Non-Purging Bulimie

#1
Hi Leute,

ich dachte, es ist mal Zeit für ein Update. Nachdem ich seit Jahren mehr oder weniger raus war aus der Bulimie-Geschichte, hat sich die Essstörung bei mir seit Monaten, vielleicht auch schon seit einem Jahr, quasi durch die Hintertür wieder reingeschlichen. Ich war früher primär der Typ, der Essen erbricht - also das, was man klassisch unter Bulimie versteht.

Kotzen war dann die letzten Jahre nicht mehr so das Thema. Der Körper hat es auch einfach nicht mehr mitgemacht. Gerade im Sommer bekam ich vom Kotzen regelrechte Atemnotanfälle. Vermutlich weil ich Heuschnupfen habe und durch die Magensäure die Schleimhaut noch empfindlicher wird für Pollen. Das ist jedenfalls der Grund, warum ich Kotzen wirklich vermeide. Auch im Winter.

Was dann aber zusehends sich entwickelte, war ein nun-purging Kreislauf:
-Phasen mit Fressanfällen,
-gefolgt von Phasen, wo ich normal gegessen habe, von wo aus ich dann ins
-Hungern verfallen bin.
Und dann fing der Kreislauf von vorne an. Eine Phase kann Tage dauern oder auch Wochen und im Fall der Binge Eating Phasen auch Monate.

Das ganze habe ich, obwohl ich schon drunter gelitten habe (vor allem in den Binge-Phasen) zugleich auch unterschätzt, weil ich dachte, wenn ich nicht kotze und wenn mein Gewicht halbwegs konstant bleibt, dann merkt es ja keiner und dann ist alles okay. Auch körperlich. Auch körperlich? Vergiss es. Außerdem dachte ich in langen Normal-Ess-Phasen, die ja auch vorkommen, jedes Mal ganz optimistisch: Jetzt bin ich geheilt! Bis irgendwas wieder einen Umschlag in eine andere Phase bewirkt hat. Manchmal ist es so was banales wie die Periode. Eine Woche davor laufe ich immer hohe Gefahr, eine Fressphase zu kriegen. Fressphasen können bei mir bedeuten: Daueressen nebenher, oder auch recht normal essen und dann ein bis zwei Mal am Tag ein großer Fressanfall.

Jetzt aber zu den körperlichen Folgen bei mir (oft wirkt sowas ja noch aufrüttelnder als so "allgemeine Listen, was passieren kann"). Aber in erster Linie schreibe ich es auf, weil ich es einfach mal mir von der Seele schreiben muss. Und dazu ist da Forum ja da.

Meine Zähne sind anscheinend ziemlich geschädigt von dem ganzen Zucker, da bekomme ich gerade vier Füllungen im zwei-Wochen-Abstand. Mein Verdauungssystem kommt bei der Umstellung von wenig Essen auf viel nicht hinterher und reagiert mit Durchfall. Bei den Fressanfällen selbst bekomme ich Herzrasen. Ich versuche, die Heißhungeranfälle mit Nahrungsmitteln aus der mittleren Schicht der Nahrungspyramide auszuleben, damit das Herzrasen nicht ganz so extrem wird. Wenn ich mir heute durchlese, was ich vor zehn Jahren in einem Fressanfall an Schokolade oder Keksen gegessen habe, wird mir schlecht schon vom Lesen. Heute geht höchstens ein Viertel davon.

Einmal dachte, mein Magen reißt eines Tages auch mal. Der hat auf einmal heftig weh getan, obwohl ich hauptsächlich Nudeln gegessen habe. Die sind ja eigentlich sehr verträglich. Ganz komisch hat sich das angefühlt, obwohl ich nur etwa 2/3 der Menge, die ich eigentlich imstande bin zu essen, Im Bauch hatte. Da habe ich sofort das Essen und Trinken eingestellt. Danach hatte ich auch eine Zeitlang keine Fressanfälle mehr. Aber ewig hat der Schreck auch nicht vorgehalten.

Gestern Abend ist mir die Essattacke ganz entgleist und ich habe - nach langer Zeit wieder - erbrochen. Das habe ich hinterher bereut.
Nicht nur, dass ich einen hochroten Kopf bekam und mir schwindelig wurde.
Nicht nur, dass ich das Badezimmer hinterher putzen musste.
Nicht nur, dass mein Hals hinterher weh getan hat.
Nicht nur, dass es sich kaum gelohnt hat, da nur etwa die Hälfte wieder raus kam:
Am nächsten Tag hatte ich starken Durchfall, Bauchschmerzen, fühlte mich schlapp und schwindelig. Bis zum Mittag konnte ich kaum was essen. Und nicht, weil ich eine Infektion hätte. Nein, nur weil ich meinen Körper kaputt mache.

