***AUFRUF an alle Nicht-Betroffenen***

#1
Dieser Beitrag richtet sich an alle Angehörigen/FreundInnen/Bekannte etc von Bulimie- Betroffenen:

Mich würden ehrliche ansichten von euch bez. dieser Erkrankung sehr interessieren.

Ein paar Fragen, die zur Anregung dienen können:
-Was bedeutet Bulimie für euch?
- Was assoziiert man/frau damit?
- Könnt ihr dieses Krankheitsbild in eigenen Worten definieren?
- Worin sehr ihr die Ursachen?
- Handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem?
- Wie reagiert man/frau auf die Nachricht, dass ein/e Nahstehende/r betroffen ist? Erste Gedanken? …
- Könnt ihr es nachvollziehen, dass Menschen in eine Essstörung reinrutschen?


Würde mich über zahlreiche Reaktionen freuen!

#2
Hallo Jaka !

Ich probiere mal, ein paar Deiner Fragen zu beantworten. Ich lebe seit 5 Jahren mit meiner Freundin zusammen, die seit ihrem 14. Lebensjahr (mittlerweile sind das 19 Jahre für sie) an Bulimie leidet. Sie hat in diesen 5 Jahren grosse Fortschritte gemacht und befindet sich ganz langsam auf einem Weg heraus aus dieser Krankheit. Diese Infos nur, damit Du Dir ein kleines Bild von mir als Angehörigen machen kannst.

Was bedeutet Bulimie für mich ?

Die Bulimie beeinflusst das tägliche Leben miteinander. Als Angehöriger gehört sehr viel Feingefühl und Verständnis dazu, um mit bestimmten Verhaltensweisen und Reaktionen zurecht zu kommen. Zu Beginn unserer Partnerschaft habe ich die Bulimie meiner Freundin, speziell die depressiven Phasen, sehr stark an mich herangelassen und gefährdete damit meine eigene Gefühlswelt und mentale Stärke. Dazu kam der unbändige Wille, unbedingt selbst etwas zu einem Genesungsfortschritt aktiv beitragen zu müssen. Auch haben mich die vielen kleinen und manchmal sehr gemeinen Facetten dieser Krankheit zu sehr überrascht (Lügen, Ausreden, Heimlichkeiten).
Mittlerweile haben wir unser Verhältnis auf eine sehr gesunde und stabile Basis gestellt. Ehrlichkeit und ein immer offenes Wort von beiden Seiten haben dazu beigetragen, eine "Ruhe" herzustellen, die es meiner Freundin ermöglicht aus einem gewachsenen Selbstbewusstsein heraus ihren Kampf gegen die Bulimie zu beginnen. Dabei unterstütze ich ihren Weg gerne, aber laufen muss sie ihn alleine.

Was asoziiere ich damit ?

Mittlerweile eigentlich nichts mehr, weil ich diese Krankheit kenne. Ich habe viel gelesen und mir in sehr vielen Gesprächen mit meiner Freundin ein Bild davon machen können. Mich ekelt und schockiert nichts mehr, weil ich hinter dem Ganzen einfach nur den Menschen und die Verzweiflung sehe und sein Tun, das er aber eigentlich gar nicht will. Und hier kann ein Angehöriger seinen Beitrag leisten, in dem er diesen Menschen auffängt und ihm für seine Sorgen, Ängste und Tränen ein "zuhause" bietet.

Könnt ihr dieses Krankheitsbild in eigene Worte fassen ?

Ich probiere es mal:

Bulimie ist der Hilfeschrei des Geistes, der sich in einer körperlichen Reaktion und Selbstzerstörung äussert. Bulimie ist die Bestrafung des eigenen Ego für Dinge, die man bewusst oder unbewusst erlebt hat und die sich ganz tief in der Psyche niedergelassen haben. Und es ist eine Sucht aus der nur mit professioneller Hilfe wieder heraus gefunden werden kann.

Worin seht ihr die Ursachen ?

Diese Frage sollte der Erkrankte beantworten können. Ich kann es nur vermuten oder ahnen. Oder in Gesprächen, die sehr weh tun können, probieren heraus zu finden. Bei meiner Freundin haben wir dafür sehr lange gebraucht. Nun, da sie es glaubt zu wissen, ist es der Ansatzpunkt für eine Therapie geworden.

Handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem ?

Ja und Nein. Wenn damit gemeint ist, wie viele Familien heute kaputt sind, wieviel Kälte von Menschen ausgehen kann, die für die Erziehung zuständig sind, wieviel Gewalt (auch s*x**ll*) ausgeübt werden kann, ohne dass es eine Verfolgung nach sich zieht usw. - dann ist die Antwort JA.

