Hi!

Klingt einfach - dieser Satz "Sei einfach da für die/den Betroffene/n, wenn er/sie Hilfe benötigt". Ja, lange Zeit habe ich als Betroffener selbst diesen Satz nicht richtig verstanden, doch seit letztem Samstag, wo meine Frau von selbst für mich da war, als ich wirklich ihre HIlfe und Unterstützung benötigte verstehe ich das.

Eigentlich bin ich seit ca. 2 Wochen durchgehend von der Bulimie clean. Auch mein Essverhalten beginnt sich langsam wieder zu normalisieren. Doch am Samstag kam es durch eine ekelhafte Situation zu einem Rückschritt bei mir. Denn ich kaufte mir zu Mittag bei einem Supermarkt für das Abendessen am Samstag eine bestimmte Käsesorte. Ich hatte Lust auf Käse, also suchte ich mir eine Sorte aus. Diese war aber nicht eine jener, die ich sonst esse, sondern ich erinnerte mich am Dressen an eine ganz bestimmte Sorte aus meiner Kindheit.

Da ich annahm den richtigen Käse gefunden zu haben nahm ich ihn. Nun am Abend öffnete ich die Verpackung und der Käse stank extrem. Bis dahin war dies noch übereinstimmend mit meiner Kindheitserinnerung an diese bestimmte Käsesorte. Daher freute ich mich auf den schmackhaften und würzigen Geschmack dieses Käses - so wie ich es eben rein in meiner Erinnerung wahrnahm. Ich biss ab und mit einem Mal war alles dahin: Der Käse schmeckte ekelhaft - so als wäre er schon seit Monaten abgelaufen. Der stinkende Geruch selbst konnte den noch grausigeren Geschmack nicht übertreffen.

Daraus entwickelte ich Übelkeit, Bauchkrämpfe. Durch die Übelkeit bekam ich die Panik, dass der Käse abgelaufen war und noch mehr Panik dass ich mich jetzt vergiftet hätte.

Mein Appettit auf Essen war vorbei, zuerst die Ekelgedanken, dann Rückerinnerungen an ekelhafte m*ssb**ch*, dann Angst sterben zu müssen bis hin, dass mein gesamtes Magersuchtsdenken mit der Angst dick zu werden hochkam. Ich aß keinen Bissen mehr von nichts.

Als ich schon am Klo stand um mich endlich von all diesen Gefühlen zu befreien hörte ich in einem ruhigen und entspannten Ton meine Frau:

"He...würde es dir helfen, wenn wir ein wenig spazieren gehen - einfach die frische Luft und die Bewegung?"

Mit einem Mal begriff ich: Ja, dies ist eine Alternative bevor ich wieder k***. Lieber geh ich jetzt fünf stunden spazieren bevor ich k***. Ich beendete die k***-versuche am klo und ging mit meiner Frau eine STunde spazieren. DAbei sprachen wir über das geschehene und die damit negativen Gefühle, sie half und unterstützte mich und war sehr verständnisvoll.

Im nachhinein kann ich es sagen: DAnke das du für mich da warst - einfach so von selbst ohne meinem zutun. Danke dafür das du mich aber frei entscheiden liessest und danke dafür, dass du mein erstes k*** sehr wohl ertragen hast ohne mich zum beenden zu zwingen!

dies ist allen angehörigen gewidmet, die (noch) nicht wissen, wie sie helfen können: Einfach da sein mit zwangfreien worten zu rate sein und selbst stabil und so weit abgegrenzt zu bleiben um nicht selbst in ein dunkles loch zu fallen!

lg
mart1

Hallo, @mart!

Schön, wie Du das beschreibst mit dem verhinderten Erbrech-Versuch. Ich gratuliere Euch dazu! Besonders bemerkenswert finde ich, wie Du das von Deiner Partnerin annehmen konntest! Genau so ein Verhalten, wie sie Dir gegenüber gezeigt hat, hätte man (siehe diverse Kommentare hier im Forum) auch als "Kontrolle" auslegen können!

Daran, dass Du das nicht tust sondern die dargebotene Hand annimmst, erkennt man Deine echte und nicht bloß vorgegaukelte Bereitschaft, Dir helfen zu lassen!

Alles Gute,

cuoco

@ cuoco:

mart1 hat geschrieben:DAnke das du für mich da warst - einfach so von selbst ohne meinem zutun. Danke dafür das du mich aber frei entscheiden liessest und danke dafür, dass du mein erstes k*** sehr wohl ertragen hast ohne mich zum beenden zu zwingen!

mart1 hat geschrieben: Einfach da sein mit zwangfreien worten zu rate sein und selbst stabil und so weit abgegrenzt zu bleiben um nicht selbst in ein dunkles loch zu fallen!

kein weiterer kommentar! außer vielleicht: verkneif dir diese niveaulosen seitenhiebe...

mart1, freut mich für dich und deine frau, dass ihr das ganze so souverän meistert...

einfach da sein....so schwer, aber manchmal so leicht...

Danke, @quargel, dass Du den Schwung zurück zum Thema gemacht hast!

Zur Präzisierung meines Standpunktes möcht ich noch einmal herausstreichen, dass - wie wir am Fall von @mart und seiner Partnerin sehen - zum Helfen eben zwei gehören, einer der hilft und einer der sich helfen lässt. Und die Aufforderung: "He, würde es dir helfen ein wenig spazieren zu gehen?" ist ein ganz ordentlicher Energie-Eintrag, den ich prima und erstklassig formuliert finde, der aber dennoch bei manchen Hilfebedürftigen in die falsche Kehle kommen kann, so nach dem Motto: "warum lässt sie mich nicht in Ruhe", oder gar "ich weiß selbst, was gut für mich ist!"

