An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#1
Hallo,

dieser Post richtet sich v.a. an Freunde bzw. Partner von Menschen mit Bulimie, vielleicht öffnet er aber auch dem ein oder anderen Betroffenen die Augen.
Ich war selbst ein Jahr lang Partner einer Bulimikerin, und habe seit der Trennung sehr viel darüber nachgedacht.
Dies soll dabei helfen, die Krankheit Bulimie und den Menschen dahinter besser zu verstehen.

ACHTUNG:
Alles, was ich schreibe, basiert auf eigenen Erfahrungen.
Dies muss nicht auf jeden (Einzel-)Fall zutreffen, auch wenn ich in meinem Post oft verallgemeinere.
Ich bin trotzdem der Überzeugung, dass meine Ansichten auf ziemlich viele zutreffen (habe viele Beiträge hier im Forum durchgelesen).
Ich hoffe sehr, es fühlt sich niemand dadurch angegriffen.
Ich möchte noch sagen, dass ich dieses Forum mit seinen Mitgliedern eine wirklich tolle Sache finde. Weiter so!
Ich werde im Folgenden ab und zu "Regeln" (viele davon sind zweifelsfrei richtig) zitieren, die hier so im Forum kursiert. Hier gleich die erste:

Niemand ist schuld! Weder man selbst, noch der Erkrankte. Schuld ist allein die Krankheit.
Unsinn! Natürlich ist jemand Schuld. Die Krankheit ist schließlich kein ansteckender Virus o.ä. (wir sind nicht mehr im Mittelalter!).
Ich habe ehrlich gesagt das Gefühl, dass sich viele Erkrankte gar keine Gedanken über die Ursachen machen (wollen).
Gut, ganz so einfach ist diese Frage dann aber doch nicht zu klären. Ich probier's mal:

Essen ist ein Grundbedürfnis, Liebe auch. Essen bekommt man heutzutage leicht, Liebe oft nicht.
Ich glaube, dass die Bulimie (fast) immer ihre Wurzeln in der Kindheit eines Menschen hat.
Dort, wo Liebe fehlt bzw. gefehlt hat, entsteht eine Reaktion darauf. Es gibt ganz unterschiedliche Reaktionen:
Manche lassen es an anderen aus, sind gemein, machen andere Leute fertig , um sich selbst besser zu fühlen.
Andere fressen es eben sprichwörtlich in sich hinein.

Das (Über-)Essen ist nichts anderes als ein Ersatz für Liebe!

Deshalb ist auch das Erbrechen nicht das eigentliche Problem, sondern die Fressattacken.

Fehlende Liebe ist also das Problem.
Sind denn nun die Eltern daran Schuld? Teilweise.
Denn sie sind es, die einen bedingunglos lieben sollten, egal, wie man ist.
Viele tun das aber nicht. Warum? Böse Absicht?
Sicher nicht.
Viele können es einfach nicht. Ihnen ist vielleicht ein ähnliches Schicksal widerfahren. Vielleicht hatten sie auch eine schwere Kindheit.
Denn wer nicht lernt, sich selbst zu lieben (und das genau ist Aufgabe der Eltern, einem Kind dies beizubringen, eben durch bedingungslose Liebe!!) ist auch nicht fähig, jemanden anderen zu lieben.
So werden "Opfer" zu "Tätern".
Wer diese Krankheit nicht überwindet, wird genauso wenig fähig sein, seine eigenen Kinder zu lieben. Und diese werden dann genauswo wenig fähig sein...
Es ist ein sich immer fortsetzender Teufelskreislauf!

Ich kann jeden dieser Menschen verstehen. Ich verurteile niemanden. Jeder hat seine Last zu tragen. Niemand kann etwas dafür. Niemand ist schuld.
Doch jeder, der sich für Kinder entscheidet, steht in der Verantwortung, erstmal mit sich selbst fertig zu werden, seine eigenen Probleme zu lösen, zu lernen, sich selbst zu mögen und akzeptieren, damit er dies auch bei seinen Kinder machen kann und diese eben nicht das selbe Schicksal teilen werden!

