Ich brauche Rat

#1
Hey,
ich brauche dringend Rat.
Ich habe eine ältere Schwester, die seit einiger Zeit eine Essstötung hat. (Ich bin mir sicher, dass sie eine hat!)
Vor einem Jahr fing sie mit einer Diät an, weil sie abnehmen wollte. Die Diät schien auch recht gut anzuschlagen und sie nahm einiges ab. (Kalorien zählen, gewisse Produkte und Stoffe komplett meiden usw.) -Randinformation: Meine Schwester ist Saisonarbeiterin und ist deshalb das halbe Jahr nicht zuhause, wenn sie im Ausland ist zum arbeiten.- Als sie jetzt also vor ein paar Monaten wieder nach hause kam, war sie sehr schlank und schien auch recht zufrieden mit sich zu sein. Sie hatte sich verschiedene Sportgeräte gekauft und "ihre Ernährung umgestellt".

3-4 Wochen nachdem sie wieder daheim war, fing sie aber an seltsam zu werden. Sie begann die gesamte Familie zu kritisieren was das Essen anging, selbst wenn man einen Löffel Zucker in seinen Kaffee oder Tee gab. Als unsere Eltern und Großeltern sie darauf ansprachen, dass sie sehr schlank sei und meine Oma scherzhaft meinte, dass sie schon fast ZU schlank sei, wurde sie richtig wütend. Auch jetzt wird sie sehr aggressiv wenn man das Thema Gewicht anspricht.
Sie fing daraufhin an fast jeden Tag große Mengen verschiedener Sachen zu backen und aß alles alleine in einem Rutsch auf. In den letzten Tagen macht sie sich oft innerhalb von 1-2 Stunden zwei mal was zu essen und holt sich direkt danach noch ein Dessert (meistens einen mittelgroßen Kübel Eis oder eine ganze Schachtel Eiskonfekt) und ein paar Stunden später höre ich dann wie sie sich übergibt.

Wenn sie einkaufen geht, kauft sie immer riesige Massen an Essen. Allerdings geht sie alle 2-3 Tage einkaufen, weil sie einfach alles in sich hineinschaufelt. Manchmal wundern wir uns wie sie es generell schafft so viel auf einmal zu essen. Wenn man sie darauf anspricht, wird sie sauer.

Ich habe mit unseren Eltern darüber geredet und wir haben sie darauf angesprochen. Sie meinte nur sehr locker, dass ihr nunmal schlecht werden würde, wenn sie viel Fett und Zucker auf einmal essen würde. Allerdings ist sie immer sehr ruhig und "gechillt" wenn sie brechen geht, also nicht so als würde ihr ganz plötzlich schlecht werden und sie müsse dringend ins Bad. Nein, neulich als ich duschen war, fragte sie mich sehr gelassen durch die Tür ob ich noch lange im Bad wäre. Als ich rauskam ging sie seelenruhig an mir vorbei ins Bad mit einem offenen Buch in der Hand und 5 Minuten später ging es wieder los.
Ich bemerke es natürlich nicht immer, bin ja auch nicht immer zuhause oder wach (sie macht es oft mitten in der Nacht), aber wenn ich bemerke, dass sie sich übergibt, mache ich mir eine Notiz in meinem Kalender. Erst hab ich sie nur 1x pro Woche "dabei erwischt", aber mittlerweile häuft es sich und ich bemerke es fast jeden zweiten Tag.

Wir machen uns natürlich große Sorgen um sie, aber sie ist sehr von sich selbst überzeugt und würde sich nie eingestehen, dass das was sie macht nicht gut für sie ist. Sie ist der vollsten Überzeugung, dass das was sie tut der richtige Weg ist und sie will noch weiter abnehmen. Auch hat sie uns Vorwürfe gemacht, weil sie früher "zu fett" gewesen sei und wir hätten sie nicht drauf hingewiesen, dass sie ja "zu fett" sei.

Wir wissen nicht, wie wir ihr helfen sollen. Sie hat auch keinen Freund oder beste Freundin, die sie vielleicht näher an sich ran lassen würde um ein ernstes Gespräch darüber zu führen oder sie davon zu überzeugen professionelle Hilfe zu suchen.

