Mal Nähe, mal Abstand ...

#1
Hallo,

vor fast einem Jahr habe ich das Glück gehabt ein Frau kennen zu lernen, die so wundervoll ist, dass ich ihr ziemlich schnell verfallen bin. Im Weiteren nenne ich sie einfach Julie. Noch nie zuvor habe ich eine so charmante, witzige, intelligente, liebevolle, coole und so wunderschöne Frau, wie sie getroffen. Bis März diesen Jahres hatte sie noch einen festen Freund, doch sie trennte sich von ihm und seither sind wir uns sehr nahe gekommen. Zwar als Freunde, doch sie weiß, dass ich in sie verliebt bin und ich bin ihr auch sehr wichtig geworden. Das wusste ich spätestens seit dem Abend, an dem sie mir von ihrer Bulimie erzählte. Das war vor wenigen Tagen.

Schon vorher sind mir an ihr Verhaltensweisen aufgefallen, die ich allerdings noch nicht in Zusammenhang bringen konnte. Nichts bereitet mir mehr Freude, als sie glücklich zu sehen. Und wenn sie lacht, geht für mich jedes Mal die Sonne auf, egal wie dunkel der Tag ist. Daher liebe ich es, ihr kleine Aufmerksamkeiten mitzubringen (z.B. mal einen selbstgemachten Obstsalat oder was kleines von Hello Kitty, die Marke liebt sie :mrgreen: ) und ihr Komplimente zu machen. Ihre Reaktionen sind zwar in der Regel sehr positiv, doch gab es auch Tage, da hat sie mir mitgeteilt, ich solle sie nicht so bedrängen. Und dann wieder sucht sie meine Nähe mehr als sonst und möchte mit mir dieses und jenes Unternehmen. Manchmal trägt sie auch nur schwarz oder sehr weite Sachen und würde am liebsten kein Wort mit mir reden. Auch ist mir schon aufgefallen, dass sie stark auf Ernährung achtet und sich genauestens mit Kalorien von Lebensmitteln auskennt. Dass sie vor etwa 3 Jahren an Bulimie erkrankte, hätte ich mir trotzdem nie ausgemalt.

Sie ist der Meinung, die Bulimie fast ganz besiegt zu haben. Eine Therapie hatte sie nie, aber Heißhungerattacken mit anschließendem Erbrechen hatte sie schon seit langem nicht mehr und das glaube ich ihr. Dennoch hat sie zugegeben, dass sie ständig daran denkt, wie sie ihre tägliche Ernährung für sich so planen kann, dass sie nicht in alte Muster verfällt. Und wenn das nicht möglich ist, weil sie beispielsweise den gesamten Tag unterwegs ist, dann fühlt sie sich gestresst und unsicher. So wie ich, zu essen, wenn sie Hunger hat und aufzuhören, wenn man satt ist, davon ist sie noch sehr weit entfernt. Ich möchte versuchen, so gut es geht nachzuvollziehen, wie sie sich mit ihrer Bulimie fühlt, auch wenn sie vielleicht schon wirklich gut klar kommt. Aber als Außenstehender kann ich das nicht gut beurteilen. Die Gefahr vor Rückfällen ist bestimmt nicht bei 0%

Julie ist eine starke Frau. Das habe ich schon immer an ihr bewundert. Doch erst jetzt weiß ich, dass sie selbst sich oft sehr unsicher und schwach fühlt. Nun ahne ich auch, dass sie manchmal die Distanz zu mir aufbaut, um mir gegenüber diese Schwäche nicht zu zeigen. Ich habe ihr gesagt, dass es von Stärke zeugt, sich seine Schwächen einzugestehen und mit mir darüber zu sprechen und dass sie stärker ist, als sie glaubt. Ich bin ihr außerdem unendlich dankbar für ihren Vertrauensbeweis und möchte ihr zeigen, dass sie auch wirklich in allen Belangen offen zu mir sein kann, dass sie sich fallen lassen kann, wenn es sein muss, dass ich für sie da bin und dass sie sich ruhig auf mich einlassen sollte...

