beide bulimisch: Was meint ihr?

#1
Hey zusammen. Ich habe einen neuen Freund, mit dem von Anfang an alles irgendwie astrein lief. Das ist so überraschend für mich, weil ich, wenn überhaupt mal, eine Kurzbeziehung hatte, in der ich mich auch nie wirklich wohl gefühlt habe. Hier: kein Stress, keine unnötigen Streitereien, viele Gesprächsthemen, viel Begeisterungsfähigkeit und guter Sex, der sehr, sehr innig ist. Jetzt ist es aber so, dass er mir schon bevor wir uns richtig kannten, gesagt hat, dass er Bulimie habe. Er lebt das auch aus, wenn ich da bin, isst viel, erbricht, sagt das auch. Aber als ob es etwas total normales sei, und ich habe den Eindruck, er findet es auch noch cool. Ich bin eben allerdings auch Bulimikerin. Aber ich habe ihm davon nichts gesagt. Ich lebe es auch nicht aus vor ihm oder auch anderen, bei mir ist das echt ein absolut heimlicher Teil im Leben, ich habe meine Phasen, gebe der Bulimie aber nicht viel Raum, Freunde, Beziehung und mein Ehrgeiz sind mir wichtiger. Trotzdem habe ich Rückzugsphasen, in denen ich einfach niveauloses TV-Programm und Essen konsumiere. Aber ich bin irgendwo zwischen schockiert und beeindruckt, wie er mit seiner ES umgeht. Er macht übrigens auch unglaublich viel Sport, oft mehrere Stunden am Tag und sieht auch extrem durchtrainiert aus. Ich mache auch Sport, aber lang nicht in dem Maße. Ich finde das grade jedenfalls irgendwie heftig. Erstens, weil kein Gleichgewicht da ist - er weiß nichts, ich schon. Aber für mich ist das auch was anderes als für ihn. Offensichtlich. Zum anderen: Wenn er das macht: Wie reagiere ich? Ich will ihn sicher nicht rügen oder so, ich bin ja kein Stück besser. Auf der anderen Seite weiß ich ja genau, dass es nicht gesund ist, dass er sich nicht gut tut und bin aber nicht in der Position, ihm zu helfen. Vertrackt. Hattet ihr sowas schonmal? Eine 'Vollkonfrontation' mit der ES in einem anderen Menschen und im Alltag?

Re: beide bulimisch: Was meint ihr?

#2
Hallo liebe Anemone..

ich habe glaube ich schon in mehreren Threads geschrieben, dass MEINE Ansicht der Dinge folgende ist:
egal, welche psychische Störung der Partner hat.. es wird schwierig.
Der andere hat sein eigenes Problem und kann uns nicht seine ganze Kraft schenken, die wir in dem Moment vielleicht brauchen könnten.
Außerdem haben wir anders herum nicht genug Kraft, um uns noch um einen anderen Menschen zu kümmern.

In deinem Fall finde ich es noch eine Spur extremer:
es erinnert mich ein wenig an manche Threads, indem Mädchen schreiben, dass sie Bulimie gemeinsam mit ihrer besten Freundin praktizieren und gemeinsam aufs Klo rennen, um sich zu übergeben.
Es wäre vielleicht auch noch eine andere Sache, wenn ihr BEIDE die Bulimie besiegen wollt. Aber so wie du es schilderst, klingt es, als ob dein Freund sich mit der Bulimie vollstens arrangiert hat und er gar nicht daran denkt, etwas zu ändern..

denkst du denn, dass es funktionieren könnte, ohne DICH selbst zu gefährden??
Ich vergleiche das gerade einmal mit 2 starken Kettenrauchern. Der eine möchte aufhören. Man sitzt abends zusammen vorm TV. Der eine versucht stark zu bleiben, der andere pafft eine nach der anderen..
in dem Fall wäre es noch eine Stufe härter, da du ja auch essen MUSST!! da wir sonst nicht überleben können.

Ich persönlich halte es für schwierig und denke ehrlich gesagt nicht, dass es dich aus der Bulimie herausbringen kann.
Manche Hähne denken, dass wegen ihnen die Sonne aufgeht

Re: beide bulimisch: Was meint ihr?