Jetzt versuche ich mit aller Kraft, mich zu zügeln. Den Süßkram, der wirklich gefährlich ist, habe ich letzte Nacht um 3:00 Uhr weg geschmissen. Ich wollte kein Risiko eingehen, dass ich am nächsten Tag gleich wieder im Nutellaglas lande. Tatsächlich wäre das heute so um 14:00 Uhr wohl passiert. Wenn es noch da gewesen wäre.

Nun beschäftige ich mich gerade intensiv mit Folgeschäden und mit Gedankenmustern, die mich zum Essen bringen. Als ich heute Mittag wieder Fressdruck hatte, habe ich gedacht: Statt zu essen, schreibe ich jetzt mal auf, welche Lügengedanken mich zum Essen treiben wollen. Folgende kamen dabei ans Licht. Oft kann ich die Lächerlichkeit der Lüge, die ich jedes Mal(!) schlucke, wenn ich mich vollfresse, dann besser erkennen:
- Es wird dich beruhigen.
- Ein bisschen geht doch noch. Das war doch jetzt nicht soo viel, was du bisher gegessen hast. Nur noch eine Portion. Eine kleine Portion. Dann wirst Du satt sein. Dann hörst Du wirklich auf. Dann wird es Dir leicht fallen.
- Okay, das war jetzt immer noch nicht sooo viel. Nur noch ein Nachschlag. Oder ein Dessert. Zum Abschluss was Süßes.
- Jetzt ist das Essen noch warm. Iss es am besten gleich, das schmeckt besser als wenn Du es später kalt isst.
- Kannst ja heute Abend dafür nichts essen. Wenn Du jetzt ordentlich isst, hast Du heute Abend eh keinen Hunger. Das wird dann ganz einfach, nichts zu essen. (Natürlich habe ich Abends trotzdem - oder gerade wegen dem Fressanfall - wieder Hunger.)
- Dein Bauch ist eh schon so dick, da macht es nichts, wenn Du jetzt noch weiter isst. Wenn's doch zu viel wird, spuckst Du es halt wieder aus.
- Du kannst ja wieder weniger essen, wenn du weniger Stress im Leben hast. (Als wenn es so was geben würde.)
- Essen wird dich beruhigen, dann kannst Du Deine Arbeit besser machen. Es wird dir leichter fallen. Und die Arbeit musst Du ja erledigen.
- Im Kühlschrank steht noch dies und das und jenes. (Konkrete Bilder erspare ich euch. Soll ja nicht Triggern.) Willst Du nicht was davon essen?
- Lass Dich doch einfach fallen. Was willst Du die ganze Zeit gegen den Fressdruck kämpfen? Iss doch einfach, dann hast Du's hinter Dir.
- In dem Topf ist eh nicht mehr viel essen, das bisschen kannst Du jetzt auch noch essen.
- Dein Leben ist eh im Eimer. Was willst Du noch länger leben, friss doch einfach noch was. Ist doch egal, wenn dein Körper davon kaputt geht.
- Ein bisschen Übergewicht macht doch auch nichts. Hauptsache, Du hast Deine Gefühle kompensiert und kommst klar im Leben.

Vielleicht erkennt sich die eine oder andere Person in diesen Gedankengängen wieder und kann sie entlarven, oder es fällt euch was spontan ein dazu. Eure Gedanken z.B. vor oder während einem Fressanfall. Ich habe im Internet auch noch einen ganz interessanten Artikel gefunden von einer Frau namens Heather Williams, die sieben körperliche Schäden aufgelistet hat, die wir dem Körper antun, wenn wir Fressanfälle haben. Vielleicht übersetze ich die Seite noch auf deutsch, denn es ist auf Englisch geschrieben. Und vermutlich können doch ein paar Leute hier nicht englisch. Außerdem sind wir ja ein österreichisches Forum. Da sollten die Beiträge doch deutschsprachig sein, denke ich....

Soweit erstmal das Update von mir.... Falls hier irgendwelche jungen Leute mitlesen, so kann ich eins noch sagen: Essstörungen helfen vielleicht kurzfristig abzunehmen. Aber langfristig nimmt man eigentlich immer zu. Und geht noch körperlich kaputt obendrauf. Bloß, wir Menschen sind halt so gestrickt, dass uns körperliche Schäden ja nicht interessieren, sondern das Naheliegende.... der innere Druck, der Stress aktuell, die Gefühle, die runtergedrückt werden wollen..... Geht mir ja auch so.... Ich bin jedenfalls dankbar, dass mein Körper nicht akut versagt, sondern ich noch die Chance habe, was zu ändern, ehe es wirklich übel aussieht.

