Wie kann ich eine Kranke erreichen?
Verfasst: Fr Aug 12, 2005 22:52

Das habe ich beim aufräumen meiner Festplatte gefunden, ich weiß nicht woher das genau kommt, aber vielleicht ist es für einige ja interessant.
Patientinnen antworten auf die Frage: Wie kann ich eine Kranke erreichen?
Die häufigste Frage, die auf Informationsveranstaltungen gestellt wird, ist: »Wie verhalte ich mich gegenüber Betroffenen?«
In der Krankheit sind essgestörte Menschen nicht in der Lage zu beantworten, was ihnen gut tut. Deshalb machen wir - ehemalige Patientinnen - Vorschläge, stellvertretend für Betroffene, die noch keine Worte dafür haben.
Ratschläge für Mütter
•:• Sprich mich nicht auf Essen, Gewicht oder Figur an (»du bist dick/dünn/gefräßig«), sondern frage mich lieber, wie es mir geht.
•:• Sätze wie »Ich habe keine Angst vorm Essen, das sind bei mir die Schilddrüsen, Verdauung etc.« sind Ausreden, damit ich nicht zugeben muss, dass ich wirklich ein Problem habe.
•:• Ich wünsche mir, dass du mich auch einmal lobst und Leistung nicht als etwas Selbstverständliches hinnimmst. Es gibt auch noch andere Fragen als »Wie war es heute in der Schule?« oder »Welche Note hast du in Deutsch?«.
•:• Rede nicht mit anderen über mich, sondern mit mir. Ganz leicht habe ich sonst das Gefühl, hintergangen und ausgegrenzt zu sein!
•:• Ich würde mir wünschen, dass du mir mehr Aufmerksamkeit schenkst - nicht, indem du mein Lieblingsessen kochst. Diese Art der Zuwendung nervt mich und macht mich aggressiv.
Warum erkennst du nicht, dass ich erwachsen werde und michabgrenzen möchte? Die Ess-Störung ist mein Weg zu mehr Freiheit. Lass mich meinen eigenen Weg gehen und meine eigenen Erfahrungen sammeln!
Anstatt mit dir endlos über Essen und Figur zu diskutieren, würde ich mich freuen, wenn du mich zu einer Beratungsstelle begleitest.
Auch wenn ich Bücher über Ess-Störungen barsch abwehre, brenne ich darauf, sie heimlich zu lesen.
Zwinge mich nicht zu einer Therapie - nur wenn ich selbst gesund werden will, ist eine Therapie sinnvoll: Der Kampf gegen die EssStörung erfordert viel Eigeninitiative.
Ruf nicht für mich bei Therapeuten an.
Behandle die Ess-Störung nicht als TABU, sondern sprich offen und ohne Heimlichtuerei darüber, sonst entsteht bei mir das Gefühl, dass ich mich für mein »komisches« Verhalten schämen muss.
Versuche nicht, mich zum Essen zu zwingen oder zu überreden. Ich kann einfach nicht mehr normal essen!
Reduziere mich nicht auf die Ess-Störung, sondern nimm mich in allen Beziehungen ernst! Es gibt nämlich auch noch anderes. Es verletzt mich, wenn du dich nur noch für mein Essverhalten/ Gewicht interessierst!
Es ist sinnlos, wenn du versuchst, mich zu therapieren. Du kannst weder einen Therapeuten noch die beste Freundin ersetzen!
Ich würde mir wünschen, dass du dich über Ess-Störungen informierst.
Ich bekomme Schuldgefühle, weil du unter meiner Krankheit leidest. Suche dir selbst Hilfe, z.B. bei einer Selbsthilfegruppe, gib dir auf keinen Fall die alleinige Schuld an der Krankheit. Da kriegen wir nur wieder Schuldgefühle, weil es der Mutter wegen uns nicht gut geht!
Es müssen immer mehrere ungünstige Faktoren aufeinander treffen, damit eine Ess-Störung entsteht!
Behandle mich nicht wie ein rohes Ei, sondern wie einen normalen Menschen!
Ratschläge für Väter
Sprich mich nicht auf Essen, Gewicht oder Figur an (»du bist dickdünn/gefräßig«), sondern frage mich lieber, wie es mir geht.
Sätze wie »Ich habe keine Angst vorm Essen, das sind bei mir die Schilddrüsen, Verdauung etc.« sind Ausreden, damit ich nicht zugeben muss, dass ich wirklich ein Problem habe.