Ich mag mich irren, und tue vielleicht vielen Eltern Unrecht.
Es gibt sicher auch andere schlimme Dinge, die man (in der Kindheit) erfahren kann, die nichts direkt mit den Eltern zu tun haben.
Aber gibt es hier jemanden, der ein wirklich gutes Verhältnis zu seinen Eltern hat? Die Verständnis zeigen? Unterstützen?
Habe bisher leider nur gegenteiliges erfahren und auch hier gelesen.
Ich glaube: Abneigung und Unverständnis sind nicht (nur) Folge einer Bulimie-Erkrankung, sondern v.a. Ursache!
Wenn die Verhältnisse innerhalb der Familie seit der Bulimie nicht mehr passen, haben sie davor auch schon nicht gepasst.
Wunder dich also nicht, wenn du hinter der Heile-Welt-Fassade zerrüttete Familienverhältnisse vorfindest.


Was heißt das nun konkret für jemanden, der mit einem Menschen zusammen ist, der Bulimie hat?
Zunächst einmal bist Du wahrscheinlich ein (zu) netter Mensch, weil du dich (unbewusst) in jemanden verliebt hast, der Hilfe braucht. Nett von dir.
Der Mensch, den du liebst, ist vermutlich auch ein (zu) netter Mensch, da er mit seinen Problemem auf eine Art fertig zu werden versucht, die ihn selbst kaputt macht und nicht andere.
Ist das Ganze also sinnlos?
Nein, denn du kannst viel erreichen. Deinem Partner fehlt meist Liebe, Anerkennung, deswegen ist er ja krank. Die kannst du ihm geben.

Sei dir aber bitte bewusst, dass das alles unglaublich anstrengend und belastend ist. Immer da zu sein. Immer den richtigen Mittelweg zu finden zwischen auffangen, zuhören, da sein und pushen, fordern, antreiben.
Das aller Anstrengendste ist jedoch, den Menschen, den man liebt, leiden zu sehen. Jeden Tag. Das ist (fast) noch schlimmer als selbst zu leiden.

Folgendes gebe ich auch zu bedenken:
Liebt euch euer Partner wegen eurer Persönlichkeit, also weil ihr seid, wie ihr seid, oder weil endlich jemand da ist, der ihn liebt?
Das hängt zwar zweifelsfrei zusammen, ist aber doch ein Unterschied.

Eine normale, "gesunde" Beziehung mit einem Menschen, der Bulimie hat, zu führen, ist nicht möglich.
Verabschiede dich auch von dem Gedanken, dass ihr zusammen die Bulimie überwindet und dann alles gut ist.
Versteh mich nicht falsch, natürlich wird es auch viele schöne Momente geben. Doch die Last der Krankheit ist immer im Hintergrund, auch wenn man sie nicht immer wahrnimmt.


Also doch alles sinnlos?
Nein. Du wirst, wenn du diesen Menschen, aus welchen Gründen auch immer, wirklich liebst, das auch weiterhin tun. Ihn unterstützen, für ihn da sein.
Zumindest eine Zeit lang. Das ist ok, du tust etwas Gutes.

Aber: Du kannst deinen Partner nicht gesund machen!
Du kannst Anstöße geben, da sein, Liebe geben. Aber gesund werden, und v.a. gesund werden wollen, das muss dein Partner allein!
Der richtige Weg ist auf jeden Fall, eine Therapie zu beginnen. Wenn dein Partner dazu bereit ist, hat er bzw. ihr schon viel geschafft.

Du musst aber aufpassen, dass du daran nicht selbst kaputt gehst. Du musst rechtzeitig merken, wie belastend das ist. Ich habe es bis fast zum Schluss nicht. Einfach immer weitergemacht, ohne zu reflektieren. Mir ging es zu der Zeit sehr schlecht, ohne dass ich es selber gemerkt habe!
Irgendwann waren die Gefühle dann weg. Zum Glück, sonst würde ich da vielleicht heute immer noch mit drin stecken.

