Ignorieren oder Ansprechen?

#1
Liebe Forum-Community,
ich bin ganz neu hier im Forum und habe mich bisher sehr interessiert durch die Beiträge geklickt, bisher aber nicht auf alle Fragen, die sich mit dem Problem der ES beschäftigen, eine Antwort gefunden. Deshalb hoffe ich sehr, dass Ihr mir in meinem ganz speziellen Fall einige hilfreiche Hinweise geben könnt! Dafür schon einmal vielen Dank im Voraus!
Worum geht es? Ich bin seit ca 1,5 Jahren mit meiner Freundin zusammen und weiß seit ca. 10 Monaten, von ihrer ES. Sie ist Ende 20 und hat seit gut 10 Jahren Bulimie, die sich zeitweise aber auch ähnlich einer Magersucht äußert. Sie hat zwei ambulante Therapien hinter sich, die aber nur Teilerfolge gebracht haben. Nachdem sie mir von der ES erzählt hat, habe ich mich umfassend im Internet und vor allem mit Hilfe von Büchern über die Krankheit informiert und ihr in Gesprächen auch immer wieder versichert, dass ich sie mit ES genauso liebe wie ohne und immer für sie da bin, wenn sie mich braucht! Ich glaube auch, dass sie auf einem guten Weg ist (sie plant bald auch noch eine weitere ambulante Terapie), dennoch sind noch viele Anzeichen für ein krankhaftes Verhalten zu erkennen (verzerrte Selbstwahrnehmung, minutiöse Kalorienzählen, vereinzelt Essen in großen Mengen). Obwohl das Thema zwischen uns seit längerem kein Tabuthema mehr ist und wir in Abständen von 1-2 Wochen regelmäßig darüber sprechen, habe ich immer wieder Probleme damit, zu entscheiden, wann ich sie auf die ES ansprechen soll, weil es ihr hilft und wann es eher kontraproduktiv ist. Im Einzelnen geht es insbesomndere um folgende Situationen:

1.) Soll ich sie regelmäßig (dh täglich am Abend) danach fragen, wie der Tag in Bezug auf ihr Essverhalten gelaufen ist? Soll ich sie überhaupt darauf ansprechen, wie sich die ES in den letzten Tagen und Woche entwickelt haben? Oder ist es besser zu warten, bis sie von sich aus darauf zu sprechen kommt?

3.) Manchmal finde ich Rest von Nahrungsmittelverpackungen im Hausmüll, die deutlich auf ene Fressattacke hindeuten. Soll ich sie darauf ansprechen?

4.) Wenn sie nach dem Essen auf der Toilette verschwindet, soll ich sie darauf anprechen, ob es ein Brechtanfall war?

Letztlich geht es in den 4 Situation immer um die Frage: Ignorieren oder Ansprechen! Ich wäre wirklich sehr dankbar, wenn Betroffene, aber auch Angehörige, mir von ihren Erfahrungen berichten würden! Klar ist jeder Einzelfall anders, aber viell lässt sich einiges doch verallgemeinern!

Vielen Dank und Gruß
Frannk

#2
Hey Frannk

Ich kann dir natürlich auch nur sagen wie ich ganz persönlich zu dieser Angelegenheit stehe. Mir als Essgestörten ist es lediglich wichtig zu wissen, dass man jemanden hat, mit dem man jederzeit über die Bulimie sprechen kann und man das Gefühl hat uneingeschränkt und ohne Vorbehalte vom Gegenüber angenommen zu werdenl. Überdies glaube ich, dass es auch keinen Sinn macht einem Leidenden das Gefühl zu geben das er sich mit seinem Essverhaltenn verstecken muss - dies geschieht, so glaube ich, meistens unterhalb der Schwelle des Bewußtseins. Es ist natürlich äußerst schwierig hier den richtigen Mittelweg einzuschlagen und es erfordert deshalb eine Menge Fingerspitzengefühl in der Art und Weise wie man - vorallem dem Partner vermittelt, dass es zwar nicht in Ordnung ist was er sich selber dabei antut; aber, und darauf kommt es meiner Meinung an, ihm gewisse Rahmenbedingungen für eine produktive Auseinandersetzung mit der ES anbietet. Kurz gesagt,steh ihr noch mehr bei wenn du merkst das sie es schaffen will.
http://www.youtube.com/watch?v=SzTLKAu0p8A

wahre visionen nehmen immer erst mit zunehmender anstrengung gestalt an

cherry

#3
Hallo Frannk

Zu deinen Fragen kann ich dir jetzt nur meine eigene Stellungnahme als Betroffene schildern und wie ich mich in diesen Situationen fühlen würde. Vielleicht würde deine Freundin es anders empfinden, aber ich schreibe dir trotzdem meine Meinung dazu. Eventuell hilft es dir auch weiter.

