ritualisierte Essanfälle - was kann ich tun?

#1
Hallo!

Dies ist mein erster Eintrag hier, meine Freundin leidet unter Bulimie und ich habe lange gewartet bis ich mich zu dem Schritt durchgerungen habe und hier dazu im Forum zu schreiben. Mittlerweile zieht mich dies aber selbst so in Mitleidenschaft, dass ich mir nicht mehr anders zu helfen weiß.

Meine konkrete Frage ist folgende: Meine Freundin hat zwei fest ritualisierte Essanfälle: Mittags, wo sie für uns beide kocht (und rund das Dreifache von mir isst) und abends, wo sie meistens alleine ist.
Diese zwei Anfälle sind aber fest ritualisiert, früher hatte ich immer noch die hoffnung, dass wenn wir abends nicht zuhause sind und erst spät heimkommen, der zweite Anfall ausfällt. Dem ist aber nicht so: Wenn wir abends heimkommen, bringt sie mich quasi ins Bett und bleibt dann für den zweiten Anfall länger wach, Widerspruch zwecklos. Mittags essen wir wie gesagt zusammen. Beide Male habe ich ein sehr schlechtes Gewissen, aber wenn ich etwas dagegen sage, endet das nur im Streit.

Sie sagt dann, dass ich ihre Fortschritte nicht sehen würde, immer nur ihre Fehler sähe etc. Nur: Ich sehe wirklich keine Fortschritte: Seit 2 Jahren hat sich an der Zahl der Essattacken pro Tag nullkommanichts geändert, es sind mindestens 2 pro Tag, an schlechten Tagen mehr.

Bitte sagt mir, was ich tun kann! Ich komme mir so verdammt scheinheilig vor, wenn ich aus lauter Verzweiflung lieber gar nichts sage um ihre Laune nicht zu verschlimmern.

Ich wäre euch unendlich dankbar!

Re: ritualisierte Essanfälle - was kann ich tun?

#2
Hallo Phönix4,

schön das du deiner Freundin helfen möchtest, dass ist richtig gut. Ich denke sie weiß das auch zu schätzen und auch wenn ihr euch wegen der Bulimie / Fressanfälle streitet, gibt es ihr sicher halt zu wissen das du für sie da bist.
Und das ist auch erstmal alles was man(n) machen kann, einfach da sein. Ich kann mir denken das es schwer ist einfach zu zusehen, wie sich der Mensch kapput macht, den man liebt aber, wenn man als Betroffene nicht einsieht das man hilfe braucht, bringt es nicht viel (oder macht sie eine Therapie? Oder hat sich schon anderweitig Hilfe gesucht?). Du schreibst ja auch das du keine Verbesserung siehst (seit zwei Jahren) aber vllt kämpft sie ja jeden Tag und für sie ist es vllt schon ein Fortschritt, wenn sie diese zwei Ritualmahlzeiten einhalten kann und es nicht mehr werden. Bei mir ists ähnlich. Bin immer zufrieden wenn ich mein einmal nicht überschreite. Es ist wirklich ein enormer Kampf es nicht zu tun. Manchmal verliet man manchmal gewinnt man. Ich weiß nicht, rauchst du vllt? Ich glaube damit kann man es ganz gut vergleichen. Wenn man nicht seine Zigarette bekommt, baut sich ein unglaublicher Druck auf und der geht erst wieder weg wenn man eine geraucht hat.
Sag ihr aber auch (ohne Vorwürfe zu machen) das es dir ein schlechtes Gewissen macht, wenn du weißt das sie nach den Mahlzeiten auf die Toilette verschwindet. Sag ihr wie du dich fühlst (falls du es noch nciht getan hast).
Zum Beispiel: Einer meiner Freunde sagt mir oft wenn wir zusammen essen (sie weiß nicht das ich Bulimie habe aber das ich große Probleme mit dem Essen habe) das sie es nicht gut findet das ich so viel esse und ich jetzt aufhören sollte, weil sie weiß das ich dann jedes Mal schlechte Laune habe und dann auch nicht mehr viel mit mir anzufangen ist. Ich finde das sehr gut aber es nervt mich auch manchmal und gebe ihr dann auch echte blöde Antworten , obwohl ich weiß das sie mir nur helfen will.
Ich möchte damit sagen, es hilft ungemein zu wissen das Jemand da ist , der einen halt gibt und nicht allein lässt.
Aber was du vllt für dich selbst machen kannst, zu einer Beratungsstelle gehen. Kostet als Angehöriger sicher auch viel Überwindung, kann mir aber vorstellen das es einen selbst weiter hilft und auch lernt mit dieser Situation besser umzugehen. Vielleicht könnt ihr ja auch beide dort hingehen.

Ich weiß nicht ob dir das hilft, aber wie schon gesagt, sei einfach für sie da und sag ihr das auch, mehr kann man als Angehöriger erstmal nicht machen --> bis die Einsicht kommt.




--> Vergiss dich dabei aber auch nicht!

Re: ritualisierte Essanfälle - was kann ich tun?

#3
Hallo lientje!