Ich habe aus dieser Sache sehr viel mitgenommen. Ich sehe viele Menschen und Dinge jetzt anders. Es wird mich in der Zukunft vor vielem Schlechtem bewahren.
Trotzdem hatte und habe ich immer noch an dieser Sache zu knabbern.
Mir geht es heute wieder gut, aber die Gefühle (und damit die Fähigkeit, Freude an Dingen zu empfinden) sind noch nicht komplett wieder da. Ich arbeite daran.


Tu, was du tun musst, denn Gefühle lassen sich nicht steuern, aber sei dir der Gefahren bewusst und horche v.a. ab und zu in dich selbst hinein!
Du bist nur für dich selbst verantortlich, lebe dein eigenes Leben!
Das zu sagen war der eigentliche Sinn dieses Posts.


Danke fürs Zuhören!





Für alle, die noch mit der Krankheit kämpfen:

Das Leben ist ein Geschenk, denn man muss nichts dafür tun, um es zu bekommen.
Genauso muss man nichts tun, um liebenswert zu sein.
Jeder von euch ist liebenswert!
Jeder von euch ist ein toller Mensch!
Einfach so, ohne dass ihr etwas dafür tun müsst.
Ihr müsst nichts leisten oder irgendwelche Normen erfüllen.
Das ist doch das Schöne am Leben ;)

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#2
Hallo Maximilian,

vielen Dank für Deinen Beitrag. Ich bin ehemalige Bulimikerin, habe gelegentlich noch mit Fressatacken zu kämpfen, alles aber in einem sehr vertretbaren Rahmen.

Es tut mir Leid, dass Du die beschriebene Erfahrung machen 'musstest', weil es Dich offensichtlich sehr beschäftigte - was ja nur menschlich ist - und es Dir wohl auch in gewisserweise Leid angetan hat. Das tut mir Leid.

Vieles von Deinem Beitrag kann ich verstehen und manchem auch quasi zustimmen. Die Frage nach der Schuld hast Du ja dann selbst wieder etwas relativiert... denn da kann man tatsächlich generationenweit zurückgehen: ein Elternteil der Erkrankten bekam evtl. nicht genügend Liebe, weil evtl. ein Elternteil dieses Elternteils nicht genügend Liebe bekam und warum das nicht... evtl. weil Krieg war... Und Du hast es ja schon selbst geschrieben, dass das einfach sehr viele Leute nicht können (wirklich so bedingungslos lieben).
:arrow: Hätten also meine Eltern mich z.B. nicht 'fabrizieren' sollen? Zwar erlebe ich mich zuweilen als einen schwachen, nicht makellosen Menschen, ich hatte zu kämpfen usw. (das müssen ja aber auch Leute, die keinerlei Bulimie haben) und tatsächlich habe ich in manchen (eher selbstmitleidigen Phasen) gedacht: besser wäre es gewesen, wenn nicht. Aber andererseits bin ich der Meinung, dass Krankheit und Leid einfach zum Menschen gehört; das ist das Risiko des Lebens sozusagen und man kann das halt nicht voll und ganz steuern.

Aber auch ich halte Abstand zu Leuten, die m. E. zu viele Probleme haben, als dass ich mich damit eingehend beschäftigen möchte. Ich denke dann: Krieg erst mal Deine Dinge in den Griff. Dadurch, dass ich selbst mal krank war und Probleme hatte, war ich an diesem Punkt eine zeitlang sehr tolerant und dachte ich müsse helfen, weil ich ja weiß, wie es ist. Das war aber nicht gut für mich, weshalb ich das inzwischen also nicht mehr mache. - Auf Bulimie würde ich das aber nicht beschränken, gibt auch noch andere Probleme, die Menschen haben können und vor denen sich manch eine/r besser 'schützt'.

Meine Erfahrung mit der Bulimie sagt mir, dass es nicht nur an denen 'liegt', die bedingungslos lieben, sich so oder so verhalten sollten, sondern auch an denen, die das betrifft. Manche Leute haben - von Geburt an - ein 'dickeres Fell' als andere und erleben etwas, was für andere ein Problem ist, gar nicht als allzu großes Problem oder können besser (gesünder...) damit umgehen.

