein Leben im Griff zu haben (Kontrolle ist eine Illusion, also sagen wir, so weit das eben möglich ist).

Außerdem denke ich, dass das Gesundwerden an sich ein Reife- und Wachstumsprozess ist, ein Weg, der wie alles im Leben, nur Schritt für Schritt gegangen werden kann, auf dem es Umwege und Irrpfade gibt und es eigentlich immer nur darum geht, den Weg zurück zu finden. Seinen eigenen Weg, denn jeder Mensch ist anders und hat andere Bedürfnisse.

Hier schließt sich dann auch meine Frage an, inwieweit ist es notwendig eine Therapie zu machen, um gesund zu werden?
Ich rede von notwendig, denn ich persönlich würde jedem Essgestörten raten sich einen Therapeuten zu suchen, einfach, um Hilfe dabei zu haben die Wege auch zu finden. Und dennoch habe ich hier im Forum auch oft den Eindruck, dass die Therapie sehr wenig bringt und, dass die Personen trotz Therapie auf der Stelle stehen bleiben.

Auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die es offensichtlich auch ohne Therapie wirklich schaffen, was jetzt keine Empfehlung darstellen soll keine Therapie zu machen, sondern einfach nur eine Feststellung.

Meine Frage an euch ist, denkt ihr, dass es absolut notwendig ist eine Therapie zu machen, um den Heilungsprozess zu lenken und einen Weg zu finden? Wer kann wirklich von sich sagen, dass die Therapie ein sehr, sehr wichtiger Bestandteil des Gesundungsprozess ist und war?
Ist die persönliche Entwicklung nicht auch ein ebenso großer Schritt?

Interessiert mich. Einfach so. Würde das gern mit euch diskutieren.

Alles Liebe, eure Colour
If defeat is for quitters, then the victory remains in the try.

Re: Therapie – Notwendige Bedingung, um gesund zu werden?

#2
Colourful hat geschrieben:Wer kann wirklich von sich sagen, dass die Therapie ein sehr, sehr wichtiger Bestandteil des Gesundungsprozess ist und war?
Ich :!: definitiv :!:

Ich habe meine ES nun seit 6 Jahren und ja, ich habe sie trotz Therapie immer noch, aber ich habe schon soooo viel geschafft! :mrgreen: Begonnen hat's bei mir mit Bulimia-non-purging bis sich vor 2,6 Jahren dann ein Night-eating-syndrom (=Aufwachen und Fressen in der Nacht) aufepfropft hat. Nun ja, meine Krankheitseinischt hat bis vor etwa 2 Jahren stark zu wünschen übrig gelassen, bis ich in einer VL an der Uni vom Non-purging-typ der Bulimie gehört habe, die so haargenau auf das gepasst hat, was ich hatte. Ich bin zum Prof, der die VL gehalten hat zu einen Erstgespräch gegangen und der hat mich zu sowhat geschickt, wo ich nun seit 1,5 Jahren in Therapie bin. Bei meinem jetztigen Thera bin ich überhaupt erst seit einem Jahr. Und: Tataaaa! :) Seit einem halben Jahr habe ich in der Nacht kein einziges Mal mehr gefuttert!!! Dem voraus ist eine sehr emotionale Therastunde gegangen, wo ich endlich mal meine Trauer in Bezug auf meine Schwester zulassen konnte. Danach bin ich in der Nacht immer weniger oft aufgewacht und dann irgendwann gar nicht mehr. Ich habe nun seit 2 Monaten wieder die Regel bekommen (nach 5 Jahren ohne!) und ich schaff es jetzt auch schon immer mal wieder in der Früh "wenig genug" zu essen, um mir noch ein Mittagessen "leisten" zu können (hab sonst immer den ganzen Tagesbedarf in mich hineingeschlungen...). Ab und an schaffe ich es auch, einen Tag lang keine Kalos zu zählen - und ich habe zuvor 5 Jahre lang keinen einzigen Tag nicht gezählt! Also: Ja,mir hilft die Thera definitiv! :D Bin soooo froh, dass mein Prof mich damals dazu gebracht hat, die Thera zu machen (wollte damals eigentlich gar nicht...). Ich denke aber, dass einem eine Thera umso eher helfen kann, um so kürzer man die Symptomatik hat. Begonnen in der Nacht zu fressen habe ich erst 1 Jahr vor der Therapie, und diese Symptomatik habe ich dann nach einem Jahr Therapie ablegen können, die kranke Essweise tagsüber und den kranken Bezug zum Essen habe ich seit 6 Jahren und die ist nach wie vor da. Ich bin aber doch optimistisch, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich das mit Hilfe der Therapie schaffe. Mit der Therapie, denn das ich's alleine nicht schaffe, das weiß ich, davon konnte ich mich lange genug selbst überzeugen. :?

