Wie komm ich von ihr los?

#1
Im Gegensatz zu fast allen anderen Beiträgen, habe ich so arg damit zu kämpfen, das meine Freundin unter B. leidet, und mich fast täglich um Hilfe und Rat bittet, sich an meiner Schulter ausweint, das ich selber keine Kraft mehr habe, ihr beizustehen und mich zeitweise , vielleicht für 5 - 6 Tage von ihr abgrenzen will um selber wieder an neue Kraft und Stärke für mich zu kommen, die ich ihr dann wiedergeben kann.
Sie spricht so offen mit niemand anderem darüber... und mich belastet das ganze sehr.
Schlaflose Nächte, Depressionen, ständiges weinen, Bauch und Kopfschmerzen, unkonzentriertheit auf Arbeit ...

Ich merke das ich in gewisser Weise abstand von ihr brauche, nur weiß ich einfach nicht wie?!
Kann mir vielleicht jemand helfen und sagen, wie ich, ohne ihr weh zu tun beibringen kann ... das mich ihre sache psychisch so fertig macht und ich selber erstmal wieder boden fassen muss, ohne das sie dabei anfängt mir dinge zu verschweigen, mich gar nichtmehr anruft wenn etwas passiert ist ...
denn ich weiß, sie ist in ihrer lage auch bis zum äussersten fähig und nimmt weder therapeutische hilfe, noch die hilfe anderer in anspruch.
Ich will nicht das wenn sie einen schlimmen tiefpunkt hat, sich nichtmehr bei mir meldet, aus Angst mich "wieder" zu belasten.
Denn ich weiß wie wichtig ihr das reden ist, nur schaff ich es langsam nichtmehr tagtäglich für sie die Stütze zu sein.

Bitte, kann mir jemand da raus helfen ... mir vielleicht sagen, wie ich ihr sagen kann das sie mich wenn was ist immer ansprechen, zu mir kommen kann, aber mir die Kraft fehlt jeden Tag für sie da zu sein.

mfg everywhere

#2
WOW !

Dieser Beitrag erfordert mindestens genauso viel Mut eines Angehörigen, wie das Outing eines Betroffenen.
Ich kann das alles, was Du geschrieben hast, sehr gut nachfühlen. Ich lebe im 5. Jahr mit meiner erkrankten Freundin zusammen und genau durch dieses Tal bin ich auch gegangen.
Wir Angehörige haben im Gegensatz zu einem Therapeuten oder einer Klinik einen persönlichen Bezug zu der Person. Und wir haben eigentlich als Angehörige überhaupt keinen weiteren Ansprechpartner, dem wir unsere eigenen Gefühle und Ängste weitergeben können. Und lange war ich der Meinung, dass die Liebe und die eigene Stärke ausreichen, um alles psychisch zu verarbeiten.
Das geht auch ein lange Zeit gut und dann passiert genau das, was Du gerade erlebst. Die Batterien werden schwächer und es ist dann sehr schwer, seinem eigenen Ego und dem innigen Wunsch für diese Person immer da zu sein, zugestehen zu müssen, dass es nicht 24 Stunden am Tag sein kann.

Zunächst einmal verliere den Mut nicht, liebe everywhere. Du musst sehr auf Dich acht geben, damit Du nicht selber in eigene Süchte flüchtest, die diesen Druck kompensieren sollen. Auszeiten sind furchtbar wichtig für Angehörige. Und auch der oder die Betroffene muss es lernen, dass wir nicht mit einer unerschöpflichen Energie ausgestattet sind, sondern Menschen, die sich das alles sehr zu Herzen nehmen.

Ich habe in einem offenen und ehrlichen Gespräch meiner Freundin diese Situation erklärt, als ich schon ziemlich heftig den Alkohol als Kompensationsmittel entdeckt hatte. Und ich war sehr überrascht, wie verständnisvoll sie es aufgenommen hat. Wir täuschen uns manchmal über die Bereitschaft und das Verständnis der Betroffenen, uns Angehörige auch Zugeständnisse machen zu können und zu wollen. Es war in ihrem Interesse meine Kräfte nicht aufzubrauchen, weil sie mich ja als Partner nicht verlieren will. Und so haben wir uns tatsächlich mehrere Tage nicht gesehen und eben Pausen vereinbart.

Erkläre ihr Deinen jetzigen Zustand sachlich und versuche dabei keine Schuldgefühle zu wecken. Sage ihr, dass Du auch ein eigenes Leben zu führen hast und es beiden Seiten nichts nutzt, wenn Du zusammen brichst. Erarbeitet einen "Notfallplan", definiert dabei aber den Notfall. Somit bekommt sie nicht das Gefühl in einer Situation allein gelassen zu sein. Das schreibt sich alles so leicht, ich weiss. Aber es geht. Habe Vertrauen in Deine Freundin, wie sie es auch zu Dir hat.

