Interessante Studienergebnisse

#1
Ich habe von Carl Leibl und Gislind Leibl das Buch "Wenn die Seele hungert" gelesen. Die beiden haben in diesem Buch eine großangelegte Studie mit 196 B Betroffenen veröffentlicht. Diese Studie ging über Jahre, und es wurden Krankheitsverläufe beobachtet.
Erstens finde ich es erstaunlich, dass fast alle Teilnehmer die Studie über Jahre mitgemacht haben, es konnten insgesamt 192 Patientinnen nachuntersucht werden. Wie mir scheint ist es (fast) allen Betroffenen sehr wichtig über ihre Krankheit zu sprechen, sich mitzuteilen. Ich hätte sicher auch gerne an der Studie teilgenommen, eine ES ist so komplex, und ich möchte gerne mehr darüber wissen, erstens will ich mich mitteilen, zweitens will ich die Lebensgeschichten anderer Patientinnen hören oder lesen. Es ist fast schon wieder eine Sucht über die eigene Krankheit so genau Bescheid wissen zu wollen.
Ich möchte aus dem Buch zitieren und zwar: "Bei psychischen Erkrankungen gilt es gemeinhin als Risikofaktor, wenn in der Familie ein Klima von hoher Überbehütung mit gleichzeitig geringer emotionaler Fürsorge und Möglichkeit, Entwicklungen in Gang kommen zu lassen, besteht. Dies wird in der Fachsprache "affektlose Kontrolle" ganannt und beschreibt die in bester Absicht handelnden Mütter oder Väter, die für das Kind wesentliche Entwicklungsschritte entscheiden und es auf Schritt und Tritt betreuen." All das kann ich nur zu 100 % bestätigen. Genauso war es bei mir in meiner Familie.
Mit meiner Mutter über emotionale Vernächlässigung zu reden, oder über Überbehütung zu reden hat absolut keinen Sinn. Sie reagiert darauf ganz verwirrt, versteht das alles nicht, und meint "sie hat immer das getan, was sie für das Beste hielt", und "sie hat in bester Absicht gehandelt". Sie wirkt dann völlig verzweifelt, weinerlich, wie betäubt. Sie WILL einfach nicht hinter die Fassade schauen. Unterstützung bekommt sie dann auch noch durch meinen Vater, der in solchen Situationen hinter ihr steht und mir Vorwürfe macht "ich solle doch nicht so gemein zur Mutti sein", "Schau doch wie sie sich kränkt".
Es hat schon so oft Situationen gegeben in denen ich versucht habe den beiden klarzumachen WAS bei mir schiefgelaufen ist, doch es ist als stünde eine Mauer zwischen uns. Eine Schallmauer, die bis zum Himmel reicht. Alles prallt an ihnen ab, kommt sogar noch auf mich zurück, und ich stehe alleine als "die böse undankbare Tochter" da. Ich bekomme null Unterstützung, und null Verständnis von der Ursprungsfamilie, und das macht mich total wütend.
Ich finde die Studienergebnisse sehr hilfreich, es hilft mir zu wissen, dass ich im Bereich der B "normal" bin. Ich bin eine typische B Patientin. Auslöser, Familie, Verlauf, Gedanken, alles passt. Wenigstens weiß ich jetzt auch, dass es normal ist - auch wenn ich gelernt habe mit dem Essen umzugehen, sodass es keine Fressanfälle mehr gibt - dass ich nicht vollständig geheilt bin. Es ist nur die Symptomatik weg, ein lebenswertes Leben habe ich deswegen weiterhin nicht.

Re: Interessante Studienergebnisse

#2
v_rena hat geschrieben:... in der Familie ein Klima von hoher Überbehütung mit gleichzeitig geringer emotionaler Fürsorge...
:shock: Das kann ich zu 100% so unterschreiben. Wirklich erschreckend, dass die Familien in ihrem Grundmuster derart ähnlich, um nicht zu sagen: gleich, gestrickt sind :|
v_rena hat geschrieben:Alles prallt an ihnen ab, kommt sogar noch auf mich zurück, und ich stehe alleine als "die böse undankbare Tochter" da. Ich bekomme null Unterstützung, und null Verständnis von der Ursprungsfamilie, und das macht mich total wütend.
Oh je, du bist ja nun schon eine Ecke älter als ich und verharrst in dieser Angelegenheit noch immer in der Rolle der egoistischen, sturköpfigen Tochter? Wie schrecklich, ich fühle ehrlich mit dir! :(
Genauso ist es bei uns auch und naiver Weise hoffe ich noch immer darauf, dass meine Eltern eines Tages gestehen, einen Fehler gemacht zu haben oder zumindest zugeben, dass nicht immer alles nur meine Schuld ist. Aber das scheint mir eine irrationale Hoffnung, von der man sich wohl verabschieden muss.

