Etwas von mir

#1
Hallo Ihr Lieben,

ich bin nun schon seit ein paar Tagen hier registriert, habe mich aber bisher darauf beschränkt, auf eure Beiträge zu antworten. Wie ich schon erwähnt habe, hatte ich 24 Jahre Bulimie. Ich kann euch hier schwer meine ganze Lebensgeschichte erzählen.

Einige haben mir inzwischen private Nachrichten geschickt und mir persönliche Fragen gestellt. Darüber habe ich mich echt gefreut und ich antworte gern.

Ich lese eure Beiträge und finde mich darin wieder. Ich war ein dickes und fröhliches Kind. Als ich 12 war, haben meine Eltern sich scheiden lassen. Mein Vater hatte eine neue Frau und auch gleich ein Baby, er hat sich dann nicht mehr für mich interessiert. Meine Mutter hat sich nur für ihr eigenes Leid interessiert, aber nie für mich. Dass es mir auch schlecht ging, darauf ist keiner gekommen.

Mit 14 habe ich dann angefangen zu hungern. Habe damals in einem halben Jahr mehr als *kg abgenommen. Mit 16 habe ich angefangen, Alkohol zu trinken. Meine Mutter hatte inzwischen einen neuen Freund, der mich auch nicht mochte. Ich war meistens allein. Ich habe die Einsamkeit und den Schmerz kaum ausgehalten...

Als ich siebzehn war, habe ich mit F+K angefangen. Und getrunken. Beides gleichzeitig, viele viele Jahre lang. Habe Abitur gemacht, einen Beruf erlernt, mir einen Job gesucht und bin mit fast 20 von zuhause geflüchtet. Aber meine Sucht habe ich natürlich mitgenommen...

Professionelle Hilfe gab es damals kaum. Psychotherapie oder Suchtfachkliniken waren längst nicht so populär wie heute. Ich wusste auch viele Jahre wirklich nicht, dass das mit dem Kotzen eine Krankheit ist. Dachte immer, ich wäre damit ganz allein auf dieser Welt und habe mich natürlich versteckt. Damit war ich noch einsamer.

1989 konnte ich aufhören zu trinken, aber die Bulimie blieb. Es ist leichter, auf Alkohol zu verzichten als normal essen zu lernen. Essen muss man, Alkohol kann man weglassen.

1991 habe ich geheiratet. Aber die Bulimie blieb. Habe meinem Mann natürlich gesagt, dass ich Essstörungen habe, aber damit konnte ich doch nicht aufhören. Habe es auch vor ihm verheimlicht. Mittel und Wege habe ich immer gefunden. Er hat schon etwas geahnt. Aber selbst, wenn er mich darauf angesprochen hätte, ich hätte nicht zugelassen, dass er mir hilft. Dafür war ich viel zu kaputt.

Ich war immer sehr ehrgeizig, hatte beruflich Erfolg, habe viel Geld verdient. Dachte, das macht den Menschen aus...

1997 gab es dann einen Rückfall mit Alkohol. Und ich wollte wieder nur sterben. Ich hatte Glück, dann endlich bei einer Psychotherapeutin zu landen, die sofort erkannt hat, dass ich psychisch krank bin (angelegt in der Kindheit) und bei der ich lange in Behandlung war (und auch jetzt wieder bin, denn Probleme habe ich immer noch, auch ganz ohne Sucht).

Mit dem Trinken habe ich schnell wieder aufhören können, aber mit dem Kotzen war das sehr viel schwerer. Irgendwann 1999 hat es dann endlich klick gemacht. Seitdem bin ich "clean".

Und es geht mir heute wirklich gut. Wenn ich eure Beiträge lese, dann hilft es auch mir, dann sehe ich, was ich hinter mir lassen konnte und es ermutigt mich, auf dem Weg weiterzugehen, auf dem ich heute bin. Wenn ich euch durch meine eigenen Erfahrungen irgendwie ein bisschen Mut machen kann, dann war alles, was ich selbst durchmachen musste, doch am Ende zu etwas gut.

Ich selbst kann übrigens heute das Leben sehr geniessen. Ich bin dankbar, doch noch hier zu sein und dafür, dass ich vor schweren körperlichen Schäden bewahrt wurde (natürlich gibt es da einiges, aber damit kann ich leben). Bin meinem Mann dankbar, dass er die Kraft hatte, bei mir zu bleiben und alles mit mir durchzustehen.

Ich habe trotz allem wahnsinning viel Schwein gehabt!