1.) Soll ich sie regelmäßig (dh täglich am Abend) danach fragen, wie der Tag in Bezug auf ihr Essverhalten gelaufen ist? Soll ich sie überhaupt darauf ansprechen, wie sich die ES in den letzten Tagen und Woche entwickelt haben? Oder ist es besser zu warten, bis sie von sich aus darauf zu sprechen kommt?

Ich persönlich fände jeden Tag nachzufragen ein wenig viel. Mir käme es dann eher vor kontrolliert zu werden. Natürlich ist klar, dass bei dir auch viel Sorge dahintersteckt, aber ich als Bulimikerin würde sicher irgendwann das Gefühl bekommen, dass meine Krankheit wichtiger ist, als mein restlicher Tag oder sogar wichtiger ist als ICH. Dieses Thema ist ja nicht gerade ein leicht zu besprechen, und mir persönlich würde es nicht gut tun so oft darüber zu sprechen. Immer wenn ich tiefer darüber nachdenke oder mit meinem Freund spreche, dann werde ich auch schnell traurig oder bekomme eine schlechte Grundstimmung. Und jeden Abend traurig zu sein würde mir nicht gerade helfen :wink:

Wenn es dir auf dem Herzen liegt wie sich ihre ES entwickelt in den letzten Wochen, dann kannst du sie bestimmt danach fragen. Ihr beide scheint ja ein vertrauensvolles Verhältnis zu haben, daher wird es für sie kein Tabuthema sein. Und wenn sie nicht darüber sprechen möchte, dann wird sie dir schon Bescheid sagen.

3.) Manchmal finde ich Rest von Nahrungsmittelverpackungen im Hausmüll, die deutlich auf ene Fressattacke hindeuten. Soll ich sie darauf ansprechen?

Oh, ein heikles Thema. Ich würde vor Scham im Boden versinken wenn mir mein Freund davon erzählen würde. Schlechtes Gewissen wäre vorprogrammiert und ich glaube ich würde nur noch mehr versuchen die "verräterischen" Packungen noch besser zu verstecken um solchen Bemerkungen aus dem Weg zu gehen.

4.) Wenn sie nach dem Essen auf der Toilette verschwindet, soll ich sie darauf anprechen, ob es ein Brechtanfall war?

Auch das wäre mir persönlich sehr peinlich. Denn ich selbst habe ohnehin schon dass Gefühl, dass jeder mir hinterherguckt wenn ich nur in die Nähe einer Toilette gehe. In diesem Fall würde ich mich auch kontrolliert fühlen. Besonders wenn ich wirklich NUR kurz aufs Klo musste und nachher sofort gefragt wird, ob ich gekotzt hätte. Ich wäre wütend und traurig zugleich. (Nach dem Motto, wie weit ist es mit mir gekommen, dass ich nicht einmal mehr normal zum Klo kann, ohne schief angeguckt zu werden). Mir würde so eine Frage nicht gerade helfen.

Wenn es tatsächlich ein Anfall war und sie sich mies fühlt nd selbst darauf zu sprechen kommt, dann wäre es sicher kein Problem darüber zu reden. Aber Bulimie ist nunmal mit sehr viel Scham bepackt und je mehr man sich für etwas schämt umso mehr versucht man es zu verbergen.

Na ja, war jetzt wirklich alles nur aus meiner Sicht :roll: Aber mehr Hilfen kann ich dir leider nicht anbieten. Denn jeder Mensch reagiert ja anders.

Wünsche euch alles Gute.

Seelenvogel

Re: Ignorieren oder Ansprechen?