Liebe Grüße

Sophie
Zuletzt geändert von Sophie11 am Mo Mär 20, 2017 19:44, insgesamt 4-mal geändert.
So spricht der Herr: "[...] Nein, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich erkenne, daß nämlich ich, der Herr, es bin, der auf Erden Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft!" (Jeremias 9,22-23)

Re: Non-Purging Bulimie

#2
Mir tut das für dich leid, dass die ES dich wieder eingeholt hat... wie ist es dir denn heute ergangen? Konntest du dich "zügeln"?

Ich finde mich in deinen Ausführungen wieder... und wenn ich ehrlich bin, mag ich ungern darüber nachdenken... in der bulimischen Phase war das so, dass ich auch nur einen Bissen Verbotenes essen musste... "ein Bissen ist nicht so schlimm"... und ein FA wurde angestoßen.. immer und immer wieder... in der Milisekunde vor dem Bissen.. also auch dann schon ein Erkennen... wusste ich immer, was folgen wird... es war schließlich etwas Verbotenes in mir drin... und ich habe es nie verhindert... und direkt nach dem ich mich erleichtert hatte, dachte ich "so... jetzt darfst du dir eine normale Mahlzeit gönnen... der ungesunde Teil ist draußen.. dein Magen leer." Normale Mahlzeit war drin... ich fühlte mich trotzdem schlecht wegen dem FA und ich fras weiter... und wieder... der Tag war eh gelaufen.. am nächsten Tag ging das Hungern los... bis ich wieder etwas Verbotenes gegessen hatte... usw usf...

In der anorektischen Phase nutze ich FA, die nicht annähernd so groß sind wie in der bulimischen Ph., um Gefühle zu betäuben... da wird nix durch Verbotenes angestoßen... doch... vielleicht "verbotene" Gefühle... keine Ahnung...

Aber denkst du, dass man FA wirklich verhindern kann, wenn man Gedankengänge erkennt? Wenn man erstmal drin ist, ist man drin... oder?

Den Teil über die Folgeschäden habe ich wieder gelöscht... den hätte glaube ich viele sauer gemacht...
Zuletzt geändert von Fräulein von Mut am Di Mär 21, 2017 19:21, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Non-Purging Bulimie

#3
Hallo Fräulein von Mut,

bin wieder gerade am Kämpfen, mich nicht vollzufressen. Das ist halt das ganze kaputte Hormonsystem, das jetzt nach einem Haufen Zucker und Fett schreit. Das ist halt ein Kampf wie bei einem Drogensüchtigen.

Wichtig ist halt, erstens die Entscheidung: Ich will das nicht mehr.
Zweitens, dass man dann auch Wege weiß, z.B. wie ich mich ernähre (momentan möglichst zuckerarm, aber dafür sind gesunde Lebensmittel erlaubt so viel ich will)
Und drittens muss man sich halt darauf einstellen, dass man sich in der ersten Zeit halt schlecht fühlt, aber dass das irgendwann besser werden wird. Wenn man sich nicht ständig den Bauch vollstopft, gewöhnt sich der Körper auch wieder an normale Mengen...

Mir hilft es halt, wenn ich mir vor Augen halte, wie es mir nach einem FA geht und dass ich wahrscheinlich bereits eine Insulinresistenz habe....

Liebe Grüße

Sophia
So spricht der Herr: "[...] Nein, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich erkenne, daß nämlich ich, der Herr, es bin, der auf Erden Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft!" (Jeremias 9,22-23)

Re: Non-Purging Bulimie

#4
Glaubst du nicht, dass du mit einer zuckerfreien / zuckerarmen Ernährung wieder auf eine Fressphase zusteuerst? Im Sinne von so lange reduziert, jetzt kommt der Heißhunger?
Klappt es vielleicht besser, wenn du dir Enährungspläne schreibst? Die einhältst und auch mal z.b. Süßspeisen mit ein planst? Dir langsam zeigst, dass du alles essen darfst? POrtionsweise vorkochsst, aber wirklich ausreichende Portionen (Pläne von Kliniken zb gibt's ja auch genug online usw, was wirklch normale POrtionsgrößen sind - mir hilft das z.b. ungemein, mich daran zu orientieren)

Zum Thema Gedankenmsuter erkennen usw - klar kann das FA verhindern, denn hinter zumindest 95% der FA steht ein Gefühl, das gelebt werden will. Wird es ausgelebt brauchst du die FA nicht mehr. Ich finde wahnsinnig hilfreich dazu Skillstraining ( es gibt ein wunderbar hilfreiches Buch dazu, das wirklcih hilfreich sein kann, in Bezug auf Skillstraining und Borderliner) - vielleich tist das was für dich?

Skillen, Ablenken und Gednakenmuster erkennen und langsam auflösen - dann klappt das auch bestimmt

Alles Gute
Weltenbummlerin auf der Suche nach dem ICH