Wie hast es denn du geschafft gesund zu werden, Colour? Doch auch mit Therapie, oder? Ich bilde mir ein das irgendwo gelesen zu haben... *grübel*

gglg, Hörnchen

Re: Therapie – Notwendige Bedingung, um gesund zu werden?

#3
Sehr interessant, Hörnchen, toll, dass du das so sagen kannst. Besonders interessant finde ich, dass du ja sagst, dass du dich erst überreden lassen musstest.
;)
Mir fällt gerade nichts dazu ein, beziehungsweise würde mich noch interessieren, ob du in der Thera sehr viele neue Dinge über dich erfahren hast, zu denen zu vorher keinen Zugang hattest und ob das ausschlaggebend war... (Trauer um deine Schwester.. :()

Nein. Ich habe mich da ziemlich konsequent geweigert. Einfach, weil ich es versucht habe, ich mit den Therapeuten einfach nichts anfangen konnte und ich das dann nach zwei Sitzungen abgebrochen habe. ;) Hat mir ja nicht geschadet, dass ich keine Therapie gemacht habe und jetzt sehe ich den Sinn nicht mehr.
Böse Colourful. Ich weiß.
Aber Hirschhausen hat geschrieben: "Der Therapeut sollte einem grundsätzlich sympathisch sein und in der menschlichen Reife etwas voraus. Also mindestens eine Woche."
Das sehe ich auch als Grundvoraussetzung an und das gestaltete sich bei mir sehr schwierig.

(Ich habe sehr genaue Vorstellungen davon, wie jemand sein muss, der mir in seiner geistigen Reife etwas voraus hat. Er muss auf jeden Fall sehr viel mehr merken als ich, sehr viel sensibler und ich muss spüren, dass er mir wirklich sehr viel voraus hat. Wenn ich das nicht spüre dann brauche ich das gar nicht versuchen.)

ALles Liebe, Colour
Zuletzt geändert von Colourful am Mo Jun 08, 2009 17:56, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Therapie – Notwendige Bedingung, um gesund zu werden?

#4
Colourful hat geschrieben:ob du in der Thera sehr viele neue Dinge über dich erfahren hast, zu denen zu vorher keinen Zugang hattest und ob das ausschlaggebend war... (Trauer um deine Schwester.. )
Also es ist wohl eher so, dass ich gelernt habe, Dinge, von denen ich bereits wusste, dass sie da sind, zuzulassen. Ich habe meine Schwester z.B. an ihren Freund verloren. Sie war meine beste Freundin und wir haben jeden Tag stundenlang gequatscht. Von einem Moment auf den anderen war das alles weg, sie hat nur noch Smalltalk betrieben und mich so wenig wie möglich getroffen. Das hat wahnsinnig weh getan und ich habe damals viel geweint, aber ich wollte mir diese Trauer nicht zugestehen, weil es meiner Sis ja jetzt so viel besser geht als vorher (Sie hatte vorher eine extrem starke ES und hat durch ihren Freund gesund werden können - ja, ohne Thera ;) , auch wenn ich befürchte, dass sie nach einer Trennung wieder voll in der ES drinnen wäre) In der Thera habe ich gelernt, dass es ok ist, diese Trauer zuzulassen. Auch habe ich wahnsinnige Schuldgefühle gehabt, dass ich ihr nicht aus der ES helfen konnte - und auch wenn ich nach wie vor Schuldgefühle habe, hat mein Thera es doch geschafft diese etwas zu relativieren...