Ich bin nicht gewillt das zu ignorieren und ihr "Heruntergespiele" zu akzeptieren. Deswegen hab ich mich im Internet schlau gemacht und bin auf euch gestoßen.
Fällt jemandem von euch ein, wie man sie vielleicht davon überzeugen kann, dass sie Hilfe braucht?
Oder welche Maßnahmen wir in diesem Falle vielleicht ergreifen können? (Sie ist wirklich sehr stur und sehr von sich selbst überzeugt.)
Ich bin mir aufgrund der Anzeichen relativ sicher, dass es Bulimie ist. Korrigiert mich bitte, falls ich mich irre...?

Auf jeden Fall schon mal Danke dafür, dass ihr ein Ansprechpartner seid.
Hoffe ihr könnt uns vielleicht ein paar gute Ansätze zeigen, die wir bisher noch nicht gesehen/bedacht haben.

Re: Ich brauche Rat

#2
Hey,
vielen Dank für die direkte Antwort!
Ja, meine Schwester ist 32 Jahre alt und deshalb ist unsere Mutter auch ziemlich am verzweifeln. Normalerweise haben meine Schwester und ich auch ein nicht so gutes Verhältnis zueinander (wir sind 11 Jahre auseinander).
Deine Antwort hat mir dennoch sehr geholfen und ich werde mir mal gründlich überlegen und vielleicht einen Ablauf schreiben, wie ich das Gespräch mit ihr führen möchte, damit es nicht in eine falsche Richtung ausschlägt. Du hast mir einen guten Ansatz geliefert, also wirklich: Danke!

Ich/Wir hoffe/n natürlich, dass wir ihr irgendwie helfen können, damit sie von alleine darauf kommt, dass dies nicht der richtige Weg ist und sich vielleicht professionelle Hilfe sucht.
Auf jeden Fall bin ich Dir sehr dankbar, ich werde mein Möglichstes versuchen.

Re: Ich brauche Rat

#3
Hallo!

Ich bin zwar gerade erst neu hier, weil ich seit einem Jahr Bulimie habe und die jetzt endlich loswerden will, aber ich kenne die Reaktion von deiner Schwester ein wenig von mir. Bei mir weis bislang noch keiner was von meinem Problem, sobald aber jemand mich drauf anspricht ob ich nicht schon gegessen hab oder auch nur in die Küche kommt, während ich was koche reagiere ich ohne es zu wollen extrem gereizt. Das war leider auch der Fall als mich eine Freundin gefragt hat ob alles ok ist und mir ihre Besorgnis wegen meiner Gewichtsabnahme geschildert hat:/
Ich glaube gar nicht so sehr, dass es daran liegt dass deine Schwester das Problem nicht sieht, sondern eher dass sie es verdrängen will. Vor meiner Familie meinen Freunden etc schäme ich mich auch einfach so sehr dass ich nicht mit ihnen darüber reden möchte. Da ist die gereizte Antwort einfach ein Schutzwall.

Trotzdem denke ich, dass es hilft sie darauf anzusprechen.
Besonders als ich von so vielen Leuten deren Sorgen gehört habe, hat es mir irgendwie gut getan, da ich so weis dass ich mich weiterhin auf jeden in meiner Umgebung verlassen kann. Und auch wenn ich öfters sauer geworden bin: wenn ich meine Ruhe hatte hab ich oft darüber nachgedacht was ich zuvor wild abgeblockt habe.
Ich glaube mir würde es helfen regelmäßig am Tisch gemeinsam zu essen und dabei sich ausgiebig zu unterhalten oder wie Finchen schon gesagt hatte was zusammen zu unternehmen, vielleicht irgendwas ruhiges wo sie mit ein bisschen Glück selbst anfängt irgendein Problem anzusprechen. Eventuell gibt es auch irgendeine Situation wo du mit ihr bis jetzt am besten dich einfach unterhalten konntest über den Alltagsstress etc wie beim shoppen, Rad fahren...(Ich rede immer gerne beim lockeren joggen mit meiner Radbegleitung :wink: ? Dadurch wurden meine Anfälle immer unterbrochen und meine Gedanken kamen vom Essen weg. Vielleicht hilft dir das ein wenig weiter. Ich hoffe es!:)