Früher bin ich ebenfalls auf Abstand gegangen, wenn sie gerade eine schlechte Zeit hatte. Ich dachte es hätte mit mir zu tun und daher wollte ich sie nicht bedrängen oder gar belästigen. Aber ich vermute, wie schon erwähnt, dass sie das nur tut, um ihre Unsicherheit mir gegenüber nicht preiszugeben. Wäre es dann nicht vielleicht das Richtige ihr in solchen Situationen mehr von mir anzubieten? Eine nette SMS oder ein Anruf, um ihr mitzuteilen, dass ich dennoch an sie denke und sie stützen kann? Oder wenn sie wieder Sachen trägt, die ihre tolle Figur nicht zeigen, dann ja auch nur darum, weil sie an dem Tag mit ihrem Äußeren sehr unzufrieden ist. Das hat sie mir so gesagt. Wäre es dann gerade angebracht ihr ein aufrichtiges Kompliment zu machen oder würde sie mir das doch nicht glauben?

Vielleicht weiß jemand einen kleinen Rat. Im Vergleich zu anderen Betroffenen ist Julies und meine Situation vielleicht nicht so dramatisch, aber wenn mir jemand schreiben würde, wäre ich dennoch dankbar :) Irgendwie suche ich auch nach ner Möglichkeit, das alles zu verarbeiten. Und Vielleicht hilft mir diese Weise.

Re: Mal Nähe, mal Abstand ...

#2
Hallo Scott!

Herzlich Willkommen hier im Forum. Ich finde es echt toll von dir, dass du dich mit diesem, doch schwierigen Thema auseinander setzt.

Was Julie betrifft...
weißt du, ich glaube, dass sie ganz schön Probleme mit dem Essen hat. Ständig darauf bedacht zu sein, nicht die Kontrolle zu verlieren, nur die guten Sachen essen, auch die Art Kleidung auszuwählen.
Und auch wenn sie sagt, sie habe die Bulimie fast besiegt: die Bulimie zu besiegen heißt nicht, dass man ihr keinen Boden mehr gibt. Das ganze überkontrollierte Essen ist reine Angst vor einem Rückfall. Angst heißt nicht, eine Krankheit zu überwinden. Wie soll das weiter gehen? Sie kann ja nicht ihr ganzes Leben verzichten, der Bulimie wegen. Sie hat Angst vor dem Essen und ihrem Willen nach Essen. Essstörungen lösen sich leider nicht über die Nahrung, sondern über die Psyche.

Aber ich finde deinen Gedanken schön:
"Wäre es dann nicht vielleicht das Richtige ihr in solchen Situationen mehr von mir anzubieten? Eine nette SMS oder ein Anruf, um ihr mitzuteilen, dass ich dennoch an sie denke und sie stützen kann? Oder wenn sie wieder Sachen trägt, die ihre tolle Figur nicht zeigen, dann ja auch nur darum, weil sie an dem Tag mit ihrem Äußeren sehr unzufrieden ist. Das hat sie mir so gesagt. Wäre es dann gerade angebracht ihr ein aufrichtiges Kompliment zu machen oder würde sie mir das doch nicht glauben?"
Ich finde das schön. Ihr SMS schreiben, zeigen, dass man interessiert ist und sich nicht von einer Essstörung abschrecken lässt.
Kann da nur aus meiner Erfahrung sprechen: Mein Freund hat mich damals mit Komplimenten überschüttet (das tut er auch heute noch ;)) und ich muss sagen, es hilft viel. Einfach gesagt zu bekommen, von jemanden, den man mag, dass man schön ist. Gerade wenn man so auf seinen Körper fixiert ist, sind Komplimente echt was tolles.
Aber die Komplimente auch ernst meinen :)

So richtige Tipps hab ich nicht...aber ich finde deine Einstellung klasse!
Oh, deine Zukunft ist so ungewiss,
Dein Leben voller Angst und Schiss, du fängst erst gar nichts an,
Denn es ist so gemütlich und sicher,
Auf deiner Insel voller Leid, jaja...

Re: Mal Nähe, mal Abstand ...

