Mitbewohnerin mit ES, was tun?

#1
Hallo,

ich habe lange gegooglet und alles mögliche zur Thematik der Essstörungen gelesen, mit einer Beratungsstelle telefoniert und bin auf der Suche nach dem richtigen Weg nicht weiter gekommen. Ich hoffe hier "richtig" zu sein.

Ich wohne mit fünf anderen Leuten in einer WG. Darunter ist auch eine Mitbewoherin die offensichtlich an einer Essstörung leidet, ich nenne sie hier kurz M.. Wir sind keine WG im herkömmlichen Sinne, im Prinzip sind wir eine reine Wohngemeinschaft die sich hin und wieder zusammen findet. Jeder hat sein Reich und wir treffen uns mehr oder weniger zufällig in der Küche oder beim Warten auf das freiwerdende Bad. Dennoch verstehen wir uns so ganz gut, auch wenn wir drei- oder viermal im Jahr wirklich als WG was zusammen machen. Soviel zur Strktur.

Im Frühjahr letzten Jahres verschwanden immer öfter Lebensmittel aus unseren Schränken. Jedem fehlte immer mal was, vom Nutella zur Marmelade bis hin zu Joghurt. Anfangs dachte jeder von uns, ein anderer hätte sich was geliehen und würde es dann zurück geben. Das war nicht der Fall. Zum Anfang des Sommers wurde das Klauen immer mehr, immer dreister. Nuttelagläser wurden bis auf den Boden leergemacht und dann zurückgestellt in den Schrank des betreffenden Mitbewohners. Marmelade bis auf ein ganz kleines Löffelchen leer gemacht und dann wieder in den Kühlschrank gestellt. Cornflakes bis auf eine Handvoll und so weiter ......
Parallel zu den geklauten Lebensmitteln bekam jeder von uns Mitbewohnern einige Dinge mit. Eine Mitbewohnerin hörte M. wie sich im Bad erbrach und fragte ob es ihr gut gehe, M. meinte ihr sei ein Bonbon im Hals stecken geblieben und sie hätte sich verschluckt. Eine andere Mitbewohnerin bekam ebenfalls Erbrechen im Bad mit, da war es eine Nudel die im Hals steckte. Ich bekam das Erbrechen Nachts mit und dachte sie sei krank, sie sah am nächsten Tag auch nicht gut aus und meinte es ginge ihr nicht so gut.
Eines Morgens erwischte ich meine M. dabei wie sie gerade dabei war sich aus meiner Cornflakespackung etwas rauszunehmen, meine Milch stand auch schon griffbereit.
Ich war sauer. Ich habe in dem Moment auch nicht an eine Essstörung gedacht. Im Vorfeld hatten wir mehrfach - in WG Versammlungen - über die "Klau"-Problematik gesprochen, keiner wollte es gewesen sein, sie war immer dabei. Sie war auch die einzige bei der nie was fehlte. Wir haben - als WG- beschlossen: Derjenige der klaut fliegt. Und dann das. Ich war richtig sauer. Am selben Abend gab es eine WG Versammlung.
Auch die anderen wussten von komischen Zufällen zu berichten. So hatte die betreffende Mitbewohnerin angeblich heissen Tee im Kühlschrank verschüttet und dieser sei dann auf eine Packung KinderPingui von einer anderen Mitbewohnerin gelaufen, so dass sie die weggeschmissen hat und neue gekauft hat. Eine verschlossene Packung Joghurt von einem anderen Mitbewohner, der im zweiten Kühlschrank seinen Platz hat, sei einfach umgefallen und da hätte sie den weggeschmissen. Bei mir sei eine Packung Nuspli schlecht gewesen, sie habe die dann weggeworfen. Wir waren alle sauer und haben unserem Ärger Luft gemacht. Sie hat sich zwar entschuldigt, es aber nicht zugegeben. Innerhalb dieses Gespräches kamen die ganzen "Zufälle" zur Sprache und wir haben sie gefragt ob bei ihr alles okay sei. Sie meinte, sie wisse dass sie krank sei und würde auch in Behandlung wollen, aber alleine. Wir haben ihr auch gesagt, dass sie das selbst entscheiden muss, wir könnten ihr nicht helfen. Hintergrund dieser Aussage war, dass eine Mitbewohnerin ein knappes Jahr davor einen Nervenzusammenbruch mit anschliessender psychologischer Behandlung hatte und wir als WG stark involviert, überlastet und hilflos waren.
Ab dieser WG-Versammlung wurde nichts mehr geklaut.

