liebe aire,
erst jetzt lese ich von deinen derzeitigen sorgen und ich muss sagen, es macht mich traurig, dass du dir solche gedanken machst. glaubst, dir solche gedanken machen zu müssen. nachvollziehen kann ich alles, was du schreibst, sehr gut. doch es wäre wohl zu einfach, einfach mein verständnis für deine situation, deine gefühle, deine sorgen zu zeigen, wenn ich das dennoch gleichzeitig tun will - doch allein hilft dir das nicht weiter. ich denke, was du brauchst, ist etwas klarheit. klarheit darüber, dass du dich gerade in einem einzigen kreislauf bewegst, aus dem alleine du imstande bist, auszubrechen. egal unter welchen äußeren umständen, egal mit wievielen weiteren enttäuschungen. du solltest für dich selbst eine entscheidung treffen: in der momentanen situation verharren oder aufstehen und etwas daran verändern.
ich sage nicht, dass das leicht ist. herrjeh, das würde ich mir nicht anmaßen, kämpfe ich doch gerade selbst mit einem ähnlichen problem. es kostet eine menge überwindung, aber ich denke, im endeffekt wird es sich lohnen - und wenn nicht, dann sollte das kein grund sein, sich bestätigt zu fühlen und gänzlich aufzugeben.
wie du vielleicht noch weißt, habe ich im vergangenen herbst auf ziemlich verletzende art und weise eine freundin verlieren müssen, die mir bis zu diesem zeitpunkt sehr nahe gestanden war. ich habe in meinem leben schon einige zwischenmenschliche enttäuschungen verkraften müssen, aber das war der höhepunkt von allem und ja, das schlimmste, was ich - freundschaftlich betrachtet - je erlebt habe. es stellte sich heraus, dass ihre zuwendung, ihr interesse an mir, ihre gute laune (angeblich durch mich verursacht) und ihre hohe meinung von mir alles nur heuchelei und eine einzige lüge war. ich war nicht nur traurig über das ende der freundschaft, sondern auch zutiefst erschüttert in meiner menschenkenntnis. es wäre zuviel, um das hier alles auszuführen, doch ich denke, es beschreibt es am besten, wenn ich von einem tag auf den anderen von derjenigen, zu der sie augesehen hatte, bei dir sie häufig rat gesucht, aber auch viel gelacht hatte, mit der sie sich angeblich zutiefst verbunden fühlte und nie genug zeit verbringen konnte, plötzlich für sie zu einer person wurde, die ich selbst - nachdem ich ihre beschreibung hörte - verabscheuen würde und die mit mir - wie mir auch von freunden bestätig wurde - wirklich wenig gemeinsam hatte. auch das verstand ich damals nicht. wie sie mich als psychisches wrack bezeichnen konnte, wo ich mich selbst doch stärker als je zuvor fühlte. auch ich selbst geriet durch das ganze in eine richtige identitätskrise...
kurz und gut: die verletztung war mehr als hart und hatte ihre wunden hinterlassen. in den ersten wochen weinte ich bei jeder kleinigkeit, zog mich viel zurück und wollte das leben am liebsten aussperren und mich von ihm abschotten. zwischenmenschliche kontakte waren nur noch schwer möglich. dann veränderte sich das ganze in eine regelrechte verbitterung. ich wurde hart und kalt zu den menschen, die ich nicht näher kannte und die versuche starteten, mich besser kennen zu lernen. ich wurde so, wie ich mich selbst scheußlich fand. ich hielt alle auf abstand und errichtete nach außen hin einen harten panzer, der nur noch wenige zu mir durchdringen ließ. wenn mich jemand fragte, ob ich mit ihm was trinken gehen wolle, dann antwortet ich in der regel "warum?", was schon so manchen irrtierte. dabei war es eine ernst gemeinte frage. es machte mich wütend, mich auf etwas einzulassen, ohne zu wissen, was das wieder für konseuqenzen nach sich ziehen würde. und daher wollte ich wissen, welche gründe die menschen hatten, sich mit mir treffen zu wollen. natürlich schreckte ich damit einige sofort ab, was mir ja auch ganz recht war.