Liebe Grüße

Re: Ich brauche Rat

#4
Finchen hat geschrieben:Du kannst sie in dem Moment in dem sie Kuchen backt auch darauf hinweisen, dass ihr Ernährungsumstellung
1. nicht gesund ist, 2. es ungesund ist zu essen bis einem schlecht wird, 3. sie sich doch gesund ernähren soll wenn sie nicht mehr so "dick" werden möchte wie früher.


davon würd ich direkt abraten... damit bestätigst du der krankheit nur, dass es falsch war, wie sie früher aussah.
und abgesehen davon kann man ne essstörung ja auch nicht einfach mit gesundem essen wegzaubern... ;)

in allen anderen punkten gebe ich dir recht, aber o.g. fänd ich persönlich absolut daneben und würde mich zutiefst verletzen.
Zuletzt geändert von manorexic am Fr Nov 18, 2016 23:57, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Ich brauche Rat

#5
Mittlerweile ist ja etwas Zeit vergangen, unserer Mutter gegenüber scheint sie "gestanden" zu haben, dass sie sich ihrer Krankheit bewusst ist und dass sie sich im Internet schon reingelesen hätte, wie man da rauskommt.
Uns gegenüber meinte sie, dass wir ihr helfen können, indem wir sie davon abhalten Süßes zu kaufen oder indem wir sie (auch wenn es sie extrem reizt) drauf ansprechen, dass sie nicht so viel essen soll, wenn sie mal wieder versucht sich viele Muffins (etc.) einzuverleiben.
Wir versuchen sie da natürlich zu unterstützen und sie schien mir vor einer Woche beim Shoppen auch sehr dankbar zu sein, als ich sie immer schnell von den Süßwaren weggezerrt hab.
Ich persönlich hab aber noch nicht weiter mit ihr darüber geredet, im Moment versuch ich noch eine bessere Beziehung zu ihr aufzubauen (gemeinsam ins Kino, Shoppen, auf langweiligen Familienfeiern über peinliche Verwandte witzeln, sich gegenseitig lustige Bilder/Videos zeigen, ..usw.) und ich hoffe, ich kann ihr dann wirklich helfen, wenn wir uns etwas näher gekommen sind.
Hab allerdings rausgehört, dass sie sich selbst als gar nicht so schlank empfindet bzw. das Abnehmen nicht so "bemerkt". Dabei hat sie wirklich viel abgenommen und sie wird von jedem Bekannten oder Verwandten, der sie im letzten Jahr nicht so oft gesehen hat darauf angesprochen. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass sie wohl unter Selbstzweifeln litt, damit sich ihre eigene Wahrnehmung so verzerrt hat. Ich bin mir nicht sicher inwiefern wir ihr damit helfen können. Aus eigener Erfahrung kann ich nämlich sagen, dass manche Komplimente und nette, ehrliche Worte von der Familie nicht so "einschlägig" sind wie von Freunden oder Fremden.

Das mit dem Schutzwall kann ich verstehen und es wird bei meiner Schwester auch wahrscheinlich der Fall sein. Nicht nur, dass sowas ja irgendwie logisch in so einer Situation ist, es ist auch so, dass in unserer Familie sowas ohnehin üblich ist. Wir sind nicht die, wie sagt man, "offenste Familie"? Also ich will damit sagen, dass die meisten von uns sich hinter 'ner Art Schutzwall verstecken und wir vor allem unsere positiven (überschwängliche Freude, Liebe, etc.) und unsere extrem negativen Emotionen nur selten offen zeigen. (Klar zickt man sich mal an oder sagt: "Hey, cool!", aber wenn man zum Beispiel wegen was tief traurig/enttäuscht ist, dann wird das nicht offen gezeigt.)

Ich bin gespannt wie es sich entwickelt und hoffe für das Beste.
Auf jeden Fall vielen Dank für eure Rückmeldungen. Ich freu mich über jede Antwort und über jede Möglichkeit ihr zu helfen, die ihr mir aufzeigt.
Zuletzt geändert von Milah am Di Nov 29, 2016 3:01, insgesamt 1-mal geändert.