Seit dieser WG-Versammlung hat sich der Zustand der M. aber stark verschlechtert. Sie hat immens abgenommen, trägt tagsüber zwar meist "Zwiebel"-Look aber morgens früh im Schlafanzug sieht man wie sehr sie abgenommen hat. Starke Augenringe, eingefallenes Gesicht und graue Haut. In ihrem Kühlschrankfach liegen nur noch Magerquark, Gemüse und Obst. Das Erbrechen ging weiter, sie bemühte sich auch nicht mehr es zu verstecken. Jedes Mal wenn sie im Bad war sah man dass sie gebrochen hatte. Dieses wiederrum führte dazu, dass eine Mitbewohnerin sich aufregte und meinte, wenn sie das Klo schon so zusaut dann soll sie das auch wegmachen. Zum Ende des Herbstes dann, fiel uns auf, dass sie sich eine Waage gekauft hatte und morgens für den Tag ihr Essen abwiegt. Alles ganz haarklein. Sie frühstückt eine sehr kleine Portion. Scheinbar behält sie das Frühstückt bei sich, denn wenn sie sich Mittags was macht bricht sie es nach kurzer Zeit in ihrem Zimmer wieder aus. Wir bekommen es mit, denn im Moment sind zwei von uns die Vormittage zu Hause. Sie macht sich regelmäßig etwas zu essen zum Mittag und dann hören wir wie sich im Zimmer erbricht. Scheinbar sammelt sie das Erbrochene in Tüten und bringt es dann am nächsten Morgen runter in den Müll. Nachts läuft siehäufigerins Bad oder erbricht sich im Zimmer. Sie scheint auch wenig zu schlafen. Und dann gibt es da dieses Heft in dem sie jeden Tag aufschreibt was sie isst, mit Angabe des Gewichts des Essens und der Kalorien. Es stehen nur die Sachen drin die sich nicht ausbricht, für Erbrechen hat sie extra Zeichen. Das Heft hat sie in der Küche liegen lassen als sie duschen war - und sich auch während des Duschens erbrochen hat- und ich hab es gesehen.In dem Heft steht dass sie eine Grenze hat die sehr gering ist.
Sie macht Ballet viermal in der Woche, fährt jeden Tag mit dem Fahrrad und ist in einem Chor. Sie macht gerade eine Ausbildung und im April sind die Abschlussprüfungen. Ihre Eltern wohnen weit weg, ihre Grosseltern etwas näher dran. Besuch hatte sie schon ewig nicht mehr. Sie hat einen Freund mit dem sie im Dezember zu einer Beratungsstelle wollte, ob sie war weiss niemand von uns. Ihr Freund ist kaum in der WG und auch sonst nicht sehr gesprächig. Sie war mit ihm im Urlaub und hat uns erzählt sie hätte da nur ein Ding gegessen. Danach war sie mit ihren Eltern und ihrer Schwester im Urlaub und hat da auch nur Obst gegessen - weil das Essen nicht "so gut" war. Sie isst kein Fleisch, kaum Kohlenhydrate. Flüssigsüssstoff ist ihr Zucker geworden.
Das Erbrechen wird immer mehr und morgens die großen Tüten schocken uns. Wir haben versucht mit ihr darüber zu sprechen aber sie blockt jedes Gespräch ab. Wenn sie sich Essen macht achtet sie darauf, dass von uns keiner da ist bzw. wenn wir in die Küche kommen packt sie alles weg.
An manchen Tagen muss sich am Treppengelände festhalten um stehen zu bleiben. Sie friert immer öfter, selbst wenn uns anderen warm ist. Sie hat Phasen in denen sie mit uns spricht - über Belangloses Zeug - und dann wieder Phasen wo sie nichts sagt.

Unsere WG hat sich lange über diese Sache unterhalten, wir sind hilflos, wollen ihr aber nicht weiter dabei zusehen wie sie sich kaputt macht. Wir fragen uns, was wir tun können. Unser "Plan" ist es, die Eltern anzurufen und sie zu informieren. Wahrscheinlich werden die dann aber sie anrufen und sie wird ihnen sagen, dass nichts ist. Ihr Freund weiss es angeblich, wir haben aber keine Möglichkeit ihn selbst zu fragen. Die Großeltern wohnen in der Nähe und zu denen hat sie auch ein gutes Verhältnis - soweit wir das beurteilen können -, sollten wir die bitten einfach mal vorbeizukommen ohne dass sie es weiss und dann Klartext reden?
Wir wollen nicht warten bis sie uns umkippt oder schlimmeres passiert. Wir sind einfach nur so hilflos, sprachlos und geschockt. Bei der WG-Versammlung im Sommer meinte M. ihr Balletkostüm würde nicht mehr passen und sie müsse schnell abnehmen. Aber das was jetzt passiert ist doch keine Diät mehr!