#3
Vielen Dank, Colorama, für deine Einschätzung. Genau die Befürchtung, dass die B noch ziemlich vorhanden ist, habe ich nämlich auch. Die Symptome also die HA mit Erbrechen sind zwar (momentan) weg, aber die Ursachen sind noch da. Es muss für sie täglich aufs neue ein ziemlich harter Kampf und eine Gratwanderung sein ... Leider konnte ich ihr noch nicht sagen, dass ich das jetzt zumindest teilweise verstehe, denn wir hatten in letzter Zeit kaum Kontakt miteinander. Ich habe ihr viel geschrieben, aber es kommt wenig zurück, zumindest dann wenn es emotional wird. Ich habe zwar Angst sie mit meinen Gefühlen zu bedrängen und zu stressen, aber möchte ihr auch zeigen, dass ich für sie da bin und dass sie mir so wichtig ist. Ein offenes Gespräch könnte uns beiden bestimmt helfen.

Naja, ich bleib am Ball. Und Komplimente gibts natürlich nur aufrichtige :) Das fällt mir bei ihr nicht schwer.

Re: Mal Nähe, mal Abstand ...

#4
Hey!

Ich find es super wenn du dran bleibst!
Aber übertreib es nicht ja?! Ich (ich bin aber zusätzlich zur Bulimie bzw ich hab die Bulimie glaub i deswegen weil ich Borderlinerin bin. Also bei mir is das Thema Nähe Abstand nochmal ein eigenes) fühl mich irrsinnig leicht bedrängt. Und gezwungen zu irgendwas. Zeig ihr, dass du für sie da bist, aber dass es auch okay ist, wenn momentan weniger zurück kommt.
Und wegen der Essstörung: Sie klingt leider wirklich nicht geheilt. Und ich versteh sie gerade SO GUT!!! Wenn jeder Tag so ein Kampf ist....
Ich hab es 10.5 Monate geschafft diesen Kampf....10.5 bin ich jeden Tag aufgestanden und hab mich gegen die Bulimie entschieden (teilweise essattacken aber nie absichtlich gespieben). Und dann hatte ich 2 Rückfälle. Und hab mich wieder aufgerappelt und wieder gegen die Bulimie entschieden. Aber seit 2 Wochen bin ich wieder so extrem drinnen. Das mir total unvorstellbar ist wie ich es über 10 Monate durchgehalten hab.
Und dennoch ist es gut dass sie kämpft!
Nur, vielleicht würde ihr eine therapie bei diesen kampf helfen?
Ich würde mich ohne meiner Therapie nämlich sehr einsam fühlen...

Lg
Wenn du heute aufgibst,
Wirst du nie wissen,
Ob du es morgen geschafft hättest!

Re: Mal Nähe, mal Abstand ...

#6
Danke Louve. Borderlinerin scheint sie nicht zu sein, aber was weiß ich schon. Es kommt hin und wieder Mal was zurück. Vergangenen Sonntag schrieb sie mir, dass es gut wäre wenn wir diese Woche noch mal ausfürhlich reden. Das sehe ich genau so. Ich kanns aber auch verstehen, dass sie trotzdem wieder ihren Selbstschutz, also die Distanz braucht. Auch sie fühlt sich mit Sicherheit alleine. Ich verstehe so langsam sehr viel und möchte ihr das sagen... Und dann dieser Egoismus von mir :( Ich möchte sie nicht bedrängen und schreibe ihr dennoch fast täglich, weil ich mich besser fühlen möchte (natürlich auch, um ihr das Gefühl zu geben, für sie da zu sein, aber trotzdem...) Es ist erschreckend, wie viel ich für sie empfinde.

Eine Therapie würde ihr bestimmt helfen. Ich weiß aber, dass es noch viel zu früh für mich ist, sie daraufhin anzusprechen. Sie muss sich erst von mir verstanden fühlen denke ich. Und zugegebenermaßen, weiß ich ja lächerlich wenig über diese besch... B auch wenn ich zur Zeit viel darüber erfahre. Auch dank euch, ich weiß das sehr zu schätzen. Vielen Dank. Ich wünsche euch viel Kraft und auch sonst nur das Beste.

Re: Mal Nähe, mal Abstand ...

