Mein Weg aus der Bulimie

#1
Es gab viele Zeiten, da hätte ich nie gedacht, dass ich jemals ohne die Bulimie leben werde. Und jetzt bin ich seit etwas über einem Jahr ess-brech-frei. Es ist bei weitem nicht so, dass alles gut ist und ich möchte mit diesem Text Mut machen, dass Heilung möglich ist, aber auch ein realistisches Bild zeichnen, dass es anstrengend bleibt, auch wenn die bulimische Symptomatik geht.

Ich bin jetzt 28 und war von meinem 17. bis zu meinem 27. Lebensjahr bulimisch. Auch davor hatte ich schon Phasen mit restriktivem Essverhalten und viel Sport, etwa seit meinem 12. Lebensjahr. Ich hatte Phasen, in denen ich mehrmals in der Woche und dann auch 2-3mal hintereinander erbrochen habe. Zu Beginn gab es anorektische Züge, Sport war immer zwanghaft besetzt und mit Kalorienreduktion verknüpft. Es gab gute Phasen, in denen ich gar nicht oder selten erbrochen, aber dennoch restriktiv gegessen und viel Sport gemacht habe. Es gab Zeiten, in denen ich mich sozial isoliert habe, Termine abgesagt habe. Ich habe Lebensmittel aus dem Müll gegessen, mich selbst verletzt und vor 3 Jahren war ich an dem Punkt, an dem ich nicht mehr leben wollte. Ich habe mich immer zum Sport gezwungen, hatte dauernd Zahnprobleme und Herzrhythmusstörungen.

Ich habe mehrere ambulante Therapien gemacht, Ernährungsberatung und -therapie. Oft habe ich überlegt in die Klinik zu gehen, aber die Essstörung war immer zu stark. Ich bin immer wieder gescheitert und war irgendwann nur noch resigniert.

Was hat mir letztendlich geholfen, die Bulimie hinter mir zu lassen? In erster Linie mein Wunsch, eine gesunde Beziehung mit meinem jetzigen und auch ersten Freund führen zu können. Ich habe gespürt, dass beides nicht geht. Ob das ein guter Grund ist, um aufzuhören? Sollte Heilung nicht intrinsisch motiviert sein? Vielleicht. Fakt ist, für mich war das ein Ansporn, endlich aufzuhören. Meine jetzige (3.) Therapeutin hat ebenfalls dazu beigetragen. Manchmal dauert es, leider, bis wir den Therapeut finden, der zu uns passt.

Zu Beginn meiner Beziehung hatte ich heftige Impulsdurchbrüche mit autoaggressivem Verhalten. Ohne Bulimie hatte ich meine Gefühle einfach gar nicht mehr im Griff. Neben der Therapie denke ich, dass mir die Psychopharmaka, die ich seitdem nehme, auch echt geholfen haben.

Jetzt, nach einem Jahr ohne Bulimie, mache ich immer noch viel Sport und es fällt mir schwer, ihn wegzulassen. Aber ich quäle mich nicht mehr so. Ich habe mehr Kraft und muss nicht immer an meine Grenzen gehen. Ein ganz wesentlicher Meilenstein war noch, dass ich nicht mehr tracke und mich nicht mehr wiege. Das hat ultra viel bewirkt, so schwer es auch war. Ich esse häufig das gleiche, das gibt mir Sicherheit. Aber ich esse auch Schokolade und bin häufiger mutig, auch Pizza, Döner und Kuchen zu essen. Manchmal geht das gut und manchmal gar nicht.

Oft sind negative Gefühle viel präsenter und schwerer auszuhalten. Während der Bulimie habe ich zusätzlich oft mit Alkohol kompensiert. Das mache ich immer noch gern, aber ich achte darauf, dass es nicht überhand nimmt.

Es ist anstrengend, wenn man auf einmal scheinbar gesund ist. Die Essstörung ist immer da, aber hat viel weniger Raum. Allein fühle ich mich trotzdem oft damit. Meine Beziehung, mein Job und ja, auch ich bin es mir wert, weiter dran zu bleiben. Ich will nicht zurück. Und vielleicht kann ich mit diesem Text Mut machen,dass Veränderung möglich ist.🤍

Re: Mein Weg aus der Bulimie

#2
Hi du. Glückwunsch zu einem Jahr. Das ist unvorstellbar lang. Bin erst bei 3 Monaten und es wird einfacher. Habe immer noch Angst vor Rückfällen hast du da eine Strategie? Mit dem Sport ist auch bei mir so nen Thema. Aber stell ich hinten an. Aber wie hast du das so lange geschafft?

Re: Mein Weg aus der Bulimie

#3
Hey du, dankeschön! Und Glückwunsch zu den 3 Monaten, das ist wirklich toll. Bei mir hat das Bedürfnis nach essen und brechen über die Zeit immer weiter abgenommen. Das setzt allerdings voraus, dass du einigermaßen ausreichend isst. Sport ist tatsächlich meine Haupt-Strategie gegen Rückfälle, Bewegung generell. Das ist vielleicht nicht optimal, aber besser als das bulimische Verhalten. Kritisch ist sicher, wenn das Sportvolumen überhand nimmt, aber für mich ist eine Stunde Bewegung am Tag ausreichend und die beste Rückfallprophylaxe. Ansonsten hat mir soziale Unterstützung - telefonieren, jemanden treffen, mit jemandem schreiben auch oft gut geholfen. Manchmal auch einfach schlafen. Klingt komisch, aber die Rückfallgefahr ist bei mir dann am höchsten, wenn ich erschöpft bin.
Am hilfreichsten ist aber sicherlich, dass ich in der Therapie lerne, für meine Bedürfnisse einzustehen, mich nicht für andere zu verbiegen und solche Sachen. Dadurch,dass ich meine Gefühle dort lasse, wo sie hingehören und sie nicht an mir auslasse, entsteht auch weniger Ess-Brech-Druck.
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