Ich hoffe einer von euch kann uns einen Rat geben wie wir uns verhalten sollten. Es tut uns leid wie wir reagiert haben, aber wir wussten anfangs nichts von den Problemen. Wir sind auch sicher: Das Essen ist nicht das Problem. Sind wir schuld? Vielleicht sind wir nicht die richtige WG für sie, hätten uns mehr kümmern müssen ...... Es muss doch etwas geben was wir tun können, es gibt die Stimme einer der Hauptmieterinnen sie einfach rauszuschmeissen, aber das kann doch keine Lösung sein.
Zuletzt geändert von Anonymous am Fr Jan 13, 2012 11:44, insgesamt 3-mal geändert.

Re: Mitbewohnerin mit ES, was tun?

#2
Hallo Mitbewohnerin,
dass was du da beschreibst klingt nicht gut. Ich bezweifel, aber dass ihr an sie ran kommt und ich denke dass der Anruf bei den Eltern entweder genau so enden wird, wie du es befürchtest oder die Eltern wrden es nicht für möglich halten und Dich/ Euch nicht ernst nehmen.
Wobei die Gefährdung bei Ihr schon sehr weit geht und die Frage ist wie weit kann sie noch für sich selbst sorgen und die Verantwortung für sich und ihr Leben übernehmen.

Re: Mitbewohnerin mit ES, was tun?

#3
Danke Nudel (für´s editieren und für´s antworten :) )

Dieselbe Frage stellen wir uns auch. Wobei unsere fünfer Gruppe da gespalten ist. Ich persönlich bin der Ansicht, das unsere M. da Selbstmord auf Raten betreibt. Es ist schockierend was sie mit sich selbst und im Endeffekt auch mit uns macht.
Eine weitere Ansicht ist, sie einfach ins KH zu bringen. Aber ich stelle mir die Frage: Was machen die denn dann im Krankenhaus? Und wie geht es dann mit ihrer Ausbildung weiter? Die Beratungsstelle die ich angerufen habe, meinte M. müsse selbst kommen und wir könnten nichts tun. Wir sollen sie nicht auf Essen ansprechen, sie nicht nach ihrem Gewicht fragen und auch nicht zornig reagieren. Das machen wir alles schon, aber wir können doch nicht zu sehen dabei .....

Re: Mitbewohnerin mit ES, was tun?

#4
Hallo Mitbewohnerin,
es ist richtig, dass sie eigentlich selber kommen muss, deine Vermutung, dass es Selbstmord auf Raten ist, sehe ich auch so. Ich seh da auch eine ganz massive Gefahr und da kommt die Einschränkung mit der Selbstständigkeit, wenn sie nicht mehr in der Lage ist für ihr Leben zu sorgen, dann muss es von anderer Stelle übernommen werden. In Deutschland greift dann das eine Fremd- oder Eigengefährdung vorhanden ist und damit auch keine eigene Entscheidung mehr getroffen werden kann.
Naja ein Krankenhausaufenthalt ist auch erstmal eine Krankhheit, heißt sie würde da krank geschrieben weerden und da greift das normale Ausbildungs/Arbeitsgesetz. Aber wie die genau Situation ist kann ich nicht beurteilen. Das müssen dann Fachleute entscheiden.

LGnudel

Re: Mitbewohnerin mit ES, was tun?

#5
Hallo liebe Mitbewohnerin,

ich kann mir gut vorstellen, dass Du Dir große Sorgen machst. Lieb von Dir, dass Du Dich informierst!

Ihr steckt aber auch in einer bescheidenen Situation. Ihr seid alle nicht so eng befreundet, dass Ihr offen über so tiefsitzende Probleme reden könntet; gleichzeitig seht Ihr als Mitbewohner sie jeden Tag und habt auch unter ihrem Verhalten zu leiden. Ich kann gut verstehen, dass das an den Nerven zehrt.