Liebe Grüße,
Nightmare
Du hast geschlafen für so lange Zeit, eingesperrt in eine Möglichkeit. Tocotronic - Andere Ufer

Re: Interessante Studienergebnisse

#3
Zitat: Oh je, du bist ja nun schon eine Ecke älter als ich und verharrst in dieser Angelegenheit noch immer in der Rolle der egoistischen, sturköpfigen Tochter? Wie schrecklich, ich fühle ehrlich mit dir!
Ganz so ist es nicht, ich habe mir natürlich ein Stück Autonomie erkämpft. Ich merke es auch daran, dass ich nicht mehr so essgestört leben kann wie damals. Ich habe ein ganzes Stück Verantwortung zu tragen, nicht nur für mich.
Die Gespräche mit den Eltern sind nun schon einige Jahre her, damals war auch die ganze Familie wieder zusammen. Es ging um den Notariatsakt zur Überschreibung der Häuser und Wohnungen der Eltern, die sie im Laufe der Jahre erworben hatten. Wie du dir sicher vorstellen kannst war das ein schwieriger Tag für mich. Was würde ich dafür geben wenn sie mich emotional unterstützt hätten, und wir dafür keine Immobilien hätten.
Ich lese gerade noch ein Buch, dabei geht es um den Tod der Mutter. Zwanzig Frauen berichten welches Verhältnis sie zu ihrer Mutter hatten, wie die Familiengeschichten waren, und wie die Mutter starb. Diese Geschichten sind sehr interessant, und so verschieden. Es gibt auch einige Fälle in denen die Töchter absolut kein gutes Verhältnis zur Mutter hatten, sie als schwierig und dominant erlebt hatten, und sich durch den Tod der Mutter befreit fühlten. Besonders die Tochter, die eine Essstörung in der Familie entwickelt hatte.

Re: Interessante Studienergebnisse

#4
Auch meine Mutter ist eine sehr dominante Person gewesen. Aber nicht mal Oberflächlich gab es zuneigung. Ich durfte mir sachen anhören wie "Was habe ich nur getan, dass ich so eine Brut wie dich zu Welt brachte" (Wohl gemerkt, solche Sätze kamen vor der Püpertät). Ich wurde im Stich gelassen habe mich alleine Gefühlt. War praktisch ab meinem 7. Lebensjahr für mich selber verantwortlich.
Warum meine Mutter eine dominante Person "gewesen" ist? Ich habe seit 6 Jahren keinerlei Kontakt mehr zu ihr. Versuche einen Kontak sind daran gescheitert, dass sie damals in meiner Schule dann angerufen hat und gesagt hat ich hätte ihr gesagt dass ich ein Drogen Problem hätte (hatte ich nicht) und hilfe brauchen würde, nett war dann auch mit 16 von meiner Mutter zu hören, dass ich selbst dran Schuld sei, dass Sie mich nicht mag......
Fazit: Die Frau ist Beratungsressistent. Kontakt auf unbesitmmte Zeit abgebrochen

Also hab ich nach der Scheidung meiner Eltern bei meinem Vater gewohnt (wie die geschwister auch) aber der interessiert sich so viel für mich, wie für schimmelndes Toastbrot.

Warum erzähl ich das hier eigentlich?

Kurz und Knapp: Ich wollte nur für meinen Teil bestätigen wenig wirklich herzliche Liebe der Familie können durchaus eine ES fördern.....

Mich würd ja mal interessieren, ob es jemanden gibt, der sagt "Meine Eltern haben alles richtig gemacht und ich hab trotzdem eine ES"....

Re: Interessante Studienergebnisse

#5
Mich würd ja mal interessieren, ob es jemanden gibt, der sagt "Meine Eltern haben alles richtig gemacht und ich hab trotzdem eine ES"....
jeder macht fehler...
aber meine mutter hat es so gut gemacht, wie sie konnte und ich habe trotzdem eine es.
"You," he said, "are a terribly real thing in a terribly false world, and that, I believe, is why you are in so much pain."

Re: Interessante Studienergebnisse

#6
Wenigstens habt ihr einen Grund für eure ES gefunden. Ich nicht. Ich hatte oder habe ein sehr sehr liebevolles Elternhaus, einen tollen Mann, der immer noch zu mir hält. Eigentlich müsste ich ein ganz zufriedener Mensch sein. Bin ich aber offenbar nicht. Keine Ahnung, warum ich essgestört bin.