Und passe bitte auf Dich auf. Es gibt leider nur selten Personen wie Dich, die bereit sind, ihre Kraft und Energie in einen Menschen zu investieren, den man sehr gerne hat.

Ach ja - dieses Forum ist auch eine Platform für Angehörige. Hier sind schon einige Menschen, die auch Dir als Angehörige gerne zur Seite stehen :wink:

lieber Gruss und alles alles Gute
Caruso

#3
Erstmal vielen dank für deine Antwort!!

Ob du es glaubst oder nicht, aber allein sowas zu lesen ist ein kleiner Punkt, an dem ich mich wieder etwas hochziehen kann.
Ich komme mir mies vor, weil ich hier rumjamere, obwohl meine Freundin bedeutend mehr Recht dazu hat.

Kompensationen, um mit der Sache fertig zu werden habe ich leider schon begonnen ... sie weiß davon, nur nicht weswegen ich u.a. mit Alkohol angefangen habe.
Ich will ihr Vertrauen nicht verlieren, trau mich nicht mehr, sie allein zu lassen weil ich weiß das sie es nicht will...
Sie ist schon in einem schweren Stadium, und steht am Ende ihrer Kräfte ...
danke für die Antwort ... sie war etwas was mich motiviert, mir die Stärke gibt, meine Freundin für die nächsten Stunden ... Tage, zu halten ... ihr eine Stütze zu sein, auf die sie vertraut und weiß, von dieser niemals fallen gelassen zu werden ...

Danke

#4
Meine liebe everywhere,

wie schon Caruso dir geschrieben hat, ist wohl Offenheit von deiner Seite hier genauso von Nöten als die Ehrlichkeit deiner Freundin dir gegenüber was ihre Bulimie betrifft.
Es ist schon richtig, dass diese Krankheit für Betroffene extrem belastend ist und genauso belastend für Angehörige, die damit Tag für Tag konfrontiert werden.
Mache deiner Freundin klar, dass du diese Kraft nicht pausenlos aufbringen kannst. Du bist keine Maschine. Noch viel weniger bist du ein Mistkübel, in dem man all das Traurige und Schreckliche dieser Nebenwirkungen reinschmeissen kann. Auch du brauchst deine Streicheleinheiten. Und Kraft kann man doch nur finden, wenn man die Möglichkeit hat, sich selbst über seine Schwächen auszutauschen. Jemanden zu haben, der einem den Rücken stärkt. Anscheinend ist da bei dir niemand.
Also sag ihr, dass du sie genauso brauchst, dir deinen Kummer von der Seele zu reden. So kann sie sich nicht von dir zurück ziehen. Sie muss genauso die Augen öffnen für dich. Also ein Miteinander ist angesagt.
Und eigentlich hilfst du ihr auch gar nicht, wenn du nur ihre Sorgen und Ängste aufnimmst. Warum sollte sie denn dann auch kämpfen. Kämpfen gegen die Krankheit. Sie muss ja auch lernen, diese Krankheit nicht nur zu dulden.
Also bleib nicht die milde Freundin. Sag ihr, was Sache ist. Wohin sie mit ihrer Krankheit kommen kann. Ich schreibe dir das deshalb so hart, weil meine Tochter mit 21 daran gestorben ist. Nach 6 Jahre langem Kampf. Heute frage ich mich aber, ob sie wirklich gekämpft hat. Sie hat jede Unterstützung von mir bekommen. Aber ich glaube auch, dass ich nur das Leid genommen habe und nicht rebeliert habe dagegen. Nicht rebeliert habe gegen meine Tochter, dass es so nicht weiter gehen kann. Bis hin zur eigenen Schwäche. Wie soll man mit jemandem kämpfen, wenn man selber die Kraft verliert.
Gut ich bin dann selber in Therapie gegangen. Aber wenn sie nicht einmal einsieht, eine Therapie zu benötigen (weil du ja ihr Therapeut bist, wie sie glaubt), weiss ich nicht einmal ab dir ein Therapeut helfen kann.
Du musst ihr die Notwendigkeit einer Therapie vor Augen halten.
Es ist ihr Leben, mit dem sie da spielt. Bulimie ist nicht immer eine Krankheit, die man jahrelang haben kann.
Ich hoffe, auch ich konnte ein wenig dazu beitragen, dich selber in den Vordergrund zu rücken.
Wünsche dir alles Liebe und drück dich ganz lieb
deine Hedi

#5
Hallo!

Deine Zeilen zu lesen, bereitet mir Sorgen. Besonders der 2. Teil!! Ich bin der Meinung, dass Du da in eine Co-Abhängigkeit geraten bist! Du musst auf jeden Fall auch auf Dich selbt schauen und darfst nicht alles von Deiner Freundin abhängig machen!!

