Liebe aire,
Ich glaube, ich weiß, was du meinst. So ein ähnliches Erlebnis hatte ich auch einmal.
12. Klasse, mein Kurs ist im Schwimmbad. In der Dusche fragt ein Mädchen nach Shampoo, sie hat keins mit. Dreamdancer will ihr ihres rüberreichen, wird ignoriert. Dreamdancer gibt es ihr noch einmal, sie weist deutlich zurück mit der Begründung, diesen Verschluss würde sie nicht aufbekommen.
Ja, danke, Dreamdancer ist also scheiße, nicht mal zum Shampooleihen ist sie gut genug.
Es war ja nicht nur diese eine Situation, mir wurde immer wieder deutlich gemacht, dass ich Außenseiter bin.
Irgendwann habe ich total abgeblockt, von mir aus alle Menschen zurückgestoßen, mir selber eingeredet, ich bräuchte keinen anderen, die sind alle nur fies, und mit mir selber bin ich besser bedient.
Also war ich jahrelang einsam, wurde nicht mehr direkt verletzt, weil ich es ja nicht an mich ranließ, und unglücklich war ich trotzdem. Blöde Situation.
Irgendwann habe ich mich wieder Menschen angenähert, aber vorsichtig, immer mit der Angst vor weiteren Verletzungen.
Ich hatte viele so Halbfreundschaften, mit denen ich ein bisschen redete, aber immer so tat, als hätte ich noch andere, bessere Freunde. Die aber genauso oberflächlich mit mir zu tun hatten.
Nach dem Prinzip schließe ich auch heute noch Freundschaften, tue so, als hätte ich die nicht nötig, hätte andere Freunde, ziehe extreme Grenzlinien, sodass ich zum Beispiel meine Unifreundin nur an der Uni treffe, meine alten Schulfreunde nur beim monatlichen Wiedersehen, und ich habe mir so ein bisschen auch ein Arschlochverhalten angewöhnt, antworte auf SMS erst Tage später, nicht, dass mir noch passiert, dass ich ständig was sende und irgendwann nichts mehr zurückkommt.
Ich betreibe also Selbstschutz, der mich leider auch einsam macht.
Meinen Kopf habe ich in Sparten aufgeteilt, sodass ich sehr offen und tiefsinnig reden kann, aber nur über manche Themen. Andere sind komplett tabu, da habe ich mir dann so Schutzgedanken drübergelegt, von denen ich reden kann, um meine tieferen Probleme nicht berühren zu müssen.
Das heißt, ich kann mit meinen ganzen Halbfreunden schon tiefsinnige Gespräche führen, und gebe trotzdem nicht alles von mir preis.
Ich versuche nicht mehr, zu erraten, was andere denken, damit ich zu ihnen passe und genau dasselbe sagen kann, sondern ich habe mir eigene Positionen ausgearbeitet, die mich abgrenzen, aber trotzdem irgendwie interessant machen und so, als habe ich schon sehr viel über irgendein Thema nachgedacht. Ich habe also versucht, eine eigene Persönlichkeit zu profilieren, statt nur Nachläuferin zu sein.
Ich finde es aber immer noch sehr schwer, den richtigen Umgangston zu treffen.
Oft beobachtet man ja bei Leuten, die sich mögen, dass sie sich die ganze Zeit necken und durchaus auch schon ziemlich fiese Sachen sagen.
Wenn man da nicht mitzieht, wirkt man kalt und langweilig und uninteressiert, aber wenn man mitmacht, dann kommen leicht Sachen raus, die zu aufdringlich sind und auch unfair.
Und ich könnte mir sehr gut vorstellen, aire, dass das auch dein Problempunkt ist.
Ich glaube, du bist im normalen Leben lieb und unauffällig, aber merkst, dass andere, die mehr Freunde haben, ihre Klappe viel weiter aufreißen und deine Stillheit eher nicht so gut ankommt.
Und dann versuchst du hier im Forum, deine wahre Persönlichkeit rauszulassen und genauso konkret und witzig wie andere beliebte Menschen in deinem Unkreis zu sein, und merkst, deine direkte Art kommt oft auch nicht so gut an.
Du sitzt also total im Dilemma. Egal, welche Seite du von dir zeigst, immer wirst du zurückgewiesen.
Und das ist schlimm.
Weil es zu ganz entsetzlichen Zweifeln an sich selbst führt.