Re: Interessante Studienergebnisse

#7
Ich hatte es immer schon im Gefühl (dass die Urschen für die ES die Eltern sind, allen voran die Mutter) doch mir wurde nicht geglaubt. Ich glaubte es ja selbst kaum. Selbst den Therapeuten versuchte ich klarzumachen, dass ich eine massive ES habe. B sieht man nicht. Zuerst war es mein Ziel die schreckliche B wegzubekommen. Ich habe es geschafft. Dann hatte ich eine Zeitlang eine Therapeutin, die sich mit mir gemeinsam auf die Suche nach den Ursachen der ES machte. Es ist das Elternhaus! Fachbücher, von Therapeuten geschrieben, mit Studien und Fallbeispielen, haben mir gezeigt, dass ich genau in das Schema einer Bulimiekranken passe.
Soweit zu den Eltern, und den Urschen für die ES....

Re: Interessante Studienergebnisse

#8
Ich denke mittlerweile, Auslöser für die Bulimie ist bei jedem von uns, dass wir nie gelernt haben uns zu lieben. Inwiefern die Familie dabei schuld trägt, lasse ich offen. Langsam scheint es mir aber hoffnungslos, jemals zu erlernen mich selbst zu achten und mir gut zu tun, anstatt mich zu zerstören ... Es fühlt sich an wie ein Schicksal, bereits besiegelt... Ich könnte heulen.

Re: Interessante Studienergebnisse

#9
Hallo No Sugar,

mir geht es wie dir. Ich komme einfach nicht los von der Krankheit. Ich hatte wieder ein halbes Jahr in dem ich es meinte es schaffen zu können. Keine Medikamente, Arbeit gesucht, keine Bulimie. Spätestens jetzt ist es wieder so, dass ich Medikamente nehmen MUSS weil die gedankliche Beschäftigung mit Essen/nicht essen/Lebensmitteln/gesunde Ernährung etc. nicht mehr zu stoppen war. Dazu Depressionen und Selbstmordgedanken.
Ich beneide ALLE Leute, die keine Essstörung haben. Die gedankliche Beschäftigung mit dem Thema "Essen" ist ein Wahnsinn, das ist nicht auszuhalten. Gott sei Dank gibt es ein Medikament gegen Bulimie. Okay, ich muss mir eingestehen, dass ich ohne Medikamente nicht leben kann. Das Medikament hat Nebenwirkungen. Kopfweh, schlechtes Körpergefühl, Benommenheit. Ich mußte mich entscheiden, und ich habe mich für die Medikamente entschieden. Endlich ist die ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Essen (fast) weg.
Wie geht es dir heute?
lg Verena

Re: Interessante Studienergebnisse

#10
Hallo,
v_rena hat geschrieben: Gott sei Dank gibt es ein Medikament gegen Bulimie.
Ja ehrlich, ne Pille und die ES ist weg :shock:

Ein Medikament kenne ich auch, allerdings hätte ich dann eine andere Sucht und Abhängigkeit. :roll:

liebe Grüße
Zuletzt geändert von Christinel am Mi Mär 16, 2011 17:08, insgesamt 1-mal geändert.
„Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.“
Albert Schweitzer

Re: Interessante Studienergebnisse

#12
v_rena hat geschrieben:.
Ich beneide ALLE Leute, die keine Essstörung haben. Die gedankliche Beschäftigung mit dem Thema "Essen" ist ein Wahnsinn, das ist nicht auszuhalten.

Glaub mir, Keine Ess zu haben ist nicht immer zu beneiden ;). Sich den ganzen Tag mit Alkohl, mit Drogen, mit Vergangenheit, mit Zwängen oder meinetwegen auf mit dem Urknall beschäftigen zu müssen ist mindestens genauso schlimm. Nicht das essen ist das Problem. Sondern die Fixiertheit auf eine bestimmte Thematik

Re: Interessante Studienergebnisse

#13
Ja sicher, alle Süchte haben das gleiche Schema. Die gedankliche Beschäftigung, die eigentliche Sucht, die Probleme, die dahinterstecken.
Okay, ich habe mich unklar ausgedrückt. Ich beneide alle, die keine Süchte haben.
Das Medikament hilft wirklich, es ist ein Antidepressivum, das auch bei B wirkt. Mir hilft es auf jeden Fall.

Re: Interessante Studienergebnisse

#15
ksiezniczka!. hat geschrieben:Aber nicht weil es ein Medikament gegen Bulimie gibt..
Na doch knisie, Fluoxetin ist bei Bulimie zugelassen, ist ein AD. In Verbindung mit Thera kann es die FA verringern. :wink:
Aber die Wunderpille gegen Bulimie wurde noch nicht erfunden und wird wohl auch nicht.
Die Dinge die da helfen, kennen wir wohl alle, aber :roll:

liebe Grüße
„Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.“
Albert Schweitzer