Kollegin mit Bulimie - Ansprechen oder Nicht Ansprechen?

#1
Hallo Zusammen,

seit ein paar Jahren arbeitet bei uns eine junge sympathische Kollegin. Mein Verdacht auf Bulimie stützt sich auf folgende Beobachtungen:

Sie isst praktisch kaum was und fehlt bei geselligen Anlässen mit Essen. Sie ist schlank und hat ein sehr gepflegtes Äußeres (Kleidung, MakeUp, Schmuck), reparierte Zähne, gelegentlich dicke Backen, immer wieder Krankheitstage, ständiges Frieren. Dazu extreme Stimmungsschwankungen von „Ich bin super“ zu „Ich bin nichts“. Sie reagiert empfindlich auf Kritik und ist schnell geknickt, blüht aber bei Komplimenten von mir regelrecht auf.

Nun waren wir mal leicht verknallt ineinander, es ist aber nichts draus geworden. Sie ist mir damals als sehr kompliziert erschienen. Sie ist mir bis heute nicht ganz unwichtig und wir haben ein sehr gutes vertrauensvolles Verhältnis.

In letzter Zeit geht es ihr immer schlechter. Als Kollege schweigend mit anzusehen, wie sie sich langsam kaputt macht, das fällt mir unheimlich schwer. Ich empfinde es aber auch als unerträglich, diesen Verdacht seit Monaten stets in mir zu tragen und nie zu äußern. Nur Zuschauen und nichts tun ist nicht mein Ding.

Andererseits will ich das gute Verhältnis nicht durch das Ansprechen auf Bulimie zerstören. Was bringt es ihr, möglicherweise reagiert sie wütend oder sie schämt sich dafür.

Ich würde ihr gerne sagen, dass ich ihr von Herzen wünsche da wieder raus zu kommen und möchte ihr anbieten, auf freundschaftlicher Basis für sie da zu sein. Soll ich es lieber lassen, weil ich doch nicht helfen kann? Will mich auch nicht zu intensiv mit ihr beschäftigen, die Gefahr besteht, dass ich mich emotional zu sehr verstricke oder gar verliebe.

Freu mich auf Antworten!

Toni

Re: Kollegin mit Bulimie - Ansprechen oder Nicht Ansprechen?

#2
hallo Toni
Herzlich willkommen hier in diesem forum.
Es ehrt dich, dass dir das Schicksal deiner Arbeitskollegin nicht egal ist. Trotzdem ist es schwierig zu sagen, wie du dich verhalten sollst bzw. wie sie reagieren würde, wenn du sie darauf ansprechen würdest. Wie du schon vermutest, könnte sie sich dadurch komplett von dir abwenden, weil du sie "entlarvt" hast oder weil du ihr so etwas unterstellst.
Wenn du sie schon darauf ansprechen würdest, so vielleicht allgemeiner auf eine Essstörung. Es muss ja (wenn sie denn wirklich eine hätte) nicht unbedingt Bulimie sein. Helfen kannst du ihr auf alle Fälle nicht, das müsste sie selber tun. Du könntest sie allenfalls unterstützen, für sie dasein, wenn sie eine Schulter zum Anlehnen braucht. Sei dir aber bewusst, wenn du dich darauf einlässt, dass es ein langwieriger Prozess wäre, da rauszukommen. Es wäre auch für dich mit enormem zeitaufwand verbunden. Du müsstest auch selber psychisch stabil sein, denn es würden nicht immer nur schöne Worte fallen. Wenn du dich "nicht zu intensiv damit beschäftigen" möchtest, dann lass es lieber. Wenn du es machst, dann mach es richtig, aber dann wirds sehr intensiv (wir gehen jetzt immer davon aus, sie hat eine Essstörung und sie vertraut sich dir an und will davon loskommen und will, dass du sie unterstützt!).
Wenn du sie unterstützen willst, weil du noch immer Gefühle für sie hast und denkst, dass du so mehr in ihrer Nähe sein kannst, dann lass es. Du tust weder dir noch ihr dann einen Gefallen. Und zum Ziel kämest du wohl auch nicht.

Die einzige Möglichkeit, die ich sehe: Du bleibst in Kontakt mit ihr, intensivierst den vielleicht (aber immer auf freundschaftlicher Basis). Vielleicht erzählt sie dir dann irgendwann mehr aus ihrem Leben (wenn es da etwas spezielles zu erzählen gibt). Sie muss Vertrauen in dich haben können, riesiges Vertrauen. Das bedeutet für dich auch, dass das, was ihr beredet, von dir nicht weitererzählt wird.

Ich wünsche dir gutes Gelingen und regen Austausch hier im forum.
Peter
Auch mit in den Weg gelegten Steinen kann man ein gutes Bauwerk errichten

Re: Kollegin mit Bulimie - Ansprechen oder Nicht Ansprechen?

#3
Hallo :)
Ich würde es so tun wie Peter es gesagt hat.