#4
ich sehe es genauso wie Napoleona. der erste punkt ist, dass ihr beide eine psychische krankheit habt, was schon mal sehr schwierig ist. aber der zweite, viel relevantere punkt ist: er will da gar nicht raus. er "praktiziert" seine essstörung vor dir und scheint glücklich mit ihr zu sein. das ist meiner meinung nach eine der schlimmsten situationen, in die du in bezug auf eine beziehung kommen kannst. du kannst zwar trotzdem weiter gegen deine essstörung kämpfen, aber du wirst darin enorm davon behindert, dass er sie weiter auslebt. einerseits, weil du dir natürlich um ihn große sorgen machst, was berechtigt ist, da er sehr tief in der krankheit zu stecken scheit... andererseits aber hauptsächlich, weil du dadurch stark in die falsche richtung gedrängt wirst. da können dann gedanken aufkommen wie - wieso denke ich nicht so? wieso lasse ich mich nicht einfach in die krankheit hineinfallen und lebe sie aus? wieso bin ich nicht damit zufrieden, wie es jetzt ist?

ich fürchte, diese beziehung wird dich unglaublich runterziehen :(

Re: beide bulimisch: Was meint ihr?

#5
Hm, das ist schon alles sehr kritisch. Ich glaube, ich kann das noch nicht besonders gut einschätzen. Er macht unglaublich viel und ist voll das Alpha-Tier, die Bulimie ist abends bemerkbar. Auf der anderen Seite thematisiert er sie so stark, dass ich da nicht dahinter komme ... Aber grade weil er so viel Sport macht, glaube ich nicht, dass er so oft erbricht. Und weil das hier grade so klang: Ich bin grade nicht im 'Kampf' gegen die ES. Ich habe sie reduziert, aber sie ist Teil meines Lebens, immernoch. Und auch wenn das erschreckend für manche klingt: Das ist grade irgendwie ok für mich. Was ich eher an ihm merke ist Rastlosigkeit. und oh Gott ja, die Storys mit der Freundin und der Bulimie .... das hatte ich ein einzhiges Mal in einer Therapie. Sehr strange;). Ist aber lang her. Ne, so ist es nicht, ich gehe darauf auch nicht ein. wie gesagt, ich bin so ein bisschen benommen. Nein, ich hab ihn nicht gefragt, ob er die ES los werden will. So wie es klingt, ist er der Meinung, dass man sowas nicht weg bekommt. Nur so ein Beispiel, er hat fast ein bisschen damit geprahlt, erbrechen zu können, ohne den Finger in den Hals zu stecken. Das ist was, was glaub für jeden hier im Forum selbstverständlich ist. Aber prahlt man damit?! Nein. Ich wusste da - mal wieder - echt nicht, was ich sagen soll. Komisch, dass eine Beziehung sich irgendwie so gut anfühlen kann, man sich aber echt nur auf den Moment verlässt. Klingt bestimmt voll verwirrend hier, aber ich bin auch verwirrt.

Re: beide bulimisch: Was meint ihr?

#6
Oh, ich wusste nicht, dass du das mit einer Freundin von dir auch durch hattest.. ich habe es gerade nur so gepostet, weil das schon mehrere geschrieben hatten hier im Forum und es mich daran erinnert hat..
was ich damit eigentlich sagen wollte: wenn BEIDE da rauskommen wollen, könnte es motivierend sein, da man sich gegenseitig versteht.. wenn er aber so tief drin ist, wie du sagst, dann könnte er dich auf Dauer auch mit runterziehen. Derzeit fühlst du dich "ok" mit deiner Bulimie. Aber wie sieht das in einem Jahr aus? wie sehen gemeinsame Abende aus? Sport machen bis zum geht nicht mehr? Gemeinsam Fressen und Kotzen (sorry, wenn das jetzt hart klingen mag)..

und auch wenn er nicht so oft erbrechen sollte und sein Essen durch Sport kompensiert: auch das ist eine Form der Bulimie und der Hintergrund ist, dass er ein Problem mit dem Essen hat. Es wäre genauso schlimm, wenn er anorektische Phasen hätte.

