#26
von loxonema
Hallo ihr zwei,
Ja stimmt. Fünf Jahre die Seele mit einer Störung peinigen bleibt die Psyche peinigen. Theoretisch sagt man, ist es einfacher Verhaltensweisen abzulegen, die eben noch nicht so lange sind, aber subjektiv betrachtet muss das keinen Unterscheid machen.
Ich finde am wichtigsten sind Ziele die man sich steckt und die einen dann leiten. Die sollten übrigens noch konkreter sein als die, die die idyllischen, aber dennoch weglosen Worte "glücklich" beinhalten, also was eindeutiges im Hier und Jetzt aussagen. Wenn du dir ein Ziel setzt, was aussagt, du willst einen Freund, mit dem du glücklich bist, beschreibt das schon einen Wunsch, aber er lässt keine Verantwortung für dich erkennen. Da kann man sich leicht zurücklegen und sagen: Wenn der richtige über den Weg läuft, dann werde ich das merken. Und schwup - schon ist die Verantwortung wieder angegeben. Es ist also zu überlegen, welche Zwischenschritte auf dem Weg zur glücklichen Partnerschaft zurückzulegen sind.
Ich habe mir übrigens immer gern das Bild verinnerlicht, dass solange ich mit der Bulimie verheiratet bin, ist die Planstelle für einen rezenten Partner schon vergeben. Bulimie ist auch nicht einfach "nur" das viele Essen und irgendwie wieder gut machen von diesem (Erbrechen, Sport), sondern da steckt ein Netz von Verhaltensweisen zu sich und im Zwischenmenschlichen dahinter, deren Summe eben das Symptom ergeben. Und glücklich wird man erst, wenn man bei sich die Verhaltensweisen, die einen bisher "unglücklich" gemacht haben erkennt und lernt sie ein Stück weit zu beseitigen.
Mein wichtigster Schritt war übrigens neben dem Fühlen, die Verantwortung für mein Leben inne zu haben und mich nicht ständig damit zum vermeintlichen Opfer meiner Vergangenheit/Gedanken/der anderen zu machen, dass ich mich sehr detailliert damit auseinander gesetzt habe, was ich gerne verändern möchte an mir. Ich habe geschaut, was stört mich, z.B. alleine rein in meinen äußeren Handlungen. Bei mir war das beispielsweise meine Haushaltsfähigkeiten, die mal so, mal so waren, aber nichts dazwischen. Immer diese Abivalenzen, fehlende Disziplin, die dazu führt, dass ich mal was mache, mal was nicht, dann mal wieder ganz viel, mir ein Nest aus Bequemlichkeit erschaffen habe und mich darin ausgeruht habe, ich kann nicht und weiß nicht was ich machen soll, damit ich die Kraft aufbringe was zu tun, hab ich nie gelernt zu Hause usw usf. Als ich konkret vor Augen hatte, wo ich hin will (hab mir das eben auf meine sehr ausführliche Zielliste aufgeschrieben was alles und wie ich da hin komme), hab ich das Leitziel genommen. Und siehe da, die ersten Schritte sind getan, auch gegen inneren Widerstand und auch, wenn es Ecken und Kanten gibt, an denen ich mich stoße. Und was zum Beispiel mein Elternhaus verpasst hat mich z.B. in ein Netz von häuslichen Regeln einzuspannen oder mir was nicht zuzutrauen, darauf wollte ich mich nicht mehr ausruhen und mich dahingehend zum Opfer zu machen. Es wird sich eben einfach nichts tun, wenn ich mich hinstelle und die Verantwortung für mein heutiges Verhalten dem Elternhaus ankreide, also denen die "Schuld" zuzuschiebe, dass ich unzufrieden und unfähig bin. Freilich, mein Elternhaus war eine einzige Überbelastung für mich als jüngstes Mitglied. Aber auch ein System hat seine Grenzen und niemand aus dem System hat irgendetwas zu einem Zeitpunkt mit der puren Absicht gemacht mir zu schaden. Es war so wie es war. Jetzt bringt mir das Wühlen und ständiges Umrühren in dem Brei der Vergangenheit nichts. Es sind Dinge passiert, die richtig schlimm waren, das bleibt unbestritten, aber das spielt in meinem Drang nach Stabilität keine Rolle. Es gibt Stabilisierungsmethoden, wo ich den Brei aus Gefühlen weg packen kann, damit er keinen Schaden im Jetzt anrichtet. Wenn ich stabil genug bin, dann wird dieser Brei und weitere ausserfamiliäre Traumaerfahrung mit Hilfe einer weiteren Therapie angegangen, damit ich sie mein Leben lang nicht immer nur in Kisten packen muss und aufpassen, dass sie da nicht mehr einfach so rauskommen.