Wie reagiert Mann/Frau auf die Nachricht, dass eine nahestehende Person betroffen ist ?

Mit grosser Hilflosigkeit zu Beginn. Diese kommt aus der Unwissenheit über die Krankheit. Es ist wichtig, sich schnell und umfassend ein Bild über die Bulimie zu verschaffen. Lesen, lesen und lesen. Mit Betroffenen reden (z. B. hier im Forum). Und mit der Person reden. Ihr die Möglichkeit geben, Vertrauen zu fassen, damit sie sich öffnen kann.
Die Angst und die Hilflosigkeit, die einen zu Beginn ergreift, legt sich mit jeder Information, die man bekommen kann. Dies ist nicht anderst, wie bei allen Krankheiten, von denen man erfährt, aber bisher keinen Umgang damit hatte.

Könnt ihr es nachvollziehen, dass Menschen in eine ES reinrutschen?

Ja. Sonst könnte ich ihr ja nicht helfen. Wenn ich es nicht verstehe oder nachvollziehen kann, habe ich keinen Standpunkt, von dem aus ich argumentieren kann. Es ist erschreckend und bedauerlich, dass es Bulimie gibt. Aber es nutzt auch nix, davor den Kopf in den Sand zu stecken.


So. Caruso hat mal wieder eines seiner gefürchteten Mammutwerke verfasst. Aber Du hast ja gefragt, liebe Jaka. :lol:

lieber Gruss an alle

Caruso

#3
RESPEKT!!!!
Ganz ganz viel Respekt und Bewunderung dafür, was Du und das Du geschrieben hast!
Ich finde es wichtig und hochinterressant als B. Betroffenen, die Meinug, die Gefühle, den Selbstschutz eines Partners zu lesen und ein bissel kennen zu lernen.
Ich werde dein 'Mammutwerk' :) mal meinem Partner zeigen.Er ist auch sehr interessiert hat aber noch wenig Erfahrung mit der B. und was sie mit den Betroffenen und auch mit den Partnern anstellt.
Danke,
Miriam

#4
Hi Caruso!

Danke für diese so klare und gute Erklärung deiner Gefühle und Gedanken als Angehöriger.

Meine Frau steht auch vollkommen hinter mir, ist auch Therapie im Sinne Begleitung von Angehörigen, jedoch hat sie selbst noch nicht wirklich viel Material über das Thema Angehörige gefunden.

Naja, sie sucht zwar auch zusätzlich das spezifische thema weibliche Angehörige von bulemischen und magersüchtigen Männern, aber dein Text ist schon sehr gut.

Finde es übrigens auch toll, dass du sooo stark hinter deiner Freundin stehst! Ich denke, dass gerade der innere Zusammenhalt innerhalb der eigenen Beziehung für eine gute und erfolgreiche Heilung notwendig ist und zwar Heilung für beide - denn durch die ständigen Lügen der betroffenen Personen entsteht ja auch Verletzung bei den Angehörigen und auch ihr Angehörige habt ein Recht auf Leben, ein Recht auf Freude, ein Recht auf Glück und ein Recht auf Heilung von all den Verletzungen!

Euch noch vieeeel Mut und Kraft gemeinsam den Weg der Heilung zu gehen!

lg
mart1

#5
Liebe @jaka, liebes Forum!

Da hat der @caruso aber die Latte hoch gelegt mit seiner langen und vielfältigen Antwort! Alle Achtung, lieber Kollege! Natürlich spricht aus den Worten auch die lange und tiefe Erfahrung, mit der ich nicht aufwarten kann. Ich bin ein "Frischling" im Kreis hier, und meine Freundin teilt ihre Erfahrung mit der Ess-Störung grade erst seit wenig mehr als zwei Monaten mit mir. Angehöriger im engen Sinn bin ich demnach erst kurz, im Gespräch mit meinen langjährigen Freunden, die den Beginn meiner Beziehung und die damit verbundenen Probleme zum Thema hatten, bin ich allerdings zur (teils erschreckenden) Erkenntnis gelangt, dass viel mehr Menschen als landläufig angenommen direkt oder indirekt davon betroffen waren oder sind.

Nun zu den Fragen:

Was bedeutet Bulimie für mich?

Ess-Störungen, Bulimie oder Anorexie haben meinem Leben plötzlich eine interessante, neue Farbe gegeben. So gefährlich das alles sein kann, so groß ist die Herausforderung, einen geliebten Menschen im Kampf gegen die Störung zu unterstützen.