Ganz lieben Dank für deine umfangreiche Antwort!!! :)

Ich weiß nicht, ob sie eingesehen hat, dass Sie wirklich hilfe braucht... bzw. es ist vielmehr so, dass sie meint, dass Hilfe ihr nichts nützt. Sie hat sich auf die Unheilbarkeit ihrer Krankheit eingeschossen.
Sie hat schon einmal eine Therapie gemacht, und die hat ihr wohl nicht so viel gebracht. Darauf beruft sie sich jetzt immer wieder.
Ich habe schon zwei Bücher zum Thema Bulimie (von Christina Disdzun) gelesen (ich habe meiner Freundin aber nichts davon erzählt). Die Bücher haben mir eigentlich hoffnung gemacht - Sie aber tut sowas als Quacksalberei ab.
Ich bemühe mich wirklich, die Krankheit zu verstehen ... aber wenn ich mit ihr darüber rede, reagiert sie nur genervt und sagt, ich hätte ja keine Ahnung. Und das stimmt ja irgendwie - aber ich bin ja der letzte der ihr noch irgendwie Hoffnung machen kann/will.
Ich komme mir vor wie don quichote und die windmühlen: ich kann mit ihr reden wie ich will - sie reagiert entweder gereitzt oder erträgt es halt einfach ohne etwas zu sagen. in keinem Fall bleibt irgendwas hängen.
Hast du vielleicht irgend eine Idee, wie ich sie irgendwie von einer Therapie überzeugen kann? Und ohne Therapie bringt es garnichts?

Ganz liebe Grüße
Phönix4

Re: ritualisierte Essanfälle - was kann ich tun?

#4
^^" ja, ich kann mich schlecht kurz fassen.

Erstmal zu deiner letzten Frage. Ich kann dir natürlich nicht sagen ob es ohne Therapie geht, aber das was ich so lese und von mir selbst kenne , ist es sehr schwer ohne psychologische Hilfe da wieder raus zukommen. Hast ja sicher auch schon in den Büchern gelesen, dass es ja in erster Linie nicht um das Essen an sich geht , sondern um Dinge die in der Vergangenheit passiert sind (schlechte Erfahrungen / Erlebnisse , unterdrückte Gefühle ... ). Dann ist es auch noch davon abhängig wie lange man schon krank ist. Jemand der 'nur' ein Jahr Bulimie hat und dann was dagegen tut hat sicher höhere Chancen wieder gesund zu werden , als Jemand der es schon 10 Jahre hat. Abe rnichts ist unmöglich und dazu wird langfristig wohl auch eine Therapie gehören.
Ich kann da nur den Rat geben (ich schreibe das jetzt aus der Sicht als Bulimikerin) einfach in einen ruhigen Moment anbieten das ihr ja vllt gemeinsam Adressen für Therapeuten raussuchen könnt (oder du machst das allein und zeigst ihr das), kannst ihr dann auch hilfe beim telefonieren anbieten und letztendlich auch gemeinsam zu einen Gespräch hingehen. Vllt fragst du sie auch nochmal warum sie so der festen Überzeugung ist, das wenn es einmal nicht geholfen hat, das es nie helfen kann. Ich würde die Ausrede nicht gelten lassen 'weil es beim Ersten Mal nicht geklappt hat'. Muss man aber wieder aufpassen das man es vorsichtig angeht und nicht zu vorwurfsvoll klingt (jaja nicht so leicht mit uns Kranken ;) ). Was spricht sonst noch gegen eine Therapie? Frag sie das ruhig direkt. Ist das der einzige Grund? Na dann ist das doch prima. Ich würde ihr ein Kompromiss vorschlagen (wenn sie denn eingesehen hat das Hilfe notwendig ist), das sie es doch nocheinmal probieren kann und wenn es ihr wirklich nichts bringt, du es dann akzeptierst (nur wenn du das dann auch kannst). Manchaml braucht es einige Anläufe.
Verwechsel dann aber auch nciht Überzeugen mit Überreden. Du wirst es vllt irgendwann schaffen das sie es dir zu liebe tut aber das bringt dann auch ncihts wenn sie es nicht will. Das ist denke ich mal auch das Hauptproblem. Man muss erstmal ganz tief unten sein bis man wirklich Einsieht das es so nicht mehr weiter gehen kann, da hilft leider (auch wenn man sich das als Partner sicher wünscht) auch die besten Überredungskünste nichts ... . Und wenn sie sich wirklich darauf eingeschossen hat , dass sie unehilbar krank ist, dann wird alles nichts bringen. Auch wenn das hart klingt, aber dann spar lieber deine Energie. Ich habe gestern auch noch was gelesen was dir vllt auch helfen könnte. Wenn sie wieder länger aufbleibt um zu '(fr)essen', sag ihr das du weißt was sie jetzt macht. Das du es nicht toll findest und in dem Moment lieber mit ihr ins Bett willst oder ein Film gucken, was auch immer. Konfrontation scheint bei manchen zu helfen. Aber wieder bedenken das es nicht nach Vorwürfe klingen soll, sondern eher nach Feststellungen.


Ist aber wirklich richtig toll von dir das du so bemüht bist sie und die Bulimie zu verstehen.

So, wieder einen halben Roman geschrieben. Hoffe irgendwas davon kann dich ein Stückchen weiterbringen.

Liebe Grüße :)

Re: ritualisierte Essanfälle - was kann ich tun?

#5
Hallo lientje!

Ganz lieben Dank für deine umfangreiche Antwort!!!!! Ich finde es im Gegenteil unglaublich lieb von dir, dass du so viel schreibst! :)

es tut mir so leid, ich war jetzt eine ganze Weile beruflich verhindert und konnte nicht antworten! :(

Du hast mich auf jeden Fall ein ganz großes Stück weiter gebracht!! Ich werde jetzt erst einmal probieren, diese Ratschläge in die Tat umzusetzen. Vielleicht darf ich mich dann ja noch mal rückmelden?!

Ganz liebe Grüße
Phönix4
cron