Ich gehöre auch zu denen, die es schaffen sich so zu verstricken, dass sie sich letzten endes selbst belügen und verarschen, also genau das, was mein Leben lang mit mir gemacht wurde. Ich habe mir so oft vorgenommen, das war das letzte Mal, ich stehe zu meinen Gefühlen und meinem Körper. Und ich hatte mich so oft bei der ersten Hürde in die zerstörerischen Muster gestürzt, hab mich selbst im Stich gelassen. Mein Körper und meine Psyche fanden das bestimmt richtig zum Kotzen, großartige Versprechen, die bei dem kleinsten Windhauch sich in heiße Luft verwandeln. Und ich war mir bei jedem Bissen, den ich mir in den Mund gesteckt habe völlig bewusst, was ich da grad tue, hab mir das als Beobachter selbst reflektiert und zu welchen verheerenden Konsequenzen das führt. Ich habe mich also bei vollem Bewusstsein selbst verarscht und jeglichen Kontakt zu meinem Körper und meinen Gefühlen abgebrochen, um im Nachhinein mir wieder selbst zu sagen, dass war wirklich das letzte mal, dann halten wir zusammen. Mir helfen im Jetzt auch immer diese drastischen Selbsteinschätzungen der Selbstverarschung und, dass nicht die anderen es sind, die mich dazu zwingen, sondern, dass ich es selbst bin. Niemand anderes, kein Partner, wenn einer da ist, keine Mama, die mir nicht das gibt, was ich will oder der Arbeitgeber oder Gefühle, die ich angeblich nicht unter Kontrolle bekomme.
Manche Dinge sind im Jetzt noch schwer zu realisieren von meinen Zielen, da klemmt es, aber ich habe es nicht aus den Augen verloren. Als ich noch in Therapie war, hab ich auch meiner Therapeutin vorgejammert, oh ich kann das nicht, andere können das besser und ich würde auch gern so sein und das und das machen, meine Veragngenheit war so schlimm und die Zukunft ungewiss. Sie hat sich das angehört, mir was dazu gesagt, aber machen muss ich das. Und nur Jammern und sich nur Wünschen hingeben und irgendwie hoffen, die erfüllen sich wie von Zauberhand, nee, das geht leider nicht.
Und so kotzt sich der Bulimiker den lieben langen Tag das eigene Leben aus dem Leib, hält sich gefangen in Abhängigkeiten, glaubt, er schafft das nicht, hat Angst vorm Neuen, Eigenen, vor Verantwortung, denkt, die Familie kommt ohne einen nicht zurecht, er kommt ohne Familie nicht aus, fühlt sich als Opfer seiner Vergangenheit und der Zukunft, die ungewiss ist und auch mit Angst und Anstrengung verbunden. Statt erwachsen zu werden, verweigert er das und hält sich gefangen in der ambivalenten Welt von Verstrickungen, Glauben und Unterstellungen, überlegt hin und her, dies und das, kann sich nicht entscheiden. Und statt sich zu entscheiden, Anstrengungen und Konflikte mit sich selbst und anderen auszutragen und einzugehen, richtet er sich im Nest der Bequemlichkeit und des Müßiggangs ein, und kotzt lieber, um sich hinterher als Opfer von der eigenen Schwäche zu erleben. Ach ist das doch bequem! Wenn er schafft sich zu lösen und den Schritt in die Eigenständigkeit zu gehen, wie jeder, der den elterlichen Schoß verlässt, wie es das Leben möchte, dann wird er frei sein.
Zu meinen schlimmsten Zeiten ging mir das mit dem Frühstück auch so. Ich habe gedacht, ich würde davon noch mehr Hunger bekommen. Bei mir war das wieder nur so eine Ausrede um mich doch irgendwie davor zu drücken regelmäßig und strukturiert zu essen und somit gesund zu werden. Nun liebe ich mein Frühstück wieder! Ich esse nicht streng nach Plan. Nicht unkontrolliert, schon strukturiert, nur nicht streng nach Uhrzeit. Für Uhrzeitgesesse bin ich bestimmt noch viel zu "undiszipliniert" und käme mir recht schenll vor, dass ich bevormundet würde wogegen ich bestimmt noch etwas oppositionieren würde und käme recht schnell in die Versuchung mir mit dem Hintern das einzureißen, was ich vorne aufgebaut habe. Ich habe wie gesagt viel zu sehr Tendenzen mich selbst zu verarschen, also genau das weiter zu führen, was mit mir zu Hause gemacht wurde und was mich tief verletzt hat.