Warum siehst du hervorragende Leistungen als selbstverständlich an? Ich würde mir wünschen, dass du mich auch einmal lobst und mir das Gefühl vermittelst, dass Anerkennung und Liebe davon unabhängig sind. Ich denke sonst leicht, dass ich immer noch besser sein muss, um überhaupt wahrgenommen und geliebt zu werden.
Rede nicht mit anderen über mich, sondern mit mir. Ganz leicht habe ich sonst das Gefühl, hintergangen und ausgegrenzt zu sein!
Schone mich nicht übermäßig, sondern behandle mich wie einen normalen Menschen, den du in jeder Hinsicht ernst nimmst. Gerade von dir will ich ernst und wahrgenommen werden!
Ich wünsche mir, dass du meine Ess-Störung nicht als kleine Spinnerei oder Schlankheitstick abtust! Es ist furchtbar für mich, wenn ich als »ein bisschen verrückt« abgehandelt werde: Eine Ess-Störung ist eine sehr ernste Krankheit und sie ist entstanden, weil ich Probleme habe, und nicht, weil ich ein bisschen dünner sein wollte.
Zwinge mich nicht zum Essen! Ich kann nicht einfach wieder normal essen!
Es würde mich freuen, wenn du dich über Ess-Störungen informierst und mir Adressen von Therapiemöglichkeiten gibst.
Reagiere nicht mit Aggression und Gewalt auf mein gestörtes Essverhalten! Das treibt mich in die Enge: Ich habe normales Essen verlernt!
Warum zeigst du nicht mehr Interesse an mir, sondern reduzierst mich aufs Essen? Das verletzt mich: Ich will als Mensch wahrgenommen werden und nicht als Essgestörte.
Zwinge mich nicht zu einer Therapie. Ich will selbst über mich
und meinen Körper entscheiden; auch der Schritt zu einer Therapie soll meiner sein, ich selbst will darüber bestimmen. Eine Therapie gegen meinen Willen ist sinnlos, denn ohne die Bereitschaft, gegen meine Ess-Störung aktiv anzukämpfen, hilft der beste Therapeut nichts.
Halte mich nicht von einer Therapie ab: Meine Krankheit ist kein Spleen, sondern lebensbedrohlich! Es ist für mich selbst schon sehr schwer einzusehen, dass ich schwer krank bin und Hilfe brauche! Die Bereitschaft, eine Therapie anzufangen, ist ein Zeichen von Mut und Stärke und keine Schwäche, die dem Ruf der Familie schadet! Es tut verdammt weh, wenn du das so siehst!
Behandle meine Ess-Störung nicht als TABU, sprich offen da
rüber. Sonst vermittelst du mir das Gefühl, dass ich mich wegen meines »komischen« Verhaltens schämen muss!
Schiebe nicht die ganze Verantwortung an meine Mutter ab und gib ihr nicht die Schuld an meiner Krankheit! Ich wünsche mir, dass du dir auch Gedanken machst! Sehr viele Faktoren tragen zur Entstehung einer Ess-Störung bei!
Es verletzt mich, wenn du abfällige Bemerkungen über Figur und Essverhalten machst. Das Dünnsein/Hungern ist etwas, auf das ich stolz bin.
Biete mir nicht ständig Essen an! Ich kann nicht mehr normal essen und fühle mich unter Druck gesetzt, sodass ich oft nur noch mit Aggressivität antworten kann! Ich habe auch ein schlechtes Gewissen, wenn ich ablehne - obwohl dies nach außen nicht so wirken mag. Außerdem nervt mich die ständige Diskussion um Essen!
Warum erkennst du nicht, dass ich erwachsen werde und mich abgrenzen möchte? Die Ess-Störung ist mein Weg zu mehr Freiheit. Lass mich meinen eigenen Weg gehen und meine eigener Erfahrungen sammeln!
Behandle mich nicht wie ein rohes Ei, sondern wie einen normalen Menschen!
Ratschläge für Lehrerinnen und Lehrer
Sprechen Sie mich nicht auf Essen, Figur oder Gewicht an, sondern fragen Sie mich lieber, wie es mir geht, und sagen Sie mir, dass Sie sich sorgen. Da habe ich das Gefühl, Sie haben wirklich Interesse an mir.
Bleiben Sie in der Ichform (»Ich habe den Eindruck, es geht dir nicht gut.«)! Da fühle ich mich nicht gleich in die Enge getrieben und kann leichter zugeben, dass wirklich etwas nicht stimmt.