Einweisen lassen kann man sie nur, wenn wirklich eine akute Gefährdung für sie selbst oder andere besteht, wie Nudel schon erwähnte. In einem normalen Krankenhaus könnten die auch nicht viel tun, es sei denn, sie ist so abgemagert, dass sie eine Magensonde braucht.

Weißt Du, aus Sicht einer Bulimikerin ist es so: Am besten ignorieren, gar nicht drauf ansprechen und so tun, als wäre alles in Ordnung. Alles andere würde sie in die Ecke drängen.
Aber der gesunde Menschenverstand sagt was anderes, und auf den würde ich auch hören. Lieber eine wütende Mitbewohnerin als eine tote Mitbewohnerin, um es mal drastisch auszudrücken. Setzt Euch alle mal zusammen (in den USA würde man das wohl eine Intervention nennen ;) ), besprecht vorher, was genau Ihr M. sagen wollt - zur Not schreibt es Euch auf Zettel - und dann muss sie Euch zuhören. Sagt ihr, dass Ihr Euch enorme Sorgen macht und die Situation Euch auch belastet. Auch wenn das für sie vielleicht ganz fürchterlich ist - ich würde ihr vielleicht sogar ein Ultimatum setzen. Entweder sie geht mit einem von Euch (zu dem sie vielleicht noch den besten Draht hat) innerhalb von drei Wochen zu einer Beratungsstelle, oder sie fliegt raus. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass das überhaupt nicht hilft, aber ich würde zumindest versuchen, alle Optionen auszuschöpfen und sie zumindest mal ins Gespräch mit einem Profi zu bringen. Vielleicht hilft es ja doch und sie braucht gerade diesen einen Schubs.

Hat sie vielleicht eine Freundin (Ausbildungskollegin o.ä.), die Ihr kennt und mit ins Boot holen könntet?

Ich weiß, die meisten hier werden so eine Vorstellung fies finden. Ich persönlich auch. Aber vor gut drei Jahren war ich in einer ähnlichen Situation ... damals hat eine Kollegin von mir den obersten Chef angesprochen, mit dem ich bis dato kaum Kontakt hatte. Der hat dann mehrere persönliche Gespräche mit mir geführt, mir Kontaktadressen ausgedruckt und gesagt, wenn ich nicht was tue, gefährde ich meinen Job. Das war wirklich mehr als peinlich und unangenehm, aber letztlich ist es dadurch tatsächlich zu einem Vorgespräch in einer Klinik gekommen, in die ich dann ein halbes Jahr später tatsächlich gegangen bin, als die Verzweiflung ganz groß war. Es rüttelt einen schon auf, da man merkt, dass andere den Ernst der Situation womöglich noch deutlicher wahrnehmen als man selbst.

Ich wünsch Euch alles Gute.

Keiko
"Denn wenn es eine Sünde gegen das Leben gibt,
so besteht sie vielleicht nicht so sehr darin, an ihm zu verzweifeln,
als darin, auf ein anderes Leben zu hoffen
und sich der unerbittlichen Größe dieses Lebens zu entziehen."

Albert Camus

Re: Mitbewohnerin mit ES, was tun?

#6
Ohje,

als ich deinen Beitrag gelesen habe, musste ich erstmal schlucken, ich denke viele hier kennen ähnliche Situationen. :(

Erstmal finde ich es toll, dass du versuchst, deine Mitbewohnerin zu helfen und dass du dich hier informierst, das ist nicht selbstverständlich!

Als Betroffene habe ich aber auch unheimliches Mitleid mit deine Mitbewohnerin, kann mich so in ihre Situation hineinversetzen. Für mich war es immer schrecklich, auf die ES angesprochen zu werden. Ich habe IMMER aggressiv und gereizt reagiert, auch wenn ich wusste, dass der andere völlig recht hat und auch obwohl ich aus der ES raus will. Es ist so schwierig - einerseits möchte man Hilfe und sehnt sich danach, dass die eigene Not erkannt wird und andererseits ist es das schlimmste überhaupt, angesprochen oder gar kontrolliert zu werden. Es ist ohnehin schon so erniedrigend, anderen die Lebensmittel wegzufressen oder in Tüten zu kotzen (das machen in der Not aber viele) und einfach nicht aus der Sucht herauszukommen. Wenn andere das dann auch noch mitkriegen und sich Sorgen machen, fühlt man sich noch fieser. :oops:
Wenn jemand heimlich meine Freunde/Verwandten kontaktiert hätte, wäre ich wohl ausgerastet, auch wenn man mir nur helfen wollte, tut mir Leid - das geht gar nicht. :(
Sie muss schon selbst auf die Idee kommen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Aber ich kann auch verstehen, dass es unmöglich ist, sich das einfach mit anzusehen. Daher würde ich euch raten, auch nach euch selbst zu schauen. Wenn ihr mit der Situation so nicht klarkommt, müsst ihr sie darauf ansprechen und evtl eine andere Wohnsituation in Betracht ziehen, wenn sie so weiter macht... :(
Zuletzt geändert von Katzenpfote am Fr Jan 13, 2012 18:11, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Mitbewohnerin mit ES, was tun?