#7
Scott hat geschrieben:Danke Louve. Borderlinerin scheint sie nicht zu sein, aber was weiß ich schon. Es kommt hin und wieder Mal was zurück. Vergangenen Sonntag schrieb sie mir, dass es gut wäre wenn wir diese Woche noch mal ausfürhlich reden. Das sehe ich genau so. Ich kanns aber auch verstehen, dass sie trotzdem wieder ihren Selbstschutz, also die Distanz braucht. Auch sie fühlt sich mit Sicherheit alleine. Ich verstehe so langsam sehr viel und möchte ihr das sagen... Und dann dieser Egoismus von mir :( Ich möchte sie nicht bedrängen und schreibe ihr dennoch fast täglich, weil ich mich besser fühlen möchte (natürlich auch, um ihr das Gefühl zu geben, für sie da zu sein, aber trotzdem...) Es ist erschreckend, wie viel ich für sie empfinde.

Eine Therapie würde ihr bestimmt helfen. Ich weiß aber, dass es noch viel zu früh für mich ist, sie daraufhin anzusprechen. Sie muss sich erst von mir verstanden fühlen denke ich. Und zugegebenermaßen, weiß ich ja lächerlich wenig über diese besch... B auch wenn ich zur Zeit viel darüber erfahre. Auch dank euch, ich weiß das sehr zu schätzen. Vielen Dank. Ich wünsche euch viel Kraft und auch sonst nur das Beste.
Scott, ich finde es total toll, dass du ihr jeden Tag schreibst. Ich glaube, bei ihr kommt das auch an. "Da ist jemand, der an mich denkt und der jeden Tag an mich denkt und an mir interessiert ist".
Auch denke ich nicht, dass das tägliche Schreiben als Egoismus zu werten ist. Du bist an ihrem Wohl interessiert, was ist daran Egoismus? Das ist Fürsorge. :)
Lass es einfach langsam angehen. Kontinuierlich dran bleiben, lieber darauf warten, das sie den ersten Schritt macht. Aber ich denke, sie weiß, was sie an dir hat :)
Oh, deine Zukunft ist so ungewiss,
Dein Leben voller Angst und Schiss, du fängst erst gar nichts an,
Denn es ist so gemütlich und sicher,
Auf deiner Insel voller Leid, jaja...

Re: Mal Nähe, mal Abstand ...

#8
Christie hat geschrieben:OT:
(Louve, sei mir nicht böse, aber irgendwie erzählst du in jedem Beitrag, wenn du antwortest, auch wenns überhaupt nix mit dir zu tun hat, deine Geschichte :shock: )
Sorry :( i wollte einfach helfen mit meiner Geschichte und bei Leuten die sicher nicht alle Beiträge im Forum lesen schreib i das... Aber i versteh dass das für die die regelmäßig mitlesen nervig is. Werd versuchen mich zurück zu halten.sorry nochmal :(
Wenn du heute aufgibst,
Wirst du nie wissen,
Ob du es morgen geschafft hättest!

Re: Mal Nähe, mal Abstand ...

#10
Hey,

danke für euer Interesse und eure Rückmeldung. @ Louve: Ich lese zwar in letzter Zeit viel im gesamten Forum, aber du hast recht, ich habe noch nicht viel von dir gelesen und bin dir dankbar, für deine Schilderung deiner Situation. Es tut mir Leid, dass du Rückfälle hattest und wünsche dir Beistand, Kraft und Durchhaltevermögen.

Vor wenigen Monaten hatte Julie eines Tages mal schlechte Laune, wegen eines anstehenden Punktspiels. Ich dachte mir, ich schreib ihr einen kleinen, aufmunternden Brief und pack noch ne selbstgebrannte CD für die Autofahrt dazu. Das war ihr in dem Moment etwas zu viel, sie fühle sich etwas erdrückt und weiß aber, dass es lieb gemeint ist. Naja ich hab ihr dann geschrieben, ich werde mir in Zukunft besser überlegen, wie mein Verhalten ihr gegenüber auf sie wirkt und dass es vielleicht wirklich in letzter Zeit zu viel war. Außerdem meinte ich noch, dass ich ihr mehr Freiraum lassen und weniger nach gemeinsamen Unternehmungen fragen werde, um ihr nicht das Gefühl zu geben, sie unter Druck zu setzen. Und dann schrieb sie zurück, ich soll ruhig weiter machen mit meiner Art und mit Unternehmensvorschlägen und dass sie dann und dann noch nix vor habe und sich mit mir treffen möchte. Sie sei halt nur manchmal kompliziert und eigen und wollte mir nur mitteilen, wie sie sich fühlte.