Und dann wollte ich Dich noch gerne fragen, ob Du gekränkt bist? Also gekränkt von Deiner Ex-Freundin.

Viele Grüße
Laona

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#3
Maximilian hat geschrieben:Aber gibt es hier jemanden, der ein wirklich gutes Verhältnis zu seinen Eltern hat? Die Verständnis zeigen? Unterstützen?
Ja ich!
Meine Eltern sind mein Leben lang hinter mir gestanden, haben mir immer Liebe gegeben und mir gezeigt dass sie für mich da sind. Als ich krank wurde haben sie mir eine Therapie ermöglicht und alles getan dass es mir besser geht. zB haben sie mir einen 2maligen auszug von zu hause ermöglicht in WGs damit ich mal in ein neues umfeld komme. Als es gar nicht mehr ging haben sie meine Entscheidung akzeptiert mein studium zu unterbrechen und haben mir geholfen eine Klinik zu finden. Sie waren glaub ich vor jedem meiner Vorstellungsgespräche genauso nervös wie ich. Und als ich in der Klinik war sind sie zu mir gestanden und zu familiengesprächen etc gekommen um gemeinsam an unserer Beziehung weiter zu arbeiten.
ALso ja es gibt auch Eltern die genug Liebe geben und trotzdem rutschen die Kinder in Krankheiten.
Meine Eltern waren natürlich nicht perfekt (wer ist das schon?) aber sie haben ihr bestes getan und ich würde sie gegen niemanden eintauschen wollen. Trotzdem hab ich eine Persönlichkeitsstörung, depressionen und eine Essstörung.
Wer schuld daran ist? Keine ahnung.
Wenn du heute aufgibst,
Wirst du nie wissen,
Ob du es morgen geschafft hättest!

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#4
Hallo ihr beiden,

danke für eure Antworten!
Das gibt mir nochmal einen anderen Blick auf die Sache.

@Louve: "Schön", das zu hören!

Meine Sichtweise ist sicherlich eingeschränkt, und da schwingt bestimmt auch etwas "Frust" mit.
Es gibt bestimmt auch andere Gründe, und, wie Laona schon sagt, der eine kommt damit eben auch besser klar als ein anderer.

Ich wollte mit meinem Post auch niemanden anklagen oder die Schuld zuweisen, sondern sagen:
Die Krankheit hat man ohne Schuld, man kann nichts dafür, aber trotzdem muss man sie eben selbst besiegen.

Und natürlich, Laona, soll jeder Kinder bekommen "dürfen".
Das ist doch etwas Schönes.
Wenn nur diejenigen, denen es im Moment supergut geht, Kinder bekommen würden, würde es bald keine mehr geben.
Ich sage nur, wer ein Kind bekommt, ist dafür verantwortlich, mit allem, was dazu gehört. Dessen sollte man sich nur bewusst sein.

Noch zu deiner Frage:
Und dann wollte ich Dich noch gerne fragen, ob Du gekränkt bist? Also gekränkt von Deiner Ex-Freundin.
Gekränkt bin ich nicht.
Vielleicht am Anfang nach der Beziehung. Ich dachte, ich hätte nur gegeben, und nichts zurückbekommen.
Als hätte sie das, was ich "geleistet" habe, gar nicht wahrgenommen.
Mittlerweile habe ich meinen Frieden damit geschlossen.