#7
Danke nudel, Keiko und Katzenpfote für eure Antworten. Ich finde das Informieren selbstverständlich. Es ist für uns alle etwas was wir nicht kannten und keiner von uns hatte eine Ahnung wie sich die Krankheit darstellt, klar man sieht einiges in Fernsehen aber das oberflächliche war nicht das womit wir argumentieren wollten. Wir können nicht auf M. zu gehen und mit gefährlichem Halbwissen irgendwas sagen, was bei ihr vielleicht ganz anders ankommt.

@Keiko
Das Zusammensetzen mit ihr ist eine gute Idee. M. muss es im Moment zu vorkommen als ob wir es nicht mitbekommen oder es uns nicht interessiert. Wir sind uns unschlüssig wie wir das Gespräch anfangen, wir kommen ja als Gruppe auf sie zu und zwei von uns haben die Befürchtung dass sie sich dann unter Druck gesetzt fühlt und dann noch mehr bricht und noch weniger zu sich nimmt. Der Rest von uns ist aber der Ansicht es anzusprechen, ganz offen und auch deutlich zu machen wie sehr es uns tangiert. Die Idee die Eltern oder Großeltern zu kontaktieren ist auch zwischen uns heiss diskutiert. Es spricht vieles dagegen, aber auch einiges dafür.
Das etwas lockere Band zwischen uns macht das ganze noch schwerer. Ich habe gelesen, dass das Essen als solches nicht das Problem ist, sondern ein Ventil (ich hoffe das war jetzt richtig formuliert) und das Brechen eine Erleichterung. Sie sagte mal, angefangen habe das ganze mit einem Balletkostüm was ihr nicht mehr gepasst habe. Es lag wohl nicht an der Grösse des Kleidungsstückes, sondern wohl eher an den Reaktionen darauf.

@Katzenpfote
Danke für deine offene Worte. Vor allem weil du als Betroffene schreibst und ich mit Schrecken festgestellt habe, dass auch sie in einem Zwiespalt sein muss. Wir sind uns nicht sicher ob sie Hilfe möchte, auf die ES angesprochen haben wir sie ja - als es noch nicht so schlimm war wie jetzt - und da war sie eigentlich ganz ruhig.
Aber wenn ich so darüber nachdenke, dann sehe ich auch wie sie sich immer öfter "verkriecht" und uns nicht mal anschaut. Ich persönlich habe die Befürchtung sie könnte sich in die Ecke gedrängt fühlen und dann vielleicht eine Reaktion zeigen die selbst sie so nicht plant. Von aussen betrachtet sieht es eben so aus, als ob sie sich in der Situation wohl fühlt. Sie lernt nach wie vor für die Schule, macht die praktischen Einsätze, Ballett und Arbeit und sieht dabei immer gestresst aus, sagt auch sie wäe gestresst, aber nichts deutet darauf hin, dass sie an der Situation etwas ändern möchte. Sie arbeitet mit Kindern und möchte auch in dem Job bleiben. Wir können uns nicht vorstellen wie sie das durchhält, woher sie die Kräfte nimmt.
Die Verwandten zu kontakten ist wahrscheinlich ein noch größerer Eingriff in ihr Leben als sie darauf anzusprechen. Aber einfach sagen "Du musst jetzt ausziehen, weil wir damit nicht klarkommen." kann doch auch keine Lösung sein. Dann zieht sie irgendwo anders ein oder gar allein und dann geht der Teufelskreis doch weiter.