Ich würde mir wünschen, dass Sie mich nicht ignorieren, sondern mich ansprechen! Schlimmer können Sie die Ess-Störung dadurch nicht machen, am schlimmsten ist es für mich, ignoriert zu werden! Ich habe mir die Ess-Störung als mein »Sprachrohr« genommen, damit ich endlich wahrgenommen werde!
Reden Sie nicht mit meinen Eltern hinter meinem Rücken! Die Heimlichtuerei verletzt mich.
Sprechen Sie mich nicht vor der Klasse, vor Mitschülern, anderen Lehrern etc. an. Das ist mir peinlich und gerade vor anderen habe ich gar nicht die Chance zuzugeben, dass etwas nicht stimmt.
Geben Sie Adressen von Therapiemöglichkeiten weiter. So habe ich die Möglichkeit, zu einem Zeitpunkt, an dein ich zu einer Therapie motiviert bin, mir Hilfe zu suchen.
Reden Sie nicht mit der Klasse in meiner Abwesenheit! Das ist mir unangenehm und ich fühle mich ausgeschlossen und hintergangen.
Machen Sie mir ein Angebot zum Reden (»Wenn irgendwas ist, kannst du immer kommen«), denn es fällt mir sehr schwer, selbst um Hilfe zu bitten; und es tut mir gut zu wissen, dass da jemand ist, an den ich mich wenden kann.
Behandeln Sie das Thema Ess-Störungen in der Schule nicht als Tabu! Da habe ich noch eher das Gefühl, nicht normal zu sein und meine Krankheit verheimlichen zu müssen. Außerdem schützt Aufklärung in der Schule mich und andere Betroffene vor blöden Kommentaren und Vorurteilen.
Informieren Sie sich selbst über Ess-Störungen. Je mehr Sie wissen, desto besser können Sie mir/anderen Betroffenen helfen!
Führen Sie Informationsveranstaltungen an der Schule durch. So sind alle für das Thema Ess-Störungen sensibilisiert und ich kann eher auf Verständnis und Hilfe hoffen!
Kontrollieren Sie in der Pause nicht mein Essverhalten! Das ist furchtbar erniedrigend für mich und bringt nichts, weil ich nicht mehr normal essen kann und so nur gezwungen werde, Essen verschwinden zu lassen und zu lügen.
Machen Sie keine abfälligen Bemerkungen über Essgestörte, Figur oder Essverhalten. Das verletzt mich und außerdem fühle ich mich so nicht ernst genommen!
Ich würde mir wünschen, dass Sie versuchen, mich in die Klasse zu integrieren! Ich will dazugehören und mitmachen, traue mich aber oft nicht, selbst zu fragen oder etwas zu organisieren!
Seien Sie aufmerksam gegenüber Mobbing der Schüler untereinander und reagieren Sie vor allem darauf Das macht eine bessere Atmosphäre und vermittelt das Gefühl, im Notfall nicht allein gelassen zu werden. Zudem können Sie schon im Ansatz auf viele Ursachen für die Entstehung einer Ess-Störung reagieren.
Behandeln Sie mich nicht wie ein rohes Ei, sondern wie einen normalen Menschen!
Unterstützen Sie Schüler, die sich unter einen enormen Leistungsdruck stellen, nicht noch dabei! Sonst entsteht der Eindruck, dass Anerkennung und Aufmerksamkeit nur von Leistung abhängen.
Lassen Sie mich nicht fallen und versuchen Sie es weiter, auch wenn ich zunächst sehr abweisend reagiere. Mir fällt es schwer zuzugeben, dass es mir schlecht geht; außerdem ist es mir peinlich, angesprochen zu werden. Insgeheim freue ich mich aber, dass Sie sich für mich interessieren!
Ratschläge für Gleichaltrige
Sprich mich nicht auf Essen, Figur oder Gewicht an, sondern frag mich lieber, wie es mir geht, und sag, dass du dir Sorgen machst. So zeigst du mir, dass ich dir wirklich wichtig bin. Ich
freue mich über Interesse, nur Fragen auf Gewicht und Essen interpretiere ich leicht als Angriff und reagiere dann abweisend.
Zeig Herzlichkeit! Nimm mich ruhig mal in den Arm! Oft wünsche ich mir das, kann es aber nicht sagen.