Es freut mich, dass du stark genug warst, alleine heraus zu kommen!! :)

#5
so, da bau ich mich mal ein, hallo!

finde das thema sehr interessant, hab mich schon oft damit auseinandergesetzt. also ich denke eine therapie ist dann sinnvoll und hilfreich, wenn man sie alleinig aus eigener motivation, eigenem antrieb (also schon mit anstößen vielleicht aber nicht unter zwang) macht und die passende therapieform bzw den passenden therapeuten aufsucht. ansonsten, meine meinung, ist sie nicht zielführend, vielleicht kurzfristig (um stationär gewicht zuzunehmen oder so) aber nicht für einen anhaltenden, langfristigen heilungspozess.
ich hab zum beispiel zwei therapien hinter mir, wobei eine gesprächstherapie für nix war weil ich mit der therapeutin als person nichts anfangen konnte. ich habs trotzdem durchgezogen weil ich dachte dass therapie therapie is und mich bzw das setting nicht hinterfragt hab. im nachhinein vergeudete zeit. die andre war sationär, auch aus eigener motivation, die therapieform passend und überzeugend, der therapeut nicht ganz mein fall. hätte aber trotzdem klappen können, hab wahnsinnig viel über mich gelernt, wenn ich die therapie im anschluss durchgezogen und mich an die vorgaben gehalten hätte.
wie auch immer, ich denke das ist ein thema bei dem die meinungen weit auseinander gehen. ich bin der überzeugung dass eine therapie nicht zwingend notwendig ist, ich mein, das gilt für mich, ich bin üebrzeugt es so zu schaffen, jedoch ist das sicher von person zu person unterschiedlich. ich denke jeder soll seinen optimalen und besten weg wählen, und den muss jeder selbst finden.

lg firefly

Re: Therapie – Notwendige Bedingung, um gesund zu werden?

#6
ALso ich habe ja jetzt auch schon ein paar Monate Therapie hinter mich gebracht und ich muss sagen, dass ich NICHT weiß, ob es mir WIRKLICH was gebracht hat. Ich habe viel an mir gearbeitet, aber ich weiß nicht, wieviel von meinen "Erfolgen" an meine Thera gehen^^
Ich denke, dass Therapie schon wichtig ist, um vielleicht auch eigene Denkweisen mal kritisch zu überprüfen und neue Denkanstöße zu erhalten. Letztendlich ist es eine individuelle Sache - die einen brauchen Therapie, die anderen vielleicht nicht.

Re: Therapie – Notwendige Bedingung, um gesund zu werden?

#7
Unique hat geschrieben:ALso ich habe ja jetzt auch schon ein paar Monate Therapie hinter mich gebracht und ich muss sagen, dass ich NICHT weiß, ob es mir WIRKLICH was gebracht hat. Ich habe viel an mir gearbeitet, aber ich weiß nicht, wieviel von meinen "Erfolgen" an meine Thera gehen^^
Das ist manchmal das Problem. Manchmal weiß man ja nicht, ob es diese oder jene Entwicklung nicht auch ohen Therapeut/in zu dem Zeitpunkt gegeben hätte...

Re: Therapie – Notwendige Bedingung, um gesund zu werden?

#8
naja, das kann man eh nie wissen denk ich. aber wenns eine entwicklung gibt, eine positive, ises eigentlich eh egal woher sie kommt, solange sie da ist.
zum überwiegenden teil kommt es meiner meinung nach auf sich selbst an, eine therapie kann eine unterstützung sein und denkanstöße oder so geben, nur umsetzen muss man es dann selbst- weshalb man eben von der therapie überzeugt sein muss, sonst bringts eh nichts."ich kan dir aufstehen helfen, gehen musst dann schon selbst und laufen sowieso", hat mein therapeut gesagt, da ist schon was dahinter. Aber einer steht von selbst auf, ein andrer verlernt das gehen wieder und der dritte rennt dahin. jeder muss seine eigene entscheidung terffen und rausfinden was der beste weg ist.
in diesem sinn, lg!

Re: Therapie – Notwendige Bedingung, um gesund zu werden?

#9
Hm, ich bin jetz auch schon ne halbe Ewigkeit in Behandlung. In der Zeit is meine Selbstverletzung gegangen und meine Essstörung gekommen. Meine Suizidgedanken sind weitestgehend weg, aber immernoch bin ich mitunter leicht bis mittelstark depressiv. Ich denke daher nicht, dass es mir flächendeckend was gebracht hat, oder bringt, sondern nur vereinzelt. Von daher würde ich aus meiner Erfahrung eine Therapie nicht mehr als notwendige Bedingung sehen. Aber versuchen sollte man es schon, das denke ich weiterhin.

Lg, Isa
All your cutting down to size. All my bringing you down.