Ich sehe die Gefahr darin, dass du es mit der Zeit als "normal" empfinden könntest, zu fressen und zu kotzen.
Ich muss gestehen, dass ich es für mich als positiv empfinde, dass wir Scham davor haben, beispielsweise zu Hause bei den Eltern oder bei Freunden zu kotzen. Diese Schamgrenze fällt bei euch dann aber irgendwann einfach weg und es ist völlig normal. Wie soll so ein Haushalt und Zusammenleben aussehen? Vom Finanziellen mal ganz abgesehen.. Wir alle wissen, wieviel Geld für die Sucht draufgehen kann. Wenn BEIDE darunter leiden, verdoppeln sich diese Ausgaben..
Manche Hähne denken, dass wegen ihnen die Sonne aufgeht

Re: beide bulimisch: Was meint ihr?

#7
Hallo Anemone,

was soll man darauf schreiben? Dir tut die Beziehung so gut wie bisher wohl noch keine…also wirst Du es auch weiter erhalten wollen.

Als ich in der Situation war (Angehöriger) war das wichtigste und oberste Ziel immer, dass sie gesund wird, auch wenn dadurch natürlich manchmal einige Einschränkungen mit einhergingen, die mir anders manchmal lieber gewesen wären.
Und dennoch ist und bleibt es das wichtigste Ziel!
Er scheint die ES gut zu finden, dadurch wird er wohl auch keine Änderung der Situation anstreben und für Dich wird es umso härter.

Aber um den Kreis wieder zu schließen, was soll man Dir raten? Du genießt Eure Beziehung gerade sehr, also probiere es aus und versuch Dich am besten irgendwie zu erden, damit Du nicht weiter durch ihn reingezogen wirst.

Alles Gute und viel Glück
Vulcanus
Zuletzt geändert von Vulcanus am Di Jul 10, 2012 10:20, insgesamt 1-mal geändert.

Re: beide bulimisch: Was meint ihr?

#8
und wieder, Napoleona trifft es genau...

ich kann schon verstehen, dass du im moment auch noch nicht so viel darüber nachdenken möchtest, was mit euch in zukunft passiert. ihr versteht euch ja sehr gut und scheint euch auch gut zu ergänzen. wenn du sagst, dass die ES im moment "ok" für dich ist, dann kann ich dem natürlich nicht viel entgegensetzen, weil es deine entscheidung ist. aber ich denke, durch ihn, so wie er jetzt über seine ES denkt, wirst du da noch viel tiefer mit hineingezogen. ich verstehe schon, wenn du das im moment als nicht so schlimm empfindest. aber als außenstehende finde ich das wirklich heftig...

und zum thema sport: mehrere stunden pro tag sport zu machen, das gehört auch zum krankheitsbild - er erbricht weniger als manche andere bulimiker, aber dafür trainiert er exzessiv. das ist auch nichts, woran man sich ein vorbild nehmen kann.

Re: beide bulimisch: Was meint ihr?

#9
Er trainiert auf Triathlon, da muss das sein ... wurde von den Eltern früh zum Leistungssport gebracht.

Danke auf jeden fall für die realistischen Einschätzungen. Die Zukunft ist eben wirklich ... naja. Ich esse in seiner Gegenwart wenig bis normal. Und er lässt sich gehen. Aber es ist nicht so, dass das alles beherrscht, wir machen auch viele andere Dinge, sind viel draußen und redet auch oft einfach lang, da ist Essen ausgeklammert und ich denk auch nicht dran. Kennt ihr das? Bei ganz vielen Menschen wird mir im Gespräch soooo schnell langweilig. Bei mir gibt es gar nicht viele Menschen, bei denen mir der Gesprächsanspruch reicht. Da bin ich immer froh, wenn ich Menschen treffe, bei denen das nicht so ist;) Er ist einer davon, da klammert sich sogar das leidige Essen zum Glück automatisch aus.

Die Scham bei Eltern und anderen ... da hast du recht. Das ist bei mir auch so, ich bin auch immer ruhiger, wenn ich mal meine Eltern besuche. Wobei die ES ja in dem Haus auf der anderen Seite auch entstanden ist. Trotzdem gut. Ich wohne allein, aber zum Glück hab ich genug zu tun, um es trotzdem nicht völlig maßlos werden zu lassen. (Aber eigentlich müssen wir über Maßhaltung nicht reden, darum geht es ja.)

Ach und dem Partner die Gesundheit wünschen ... ja. Aber was sagen? Da müsste ich schon ganz auspacken. Und da ist die Scham bei mir zu groß, ich hab noch nie darüber geredet und will auch nicht damit anfangen.

ja ... Menschen und ihre Abgründe.