Aber Struktur ist wichtig, damit ich eben mich selbst diszipliniere. Die habe ich mittlerweile im Kopf, nur wenn ich dort im innerlichen Chaos bin, dann schreib ich das ausdrücklich auf was ich gegessen habe. Ich esse meine 5 Mahlzeiten am Tag, manchmal werden es auch 8 kleinere. Naja, was ich was mir schmeckt. Aber das ist eigentlich noch ein Gemisch aus der alten Starrheit und der Weg zur Heilung, also ich weiß, was ich gerne esse und daran halte ich mich, tu mich mit anderswo essen schon noch schwer, vor allem, wenn es zuviel Auswahl gibt oder Nahrungsmittel, die ich in meinem Alltäglichen nicht esse, weil sie mich viel zu sehr an das Erbrechen erinnern. Ich esse bis ich satt bin. Falls zwischen den Mahlzeiten mich das Bedürfnis überkommt, dann frage ich mich schon, ob ich das essen möchte, ob ich wirklich Appetit habe oder vielleicht einfach nur Durst oder langeweile oder mich einfach nur ablenken will und ob ich das verantworten kann.
Mir hilft übrigens sehr viel die Vorstellung vom inneren Kind. Ich bin ja selbst Mutter. Und da stelle ich mir eben vor, ich erziehe das kleine Kind in mir genauso wie ich meine Tochter erziehe. Wenn ich mir verbildliche, ich würde sie auch vielleicht tagelang hungern lassen, um ihr dann einfach so riesige Essensmengen reinzwänge, die ich ihr aber dann gar nicht gönne, sondern sie ihr gewaltsam wieder weg nehme, bringt mich das auch recht schnell wieder auf den Teppich. Genauso handhabe ich das, wenn es um Gefühle geht. Bei mir kommt sehr viel Angst mit ins Spiel, die mich früher zum Essen anhielten, damit ich sie nicht fühlen muss. Meine Tochter bekommt auch kein Essen reingedrückt, wenn sie wütend oder traurig ist oder der kläffende Hund im Park ihr Angst macht. Dann bin ich für sie da, beschütze und beruhige sie, mit Empatie. Sie bekommt übrigens auch kein Essen zur Belohnung oder zum Trösten oder zum "Ruhigstellen".
Ich bin halt jemand, den musste man manchmal mit richtig krassen Verbildlichungen die Brille absetzen oder mache das eben mittlerweile selbst, anders bin ich schon gar nicht mehr an mich rangekommen. Das betrifft aber nur Dinge, die mich selbst angehen. Was andere angeht, kann ich mich sehr oft richtig gut einfühlen.
Ach ja, die Frage, was im August ansteht: Um es kurz zu sagen: meine genetische "Wahrheit". Wir haben eine Erbkrankheit namens Chorea Huntington in der Familie. An der war meine Mutter und meine Tante erkrankt und schon lange verstorben. Meine Schwester hat seit über 10 Jahren mit den Symptomen zu tun und ist sichtlich davon gezeichnet, mittlerweile weder Reden, Essen noch Laufen kann, motorische und emotionale Störungen hat. Nun ja, ich hab bisher den Kopf in den Sand gesteckt und wollte das aus purer Angst nicht sehen, hab mich der Hoffnung hingegeben, ich habs nicht. Und diese Angst hab ich mir halt auch wieder aus dem Leib gekotzt. Damit ich nicht fühlen brauche wie ich die Auswirkungen Krankheit am eigenen Leib und an meiner kleinen kindlichen Seele erlebt habe und eben die Angst ums eigene Risiko und die Angst, genauso zu werden. Ich hab immer noch totale Angst vor dem Augenblick, wenn die Berater den Umschlag mit dem Ergebnis öffnen. Aber ich stelle mich ihr, weil mich das langsam wahnsinnig macht, ob oder ob nicht. Und die Frage für mich stand eben, weiter bis zum körperlichen Bakrott erbrechen und mich in meiner Magersucht häuslich einzurichten, vielleicht von der Therapeutin zwangseingewiesen zu werden, meiner Tochter damit irgendwie ein ähnliches Schicksal zuteil werden lasse, indem ich zwar vielleicht nicht an der Krankheit dahinsieche, aber in der Psychiatrie, sie hätte noch nicht mal eine Oma, die sie aufnimmt.
Ich sag doch, ich brauche sehr drastische Bilder (ich hab das Szenario sehr bunt und auschweifend in meinem Kopf). Mich heilt das wie gesagt.
So, genug Buchstaben. Schönen Sonntag