Welche Assoziationen habe ich beim Thema Ess-Störungen?

Ein wichtiges Schlagwort in diesem Zusammenhang: Kontroll-Manie. Gefährlich klingt, für einige Betroffene aber sehr zutreffend ist: Geschäft mit dem Tod.

Ursachen

Alle, die ich kenne, haben kindliche oder Erfahrungen aus der Pubertät schlecht "verdaut" (welch gute Doppelbedeutung). Vielfach führt die Unfähigkeit und Unwilligkeit der Menschen, Schwierigkeiten zu verbalisieren zur Vereinsamung, die wiederum die Aufarbeitung erschwert. Unsere schnelllebige, oberflächliche Zeit produziert eine Reihe von Traumata, die eben beispielsweise in derartigen Hilferufen sichtbar werden.

Verallgemeinernd verbinde ich mit der Verweigerung von Nahrungsaufnahme die Verweigerung, Dinge zu schlucken. Wenn man gezwungen wurde, Unangenehmes zu ertragen würgt man es fallweise sogar wieder heraus.

Sind Ess-Störungen gesellschaftliche Probleme?

Sie resultieren jedenfalls aus der kalten und gefühlsarmen Struktur der Gesellschaft, insofern sicher: ja. Keineswegs darf man aber eine persönliche Schwierigkeit bloß auf die Gesellschaft schieben, also sicher: nicht ausschließlich.

Wie habe ich die Nachricht aufgenommen?

So unglaublich das klingt, ich war erleichtert. Ich hatte schon den eigenartigen und augenscheinlich verkrampften Umgang mit Essen beobachtet und daraus auf eine Störung geschlossen. Ich erhielt das Eingeständnis in genialer schriftlicher Form und hatte während des Lesens der Einleitung im Brief nur den Gedanken "Herrgott, lass es kein AIDS sein...!" Als dann weiter unten die Diagnose wörtlich niedergeschrieben stand, fiel mir ein Steinbruch vom Herzen.

Kann ich es nachvollziehen?

Glatt und simpel: nein, aus eigener Erfahrung überhaupt nicht. Jedoch hab ich in den vergangenen Monaten eine neue Sicht der Dinge gewonnen und bin klarer Weise für die Gedankengänge essgestörter Mitmenschen allgemein und meiner Liebsten im speziellen viel offener geworden, ja, sehe zeitweilig sogar etwas mit ihren Augen (wir sind eingeladen; wie reagieren wir auf Essensangebote???). Weiter als diese Gedankengänge will ich aber gar nicht hineintauchen, ich lasse mir gerne Vorgänge erklären, die ich nicht kenne, ohne sie deshalb zu übernehmen.

So, ich hoffe dass mein Zugang zur Erkrankung halbwegs verständlich beschrieben ist. Wie erwähnt bin ich noch unerfahren im Umgang und finde die Welt, die sich mir hier dargeboten hat zwar faszinierend, möchte aber letztlich möglichst dauerhaft eine "Ehemalige" aus meiner Freundin machen und demnach lieber zum Teil ein Laie bleiben! Nichtsdestotrotz war ich unendlich dankbar, hier im Forum kluge und erfahrene Menschen, die im Umgang mit Ess-Störungen fast schon Profis sind, zu treffen und am Wissen, das sie über die Erkrankung angesammelt haben, teilzuhaben.

Liebe Grüße,

cuoco
Zuletzt geändert von cuoco am Di Mär 14, 2006 21:39, insgesamt 1-mal geändert.

#7
Liebes Forum!

Es wundert mich, dass dieser Thread eingeschlafen ist! Mich hätte sehr interessiert, wie andere Angehörige von essgestörten Menschen die Erkrankung ihrer Lieben sehen!

Ich hoffe ich krieg noch etwas zu lesen und grüße herzlich,

cuoco

#8
Hallo liebe Leute

Ich habe mir die Antworten meiner "Vorgänger" erst mal nicht durchgelesen, weil ich ohne Einfluss von anderen versuchen will, meine Worte zu finden. Ich hoffe es gelingt mir.
Kurz dazu: Ich war bis vor 1 Woche mit meiner Freundin zusammen. Sie leidet seit 4 Jahren an Bulimie, hat sie vor einem halben Jahr gut im Griff gehabt, wird aber jetzt wieder rückfällig. Zur Zeit befindet sie sich in ambulanter Therapie.