Wie Hedi schon sagt: Offensichtlich ist sie nicht bereit, sich professionelle Hilfe zu holen, weil sie denkt, Du seist ihr "Therapeut". Bist Du aber nicht!! Du bist ihre FReundin und kannst allenfalls eine Unterstützung sein! Und auch Du brauchst Kraft! Woher willst Du die schöpfen, wenn Du Dich nur pausenlos um sie kümmerst?

Ich denke, das wird auf die Dauer keinem von Euch helfen. Ihr nicht, weil sie ihren "Arsch" selbst hochheben muss und AKTIV dagegen ankämpfen muss (sie selbst, nicht DU für sie) und Dir wird es nicht helen, da Du schon an einem Punkt bist, wo Du bemerkst, dass Du überfordert bist! Das wäre jeder! Niemand der Angehörigen kann professionelle Hilfe ersetzen, ohne dabei auf Dauer kaputt zu gehen!

Tu Dir das bitte nict an, Deine Freundin hat garnix davon, wenn Du irgendwann auch "am Stock gehst"... Sie muss sich helfen lassen wollen. Klar, Du kannst dasein zum Reden, aber nict immer auf Knopfdruck. Du hast auch ein eigenes Leben, auf das Du schauen musst.

Ich hoffe Du verstehst nicht falsch, was ich sagen will! Rede mit ihr. Wenn sie eine Freundin ist, die auch möchte, dass es Dir gutgeht, dann wird sie einen Gelegentlichen Rückzug verstehen! Mach ihr klar, dass Du ihr nur bis zu einem bestimmten Punkt helfen kannst, denn kämpfen muss jeder für sich allein!

Ich kann ja auch niemanden beauftragen, in meinem Namen gesund zu werden! Das muss ich schon allein schaffen. Klar, mit Unterstützung, aber der Punkt ist, dass die Hauptarbeit und Einsicht über die Problematik bei ihr liegen muss.

Alles Liebe!

Nadine

#6
Danke für eure Antworten...!!

Ich bin ihr Therapeut ... ja, ich glaube so sieht sie das ...
Es tut weh sie weinend nach einem FA vor mir zu sehen, wie sie total fertig in meinen Armen liegt und innerlich nach Hilfe schreit...
und in solchen Momenten ist es egal, ob ich noch kraft und stärke habe ... ich bin für sie da und versuch sie immer wieder aufzubauen.
Das ist jetzt täglich geworden, und ich hab einfach nicht den Mut ihr in die Augen zu sagen das "sie" (!) mir zu viel wird.

Dennoch tut es sehr gut eure Beiträge zu lesen ... sie bauen auf und stärken.
Danke!

#7
Hallo Everywhere!

Nun mal nicht so hoffnungslos... :wink:
Sie wird dir nicht zu viel. So mach dir deshalb mal kein schlechtes Gewissen.

Die Situation wird dir zu viel und das ist völlig normal und war auch irgendwann abzusehen.

Es ist ja nicht so, dass du deine Freundin nun hängen lassen sollst, um dich selbst zu schützen... nein, nein.
Hilf ihr, sich selbst zu helfen!

Rede mit ihr und sag ihr, dass du allein ihr nicht helfen kannst. Dazu reicht weder deine Kraft, noch deine Erfahrung (ich beziehe mich hier auf Therapeuten und Ärzte, die alle hierfür eine recht lange Ausbildung gemacht haben... das hat ja seinen Grund. :wink: )
Hilf ihr, einen Therapeuten zu finden, eine Therapie zu beginnen, die Therapie durchzuhalten...

Das ist eine ganze Menge und das ist das Beste für deine Freundin.

Die anderen haben es dir ja schon geschrieben:
Keinem von euch beiden nützt es, wenn ihr beide am Ende eurer Kräfte seid.
Für sie Ersatz-Therapeut zu spielen, ist erstens nicht die einzige Möglichkeit und zweitens nicht die richtige Möglichkeit.
Es ist ganz wichtig, dass du das begreifst.

Du musst nicht das Gefühl haben, du lässt sie im Stich, wenn du ihr nicht wie in gewohnter Weise zur Seite stehst... das hast du versucht und gemerkt, es funktioniert nicht.
Nun ist es zeit, ihr auf andere Weise zu helfen.
Zeig ihr Möglichkeiten der Hilfe (eben Ärzte, Therapeuten, Selbsthilfegruppen, etc.), falls sie diese Möglichkeiten nicht sieht. Tritt ihr in den Hintern, dass sie sich bewegt und was für sich tut.

Wenn du so da bist für sie, hilfst du ihr schon eine ganze Menge! Und du lässt sie keinesfalls im Stich.
Du hilfst ihr... nur anders eben.

LG
Mari