doch dann gab es eine, die nicht locker ließ. warum auch immer. sie wollte sich mit mir treffen, wieder und wieder versuchte sie es, kontakt zu mir aufzunehmen und ich muss gestehen, dass ich es ihr echt schwer gemacht habe. denn sie hatte mich vor der zerbrochenen freundschaft kennengelernt - nur oberflächlich zwar - aber muss demnach wirklich zwei persönlichkeiten in mir gesehen haben. vorher nett, offen, freundlich, warmherzig und dann ganz plötzlich das gegenteil.
ich fand sie nett und fühlte mich wohl in ihrer nähe, wollte aber nicht noch einmal so etwas durchstehen müssen.
irgendwann schrieb ich ihr das genau so. zu verlieren hatte ich nichts. im gegenteil, ich dachte, ich würde sie durch meine offenheit eh abschrecken - doch das gegenteil war der fall. sie hatte ernsthaftes interesse an mir und schrieb zurück, dass sie mir alle zeit der welt geben würde, wenn ich für diese freundschaft irgendwann bereit sein könnte.
wir haben uns seitdem einige male getroffen. und ja, ich bin oft noch unsicher, immer am prüfen, immer am genauen hinhören... fühle mich oft ungerecht damit ... doch kann es noch nicht ganz abstellen. und doch: so nach und nach erzähle ich ihr von mir. so nach und nach kann ich mich wieder öffnen.
und ob du es glaubst oder nicht, es tut gut. es ist eine freundschaft in den anfängen, noch nichts sicheres, nichts festes, nichts eindeutiges - nicht von meiner seite. da ist noch zuviel misstrauen in mir. doch es hat mir geholfen, den moment zu sehen. den augenblick zu schätzen. und für jeden augenblick dankbar zu sein.
sicherheit gibt es nie. und in beziehungen - welcher art auch immer sie sein mögen - besteht immer die gefahr, verletzt zu werden. ich wollte sie umgehen und bin teils in die einsamkeit gerutscht. bis ich erkannt habe, dass das leben nunmal so ist, dass man etwas riskieren muss, wenn man etwas gewinnen will. und genau genommen ist es doch schön, dass wir menschen verletzlich sind, zeigt das doch zugleich, zu welchen starken gefühlen wir für andere menschen in der lage sind.
in meiner hochschule habe ich kaum kontakte. doch das ist bewusst so. seit dem ersten semester habe ich etwa eine handvoll menschen kommen und gehen sehen, die ich etwas näher an mich herangelassen habe. momentan ist es nur noch eine. und doch ist es alles verdammt oberflächlich. mit ihr verstehe ich mich, aber mehr auch nicht.
und dass ich keine weiteren kontakte aufbauen konnte, beziehe ich nicht auf mich. es sind die menschen, die charaktere dort, die sich alle so ähnlich sind und meinem wesen so völlig widersprechen. aufgetakelte akademikerprinzesschen, die mehr wert auf äußerlichkeiten legen als auf alles andere (was nach einigen erfahrungen ja auch nicht vorhanden ist), lehrer werden, um die elite noch mehr voranzutreiben und sich für frisch (in der vorlesung!) lackierte fingernägel mehr begeistern können als für wirklich geniale pädagogen. natürlich sind nicht alle so, aber einer großer teil und das ist nicht nur meine wahrnehmung. mit meiner haltung, freiwillig vorlesungen zu besuchen, mich zu engagieren, fleißig mitzuschreiben und alles, was derzeit so "in" ist, abzulehnen, ecke ich oft an.