Nun zu den Fragen:

1. Was bedeutet Bulimie für mich?

Es ist schwer, zu erklären, aber ich versuchs. Es ist eine Krankheit, die ganz viele Ursachen haben kann. Viele sagen, es ist in erster Linie deswegen, weil man sich zu dick fühlt(vor allem die, die davon wenig wissen). Das stimmt, aber es steckt meiner Meinung nach viel mehr dahinter. Je weiter die Bulimie fortschreitet, umso mehr Bedeutungen und Verbindungen tauchen auf. Alle Probleme die man als Mensch hat, werden dann unter dem Begriff "Bulimie" versteckt. Sei es Stress in der Schule, Streit mit Freunden, Probleme, usw... Ich habe die Bulimie so kennengelernt, dass alles, was im Leben schlecht läuft durch die Bulimie ausdruck bekommt. Man quält sich, tut sich selbst weh. Dadurch kann man vielleicht für kurze Zeit andere Probleme vergessen, da die Bulimie "ja nicht so schlimm" als andere Dinge ist. Versteht ihr was ich meine? Oft, so denke ich, wird Bulimie als Deckmantel verwendet für Dinge, die nicht klappen. Es ist eine Krankheit, die nach außen für viele gleich ausschaut, aber sie könnte nicht unterschiedlicher sein!

2. Was assoziiere ich damit

Gute Frage. Menschen, die an B* leiden, sind im Grunde oft nach außen hin starke Menschen. So war es bei meiner Freundin. Doch als ich mehr von ihr und der Krankheit erfuhr, merkte ich, wie hilflos sie manchmal ist. Menschen, die an Bulimie erkrankt sind, haben eine wahnsinnige Persönlichkeit. Man kann von diesen Menschen viel, sehr viel lernen. Doch ihnen Schutz, Nähe und Geborgenheit als Freund zu geben, ist mit das Schönste, das man tun kann. Wenn ich das Wort "Bulimie" höre, denke ich besonders an Menschen, die 2 Seiten haben: eine Seite ist die Starke, die riesige Persönlichkeit(mir kam es damals so vor, als stünde meine Freundin allgemein weit über mir, sie war unerreichbar und ein unbeschreiblich starker Mensch). Die andere Seite ist die verletzliche, die Schutzsuchende Seite.

3. Könnt ihr diese Krankheit in Worte fassen?

Ich denke, die Krankheit kann man nur in ganz viele Worte fassen, die den Rahmen hier sprengen würden. Mir kommt es manchmal so vor, dass B* zwar eine Krankheit ist, es ist aber noch fast mehr eine Lebenseinstellung. Das ganze Leben hat einen Mittelpunkt: die Krankheit. Und danach lebt man, danach regelt man sein Leben, denn der ständige Begleiter weicht nie von der Seite.

4. Worin bestehen die Ursachen

Das weiß keiner. Psychologen meinen oft, sie haben die Ursachen gefunden(z.B. Elternhaus, traumatische Erlebnisse, und und und). Doch was wirklich dahintersteckt weiß keiner. Oft ist es ja auch so, dass selbst die erkrankten selbst nicht wissen, warum es so ist. Klar, mit die häufigste Ursache ist "Ich bin zu dick". Aber wie ich schon oben geschrieben hab, ist das denk ich am Anfang so, aber später hat es unzählige Ursachen, die kaum jemand kennt. Anfangs übergibt man sich z.B., wenn man "einfach abnehmen will". Später ist es so, dass man es tut, weil es einfach besser geht, wenn man es macht. Nicht nur, um abzunehmen, sondern oft, um zu vergessen und anderen Dingen für einen Moment zu entgehen.

5. Handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem

Sagen wir so, es wird durch die Gesellschaft verstärkt. Also ja, aber hauptsächlich liegt das Problem bei einem Menschen selbst, das von außen verstärkt wird

6. Wie reagiert Mann/Frau auf die Nachricht, dass eine nahestehende Person betroffen ist?

Ich kann nur von mir erzählen, ich war sehr geschockt, als meine Freundin es mir erzählte. Ich konnte es mir nicht erklären, es war einfach etwas, mit dem ich mich noch nie auseinandergesetzt habe. Allgemein glaub ich, dass viele Menschen erst mal überfordert sind. Bei mir hat es lang gedauert, bis ich wirklich annähernd begreifen konnte, was da alles dahintersteckt. Aber dadurch, dass ich versucht habe, die Krankheit zu verstehen, hat meine Freundin immer mehr vertrauen aufgebaut. Und das zu spüren ist wunderschön.

7. Könnt ihr es nachvollziehen, dass Menschen in eine ES reinrutschen?

Ja, absolut.