Liebe Grüße an euch alle,
Susanne

#2
hallo Susanne,

ich bin froh, dass du es geschafft hast und bewundere dich dafür.
bei mir ist einiges ähnlich verlaufen wie bei dir Ich habe beziehungsweise hatte (ich denke, dass ich jetzt die Bulimie endgültig hinter mir lassen kann) auch sehr lange Bulimie verbunden mit Alkohol und Selbstverletzungen und vorher Magersucht.

Momentan greife ich fast kaum mehr auf meine Süchte zurück, obwohl es mir nicht sehr gut geht. Da ich natürlich wieder vor meinen Problemen stehe und bemerke, dass es noch viel schwieriger ist, als mit der Bulimie aufzuhören, meinen Charakter so zu ändern, dass ich mich wohler fühle.

Ich bin aber auch sehr froh, dass es mir körperlich relativ gut geht und, dass ich noch eine Chance habe mein Leben anders zu leben und genieße momentan mein Leben auch sehr.

Es würde mich sehr freuen, wenn du öfter etwas ins Forum schreibst und dein Beitrag hat mich sehr motiviert und gefreut.

Ich wünsche dir weiterhin alles Gute

Liebe Grüße
Giocanda

#3
Hey!
Finde ich wirklich toll, dass du es geschafft hast, doch noch diesen Weg zu gehen und durchzuhalten und natürlich, dass du dich auch nach so einer langen Zeit nicht aufgegeben hast. :D
Ich denke, du kannst hier einigen mit deiner, wenn auch ungewollten Erfahrung weiterhelfen und finde es gut, dass du dazu bereit bist, hier davon zu schreiben.
LG!

#4
Liebe Susanne!

Du schreibst, dass Du 24 Jahre Bulimie hattest. Nach solanger Zeit eine Sucht erfolgreich zu bekämpfen + überleben klingt nach einem harten Stück Arbeit. Vielleicht darfst Du den Namen der Psychotherapeutin nennen, die Dir so geholfen hat oder vielleicht war's eine andere Art von Therapie?! Wie hat vor allem Dein Mann als (eigentlich) Außenstehender und trotzdem Involvierter soviel Kraft aufbringen können? Woher nahm er die Motivation und Power, DICH unterstützen zu können und selbst nicht dabei zugrunde zu gehen? Womit hat er Dir in Deinen Augen am meisten geholfen? Eine sehr liebe Freundin von mir hat Bulimie (wie ich erst vor ein paar Wochen erfuhr) und ihre Ehe droht daran zu zerbrechen..... Da ihr Mann mehrmals täglich ihre FA und das ganze Ritual MITANSEHEN & MITANHÖREN muss, sind seine Akkus mittlerweile leer, seine Motivation dahin und er weiß einfach nicht mehr weiter. Außerdem muss er auch stark sein für ihr kleines gemeinsames Kind. Sie sind in einer sch* Situation und niemand weiß so recht wie's enden wird......

#5
Hallo Happy,

habe deine Frage eben erst gelesen, sorry. Ich habe eine ambulate Psychotherapie gemacht, eine Einzelgesprächstherapie, einmal pro Woche eine Sitzung. Meine Therapeutin ist u.a. auch Fachtherapeutin für Essstörungen. Aber sie ist außerdem eine sehr erfahrene Psychologin mit 30-jähriger Berufspraxis.

Wichtig in der Therapie ist, dass eine gewisse gegenseitige Sympathie vorhanden ist und dass man sich respektiert. Wichtig ist das Wissen und die Erfahrung des Therapeuten. Und der unbedingte Wille des Patienten, mitzuarbeiten. Wichtig ist, dass man Vertrauen aufbauen kann. Und auch dann kommt man nicht von einem Tag auf den anderen von der Sucht los.
Es geht darum, andere Werte in sich selbst und im Leben zu entdecken, eines Tages kann man dann die Sucht dadurch ersetzen und der Kampf gegen die ewige innere Leere endet.

Welche Werte das sind, kann jeder nur für sich selbst herausfinden.

Wie mein Mann das mit mir durchgehalten hat, weiß ich nicht. Ich habe keine Erklärung. Er ist ein Mensch, der bereit ist, Krisen durchzustehen und Zusammenhalt ist für ihn ganz wichtig. Ich habe umgekehrt auch Krisen mit ihm durchgestanden. Das heißt, ich war in unserer Ehe niemals nur die nehmende.

Aber ich bin wirklich sehr dankbar, dass er die Kraft hatte und bei mir geblieben ist. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist.

Liebe Grüße,
Susanne