#4
Frannk hat geschrieben:Letztlich geht es in den 4 Situation immer um die Frage: Ignorieren oder Ansprechen! Ich wäre wirklich sehr dankbar, wenn Betroffene, aber auch Angehörige, mir von ihren Erfahrungen berichten würden! Klar ist jeder Einzelfall anders, aber viell lässt sich einiges doch verallgemeinern!
Ich finde nicht, dass es sich verallgemeinern lässt. Wenn ihr schon so ein offenes, tolles Verhältnis diesbzgl. habt, dann nutze es und frag SIE doch einfach, was sie will, wie es ihr recht ist, was ihr etwas bringt und was sie belastet.

Re: Ignorieren oder Ansprechen?

#5
Frannk hat geschrieben: 1.) Soll ich sie regelmäßig (dh täglich am Abend) danach fragen, wie der Tag in Bezug auf ihr Essverhalten gelaufen ist? Soll ich sie überhaupt darauf ansprechen, wie sich die ES in den letzten Tagen und Woche entwickelt haben? Oder ist es besser zu warten, bis sie von sich aus darauf zu sprechen kommt?
Hm, täglich wäre mir persönlich zuviel...vllt einmal pro Woche eine vorsichtige Nachfrage. Aber jeden Abend im Beisein eines anderen mein Essverhalten analysieren zu müssen, ginge mir zu tief.
Aber versuche es einfach, wenn sie mit dir spricht: gut; wenn sie abwiegelt, ist sie vielleicht noch nicht so weit und möchte es mit sich alleine abmachen...auch wenn das fast unmöglich ist.
Frannk hat geschrieben: 3.) Manchmal finde ich Rest von Nahrungsmittelverpackungen im Hausmüll, die deutlich auf ene Fressattacke hindeuten. Soll ich sie darauf ansprechen?
In dieser Situation würde ich mich als Betroffene sehr unwohl fühlen...wahrscheinlich würde ich meine Ess-Brech-Attacken nicht reduzieren, sondern schlicht und einfach andere Mittel und Wege suchen, um die Verpackungen verschwinden zu lassen.
Andererseits...man könnte es auch als Hilfeschrei ihrerseits deuten, falls sie die Menge des verzehrten Essens allzu offensichtlich darlegt. In diesem Fall würde ich auf Punkt 1) zurückgreifen und sie regelmäßig, aber nicht zu oft, vorsichtig zu ihrem Essverhalten fragen.
Frannk hat geschrieben: 4.) Wenn sie nach dem Essen auf der Toilette verschwindet, soll ich sie darauf anprechen, ob es ein Brechtanfall war?
Das würde ich auf gar keinen Fall machen! Meine Eltern iwissen von meiner Essstörung (dummerweise :roll: ) und ich schäme mich bereits, ohne dass solche Fragen kommen, auf die Toilette zu gehen, wenn sie mit in der Wohnung sind - auch wenn ich seit Mitte Juli nicht mehr gebrochen habe.


Ich finde es wirklich schön, wie du dich um deine Freundin sorgst und kümmerst und sie kann wirklich froh sein, einen so mitfühlenden und liebevollen Freund zu haben :D
Was ich jetzt zu deinen Vorschlägen geschrieben habe, ist nur meine persönliche Meinung, ich habe mir vorgestellt, wie ich mich in der Situation fühlen würde.
Wie du selbst gesagt hast - kann sein dass die Antworten zu deinem Thema kunterbunt durcheinander sein werden :wink:

Liebe Grüße!
Wenn Hunger nicht das Problem ist, ist Essen nicht die Lösung!