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#5
War auch kein Angriff meiner Seite. Wollte nur schreiben dass es ebenso liebevolle Eltern hier gibt :)
Und einiges von dem was du schreibst versteh ich eh auch!
Es ist sicher schwierig mit jemanden zusammen zu leben der Essgestört oder sonst irgendwie krank ist. Ich hatte mal eine Mitbewohnerin die ebenfalls sehr essgestört war. Wir haben uns so echt gut verstanden und sind auch heute noch befreundet aber es war schwierig für mich mitanzusehen wie sie hungert, noch dazu wenn ich gleichzeitig versucht hab gegen meine ES zu kämpfen.
Aber ich denke es ist nicht unmöglich auch eine gute Beziehung mit so jemanden zu führen...
Womit du vollkommen recht hast, ist mit dem satz:
Maximilian hat geschrieben:Die Krankheit hat man ohne Schuld, man kann nichts dafür, aber trotzdem muss man sie eben selbst besiegen.
Nur man selbst kann die Krankheit auch wieder besiegen. Man kann sich Hilfe holen und Unterstützung von Freunden und Familie. Ich hätte es zB ohne Klinik nicht geschafft (bin über ein halbes Jahr brechfrei aber noch lange nicht gesund von der essstörung). Aber den Kampf ausführen musste dennoch ich!
Das kann einem (leider?) niemand abnehmen...
Wenn du heute aufgibst,
Wirst du nie wissen,
Ob du es morgen geschafft hättest!

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#6
Maximilian hat geschrieben:Noch zu deiner Frage:
Und dann wollte ich Dich noch gerne fragen, ob Du gekränkt bist? Also gekränkt von Deiner Ex-Freundin.
Gekränkt bin ich nicht.
Vielleicht am Anfang nach der Beziehung. Ich dachte, ich hätte nur gegeben, und nichts zurückbekommen.
Als hätte sie das, was ich "geleistet" habe, gar nicht wahrgenommen.
Mittlerweile habe ich meinen Frieden damit geschlossen.
Das kann ich gut verstehen, und vielleicht war es ja ein stückweit sogar so? Keine Ahnung, ich kenne mich da nicht aus, weil ich in meiner Zeit der Bulimie nie eine Beziehung hatte. Ich wollte keine Beziehung, ich dachte, dass ich erst mal gesund werden müsse und dass das - wie ja Loeve auch bestätigt - alleine meine Aufgabe ist (mit professioneller Hilfe und Familie soweit als möglich, aber einen Mann wollte ich damit nie belästen, hätte mich für eine Beziehung viel zu mieß gefühlt).

Ich persönlich glaube, dass Bulimikerinnen Leidensdruck brauchen, damit sie lernen, aus der Krankheit herauzufinden. Da ist dann ein Freund, der alles mitträgt vielleicht gar nicht so gut. Zudem glaube ich, dass man in der Zeit der Bulimie auch einen 'kranken Charakter' hat, bei mir war das so. Und deshalb ist man an sich auch gar nicht in der Lage (so sehe ich es; kann bei anderen anders sein...) jemanden zu lieben. Mich hatte die Krankheit verändert und das Gesundwerden ebenso; ich glaube ein Freund wäre mir irgendwie ein 'Hindernis' gewesen, weil ich allen erdenklichen Freiraum brauchte. - Gerne führe ich da ein Vergleichsbeispiel an: auf eine Beziehung mit einem Alkoholiker (und ich sehe ES auch als Suchterkrankung) würde ich mich auch nicht einlassen, weil er nicht weiß, was er tut, unzurechnungsfähig ist usw. --- Wie gesagt, nur meine Meinung und vielleicht vertrete ich da eine zu 'harte Ansicht'.

LG und Dir alles Gute für die Zukunft
Laona

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#7
Ich hätte auch keine Beziehung führen können....an dem SPruch "Man kann erst jemand anderen lieben, wenn man sich selbst liebt" ist schon was wahres dran. Ich hatte erst eine Beziehung vor über 3 Jahren, bevor die Bulimie bei mir ausgebrochen ist. Ich konnte schon damals keine Nähe zulassen und war beziehungsunfähig. Hängt aber sicher auch viel mit meiner Borderlinestörung zusammen...
Und manche Bulimiker brauchen sicherlich den Leidensdruck. Aber ich stell es mir auch schön vor jemanden zu haben, der einen durch diese schwierige Zeit begleitet. Mir hat es oft gefehlt, dass ich einfach wem anrufen kann oder mich an jemanden kuscheln kann wenn es mir schlecht geht. Einfach jemand der mich in den Arm nimmt und sagt "ich bin bei dir".
Ich hatte zwar meine Freunde und meine Familie aber eine ES bedeuted bei den vielen und auch bei mir sozialer rückzug...
Wenn du heute aufgibst,
Wirst du nie wissen,
Ob du es morgen geschafft hättest!

