vorsicht: ziemlich langer text
hallo lieber schneehase,
ich war zweimal am hardberg (6+10 wochen), ist schon 8 bzw 6 jahre her. in der zwischenzeit hat sich sicherlich etliches verändert.
tja, was fällt mir zum hardberg ein… diese unglaubliche atmosphäre, die dort überall zu spüren war. ich hatte dort zum ersten mal (und seit dem auch sonst nirgends wieder) das gefühl, okay zu sein, so wie ich bin. das war so unbeschreiblich!!!
ich habe dort das erste mal registriert, dass ich mich nicht einfach so mal 6 wochen von der bulimie verabschieden kann. es hat keine zwei tage gedauert bis zu meiner ersten heimlichen fahrt zum aldi. und ich hatte so ein schlechtes gewissen, dass ich dr. till (gibt’s den noch als klinikchef?) bei der medizinischen eingangsuntersuchung angelogen hatte, denn er hat konkret gefragt, ob ich eine ES habe.

(bei einem auffrischungs-WE eine halbes jahr später hab ich meine lüge gebeichtet. und – was mich sehr beeindruck hat – als ich zum 2.mal am hardberg war, hat sich dr. till bedankt und gesagt, dass er daraus gelernt hätte und bei 3 frauen genauer nachgefragt und dann die wahrheit erfahren hat.) ein spezielles therapieangebot gab es damals für essgestörte nicht, nur eine indikationsgruppe, in die aber fast jeder gegangen ist, weil’s wohl irgendwie cool schien.
wie war das denn bei dir, schneehase? gibt es mittlerweile speziell therapie dafür? ein richtiges konzept?
eigentlich war ich dort wegen depression und sozialer phobie (also extremer angst und beeinträchtigung in jeglicher art von sozialen kontakten), was therapie im allgemeinen ziemlich schwierig macht, da ich mich nicht traue, mit jemanden – auch therapeuten – zu reden. ich hab die meiste zeit schweigend rumgesessen, egal ob in der gruppe, im einzel, in körper, in kunst. ich hab mich dafür gehasst! und trotzdem wurde ich nicht gedrängt! "das ist gut! seien sie kritisch! wägen sie genau ab!..." zum ersten und bisher letzten mal habe ich das gefühl kennengelernt, angenommen zu werden mit all den defiziten, problemen...
einfach dieses gefühl, dass es okay ist, in körpertherapie in „meiner“ ecke zu sitzen, weil ich mich nicht traue die übung mitzumachen, zu weinen ohne es verstecken zu müssen, eingemummelt in eine decke zuzuschauen, wie die anderen sich im raum bewegen und dinge tun, die für mich unmöglich sind… und es ist okay! weil der therapeut (krämer – der beste!!! mit patzwaldt bin ich nicht zurechtgekommen) sieht und versteht, dass ich trotzdem mitmache, dass es kein nicht-wollen ist, wenn ich in der ecke sitze, dass meine schritte viel kleiner und mein tempo viel langsamer ist, als bei anderen… und es ist okay!
gott, es kommt soviel wehmut hoch! ich will dieses gefühl, okay zu sein, wieder spüren können!
einfach mal angenommen zu sein in der ersten gruppenstunde ohne therapeut, ohne das man etwas leisten muß. (gibt es noch das „positive spekulieren“ ganz zu beginn??? und das kofferpacken in der letzten gruppenstunde???)
das interesse, das man auch gruppenübergreifend am anderen hatte. wenn man im gang jemanden gesehen hat, dem es anscheinend nicht gut ging, hat man ihn angesprochen – das habe ich sonst nirgends erlebt.
so viele tolle leute!!! wohlwollen, empathie…
ich hab viel gelernt dort… wie man dinge sehen kann… wie man dinge formulieren kann… die arbeit mit symbolen, aufstellungen, skala 1-10 (für mich super hilfreich, um auszudrücken, in welchem bereich sich die angst oder stimmung befinden!!!) … hypnotherapeutische ansätze… und vor allem körper! es war oft ganz fürchterlich, aber beeindruckend welche wirkung eine winzige bewegung, ein tiefes atmen haben kann. damit hätte ich gerne weitergemacht, aber die entfernung ist dann doch zu groß gewesen…
aber es gab auch einiges, was ich nicht so toll fand. (ein bisher ziemlich verklärter rückblick

)
ich hatte damals das gefühl, dass man dort nicht gut aufgehoben war, wenn es einem richtig akut schlecht ging. man musste schon eine gewisse stabilität mitbringen. es gab da ein paar richtig üble geschichten…
es gäbe sicherlich noch viel mehr zu erzählen…
zum schluß… mein fazit im forum bei der verabschiedung im januar 2000:
es war nicht schön, aber gut!
ich habe eine menge gelernt, aber es geht mir nicht besser!
ich bin da immer sehr ehrlich, was beim gegenüber manchmal nicht so gut ankommt, vor allem wenn das ergebnis so aussieht, dass die stimmung schlechter als zu beginn, die angst kein stück weniger und das esses eine katastrophe ist. aber auch das wurde dort wertgeschätzt und sich bedankt, dass ich nichts schön rede, sondern kritisch und ehrlich den aufenthalt, den nutzen, das ergebnis, meinen erfolg (…) betrachte und einschätze. kein runterspielen, kein aber-wir-finden-es-geht-ihnen-besser (kam anderswo durchaus vor)… sondern ein „ja, so ist es“ und „sie sind hier auch ein drittes mal willkommen“ das war so toll!!! *seufz*
lg, hella