Ich kann mich erinnern wie sie im Herbst ganz spontan auf die Frage wie es ihr gehe die Antwort gab: "Ich habe eine ganze Woche nicht gebrochen." und dabei lächelte. Das wird dann wohl die Umstellung gewesen sein auf die geringe Menge Nahrung die sich zu sich nimmt. Wenn sie bricht, dann hat sie davor Essen zubereitet was für uns normal ist: eine Pizza zum Beispiel. Ich bin mir nicht sicher ob sie dieses Essen dann als Belohnung sieht und sich dann wenn sie es gegessen hat schämt, oder ob das brechen ihr dann Erleichterung verschafft.

Erschreckend ist für uns die Feststellung: Keiner von uns weiss wie sie sich wahrnimmt. Keiner von uns weiss ob sie überhaupt aus der Situation raus will. Keiner von uns weiss wie es ist wenn Lebensmittel plötzlich die Hauptrolle im Leben spielen und sich alles was man tut daran orientiert, wir wissen nicht wie ein Leben abläuft in dem Kalorien zählen den Tag bestimmt. Und das macht uns sprachlos. Es muss schlimm für M. sein wenn sie Abends in der Küche sieht wie wir kochen und reden. Es muss aber genauso schlimm für sie sein wenn wir sie als Gruppe ansprechen und sie dann quasi vor einer Wand steht. Vielleicht sollte nur einer von uns mit ihr reden und dabei die Gruppe vertreten, wobei dann die Frage ist wie sie die Blicke der anderen nach diesem Gespräch interpretiert. Wir haben einfach Angst vor dem was danach kommt.
Ich habe lange gegooglet und viel über ES gelesen, als jemand der nicht direkt betroffen ist, ist das schlimm. Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen - für mich persönlich. Die Erfarungsberichte von Betroffenen die ich gelesen habe, die lassen einen echt schlucken. Da denken wir, wir hätten ein Problem ..... oft stand auch was zu dem was nach dem "outing" passiert ist, über Verschlimmerung der Krankheit bis hin zu akut lebensbedrohlichen Situationen.
Wir haben uns informiert über die Möglichkeit einer Einweisung, aber uns wurde gesagt: Einweisung nur dann, wenn sie aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen kann. Die andere Seite einer solchen Einweisung ist die, dass wir denken wir sprechen ihr die Bestimmung über sich selbst und ihr Leben ab. So als ob sie nur ein Gegenstand wäre, den wir dann rausstellen weil er uns nicht mehr gefällt. Das können und wollen wir nicht machen.

Wir werden den Weg des Gespräches gehen, müssen nur noch entscheiden ob als Gruppe oder einer allein. Und dann müssen wir darüber nachdenken wie wir uns ausdrücken. Auf gar keinen Fall möchten wir ihr das Gefühl geben ein Störfaktor zu sein oder eine Belastung.

Eine Frage habe ich noch, wenn sie Hilfe in Anspruch nimmt und wenn sie dann wieder lernt mit dem Essen umzugehen, wird sie dann jemals wieder ganz normal damit umgehen können?

Re: Mitbewohnerin mit ES, was tun?

#8
hallo mitbewohnerin,

ich habe das gerade gelesen und ich musste echt schlucken.
euer sorgenkind scheint ein riesiges glück zu haben, an euch geraten zu sein.
ich habe selbst in einer ähnlichen situation gesteckt wie sie und ehrlich gesagt, ich hätte mir solche leute wie euch gewünscht.

das mag jetzt ein bischen strittig sein aber für mich war hilfe von "fachfremden" leuten immer am hilfreichsten.
ich denke, ihr könnt ihr helfen und zwar ganz massiv.
und vielleicht müsst ihr das auch wenn ihr sie nicht rauswerfen wollt.
für euch ist das ja auch kein spaziergang wenn andauernd euer klo vollgekotz ist und ihr sehen müsst, wie sie sich selbst zugrunde richtet.

ehlich gesagt, ich kann verstehen, dass ihr mit ihren angehörigen reden wollt.
aber ich weiß nicht, ob das eine so gute idee ist.
mit ihr selbst reden dagegen finde ich sinnvoll, um ihretwillen aber auch für euch selber.
Die Erfarungsberichte von Betroffenen die ich gelesen habe, die lassen einen echt schlucken. Da denken wir, wir hätten ein Problem ..... oft stand auch was zu dem was nach dem "outing" passiert ist, über Verschlimmerung der Krankheit bis hin zu akut lebensbedrohlichen Situationen.
ja, vielleicht kann das passieren.
das kann aber genausogut passieren, wenn ihr den mund haltet denn, mit verlaub, ihr wisst ja niemals was in ihrem kopf vorgeht.
wenn man soeine situation stillschweigend hinnimmt obwohl man selbst darunter leidet (und es ist eigentlich immer eine belastung mit einer bulimikerin zusammenzuleben) dann ist man schneller in einer co-abhängigkeit drin als man denkt und das ist wirklich alles ander als hilfreich.
meine meinung als betroffene ist ganz klar: sprecht sie an!