Ich glaube, das löst man so, dass man sich sagt, ok, ich bin neu in diesem Freundeskreis, also darf ich noch nicht so zudringlich sein wie die anderen, aber ich bin ok, das ist eine Kennenlernphase, und ich bin eine liebe Person udn genauso viel wert wie die anderen, und bald darf ich das auch. Und man darf sich nicht aus Angst in sein Schneckenhaus zurückziehen. Vielleicht lieber mal Witze über dich selber machen, oder über irgendwelche Politiker oder dämliche Casting-Show-Gewinner, auch wenn dich sowas wenig interessiert, sowas ist unverfänglich. Oder, wenn du dich mit Kommilitonen triffst, läster über die Übungsaufgaben.
Also versuch, dich ein bisschen zu profilieren, ohne andere zu verletzen.
Gut ist auch Begeisterung, mach irgendein Hobby oder geh mal auf Städtereise, und dann erzähl davon. Bild dir eine eigene Meinung und dann red einfach drauflos. Dass du nicht nur immer langweilig danebensitzt, sondern wirklich eine interessante liebenswerte Person bist. Und ich wette, das bist du, dir fällt es nur oft schwer, das auszudrücken.
(Wie kommen denn deine Eltern mit Menschen klar? Fällt es denen auch so schwer? Bei meinen ist es ja so, mein Vater ist sehr duckmäuserisch, kann aber auf seine Art mit den Menschen, führt super Smalltalk und ist beliebt, und meine Mutter ist extrem unnahbar und eine Mischung aus sehr schüchtern und ziemlich zickig, aber eben aus Unsicherheit.
Und ich glaube, diesen richtigen Umgangston kann man nur durch Üben treffen, also versuch schon irgendwie möglichst oft neue Leute zu treffen.
Ach ja, was noch wichtig ist, fragen, fragen, fragen. Dann musst du nicht viel von dir preisgeben, aber du wirkst trotzdem aufgeschlossen und interessiert an den Menschen. Und je mehr sie erzählen, umso mehr kannst du einhaken und weitere Fragen stellen, oder auch Gemeinsamkeiten finden und von dir etwas zu den Themen erzählen. Beim Fragen kann es auch nur selten zu irgendwelchen Tabubrüchen kommen, solange du nicht total indiskret wirst. Jedenfalls viel weniger als wenn du versuchst, jemanden zu necken und witzig zu sein.
Ich habe das in der letzten Zeit so gemacht, ich habe mich einer Greenpeace-Gruppe angeschlossen, mit denen treffe ich mich alle zwei Wochen, sodass ich zumindest dann unter Leute komme, und mache auch manchmal noch Sonderaktionen, wo ich dann mit den Leuten allein schon wegen dem Thema, was wir machen, ins Gespräch komme.
Und wenn dann jemand vorschlägt, noch was trinken zu gehen, komme ich mit, auch wenn ich eh nichts trinke und Autofahren muss. Aber dann sitze ich einfach dabei, kann gucken, wie andere Menschen miteinander umgehen, kann versuchen, selber was zu sagen, und es tut sehr sehr gut, einmal mit in einer Gruppe zu sein, statt immer außen vor.
Außerdem versuche ich gelegentlich mal mit anderen Studenten in Kontakt zu kommen, oder ich mache mal nette Sachen mit entfernten Bekannten, die ich über den Sport kenne.
Und ich merke mittlerweile, es liegt eben nicht nur an mir, dass ich scheiße bin, sondern auch, dass ich mit manchen Menschen besser klarkomme, mit manchen weniger gut.
Und da hilft es nur, immer wieder ausprobieren.
Alles, was es so an interessanten Veranstaltungen und Interessengruppen gibt, mal abklappern, oder Sportkurse, Sportvereine. Auch wenn man es nur einen Tag durchhält und am nächsten Tag wieder im Loch versinkt, man hat dann zumindest einmal ein paar Stunden gespürt, dass man doch ein Mensch ist, und das ist es wert.
Liebe aire, ich hoffe, ich konnte dir helfen und habe nicht völlig an dir vorbeigeredet.
Auch du bist ein Mensch und kannst menschliche Erfahrungen machen, und ich hoffe, du machst das auch und kannst uns bald ein bisschen davon hier erzählen.
Vielleicht sollten wir eine Zombie-Selbsthilfegruppe gründen, weil cih ja auch immer wieder rückfällig werde mit meinen Außenseiterproblemen
Liebe Grüße