Dass @mart sich diese Dinge nicht gedacht hat sondern mitgegangen ist auf den Spaziergang, ist eine Leistung, zu der ich ihn beglückwünscht habe. Und Betroffene, Bulimie-Kranke, die so einer Aufforderung einen gewissenen Widerstand entgegensetzen, gibt es hier zuhauf. Ich habe natürlich niemanden persönlich gemeint, wie könnt' ich denn ... ?

So, also noch einmal Gratulation an das Paar!

cuoco

cuoco hat geschrieben:Und Betroffene, Bulimie-Kranke, die so einer Aufforderung einen gewissenen Widerstand entgegensetzen, gibt es hier zuhauf.

Hmm, aber das liegt eher an den "Ich fühle mich schlecht, fett, nicht liebenswert"- Gedanken des/der Bulimiker/in, aber diese sind für Aussenstehende nicht immer nachvollziehbar...
Wenn "wir" sagen Hau ab, lass mich in Ruhe, dann liegt das nicht an dir/ euch, sondern an UNS, aber was erzähle ich dir da, du weißt eh, was ich meine, oder??

@mart1:

Finde ich toll!! Und deine Frau wird hiermit zur Vorzeige-Angehörigen erhoben!

Lg, unefille

unefille hat geschrieben:@mart1:
Finde ich toll!! Und deine Frau wird hiermit zur Vorzeige-Angehörigen erhoben!

find ich auch! hast ein riesenglück mit ihr, es gibt wohl nicht viele, die so einfühlsam und sensibel auf diese situation reagiert hätten...

@unefille: ja, klar weiß ich genau was Du meinst!

Und findest Du nicht auch, dass nicht nur @mart's Frau die Auszeichnung als Vorzeige-Angehörige verdient hat sondern der @mart selber genauso Lorbeerlaub im Haar tragen soll? Ich beantrage hiermit Madaillenverleihung an ihn als Vorbilds-Bulimiker... (hört sich doch eihgentlich gut an oder?)!

Liebe Grüße,

cuoco

Hi!

Daankkee euch für die sooo vielen Antworten

Habe meiner Frau eure Lobessprüche schon mitgeteilt und sie hat sich gefreut. Bedanke mich auch dafür, dass auch ich gelobt werde, möchte aber noch eines hinzufügen:

@cuoco
Danke für dein Lob an uns beide. Jedoch "war" es bei meiner Frau vor einiger Zeit noch genau das Gegenteil - sie machte genau das, was ich als Kontrolle bezeichnen würde: Beim klo-gehen plötzlich die Tür aufmachen um nachzusehen ob ich k** - beim duschen neben mir stehen...mich alle 30min fragen, ob ich schon gek** hätte oder ob ich endlich was gegessen hätte, mich verbal beschuldigen, dass sie sich mies fühlte (da durch das sorgen-machen bei ihr ihr gemütszustand logischerweise auch abrutschte).....

nun, ja ich gebe dir auch recht, dass ich ihre hilfe, so wie es samstag war angenommen habe. aber nur aus folgenden Gründen:

1. sie keine kontrolle auf mich ausübte
2. sie mich nicht überwachte
3. sie mir keine vorwürfe machte
4. ihr tonfall auch nicht vorwurfs- bzw. niedermachsmässig war
5. sie ganz ruhig und gelassen war
6. sie das erste mal wirklich das gemacht hat, was ich ihr schon sehr oft gesagt habe: eben nicht punkte 1 bis 4 (denk dir das "nicht" überall weg - dann weißt du, was sie früher tat) anwenden. ich selbst habe ihr extra gesagt, dass sie mir eben in solch einer situation eine alternative sagen soll - mir aber die entscheidung lassen soll ob ich es annehmen will oder nicht

auch das war das erst emal. denn früher: Ja, sie hat mir alternativen angeboten, nahm ich sie nicht an, dann wurde ich von ihr angeschrien, wieso ich ihr wiedermal mit meiner bulimie weh tun will

und genau das ist, was viele angehörige leider immer und immer wieder tun. wie sollen sie es auch besser wissen, wenn es keine hilfe noch gute selbsthilfebücher -texte für angehörige gibt. wie sollen sie wissen, mit der situation umzugehen?

das aber betroffene mit solch einer behandlung von ihren angehörigen sicherlich nicht die bereitschaft entwickeln können um endlich zu heilen ist klar - stell dir mal vor, cuoco, ständig und zwar rund um die uhr, wirst du kontrolliert. stell dir vor, du wirst sogar im stundentakt in der arbeit angerufen und musst dich am telefon rechtfertigen. stell dir vor, du kannts nicht mal in ruhe aufs klo gehen.... willst du da wirklich die hilfe von der person, die auf solch eine art druck auf dich ausübt?

nun meine frau ist in therapie, weil sie unsere gemeinsame situation nicht mehr packte und dank dieser hat sie gelernt gelassen damit umzugehen.

und daher richtet sich eben dieser thread eben vor allem an hilfose verzweifelte angehörige, aber auch an betroffene, die bisher nicht wußten, was sie ihren angehörigen sagen könnten. er ist weniger dazu gedacht, ob meine frau und ich nun lob erhalten oder nicht.

lg
mart1

Na servus, lieber @mart, da hat sich aber Deine Frau ganz schön toll entwickelt! Was Du schreibst, von welchem Level ausgegangen wurde in dieser Zeit, ist ja ziemlich heftig! Und umso beachtlicher scheint mir die Kurve zu sein, die sie gekratzt hat!

Es freut mich deshalb ganz besonders, weil Ihr damit ein Zeichen setzt, was mit gegenseitigem Respekt und Eingehen aufeinander möglich ist!

Weiterhin alles Liebe,

cuoco