Eigentlich zeigt diese eine Situation schon sehr viel. Und rückblickend betrachtet verstehe ich daran nun auch sehr viel mehr. Direkt gefragt, was sie darüber denkt, wenn ich ihr oft schreibe, habe ich nicht. Ich habe schon auch das Gefühl, dass es sie freut von mir zu hören und zu lesen. Wenn es um Sachen geht wie "Hey du, ich wünsch dir einen schönen Tag und viel Spaß beim Sport später. Wie war eigentlich gestern das Konzert?" dann kommt auch am Tag immer noch was nettes zurück. Aber am Tag nachdem ich von der B erfuhr war ich so durch den Wind, weil mein Verstand raste und Dinge ordnete, verknüpfte und erkannte, dass ich ihr eine ellenlange Nachricht schrieb (kurz gefasst: ... dass ich sie nicht anders sehe, aber vieles jetzt verstehe... dass sie Stärke bewiesen hat, sich mir zu öffnen... dass sie mir ruhig eine Chance geben kann als ihr Freund...). Das schreiben half mir zwar ein wenig, meinen Verstand zur Ruhe zu bringen, aber ich weiß, dass für Julie das wieder sehr "krass" war. Ich wollte ihr zeigen, dass ich wirklich anfange zu verstehen und ihr vermitteln möchte, dass ich für sie da bin. Ich befürchtete natürlich, dass es wieder zu Abstand führen würde. Immerhin hat sie sich mir gegenüber verletzlich gemacht und weiß noch nicht, dass sie von mir nichts zu befürchten hat...

Abstand und Nähe... es ist hart, aber ich kann damit umgehen. Vor allem jetzt da ich nachvollziehen kann, warum. Gestern, war wohl ein guter Tag bei ihr. Sie hat am WE viel zu tun, möchte sich aber mit mir treffen.

Danke nochmals fürs Mitlesen. Für heute reichts. Bin grad ausgelaugt vom schreiben und reflektieren, aber es hilft mir.

Re: Mal Nähe, mal Abstand ...

#11
Hi Scott,

um einen kritischen Ton einzuwerfen, den ich nicht böse meine(!): Ich habe den Eindruck, dass es in dieser Beziehung auch um Dich, nicht nur um Deine Freundin und/oder ihre Bulimie geht. Das ist natürlich auch gut so, weil zu Beziehungen immer zwei gehören und wir alle Menschen sind, egal ob bulimisch oder nicht.

In Deinem Schreiben klingt es manchmal so, als ob Dich da ein Schicksal überkommen hätte, dass Du Dich um diese Frau, also Deine Freundin, kümmern müssest. Und so, als ob Du das dann vollkommen geduldig und selbstlos, fast dem Schicksal ausgeliefert tun würdest. Also als ob das mit Dir gar nichts zu tun hätte, als ob Du keinerlei Wahl hättest.
Tatsächlich glaube ich aber, dass Du darin auch irgendeine Art von Gewinn für Dich siehst. Oder - anders formuliert - dass es Dir aus irgendeinem Grund eigentlich (unbewusst) quasi auch recht ist, dass sie so ist, wie sie ist, und Du da nun so viel Reflektieren musste. Ich glaube Du reflektierst dabei auch über Dich. Und ihr Leid - um es mal so zu formulieren - hilft Dir dabei.

All dies schreibe ich, weil es manchmal vielleicht auch hilft, ganz bei sich zu sein und zu bleiben, und zu sehen, welche eigenen Probleme, Sorgen, Ängste, Nöte man in eine Beziehung mitbringt. Vielleicht geht es gar nicht so sehr um Deine Freundin, vielleicht geht es mindestens genauso viel um Dich, aber wegen der Probleme Deiner Freundin, kannst Du darüber reden und nachenken.

Ohje, vermutlich war das komplett unverständlich.
So oder so wünsche ich Dir alles Gute!
Laona

Re: Mal Nähe, mal Abstand ...

#12
Hey Laona. Danke für deine Denkanstöße und deine Gedanken. Ich verstehe, was du meinst und denke du hast zum Großteil auch ziemlich ins Schwarze getroffen.
Laona1 hat geschrieben:Hi Scott,

um einen kritischen Ton einzuwerfen, den ich nicht böse meine(!): Ich habe den Eindruck, dass es in dieser Beziehung auch um Dich, nicht nur um Deine Freundin und/oder ihre Bulimie geht. Das ist natürlich auch gut so, weil zu Beziehungen immer zwei gehören und wir alle Menschen sind, egal ob bulimisch oder nicht.