Ich hoffe es war einigermaßen verständlich, was ich geschrieben hab. Mir gehen Millionen von Gedanken durch den Kopf. Leider bin ich nicht so der Mensch, der gut erklären kann, was ich wirklich meine.

Alles Liebe
Beppo
Manchmal hat man eine lange Straße vor sich. Aber man muß immer nur an den nächsten Schritt denken, den nächsten Atemzug und nicht die ganze Straße auf einmal. Denn nur dann funktioniert es, dann macht es Freude!

Re: ***AUFRUF an alle Nicht-Betroffenen***

#9
Jaka hat geschrieben:Dieser Beitrag richtet sich an alle Angehörigen/FreundInnen/Bekannte etc von Bulimie- Betroffenen:

Mich würden ehrliche ansichten von euch bez. dieser Erkrankung sehr interessieren.
Ein paar Fragen, die zur Anregung dienen können:
-Was bedeutet Bulimie für euch?
Bulimie bedeutet für mich eine Krankheit die in erster Linie die Psyche angreift. Bulimie ist der Grund Grund ist für soziale Probleme, Verhaltensänderungen, Depressionen etc.
Als angehöriger ist es schwer zu begreifen wie wenig man tun kann, was man jedoch tun kann, und wie man sich verhalten sollte.
Es ist schwer abzuwägen was sich die Betroffene von einem selbst wünschen würde, denn die Aussage kommt selten. So ist es an einem oftmals selbst sich zu melden, Angebote zu machen zu gemeinsamen Aktivitäten etc. Bei all dem aber dann trotzdem sich nicht zu sehr beeinflussen, und auch die Betroffene nicht bedrängen.
Für mich bedeutet Bulimie und der Fakt dass ich davon weis dass sie betroffen ist, dass ich mir vorgenommen habe das einzige zu tun was man als Betroffener eigentlich tun kann:
Von diesem Abschnitt des Weges bis zum Ziel den Weg mitzugehen, durch alle Höhen und Tiefen und auch durch Irrwege. Mehr kann man nicht wirklich tun, und ich habe den Willen genau das zu tun.

- Was assoziiert man/frau damit?
Was assoziiere ich mit Bulimie... Ich assoziiere Verzweiflung, Wut, Hilflosigkeit.
Ich assoziiere wenn ich im allgemeinen "Bulimie" höre sofort was ich inzwischen von der Krankheit weis. Wenig assoziiere ich das Brechen, oder die FAs, sondern am meisten den Menschen dahinter, den Menschen der nach aussen hin so stark ist und nach innen oftmals schwach.
Früher hatte ich die Vorurteile die jeder hat, inzwischen bin ich schlauer (hoffe ich).

- Könnt ihr dieses Krankheitsbild in eigenen Worten definieren?
Hmm, eine verzweifelte Reaktion des Körpers auf psychische Probleme. Das Ego, das Selbstbewusstsein der Betroffenen ist gestört, sie haben vielleicht schlimmes erlebt oder wurden durch die Gesellschaft zu sehr in eine Rolle gezwäng. Leistungsdruck, Kontrollzwang, all das führt dazu dass die Betroffene versucht ihren Alltag in FAs zu ersticken, und durch den eigenen Ekel davor, durch die Angst zu dick zu werden, durch den Willen der Selbstbestrafung wird erbrochen.

- Worin sehr ihr die Ursachen?
Ich denke das ist sehr unterschiedlich. Bei den einen ist es der Pure Wahn nach Schlankheit, bei anderen eine gekränkte Persönlichkeit, bei wieder anderen ganz andere psychische Ursachen.
Ich denke aber es ist ein Zusammenspiel aus psychischen Ursachen wie Zwängen und dem Drang dem "Schönheitsideal" zu entsprechen,

- Handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem?
Der Gesellschaftliche Druck ist ein Ausschlaggeber der Krankheit meiner Meinung nach, nicht allerdings der einzige (sonst hätte jede Frau bulimie). Ich denke es muss ein tiefes psychisches Problem vorliegen, und dann kann die Gesellschaft ihr übriges tun um die Bulimie hervorbrechen zu lassen.

- Wie reagiert man/frau auf die Nachricht, dass ein/e Nahstehende/r betroffen ist? Erste Gedanken? …
Erste Gedanken... "Aha"... (bulimie, was war das gleich...)
Dann nach wenigen Sekunden blankes entsetzen, Hilflosigkeit.
Vorwürfe über dass was man vielleicht gesagt hatte, wie man über Essen ect. geredet hat.
Mein Puls ist in den ersten paar Minuten extrem hochgeschossen und ich war wie in Trance, es schwankte zwischen Mitleid, Hilflosigkeit und selbstvorwürfen.
Nach einigen Minuten/Stunden habe ich dann begonnen mich zu informieren, erst im Netz, dann in Büchern, so verstand ich langsam und fühlte mich sicherer im Gespräch.