Wenn du dir nicht sicher bist wie sie reagiert, wenn du sie darauf ansprichst, dann versuch dich erst langsam anzutasten.
Ich hab es so erfahren, dass meine Freundin mir dankbar war und das die Freunschaft nur verstärkt hat, und sie hat sich selbst dazu entschieden aufzuhören. Da hatte ich viel Glück, dass es so "einfach" war und dass sie so viel Einsicht gezeigt hat.
Aber deine Arbeitskollegin hat ja anscheinend ziemlich starke Stimmungsschwankungen und dann kann es schon passieren, dass sie dich nachher erstmal ignoriert... wie gut kennt ihr euch denn? Nur Arbeitskollegen? Gute Bekannte? Freunde?

Aber ich verstehe deine Sorgen. Du musst für dich selbst wissen ob es einfacher ist, die Sache zu ignorieren oder ihr zu helfen. Wenn du ihr helfen willst, dann aber wirklich für sie da sein und unterstützen.

Re: Kollegin mit Bulimie - Ansprechen oder Nicht Ansprechen?

#4
Aus eigener Erfahrung kann das auch ziemlich nach hinten losgehen und einen ziemlich fertig machen. Menschen, die noch null Einsicht haben, an die kommt man einfach nicht heran. Andererseits ist es auf alle Fälle einen Versuch wert. Peter schreibt ja schon sehr schön, was wichtig ist, ich stimme ihm da voll zu. Nur in diesem Punkt:
Peter_B hat geschrieben:Wenn du sie schon darauf ansprechen würdest, so vielleicht allgemeiner auf eine Essstörung.
Würde ich sogar noch einen Schritt zurück machen und nicht von Bulimie od. Essstörung sprechen sondern von "Problemen mit dem Essen". Oder noch viel allgemeiner, dass du das Gefühl hast, dass es ihr nicht gut geht. Und vor allem immer vorsichtig, vorsichtig, vorsichtig. Ich bin selbst betroffen, weiß das alles und habe nicht auf mich selbst gehört, war in meinem inneren Drang ihr zu helfen zu unvorsichtig, habe das Wort Essstörung zu schnell ausgesprochen, habe sie bedrängt, worauf sie sich komplett verschlossen hat. Das ist eine Gradwanderung, weil das bei "uns" so ein schambesetztes Thema ist und viele gar nicht wahrhaben wollen, dass sie ein Problem haben. Viele haben 7 oder mehr Jahre Bulimie, bevor sie es sich selbst und anderen gegenüber zugeben.

Wenn du es wirklich versuchen willst, wünsche ich dir viel Erfolg! Es ehrt dich, dass du dich um deine Kollegin sorgst!

gglg, Kibi
Für uns sind die Anderen anders.
Für die Anderen sind wir anders.
Anders sind wir, anders die Anderen,
wie alle Anderen.

-Hans Manz-

Re: Kollegin mit Bulimie - Ansprechen oder Nicht Ansprechen?

#5
Hallo Ihr,

unser Arbeitsverhältnis ist schon eher vertraulich. Wir erzählen uns Dinge, die unter uns bleiben. Privat unternehmen wir allerdings nichts zusammen. Sie sucht gelegentlich meine Nähe am Arbeitsplatz, vor allem wenn es ihr schlecht geht und sie etwas Zuspruch braucht. Ich lobe sie für ihre Arbeit. Sie weiß, dass ich sie schätze, ihr aber nicht (wie andere Männer) an die Wäsche will.
kleines Ich-bin-ich hat geschrieben:Würde ich sogar noch einen Schritt zurück machen und nicht von Bulimie od. Essstörung sprechen sondern von "Problemen mit dem Essen". Oder noch viel allgemeiner, dass du das Gefühl hast, dass es ihr nicht gut geht. Und vor allem immer vorsichtig, vorsichtig, vorsichtig.
Den Ratschlag werde ich beherzigen, ich denke das ist ein guter Weg. Ich werde sie vorerst nicht aufs Essenverhalten ansprechen, sondern einfach äußern, dass ich mir Sorgen um ihre Gesundheit mache. Völlig tatenlos Zuschauen wie sich jemand kaputt macht, das würde mir sehr schwer fallen.
kleines Ich-bin-ich hat geschrieben:Das ist eine Gradwanderung, weil das bei "uns" so ein schambesetztes Thema ist und viele gar nicht wahrhaben wollen, dass sie ein Problem haben.
Einen gewissen Eiertanz habe ich jetzt schon mit ihr. Man muss bei jeder Formulierung aufpassen, sie interpretiert Dinge oft als Kritik, obwohl sie gar nicht so gemeint sind.
Peter_B hat geschrieben:Sei dir aber bewusst, wenn du dich darauf einlässt, dass es ein langwieriger Prozess wäre, da rauszukommen. Es wäre auch für dich mit enormem zeitaufwand verbunden. Du müsstest auch selber psychisch stabil sein, denn es würden nicht immer nur schöne Worte fallen. Wenn du dich "nicht zu intensiv damit beschäftigen" möchtest, dann lass es lieber. Wenn du es machst, dann mach es richtig, aber dann wirds sehr intensiv
Das verstehe ich nicht so ganz. Was wird dabei so (zeitlich) intensiv? Was kommt da auf Freunde / Nahestehende zu?

Grüße von Toni
cron