die idee, dass ersteinmal eine(r) von euch mit ihr spricht finde ich gut.
auf soetwas angesprochen werden ist immer schlimm und dann fühlt sie sich vielleicht etwas weniger bloßgestellt und in die ecke getreiben.

ich selbst habe mich in meinen ganz schlimmen phasen immer so klein und hilflos gefühlt und mir hat es geholfen, wenn jemand, der naja, zumindest im kopf erwachsener war als ich, mit mir gesprochen hat.
ich hatte das große glück, soeine freundin gehabt zu haben, die mir einfach erklärt hat, dass ich zu dünn bin und zum arzt müsste, sie wüsste da einen guten und sie würde mich begleiten.
hat sie dann auch, hat sich selbst auch wiegen lassen, hat selbst auch ganz offen über ihr (normales) gewicht und essverhalten geredet.
und das hat mir total geholfen weil ich nicht die einzige war, weil ich gemerkt habe, dass nicht die welt zusammenbricht, wenn mich der arzt halnackt sieht und so.
sicher, da war ich auch noch jünger aber wenn ich mal ehrlich sein soll, mein denken in dieser beziehung hat sich nullstens verändert.
sehen, wie ander kochen, essen und es sogar genießen, das hat mir sehr viel geholfen, mehr, als jede therapie.
(aber das ist jetzt natürlich nur für mich gesprochen uns muss nicht auf jeden zutreffen)
Auf gar keinen Fall möchten wir ihr das Gefühl geben ein Störfaktor zu sein oder eine Belastung.
und das finde ich auch gut!
das war für mich auch wichtig, so eine art sicherheit und wärme zu bekommen, dass man mich nicht wegjagt weil ich so ein gravierendes problem hatte.
denn ich denke, ihr könnt davon ausgehen, dass sie sich selbst hasst und verabscheut für das was sie tut.
und gleichzeitig könnt ihr auch ganz klar sagen, dass es so, wie es eben jetzt ist, nicht weitergehen kann.
mehr nicht, nur das.
nicht, dass sie sonst rausfliegt oder so, ich vermute mal dasss sie davor selbst schon angst hat.
und vielleicht würde ihr das soviel druck machen, dass sie tasächlich noch tiefer reinschlittert.
aber ein einfaches "so geht es nicht weiter", da weiß sie dann , dass ihr für sie da seid, dass ihr das in gewissem sinne mit ihr durchzieht(bzw. ihr normalität und sicherheit bietet), sie aber auch etwas dafür tun muss nämlich an ihrer situation arbeiten.

wenn ihr garkeine andere möglichkeit seht, als mit ihren eltern oder großeltern zu sprechen, dann würde ich ihr das an euer stelle sagen dass ihr genau das vorhabt zu tun.
damit überlasst ihr ihr ämlich immernoch die entscheidung, euch zuvorzukommen und ihren angehörigen selbst von ihrer krankheit zu erzählen.
und das selbe würde ich auch im falle einer zwangseinweisung tun.
denn freiwillig gehen, wenn auch unter drüch ist so viel weniger entwürdigend!
ich finde, man sollte den leuten immer die möglichkeit geben, soviel verantwortung für sich selbst zu übernehmen, wie sie eben können.

also...ich bin absolut keine fachfrauch und mir ist sehr wohl bewusst, dass es auch hier im forum komplett andere meinungen zu diesem thema gibt.
das hier sind einfach nur meine persönliche einstellungen und erfahrungen.
"You," he said, "are a terribly real thing in a terribly false world, and that, I believe, is why you are in so much pain."

Re: Mitbewohnerin mit ES, was tun?

#9
Ich danke euch sehr für euer Feedback ;) Ihr habt uns mehr geholfen als Buchstaben hier ausdrücken können.