- Könnt ihr es nachvollziehen, dass Menschen in eine Essstörung reinrutschen?
Früher hätte ich gesagt "nein". Heute denke ich anders.
Ich kann nachvollziehen warum Menschen unter dem Druck der Gesellschaft und ihren eigenen Problemen zusammenbrechen und in der ES landen. Wenn ich es nicht nachvollziehen könnte wäre ich wohl gar nicht hier.


Abschließend möchte ich etwas sagen, fals Betroffene das hier lesen.
Es mag manchmal so klingen wie :
"Wenn man es einem Angehörigen sagt, dann stürzt man diesen in eine Tiefe Kriese, man verletzt sie"
Kann ich nur sagen, was ich selbst dazu denke.
Die Verzweiflung ist zu Anfang da. JA! Aber danach kommt Erleichterung darüber zu Wissen, und die Erleichterung eins Geben zu können:
Ein Offenes Ohr und eine Helfende Hand.
Man kann die Betroffenen nicht heilen, das lernt man schnell. Aber ich bin froh bescheid zu wissen, und da sein zu können wenn sie reden möchte, wenn sie Trost sucht oder ihre Wut los werden will. Ich bin froh das machen zu können, und ich mache das gerne.

Gruß
Jonas W.
Zuletzt geändert von Jonas am So Apr 02, 2006 10:42, insgesamt 2-mal geändert.

#10
wow, besser hätt ich es als betroffene nicht definieren können! eure partnerinnen können froh sein, auch zu haben!
würdet ihr dazu meine eltern befragen, käme sowas in der art raus:" bulimikerinnen sind mädchen, die ihre pubertären spinnereien nachholen wollen und damit alle in ihrer umgebung ärgern und verletzen wollen! sie sind absolut launisch und unkontrollierbar. sie sind zu nichts zu gebrauchen und verbringen den ganzen tag damit, uns das gute essen wegzufressen, um es dann den abfluss hinunterzuspülen. das einzig gute daran ist, dass sie wenigstens halbwegs dünn sind. und dass sie sich nicht aufzubegehren trauen. der nächste positive aspekt ist, der übermäßigehrgeiz, dann hat sie wenigstens gute noten.punkt"
so werd ich zuhause gesehen. das macht mut!
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aber ich hab nen ganz lieben therapeuten, der mir sehr hilft.
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ich wünsche euch sehr viel kraft, bei der gemeinsamen bewältigung der bulimie!
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"Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen. "
Konfuzius

#11
Das will ich auch mal versuchen, aber ich bin ehrlich:

-Was bedeutet Bulimie für euch?
Für mich persönlich ist es die Erinnerung daran, dass es jeden schlimm treffen kann, ob man nun einsieht warum das alles passiert oder nicht. Gerade als Angehöriger steht man ziemlich ratlos vor diesen Problemen und man kann nicht die Augen verschliessen, obwohl man es oft gerne würde.

- Könnt ihr dieses Krankheitsbild in eigenen Worten definieren?
Schlingen und Erbrechen, eine Fassade von Ehrgeiz und Erfolg, zwischenmenschliche Konflikte, Unverständniss auf jeder Seite....teilweise krasses Suchtverhalten als Ausdruck von psychischen Problemen, die ich wohl kaum definieren kann.

- Worin sehr ihr die Ursachen?Handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem?
Das weiss ich nicht. Ich vermute es kann viele Ursachen haben oder auch keine. Die Gesellschaft sorgt dann für den Rest. Natürlich gab es sowas schon in der Vergangenheit aber die Gründe warum die Krankheit heute um sich greift ist wohl noch zu ergründen. Ich glaube es ist nur eine Ausdrucksform von psychischen Problemen die es schon immer gab und die sich in der modernen Gesellschaft als Ess-Brechsucht äussern können, aber auch anders. Ich will nicht behaupten, dass was schlimmes in der Kindheit vorfallen muss oder gesellschaftliche Kälte dafür verantwortlich sein müssen. Das kann einfach jeden treffen. Vielleicht sind es die etwas sensibleren Menschen? Ich glaube nicht, dass es darum geht schlank zu sein. Unzufriedenheit hat wohl nicht nur ihren Grund in scheinbarem Übergewicht. Ausserdem bedeutet Ursachenforschung oft Schuldzuweisung. Menschen unter harten Lebensbedingungen sind meiner Meinung nach weniger betroffen, zumindest von Bulimie, weil sie rechtzeitig abstumpfen. (Vermutlich würde das kein/e Betroffene/r unterschreiben)