In Deinem Schreiben klingt es manchmal so, als ob Dich da ein Schicksal überkommen hätte, dass Du Dich um diese Frau, also Deine Freundin, kümmern müssest. Und so, als ob Du das dann vollkommen geduldig und selbstlos, fast dem Schicksal ausgeliefert tun würdest. Also als ob das mit Dir gar nichts zu tun hätte, als ob Du keinerlei Wahl hättest.
Ich hab darüber nachgedacht. Die Wahl ... schwierig zu sagen. Ich sehe meine Wahlmöglichkeiten bzw. meine Optionen, aber ob ich wirklich frei bin zu wählen, ihr zu versuchen beizustehen oder eben nicht, das weiß ich nicht. Denn Fakt ist, ich werde versuchen ihr beizustehen, sie zu verstehen, sie zu stützen, auch wenn das heißt nur ein Freund zu sein und nicht "ihr Freund" zu sein. Ich weiß sie ist manchmal unglaublich einsam, unsicher und unglücklich und ich weiß auch, dass sie niemanden hat, dem sie sich gegenüber vollkommen öffnen kann. Sie ist jemand ganz besonderes und mir als Freund überaus wichtig geworden und ich möchte ihr nicht nur helfen, nur um ihr zu zeigen, ich bin ein toller Kerl und sei doch bitte meine Freundin. Das ist mir nun klar geworden. Ich bin kein Therapeut und kann mir nur anhören, wie es ihr geht, was sie zur Zeit bedrückt, sie versuchen aufzumuntern und mit ihr bei Gelegenheit vielleicht über eine Therapie zu reden. So jemanden gibt es in ihrem Leben leider nicht (ihre Mutter weiß nichts von der B und ihr Vater ignoriert es, ihr ehemaliger Vertrauenslehrer ist noch manchmal für sie da und ansonsten noch 2-3 Freundinnen, die ihr immer vermitteln wollen "Du schaffst das, du bist doch so eine starke Frau, Julie").
Tatsächlich glaube ich aber, dass Du darin auch irgendeine Art von Gewinn für Dich siehst. Oder - anders formuliert - dass es Dir aus irgendeinem Grund eigentlich (unbewusst) quasi auch recht ist, dass sie so ist, wie sie ist, und Du da nun so viel Reflektieren musste. Ich glaube Du reflektierst dabei auch über Dich. Und ihr Leid - um es mal so zu formulieren - hilft Dir dabei.
Ich sehe ihr Leid und die momentane Situation nicht als einen Gewinn, aber ich verstehe was du meinst. Ich bin natürlich froh, zu wissen, wo der Grund für dieses Nähe-Abstand-Problem liegt. Es hilft mir zu verstehen und dafür bin ich dankbar, ich bin auch etwas erleichtert, nicht mehr im Dunkeln zu wandern, warum und weshalb. Und ja es ist ok für mich, dass sie immer wieder mal Distanz aufbauen muss. Ich habe sie nicht anders kennen gelernt und bin damit auch früher schon klar gekommen, auch wenns nicht leicht ist. Naja ich muss schon gestehen, es wird immer schwerer je näher wir uns zuvor kommen. Ja ich reflektiere auch seither ständig über mich, über meine Probleme, über meine Gedanken und Wünsche und über meine Familie und Freunde. Es tut immer so gut mit Julie über all sowas zu reden und ein bisschen fühlte ich mich auch allein gelassen, durch ihren Abstand.
All dies schreibe ich, weil es manchmal vielleicht auch hilft, ganz bei sich zu sein und zu bleiben, und zu sehen, welche eigenen Probleme, Sorgen, Ängste, Nöte man in eine Beziehung mitbringt. Vielleicht geht es gar nicht so sehr um Deine Freundin, vielleicht geht es mindestens genauso viel um Dich, aber wegen der Probleme Deiner Freundin, kannst Du darüber reden und nachenken.