- und WILL das auch!
mein ganzes leben lang bin ich schon angeeckt, war außenseiter - und es war verdammt nochmal gut so.
in der grundschule habe ich mich auf die seite der damaligen "asylantenkinder" gestellt und sie gegen anfeindungen verteidigt. da ist man schnell draußen aus der angesagten clique. doch traurig war ich nie, vielmehr stolz darauf, weil es die richtige seite war, auf die ich mich gestellt hatte.
im gymnasium ging es weiter. ich war zu beginn enorm schüchtern, zurückhaltend, unauffällig. zu den coolen udn tollen gehörte ich nie. genau genommen war ich auch hier ein außenseite - in einer außenseiterclique. ich suchte mir die richtigen leutem mit denen ich zu tun haben wollte - und das waren öfter außenseiter, als personen, die "normal" waren, im mittelpunkt standen.
natürlich habe ich mich manchmal hinterfragt. warum ich so bin, so anders.
mit der reife kam auch die erkenntnis, dass es ein wunderbares geschenk ist, anders zu sein. ich will heute gar nicht mehr dazu gehören. ich will nicht cool sein, dinge tun, die in sind. ich will einfach so sein, wie ich bin.
andere komilitonen gehen am wochenende in die disko, ich mache zuhause bei kerzenschein yoga, gehe in mich und finde darin meine kraft. ich brauche diese action nicht, ich brauche mehr ruhe, als das andere in meinem alter brauchen - und ich habe lange gebraucht, bis ich dazu stehen konnte.
was ich mit all dem sagen will - und ja, es wird mal wieder einer meiner unglaublich langen beiträge (wovon ich aber weiß, dass du sie magst
) - es muss nicht an dir liegen.
du hinterfragst viel zu viel - und verursachst vielleicht dadurch die ein oder andere ablehnung oder bewirkst, dass du noch nervöser wirst. sei einfach du selbst. genau so. und das ist richtig.
- wenn das andere nicht so sehen, dann ist das nicht dein problem. diese menschen haben deine freundschaft sowieso nicht verdient.
die eigenschaften, die du beschreibst, finde ich nicht grundsätzlich negativ. mein freund, den ich über alles liebe, spricht auch oft zu laut und zu schnell, ist etwas tollpatschig
, aber was ist denn daran so schlimm? wenn ich beim zuhören merke, dass es mir zu laut oder zu schnell ist, dann kann ich das doch rückmelden - ohne ihn gleich komplett umkrempeln zu wollen. und dann schmunzeln wir drüber und reden etwas leiser weiter. und wenn mal was runterfällt -mein gott, dinge sind ersetzbar. solange er sich dabei nicht verletzt hat... (dazu neige wohl eher ich... erst vor kurzem hab ich die bratpfanne auf meinem kopf abgekriegt, die mir aus dem schrank gefallen ist..). nein, mal im ernst: ich finde, du übertreibst ein wenig.
du machst dich ja regelrecht systematisch fertig. du machst eine fehler und gibst dir sofort alle schuld, verstrickst dich in denkmustern, die etwas irrational sind. nicht, dass ich das nicht verstehen würde (habe auch oft phasen, in denen ich zu sowas neige..), aber ich möchte dir sagen:
BRICH AUS!!!
ersetze die negativen gedanken durch positive. die destruktiven durch konstruktive. du bist kein schlechter mensch. und mir hast du beispielsweise schon öfter geholfen.
du bietest deine hilfe an - und sie wird abgelehnt. bezieh das dann nicht auf dich. denk dir einfach "wer nicht will der hat schon" und geh weiter. wenn du unbedingt etwas nützliches machen willst, dann frag doch in sozialen einrichtungen nach, die suchen immer jemanden. -ABER verschenk dich auch nicht so einfach. du bist doch etwas wert. warum verkaufst du dich dann für nichts?
verletzungen hinterlassen narben. und ja, man muss diese narben auch pflegen, damit sie heilen können. aber irgendwann ist es mal wieder gut und man sollte sich trauen, etwas zu machen, was eventuell neue narben verursacht. das leben hat soviel zu bieten. und es wäre doch schade, wenn du dich mit all deinen positiven eigenschaften so in deinen eigenen vier wänden versteckst!
lg, jen
Lauf der Sonne entgegen, anstatt auf sie zu warten...