- Wie reagiert man/frau auf die Nachricht, dass ein/e Nahstehende/r betroffen ist? Erste Gedanken? …
Ich habe gar nicht gewusst worum es geht. Im nachhinein ergab erst alles einen "Sinn". Die ersten Reaktionen waren absolut unbeholfen und verständnisslos - nach dem Motto: "Warum lässt Du die Kotzerei denn nicht einfach bleiben", oder "willst Du mir nicht auch was im Kühlschrank lassen?"
Schande über mich, aber so war es. Ich tu jetzt nicht so als würde ich mich heute optimal verhalten, aber ich hoffe ein bischen besser ist es schon.

- Könnt ihr es nachvollziehen, dass Menschen in eine Essstörung reinrutschen?
Also ich kann verstehen, dass Menschen süchtig werden. Ich hatte auch Phasen in meinem Leben, in denen ich fast weggerutscht wäre und ich weiss ein bischen wie man sich fühlen muss. Bulimie speziell kann ich mir nicht vorstellen.

Hallo ihr Lieben!

#12
Hallo ihr Lieben!

Bin zum ersten Mal hier und bin gleich auf diesen Aufruf gestoßen. Ich bin auch Angehörige, meine Freundin ist erkrankt und daher möcht ich auch auf die genannten Fragen antworten.

Was bedeutet Bulimie für mich?

Bulimie bedeutet für mich, neben den ganzen medizinischen Erklärung, auch eine Art Ausbruch. Für mich ist eine Reaktion auf gewisse Einflüsse, die einen Menschen beschäftigen, ob man will oder nicht. Und in irgendeiner Weise äußert sich das dann selbstverständlich auch.

Was assoziiere ich damit?

Man sollte die Krankheit auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen, es ist auf alle Fälle eine ernstzunehmende "Störung" und muss "behoben" werden. In solch einer Situation sollte man sich auf seine Freunde, Familie,...., verlassen können bzw. eine Vertrauensperson haben, mit der man sich darüber austauschen und vielleicht auch Rat suchen kann.

Könnt ihr die Krankheit in Worte fassen?

Ich bin mir sicher, dass man die Krankeit in viele Worte fassen kann, doch schon bei den Ursachen, gehen die Wege auseinander. Wichtig ist, dass man in dieser Situation nicht alleine ist und sich auch helfen lässt. Natürlich gibt es auch Fälle, wo es schwer fällt, Hilfe anzunehmen, ist ja auch verständlich!

Worin bestehen die Ursachen?

Die Ursachen sind bei jedem Erkrankten, meiner Meinung nach, gänzlich verschieden. Es kann die Familie, Freunde, Liebe,..... eine Ursache darstellen, aber auch Einflüsse von außen können einen ziemlichen Druck darstellen.

Handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem?

Einerseit finde ich dies schon, in der heutigen Zeit immer mehr. Doch im Grunde ist jeder Mensch ein Individuum, dass von außen beeinflusst wird, und einer kann besser, der andere schlechter damit umgehen!

Wie reagiert Mann/Frau auf die Nachricht, dass eine nahestehende Person betroffen ist?

Ehrlich gesagt, war ich im ersten Moment zwar geschockt, aber für mich war eines von Anfang an klar: Ich werde meine Freundin nicht alleine lassen damit. Ich habe bzw. höre ihr immer gerne zu, egal was sie mir zu erzählen hat, weil ich der Meinung bin, dass auch schon das bloße ZUHÖREN helfen kann. Da ich selber nicht in dieser Situation bin, kann ich ja nur erahnen, wie es ihr dabei geht, kann ihr auch nicht Tipps geben, oder so! I höre zu und spreche bzw. schreibe mit ihr darüber in Ruhe und sie vertraut mir alles an, was sie bedrückt und das finde ich, ist schon ein richtiger und wichtiger Schritt für alle Beteiligten!

Könnt ihr es nachvollziehen, dass Menschen in eine ES reinrutschen?

Selbstverständlich. Jeder Mensch geht mit Problemen, Stress,... anders um und so kann ich es auch verstehen, warum Menschen in eine ES reinrutschen.