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#8
Ich finde das Thema voll interessant...! Deshalb versuche ich, mal noch ein bißchen weiterzuspinnen... :-)
Louve hat geschrieben:Aber ich stell es mir auch schön vor jemanden zu haben, der einen durch diese schwierige Zeit begleitet. Mir hat es oft gefehlt, dass ich einfach wem anrufen kann oder mich an jemanden kuscheln kann wenn es mir schlecht geht. Einfach jemand der mich in den Arm nimmt und sagt "ich bin bei dir".
Ich hatte zwar meine Freunde und meine Familie aber eine ES bedeuted bei den vielen und auch bei mir sozialer rückzug...
Ja, das kenne ich. Mir ging es auch so, ich hatte mich zuweilen enorm genau danach gesehnt. Aber irgendwie ist es halt auch egoisitisch, oder? Ich bin mir ganz sicher, dass ich auf den anderen nicht besonders gut hätte eingehen können, sondern er mehr für mich als ich für ihn das gekonnt hätte hätte da sein 'müssen'. Und dann kommt dazu die Frage: Ist das schon Liebe, wenn man dieses Bedürfnis hat, jemand es einem erfüllt und man sich dann irgendwie geborgen fühlt? Es ist so 'charakterlos', weil ja quais jeder sagen könnte "Ich bin bei Dir". - Für mich war jedenfalls genau das der Grund, warum ich keine Beziehung hatte: ich habe gemerkt, dass ich mehr brauchte als ich geben wollte und konnte. Und Liebe bedeutete aber schon damals für mich auch Geben. Und eben am Geben scheiterte es, das konnte ich nicht. Im Prinzip bin ich glaub sogar gesund geworden, um geben zu können...

Ich glaube jede Beziehung wäre irgendwie eigenartig gewesen. Ich wäre schwach gewesen und der andere hätte (immer) stark sein müssen. Oder ich hätte so getan als wäre ich stark, um den anderen zu entlasten. - So oder so, irgendwie wäre es halt auf keinen Fall gegangen.
Zu alledem kommt v.a. dass ich so dermaßen neben mir stand, vermutlich die meiste Zeit gar nicht ich selbst oder so wirklich bei mir war und ein Freund hätte deshalb quasi einen Menschen geliebt, den es quasi gar nicht gibt. Ich bin heute ganz anders als ich damals war. Und das, was geblieben ist, sind gerade die Dinge, die verschütt gegangen waren, die ein Freund also auch gar nicht hätte sehen können. .... Irgendwie kompliziert, aber hoffentlich dennoch verständlich...

LG
Laona

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#9
Finde das Thema auch grad voll spannend!

Gute Frage die du da aufwirfst....ist das wirklich liebe oder einfach Sehnsucht...?!
Ich denke man muss in der Krankheit genau diese Frage gut reflektieren. Sich selber klar werden, ob man gerade nur die Nähe sucht und diesen Menschen dafür quasi "ausnützt" oder ob tatsächlich Gefühle für den Menschen selber da sind.
Ich denke dass beides vorkommen kann.
Ich kann nicht sagen, ob ich in den letzten Jahren in einer Beziehung mehr gegeben oder genommen hätte. Ich bin glaub ich prinzipiell ein Mensch der viel gibt...zumindest bei meinen Freunden...weiß nicht wie es aber dann tatsächlich mit Liebe gewesen wäre in einer Beziehung...
Echt keine AHnung..

Lg
Wenn du heute aufgibst,
Wirst du nie wissen,
Ob du es morgen geschafft hättest!