#6
hallo frank

ich bin mit meiner freundin jetzt fast 2 jahre zusammen.
wir hatten uns in der kur kennengelernt (sie wegen bulimie,ich wegen burn-out-syndrom).von anfang an war es kein tabu-thema,trotzdem musste ich lernen mit dem thema umzugehen,da ich vor ihr mit dem thema noch nie in berührung gekommen bin.
zu deinen fragen...
wenn du sie direkt auf etwas ansprichst,kann es passieren,das sie sich beobachtet fühlt und sich in sich verzieht.
daher musst du sehr behutsam und sehr vorsichtig versuchen sie anzusprechen.
zur zeit hab ich urlaub und bin bei meiner freundin,während sie noch arbeiten ist. ich bekomm also alles täglich mit. wenn sie aus dem bad kommt,frag ich öfters,ob alles klar ist. entweder sagt sie schnell und gefühllos "ja" (dann weiß ich das es ihr gar nicht gut geht),oder sie erzählt mir gleich,das z.b länger brauchte um alles rauszubekommen.
ich weiß nicht wie es bei anderen ist,aber ich hab kein problem sie ,nachdem sie im bad war, zu küssen. viele ekeln sich ja dann dabei,auch wenn man so nix mehr mitbekommt was im bad grad passiert ist. ich denke mir das ist vielleicht auch eine art von liebe zeigen.zur zeit bekomm ich ja auch mit was sie alles am tag isst,entweder sag ich ihr " also schatz ich finde heute hast du mehr gegessen als sonst".ich versuch das dann nicht ganz so ernst auszudrücken,sie soll sich nicht beobachtet fühlen,sondern einfach nur das es nicht korreckt ist. bei uns spielt ja geld dadurch auch eine große rolle und da wir beide nicht im lotto gewonnen haben,müssen wir halt schon schauen das wir beide satt werden.sie direkt auf ihre krankheit ansprechen mache ich schon,aber ich achte daraut wie es ihr von ihren launen her geht. wenn sie gesprächig ist ( egal welches thema) dann sprech ich das thema eher an. sie diskutiert nicht gern darüber,aber ich muss ihr halt auch meinen standpunkt klarmachen. schliesslich exestieren in einer beziehung 2 menschen,die bedrüfnisse haben.was vielleicht noch ein thema sein könnte wäre in ein restaurant zu gehen.es gibt bestimmt viele partner die sich denken,warum essen gehen,es landet danach ja sowieso wieder im klo,aber so sehe ich das nie, ich gehe sehr gern mit ihr essen. denn in dem moment zählt für mich nicht die rechnung,sondern das es ihr schmeckt und sie das essen geniessen kann.wie ist es bei deiner freundin,erbricht sie nur daheim,oder auch woanders z.b auf der toillette im restaurant? meine macht das nur bei mir oder bei sich daheim. ich bin auch stolz auf meine freundin,das wir sogar schon erst essen gehen können und anschliessend sogar noch einkaufen oder bummeln gehen können,das war vorher nicht der fall. da mussten wir immer gleich heim,weil ich gleich übel war. oder wenn wir bei freunden sind und z.b da grillen,kann sie auch da essen ohne sich zu übergeben. ihr ist dann danach oft übel,aber durch freunde wird sie ja sehr gut abgelenkt und dann verschwindet auch leicht die übelkeit und die bauchschmerzen wieder.
so ich hoffe ich konnte dir ein wenig helfen,wenn was ist,kannst du dich ruhig bei mir melden.
lieben gruß
sandy

#7
hey frank!!

ich würde sie nicht täglich auf ihr essverhalten ansprechen und fragen ob es ihr gut dabei gegangen ist... denn nur weil das essen an diesem tag gut war heißt das nicht das es ihr gut gegangen ist.. und das ist doch wichtiger oder??
ich weiß ehrlich nciht ob du sie auf die essensverpackungen ansprechen sollst... denn wenn mich meine eltern darauf ansprechen komme ich mir sehr kontroliert vor (obwohl ich weiß das meine mutter das macht).. und das macht das verhältnis sehr schwer zueinander weil sie immer glaubt sie muss etwas von dir verstecken.. auch wenn du davon weißt...

ähnlich ist es mit dem nach der toilette.. wenn du sie jedes mal darauf ansprichst kommt sie sich beobachtet vor und zieht sich wahrscheinlich oder vielleicht noch mehr zurück

ich hoff es hilft dir weiter...
lg babsi

#8
Danke für Eure lieben Antworten! Ich konnte leider eine längere Zeit nicht online sein, weshalb ich mich erst jetzt dafür bedanken kann.
Mir ist auch nur zu gut bewusst, dass es bei jedem Problem immer auf die einzelne Person ankommt und pauschalisierende Ratschläge nur schwer möglich sind. Trotzdem, denke ich, helfen Erfahrungen anderer weiter, für sich selbst die bestmögliche Lösung zu finden.
Also, nochmals danke
Frannk