Ich hoffe ich konnte auch etwas sinnvolles durch meine Nachricht beitragen und wünsche euch allen noch einen schönen Tag! Gstreift21 :P [/b]

#13
Danke gstreift21!!!

Freut mich SEHR(!!!) von dir zu lesen!

ja, was soll ich dir sagen? willkommen im forum und danke für die offenen und ehrlichen antworten!

ganz dickes busserl, iggy

ps.: lass dich drücken (erstmal hier und dann auch BALD wieder im "realen" leben! :D

Newbie

#14
Hi Community!

Seit etwas mehr als 2 Monaten lebe ich in einer glücklichen Liebesbeziehung mit Nyna, ebenfalls hier registriert. Heute hab ich mich registriert, um ihre Blogs lesen zu können, da hab ich das Angehörigen-Forum entdeckt und gedacht, ich könnte ja versuchen mich auch ein wenig zu engagieren.

Was bedeutet Bulimie für euch?
Bulimie empfinde ich als seelisches Feedback an unsere heutige Gesellschaft mit dem "Sex sells"-Motto und der in Maßen genormten Idealfrau. Wenn junge Frauen heute täglich durch Hunderte von Postern mit 90-60-90 Barbies (die übrigens ganz böse nachbearbeitet werden um echt wie Plastikpuppen auszusehen!!!) unter Druck gesetzt werden, ist es eigentlich logisch, dass man irgendwann annimmt, eine Frau habe so und nicht anders auszusehen.

Für mich persönlich bedeutet die Bulimie meiner Freundin klarerweise ne Menge Sorgen und öfter mal ins Fettnäpfchen zu treten, weil oft Scherze oder bedeutungslose bzw. unbedachte Aussagen falsch aufgefasst werden. Ich hoffe ich schaffs mal, ne ganze Woche lang erst zu überlegen bevor ich's Maul aufreiße ;)

Was assoziiert man/frau damit?
Ich für meinen Teil assoziiere damit neuerdings ein Suchtverhalten, das sich in keinster Weise von vielen anderen wie Drogen, Alkohol oder Zigaretten unterscheidet. Ich selbst nannte alle davon einst mein Eigen, und nachdem Nyna mir erklärt hatte, wie die B* für sie ist, kam mir das alles doch sehr bekannt vor.

Könnt ihr dieses Krankheitsbild in eigenen Worten definieren?
Die Sucht selbst scheint sich ja nur auf das Essen zu beziehen, man isst mehr, als man eigentlich sollte. Danach hat man ein schlechtes Gewissen deswegen, fühlt sich natürlich unwohl und bekommt auch Angst, zuzunehmen. Also bleibt nur eins zu tun...

Worin sehr ihr die Ursachen?
Man kanns nach dem Punkt der Bedeutung erraten, Schuld ist meiner Meinung nach ganz klar die Gesellschaft mit ihrer Ausbeutung des weiblichen Sex-Appeals als Werbemittel.

Handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem?
Und nochmal ein klares Ja.

Wie reagiert man/frau auf die Nachricht, dass ein/e Nahstehende/r betroffen ist? Erste Gedanken? …
Also als Nyna sich mir anvertraute, war ich ganz schön... verunsichert eigentlich. Ich wusste nicht recht, wie ich damit umgehen sollte. Hab erstmal gar nicht reagiert. Schien dann auch das Richtige gewesen zu sein, mit der Zeit wuchs aber meine Sorge um Ihre Gesundheit, insbesondere nachdem wir dieses Forum entdeckt und einige der Spätfolgen gelesen hatten.

Hatte auch was gutes, wir hatten ein sehr ernstes Gespräch über die B*, ihre Suchtfaktoren und Folgen etc., heute hat sie ihren 5. k*-freien Tag und ich hoffe mal, wir schaffen es, die B* gemeinsam zu besiegen. Gestern ist sie trotz einer FA NICHT aufs WC, und ich kann euch gar nicht sagen, wie stolz ich auf sie bin :)
Ich hab gleichzeitig meine Zigarettendosis drastisch reduziert und will versuchen, in den nächsten Wochen gänzlich aufzuhören...

Könnt ihr es nachvollziehen, dass Menschen in eine Essstörung reinrutschen?
Ich als Ex-Junkie kann mir vorstellen, in so ziemlich alles reinzurutschen. Von dem Standpunkt aus gesehen, essen zu können, was ich will, ohne zuzunehmen, wirkts sogar manchmal ein wenig attraktiv auf mich. Da ich aber schon genug mit Süchten aller Art zu tun hatte, werde ich das sicher nicht auch noch anfangen.