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#10
Maximilian hat geschrieben:[Du musst aber aufpassen, dass du daran nicht selbst kaputt gehst. Du musst rechtzeitig merken, wie belastend das ist. Ich habe es bis fast zum Schluss nicht. Einfach immer weitergemacht, ohne zu reflektieren. Mir ging es zu der Zeit sehr schlecht, ohne dass ich es selber gemerkt habe!
Irgendwann waren die Gefühle dann weg. Zum Glück, sonst würde ich da vielleicht heute immer noch mit drin stecken.

Ich habe aus dieser Sache sehr viel mitgenommen. Ich sehe viele Menschen und Dinge jetzt anders. Es wird mich in der Zukunft vor vielem Schlechtem bewahren.
Trotzdem hatte und habe ich immer noch an dieser Sache zu knabbern.
Mir geht es heute wieder gut, aber die Gefühle (und damit die Fähigkeit, Freude an Dingen zu empfinden) sind noch nicht komplett wieder da. Ich arbeite daran.
Hallo Maximilian,

ich finde es gerade interessant, dass die Diskussion hier letztlich ausschließlich von Betroffenen weiter geführt worden ist. Ich finde auch, Dein Betrag enthält sehr viel Weisheit und eine liebvolle Sicht auf die Betroffenen und auch die Angehörigen. Frust klingt da für mich weniger raus. Ich finde es auch faszinierend, dass Du Dir so viele Gedanken über die Welt Deiner Partnerin gemacht hast - und machst.

Ich finde es ziemlich besorgniserregend, dass Deine Gefühle sich zu Deinem Selbstschutz verabschiedet haben. :shock: Machst Du jetzt eine Therapie, oder wie arbeitest Du daran?

Bei vielem stimme ich Dir zu. Allerdings würde ich im fall von einer Essstörung nicht von "Schuld" sprechen. Du relativierst es ja dann selber, indem Du sagst, auch die Eltern des Kindes haben Probleme, die sie daran hindern, gute Eltern zu sein und es zu lieben.

Ich würde nicht sagen, dass es mir an Liebe gefehlt hat. An falsch verstandener Liebe war zumindest immer genug da. ;? Meine Mutter beteuert bis heute, dass sie mich liebt. Ich glaube ihr das auch. Ich persönlich flüchte mich in die Essstörung, wenn ich mit irgendetwas klar kommen muss, womit ich nicht klar komme, daran aber nichts ändern kann. Zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder andere Dinge, die mich belasten, über die ich aber keine Kontrolle habe....

LG

Sophie
Zuletzt geändert von Sophie11 am Di Jan 07, 2014 15:43, insgesamt 1-mal geändert.
So spricht der Herr: "[...] Nein, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich erkenne, daß nämlich ich, der Herr, es bin, der auf Erden Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft!" (Jeremias 9,22-23)

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#11
Ihr schreibt alle viel wahres.
Auch finde ich interessant, wie reflektiert ihr über die Sachen (nach)denkt. Wirklich gut!

Nun ja Sophie, was heißt "daran arbeiten"...?
Ich mache mir viele Gedanken, versuche mit Leuten darüber zu sprechen.
Mir geht es ja im Endeffekt sehr gut jetzt. Bloß (überschwengliche) Gefühle, wie ich sie von der Zeit vor der Beziehung in Erinnerung habe, habe ich jetzt nicht mehr.
Ich weiß nicht, ob ich eine Therapie machen sollte. Wenn die Gefühle wirklich nicht wieder kommen, sollte ich da wohl ernsthaft mal drüber nachdenken.

Lg, Max

Re: An alle Freunde/Partner (Erfahrungen eines Ex-Freundes)

#12
Lass dir nur nicht zu viel zeit mit den nachdenken darüber!
Manchmal wird es dann schleichend immer weniger dass die gefühle stärker da sind und man bekommt das gar nicht so mit...bis keine oder nur mehr negative gefühle da sind...lieber zu früh als zu spät hilfe holen! Ich hab jahre zu spät begonnen mir hilfe zu holen und es ist dafür jetzt ein umso steinigerer weg...

lg
Wenn du heute aufgibst,
Wirst du nie wissen,
Ob du es morgen geschafft hättest!