Ich habe mit ihr gesprochen. Ganz in Ruhe, alleine. Hab alles gesagt was ich sagen wollte und sie gefragt wie es ihr gesundheitlich geht, psychisch und wie sie die Situation sieht. Es war - meinem Empfinden nach - ein gutes Gespräch. Sie sagt sie geht zu einer Selbsthilfegruppe und versucht nun wieder etwas mehr zu essen. Ich habe ihr angeboten mit ihr zum Arzt zu gehen, um zu sehen wie es ihr wirklich geht, was die Werte sagen. Sie überlegt es sich.
Sie sagt, es gehe ihr besser, sie habe die Krankheit mehr im Griff. Sie würde sich nicht mehr jeden Tag wiegen. Den kurzen Impuls zu brechen würde sie inzwischen unter Kontrolle haben.
Ich habe ihr auch gesagt, dass wir dazu neigen ihre Eltern anzurufen. Sie wissen es nicht und sie will sie nicht belasten. Sie will es uns sagen wenn es wieder schlimmer wird, so wie es bis vor kurzem war.

Insgesamt sagt sie, sie weiss sie ist krank. Aber sie will es alleine versuchen, es ginge ihr gut. Ob das wahr ist, weiss ich nicht. Aber ich möchte es glauben. Sie war froh, dass wir sie angesprochen haben, weil sie Angst davor hatte uns anzusprechen. Angst vor Vorwürfen, Angst vor den Blicken.

Ich glaube es war gut mit ihr zu sprechen. Aber ob es ihr so gut geht wie sie sagt und ob sie es wirklich unter Kontrolle hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Wir haben entschieden in der nächsten Zeit offener mit ihr und der Krankheit umzugehen, wir werden sehen was passiert.

War es bei euch auch ein Auf und Ab mit guten und schlechten Phasen? Oder ist das tatsächlich ein Anzeichen für einen Schritt weg von der Krankheit?

Re: Mitbewohnerin mit ES, was tun?

#10
Ich habe ihr angeboten mit ihr zum Arzt zu gehen, um zu sehen wie es ihr wirklich geht, was die Werte sagen. Sie überlegt es sich.
ruhig mal nachhaken würde ich sagen. kann sein, dass sie dich gerne mitnehemn würde aber sich nicht traut, das thema nochmal von sich aus anzuschneiden und darum zu bitten.
und wenn sie alleine gehen will könnstet ihr euch ja vielleicht mal freundlich nach ihren blutwerten erkundiken.
Aber sie will es alleine versuchen, es ginge ihr gut. Ob das wahr ist, weiss ich nicht. Aber ich möchte es glauben.
find ich gut.
glaubt ihr, vertraut ihr, aber behaltet sie trotzdem im auge.
ohne jemanden diskriminieren zu wollen aber wenn sucht im spiel ist, dann wird leider auch viel gelogen
(ich spreche da aus erfahrung! :oops: )
und wenn sie irgendwie den eindruck macht, wieder abzubauen, dann könntet ihr ja vielleicht einfach mal nachfragen, wie es ihr geht, was sie unternommen hat bzw. wie es gerade bei ihr läuft.
War es bei euch auch ein Auf und Ab mit guten und schlechten Phasen? Oder ist das tatsächlich ein Anzeichen für einen Schritt weg von der Krankheit?
ja, bei mir war es ein auf und ab, ich glaueb, bei den meisten ist es ein auf und ab.
aber dass sie so offen mit dir geredet hat, das würde ich mal als ein gravierend gutes zeichen werten!
hätte ja auch einfach alles abstreiten können.

und selbst wenn es bei ihr so ein auf und ab sein sollte, selbst wenn sie gerade ein hoch hat und vielleicht irgendwann wieder abstürzt, dann wars trotzdem nicht für die katz, erstens weil es weitergeht, weil sie sich wieder aus dem sumpf herausarbeiten kann und zweitens weil sie sich an die gute zeit erinnern kann und daran, was sie alles geschafft hat.
soetwas gibt auch selbstsicherheit weil sie weiß, dass sie kann! (und vielleicht auch WIE sie kann... im idealfall)

ehrlich gesagt, an euer stelle würde ich mich ein bischen darauf gefasst machen, dass es nicht immer nur kontinuierlich bergauf geht.
ich wünsche das weder ihr noch euch, das ist nur... naja, du hast ja hier die betroffenen gefragt und das sind eben meine erfahrungen.

viel glück für euch!
Hirngespinst
"You," he said, "are a terribly real thing in a terribly false world, and that, I believe, is why you are in so much pain."