Ohje, vermutlich war das komplett unverständlich.
So oder so wünsche ich Dir alles Gute!
Laona
Sie öffnet sich mir sehr und gibt mir gleichzeitig das Gefühl, mich ihr zu öffnen und anzuvertrauen. Wenn ich so darüber nachdenke gab es so eine Person in meinem Leben noch nie. Keine Frau und auch keiner meiner besten Freunde. Sie ist mir wohl vor allem dadurch so wichtig geworden. Weil ich ihr auch wichtig bin, weil ich ihr beistehen will aber auch aus Angst sie zu verlieren, habe ich ihr gestern (wir waren gestern Abend etwas trinken) auch gesagt, dass es ok ist, wenn sie mich jetzt mehr als einen Freund und nicht als ihren festen Freund braucht und sieht. Das war für sie sehr überraschend und befreiend, das habe ich gemerkt. Und wenn ihr das gut tut und es auch unserer tiefen freundschaftlichen Beziehung gut tut, dann ist es hoffentlich auch wirklich ok für mich.

Zum Treffen gestern:
Die erste Stunde haben wir einfach erst mal geplaudert. Haben uns ja seit dem Abend ihrer Offenbarung mir gegenüber nicht mehr gesehen, sondern hatten nur bei Facebook und per SMS Kontakt. Es war irgendwie surreal für mich. Sie kann so perfekt ihre Fassade hochziehen, als hätte es dieses Abend nicht gegeben. Das war schmerzhaft zu sehen. Ich habe auch gemerkt, dass sie eigentlich nicht noch Mal darüber reden möchte. Ich habe sie trotzdem gefragt, ob wir über besagten Abend reden können. "Nein" Sie wolle nicht und wüsste auch nicht, was wir da noch bereden wollten. Distanz, Fassade, Selbstschutz. Ich hab ihr vorgeschlagen, dass sie mir nur zuhört und ich einfach rede, über meine Gedanken und Gefühle. Das war in Ordnung. Also habe ich ihr noch Mal gesagt, dass ich sie nun nicht anders sehe, aber dass sie mir gestattet hat sehr viel zu verstehen. Dass sie beispielsweise oft sehr unsicher ist und sich vermutlich oft sehr einsam fühlt. Auch dass sie jeder als starke Frau sieht und sie sich vermutlich fragt, warum sie das als einzige anders sieht und dass ich verstehe, warum sie Abstand gesucht hat und auch gerade sucht.
Dann hat sie sich doch noch mit mir darüber unterhalten. Sie bedaure es, dass sie mir von der B erzählte. Das hat mich kurzzeitig sehr erschüttert, aber ich weiß, dass ein großer Teil in ihr das anders sieht. Sonst hätte sie mir ja auch tatsächlich nichts davon erzählt. Ich sagte ihr, dass sie sich mir gegenüber ja sehr verletzlich gemacht hat und dass das wohl beängstigend für sie ist, zu wissen, mein gegenüber kennt einige meiner tiefsten Abgründe. Ich habe weiter gemacht und versucht ihr zu zeigen, wie wichtig sie mir ist und dass es ok ist, wenn sie zur Zeit nur einen Freund in mir sieht und nicht ihren festen Freund. Wie schon erwähnt, war das für sie überwältigend und ihre Fassade fing an einzustürzen. Wir haben noch viel geredet über unsere Gefühle, ihren Vater, über Verständnis, über mein vergangenes Alkoholproblem (davon erzählte ich ihr schon Mal) und über vieles mehr. Sie meinte auch, dass sie nun wieder froh sei, dass wir doch noch mal das Thema beredet haben. Ich hatte ihr in der vergangenen Woche eine lange Nachricht geschickt und dort schon direkt das Thema B und unsere Beziehung angesprochen. Sie sagte mir, beim Lesen war sie so überrumpelt, als sie bloß dieses Wort Bulimie las. Das wäre ja sie und sich damit auseinanderzusetzen ist ja natürlich hart. Noch dazu zu wissen, der andere weiß nun davon. Das verstehe ich.

Ich bin froh, dass es so ausging. Ich hoffe ich konnte ihr wirklich klar machen, dass ich verstehe, warum sie nach Nähe wieder Abstand sucht und dass es ok ist, weil sie mir so wichtig ist. Auch dass ich für sie da bin, wenn sie mich braucht als Zuhörer und als Freund. Vielleicht können wir somit füreinander da sein.