Lass mich nicht fallen! Ruf an, schlage Unternehmungen vor. Ich brauche das Gefühl, dass ich dir wichtig bin, schaffe es aber oft selbst nicht, mich aus meiner Isolation zu befreien.
Sei nicht enttäuscht oder wende dich ab, wenn ich dir absage oder dich abweise, sobald du mich nach meinem Befinden fragst. Ich kenne mich oft selbst mit meinen Gefühlen nicht mehr ganz aus und verletze dich, ohne es zu wollen.
Lass dich nicht auf medizinische Diskussionen ein. Bauchweh, Schilddrüse usw. sind nur Ausreden, damit ich nicht zugeben muss, dass ich krank bin!
Streich das Wort »Streber« aus dem Wortschatz! Ich bringe keine guten Leistungen, um zu schleimen, sondern weil ich auch hier unter einem inneren Zwang stehe und mit guten Leistungen mein sehr geringes Selbstbewusstsein stärken will!
Sprich nicht in meiner Abwesenheit über mich, tuschel nicht und verbreite keine Gerüchte. Wie würdest du dich denn fühlen, wenn hinter deinem Rücken über dich geredet wird?
Ich würde mir wünschen, dass du mich in Klassenpro)ekte mit einbeziehst (Projekttag, Wandertag usw.)! Oft fällt es mir schwer, den ersten Schritt zu machen und auf andere zuzugehen. Ich will aber dazugehören und einbezogen werden!
Behandle mich wie einen normalen Menschen und schone mich nicht übermäßig. Sonst habe ich das Gefühl, nicht gleichwertig, abnormal und wertlos zu sein.
Setz mich nicht mit Einladungen zum Essen unter Druck, sondern wähle Unternehmungen aus, bei denen ich trotzdem mitmachen kann. Ich kann nicht mehr normal essen und es ist furchtbar für mich, deshalb absagen zu müssen und nicht dazuzugehören.
Mach keine abfälligen, verletzenden Bemerkungen über Figur, Essverhalten oder Essgestörte. So was würde jeden verletzen und mich trifft es besonders, da ich krank geworden bin in der Hoffnung, dadurch selbstbewusster und beliebter zu werden.
Lass dich nicht auf Endlosdiskussionen über Essen und Figur
ein, sondern block ab, wenn es dir zu viel wird, und biete mir lieber an, mich zu einer Beratungsstelle zu begleiten. Über Essen und Figur kann ich ewig reden, ohne einen Schritt voranzukommen, und du bist am Ende nur genervt und überfordert.
Gib mir Bücher und Adressen von Therapiemöglichkeiten! So habe ich die Möglichkeit, mir Hilfe zu holen, wenn ich zu einer Therapie bereit bin. Auch wenn ich oft so tue, als würde mich das Thema gar nicht interessieren, verschlinge ich jede Information förmlich.
Beantworte Vorwürfe wie »du verstehst mich nicht« mit »Ich bin immer für dich da, aber ich kann es nicht wirklich nachvollziehen«! Du allein kannst mich nicht aus der Ess-Störung holen, da ich professionelle Hilfe brauche!
Behandle die Ess-Störung nicht als TABU, sondern rede offen und ohne Heimlichtuerei darüber! So habe ich nicht das Gefühl, mich für meine Krankheit schämen zu müssen und nicht normal zu sein.
Versuch nicht, mich zum Essen zu überreden! Ich kann nicht mehr normal essen und es macht mir ein schlechtes Gewissen, wenn du dann enttäuscht bist!
Reduzier mir nicht auf die Ess-Störung! Es tut mir weh, wenn niemand sieht, wer ich - über meine Krankheit hinaus - noch bin.
Ich würde mir wünschen, dass du mich ernst nimmst und mir zuhörst, wenn ich Probleme habe. Besprich aber auch deine Sorgen weiter mit mir! Sonst fühle ich mich nicht für voll genommen und ausgeschlossen und ziehe mich leicht zurück.
Ignorier meine Ess-Störung auf keinen Fall! Sie ist ein Hilfeschrei und ich bin froh, wenn dieser wahrgenommen wird!
Bewunder nicht mein extrem kontrolliertes Essverhalten und Untergewicht! So gibst du mir das Gefühl, dass Hungern und Dürrsein wirklich erstrebenswert sind, und es fällt mir noch schwerer, es aufzugeben. Du bestätigst mich dadurch in meinem kranken Verhalten!
Lass dich auf keine Figurvergleiche ein! Dadurch unterstützt du nur mein krankes Denken!